Johann Wolfgang von Goethe
Briefe an Charlotte Stein, Bd. 1
Johann Wolfgang von Goethe

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850

[Gotha, Sonnabend 30. März]

Die liebe süse Ordnung meiner Tage und Stunden ist ganz aufgehoben und in dem Zirckel eines neuen Lebens mit fortgerissen, fühl ich mich mir selbst fremde. Man ist wie immer sehr freundlich und auf alle Weise gefällig gegen mich, und ich thue das Meinige dagegen. Dein Brief liebste Lotte rief mich wieder ganz zu dir hinüber, ich lebe nur bey dir und durch dich. Die Herzoginn sitzt schon vielleicht sechs Wochen, lässt sich tragen, und niemand glaubt ihre Kranckheit, man hält es für Verstellung und niemand kann doch sagen warum oder wozu. Der Herzog ist auch nicht recht, er macht sich starck, und kann es nicht ganz verläugnen. Der Prinz ist gar gut, er hat recht viel Kenntnisse und Verstand, mit ihm ist angenehm leben. Die Oberhofmeisterinn find ich wenig verändert, wir haben schon wieder redlich geschwäzt. Von d. Diede hab ich eine Abneigung die ich nicht überwinden kann, ich weis nicht warum, es kann sich legen, genug iezt wenn sie da ist kan ich nicht d. Mund aufthun, es sey denn von gleichgültigen Sachen. Der Mensch ist eine wunderliche Zusammensezung. Adieu Liebste. Sehnlich erwart ich mehr von dir durch Seeger. Es ist spät. Adieu.

Sonnabends d. 30. März Gotha.

G.

851

[Gotha, Sonntag 31. März bis Eisenach, Mittwoch 3. April]

Sonntag Nachts halb zwölfe.

So verkehrt ist die Ordnung meiner Stunden daß ich dir zu dieser Zeit schreibe. Liebste Lotte mich wundert nicht daß die Reichen so kranck und elend sind, mich wundert daß sie nur leben. Ich bin vergnügt weil ich mitten durch die vielerley fremde Menschen, mich an dem Faden der Liebe zu dir, sachte und sicher winde. Wie die Muscheln schwimmen wenn sie ihren Körper aus der Schaale entfalten, so lern ich leben indem ich das in mir verschlossne sacht auseinander lege. Ich versuche alles was wir zulezt über Betragen, Lebensart, Anstand und Vornehmigkeit abgehandelt haben, lasse mich gehen, und bin mir immer bewusst. Und ich kan dir versichern daß alle die ich beobachte, weit mehr ihre eigne Rolle spielen als ich die meine. Wie angenehm wird mir dies Spiel da ich keine Absichten habe, und keinen Wunsch als den, dir zu gefallen und dir immer willkommen zu seyn. Wenn ich wiederkomme sollst du meiner ganzen Erndte theilhafftig werden. Gute Nacht! Vergebens sinn ich drauf dich diese vierzehn Tage einmal zu sehen, ich komme nur immer weiter von dir weg.

Dienstag d. 2ten Aprill. Es ist ein Husar da der dir diesen Brief bringen soll.

Nach Tafel geh ich auf Eisenach und rücke immer weiter von dem Ziel meines Lebens. Hier ist mir's wohlgegangen und ich glaube man wird mit mir zufrieden seyn. Wenn unsre Begriffe sich zu berichtigen anfangen dann gehts mit Macht. In Diedens hat sich auch das rechte Verhältniss gefunden und so hoff ich solls immer fort gehn. Wenn man in Liebe und Freundschafft glücklich ist, daß unser Herz in der Weiten Welt nichts zu suchen braucht so hat man mit den Menschen einen guten Stand, und man kann sich der Wahrheit gemäs mit ihnen betragen, eben als wenn man nichts politisch von ihnen haben will.

Tausend und aber tausend Danck für deine Liebe, du schreibst mir noch einmal auf Eisenach, dann auf Meinungen. Inzwischen sollst du auch immer von mir etwas erfahren. Mit der Gräfinn B[rühl] nimmts ein böses Ende. Gib acht sie prostituirt sich am offnen Tage, daß kein Mensch einen Zweifel über ihre Hirnlosigkeit behält. Der Obermarschall ist nicht besser. Grüse die Freundinnen. und Steinen. Witzleben hat seinen Luzerne.

G.

Eisenach den 2ten Aprill.

Von Gotha wo es mir so weich wie einem Schooskinde ergangen, komm ich hierher wo mich die Sorgen wie hungrige Löwen anfallen. Hätte ich die Angelegenheiten unsres Fürstenthums, auf so einem guten Fus als meine eigne, so könnten wir von Glück sagen, und wäre alsdenn das Glück uns so treu und hold als du mir bist, würde man uns vor dem Todte seelig preisen können.

Liebste Lotte daß doch der Mensch so viel für sich thun kan und so wenig für andre. Daß es doch ein fast nie befriedigter Wunsch ist Menschen zu nutzen. Das meiste dessen ich persönlich fähig war hab ich auf den Gipfel des Glücks gebracht, oder sehe vor mir es wird werden. Für andre arbeit ich mich ab und erlange nichts, für mich mag ich kaum einen Finger rühren und es wird mir alles auf einem Küssen überreicht.

Der Weise Mambres nährt sich von Gedancken, du sollst alles hören wenn mich die guten Stunden zu dir führen.

Ich habe viel vom Sturm ausgestanden auf meinem Weege, doch es freut mich daß ich gegen alle Unbequemlichkeit völlig gleichgültig bin so bald es seyn muß, und das Unternehmen einen Zweck hat, das zwecklose macht mich rasend und ich hab ihm eine ewige Feindschafft angekündigt.

Ein köstlich illuminirt Kupfer nach Raphael hab ich bey dem Herzog gesehn. Durch diese obgleich immer sehr unvollkommne Nachbildung sind mir wieder ganz neue Gedancken aufgeschlossen worden. Wenn du es nur sehen könntest.

Gute Nacht meine liebe! Wie freu ich mich daß ich zur rechten Zeit und ohngegessen zur Ruhe gehn kann.

Eisenach d. 3ten Abends. Der Brief muß fort, nur noch von heute einen Grus.

Hierbey ein Muster hiesigen Styls.

Bey Bechtolsheim hab ich viel gegessen denn mich hungerte und es war gut, nun seh ich für den Abend einem peinlichen Nachtmal bey Herdan entgegen. Adieu liebste. Hier schick ich dir die ersten Blumen die ich sah, und über die ich recht herfiel.

Es ist hier unter den Menschen ein mehr geniesender Geist als bey uns, die Verdammniß daß wir des Landes Marck verzehren läßt keinen Seegen der Behaglichkeit grünen.

Adieu. Sey die Gunst des Himmels bey dir wie meine Liebe.

G.

852

[Kreuzburg, Freitag 5. April]

Creutzburg d. 5ten Aprill.

Deinen Brief l. Lotte hat mir der Herzog mitgebracht, ich hoffte drauf, denn nun hör ich schweerlich vor Meinungen etwas von dir.

Ich führe dich immer in dem feinsten Herzen mit herum und habe mir etwas ausgedacht das dir einen vergnügten Augenblick machen soll. Die Welt ist eng, und nicht ieder Boden trägt ieden Baum, der Menschen Wesen ist kümmerlich, und man ist beschämt wie man vor so vielen tausenden begünstigt ist. Man hört immer sagen wie arm ein Land ist, und ärmer wird, theils denckt man sich es nicht richtig, theils schlägt man es sich aus dem Sinn, wenn man denn einmal die Sache mit offnen Augen sieht, und sieht das unheilbaare, und wie doch immer gepfuscht wird!! – Ich habe dir vieles, und menschliches zu erzählen, und hoffe du sollst sehn daß sich meine Augen auch in die Nähe gewöhnen. Adieu Liebste. Schreibe mir ia viel. Nach Meiningen und Illmenau. Wenn ich von dem letzten Ort zurückkomme, und man begegnete mir halbweegs, würde es noch schöner seyn als das vorigemal.

Adieu tausendmal.

G.

853

[Gerstungen, Freitag 5. und Sonnabend 6. April]

Gerstungen Abends d. 5. Aprill 82.

Als wir von Creutzburg weggiengen erhielt ich deinen lieben Brief vom zweyten. Deine Worte kommen mir mit den Frühlingslüfften gar zu lieblich entgegen, und rufen mich zu dir hinüber. Manchmal fühl ich recht mit Ungeduld daß ich dich noch so lange entbehren muß. Bewahre mir deine Liebe in der Stille und gieb mir auf einmal was mir die Entfernung versagt.

Der Herzog ist gar gut, und verständig – und ich mercke daß ich so durchaus müde bin daß ich nicht weiter schreiben kann. Hier ein Brief von Knebeln.

d. 6ten früh.

Der Herzog ist weggeritten wir treffen uns zu Mittage wieder in Bercka. Das Wetter ist gar zu schön, und ich hoffe es soll bleiben, da ich denn Morgen einen Spaziergang auf den Craynberg machen und vielleicht etwas zeichnen will.

Möge dir die Sonne so freundlich scheinen wie mir, und du so wohl seyn als ich's wünsche.

Am Egmont ist nichts geschrieben die Zerstreuung lässts nicht zu.

Hier ist ein Bogen von Lavaters Pilatus. Ich kan nichts drüber sagen. Die Geschichte des guten Jesus hab ich nun so satt, daß ich sie von keinem als allenfalls von ihm selbst hören mögte.

Lebe wohl. Dieses geb ich d. Herzog mit. Und schreibe dir bald wieder. Adieu. O daß doch schon die vielen Berge überstiegen wären die mich von dir trennen.

G.

Donnerstag d. 18en Geh ich von Illmenau auf Weimar, wenn mir doch da etwas freundliches halbweegs begegnen könnte.

854

[Tiefenort, Sonnabend 6. und Sonntag 7. April]

Tiefenort d. 6. Sonnabends Abend.

Hier liebe Lotte geht das alte Lied wieder an, daß nach einem verlebten Tage, nach verändertem Aufenthalt ich dir noch einige Worte zuschicke dich zu versichern daß dir Gedancken zu tausenden zugeflogen sind.

Der Herzog ist auf Barchfeld, ich ziehe einen einsamen Sonntag hier einem gesellschaftlichen dorten vor. Die Prinzen und Prinzessinnen haben sich immer etwas zu sagen, uns andern wird die Unterhaltung bey gewissen Umständen schweer. Dies zeugt nicht von der sichersten Lebensart, doch mag ich's vor der Hand nicht ändern.

Mit Batty hab ich mich diesen Abend vom Detail der Landwirthschafft unterhalten. Wie richtig und sicher der Mensch ist! In Beurtheilung des Bodens und der Landsart nehme ich immer zu. Besonders da ich mir nicht einbilde etwas zu wissen, noch mir einfällt darinne ie zu pfuschen.

Morgen will ich auf den Craynberg wo eine schöne Aussicht ist, und ein alt Schloss, das ich vielleicht zeichne, nur um dir etwas mitzubringen.

Noch zwölf Lange Tage eh ich dich wiedersehe! Ich muß recht leise auftreten daß mir der Gedancke an dich nicht zu lebhafft wird, sonst ist mir's unerträglich.

Noch ein Wort vom Pilatus! Wenn unser einer seine Eigenheiten und Albernheiten einem Helden aufflickt, und nennt ihn Werther, Egmont, Tasso wie du willst, giebt es aber am Ende für nichts als was es ist, so gehts hin und das Publikum nimmt insofern Anteil dran als die Existenz des Verfassers reich oder arm, merckwürdig oder schaal ist, und das Mährgen bleibt auf sich beruhen. Nun findet Hans Caspar diese Methode des dramatisirens |: wie sies nennen :| allerliebst, und flickt seinem Cristus auch so einen Küttel zusammen und knüpft aller Menschen Geburt und Grab, A und O, und Heil und Seeligkeit dran, da wirds abgeschmackt dünckt mich und unerträglich. Überhaupt bin ich überzeugt daß er es viel zu ernstlich meynt um iemals ein gutes Werck in der Art zu schreiben. In allen solchen Compositionen muß der Verfasser wissen was er will aber nirgends dogmatisiren, er muß in tausend versteckten Gestalten, |: niemals grade zu, :| andeuten, und mercken lassen wo es hinaussoll.

Noch ist ein böses dabey. Er bildet sich ein, ein besserer Kriste als Klopstock zu seyn, und doch klopstöckelt er allen Augenblick.

Die leidigen Exklamationen, Trümpfe, Zerfleischungen gar nicht mit gerechnet.

Vielleicht bin ich ungerecht, wir wollen warten biß das Ganze kommt und andre hören.

Wenn ein Groser Mensch ein dunckel Eck hat dann ists recht dunckel! Ihm hat die Geschichte Cristi, so den Kopf verrückt daß er eben nicht los kommen kann. Mich wunderts nicht, freylich ists Tausenden so gegangen. Aber auch Wie? Wann? Wo? Wem?

Er kommt mir vor wie ein Mensch der mir weitläufig erklärte, die Erde sei keine akkurate Kugel, vielmehr an beyden Polen eingedruckt, bewiese das aufs bündigste, und überzeugte mich daß er die neusten ausführlichsten richtigsten Begriffe von Astronomie und Weltbau habe; was würden wir nun sagen wenn solch ein Mann endigte: schlieslich muß ich noch der Haupt Sache erwähnen, nämlich daß diese Welt deren Gestalt wir aufs genauste dargethan, auf dem Rücken einer Schildkröte ruht sonst sie in Abgrund versincken würde.

Verzeih mir das Gleichniss, in meinen Augen knüpft sich bey L[avatern] der höchste Menschenverstand, und der grasseste Aberglauben durch das feinste und unauflöslichste Band zusammen.

Verzeih meine Invecktiven, so offt er seine Anfälle auf unser Reich erneuert, so offt müssen wir uns wenigstens protestando verwahren.

Gute Nacht Lotte. Leb wohl du liebe Gewissheit, du liebster Traum meines Lebens.

Sonntags d. 7. früh.

Ein Husar nimmt dies mit auf Eisenach. vielleicht erhältst du es eher als den Brief den der Herzog mitbringt. Die Crokus, Leberblümgen, und das Grün der Stachelbeeren machen sehr freundliche Gesichter. Wie wirds erst d. 18ten seyn! Bitte! bitte!

G.

855

[Sonntag 7. April]

Deinen Brief vom vierten und fünften erbrach ich auf dem Craynberg wohin mir ihn der Husar brachte bey schönem Sonnenschein. Ich habe gefürchtet du möchtest kranck seyn und der Brief giebt mir die traurige Gewissheit. Die Hoffnung die uns immer gütig täuscht, sagt mir vor daß du ietzt schon wieder wohl seyst.

Nicht wahr liebste du weist doch immer daß ich nie von dir weiche. Wäre ich nur bey dir daß ich dich warten und pflegen könnte.

Daß es mit Brühls so gehn würde hab ich vorausgesehn, da der Herzog sich entfernt, und sie den heimlich tückischen Hofleuten überläßt. Nimm dich ihrer an daß sie nur mit Ehren durchkommen. Sie zu defrayiren mögte angehn, wenn man es sehr artig machte sonst sieht es aus als tracktiere man sie völlig wie Virtuosen. Es ist der gröste Unverstand von ihr daß sie nicht spielt, wenn sie klug wäre, würde sie alles thun um sich andern gleich zu stellen.

Übrigens aber weh dem der sich von groser Herrn Gunst in's freye locken läßt, ohne sich den Rücken gedeckt zu haben. Adieu l. Lotte. Der Bote eilt. Mögt ich bald hören, daß du wohl bist. Ach schweerlich, schweerlich vor Meinungen, doch wer weis. Tausendmal Adieu. Du tausendfach geliebte.

d. 7. Abends Tiefenort.

G.

856

[Kaltennordheim, Dienstag 9. bis Ostheim, Donnerstag 11. April]

Kaltennordheim d. 9ten Apr. 82.

Ich habe dir lange nicht geschrieben, nun bin ich hier angekommen und schreibe dir in eben der Stube wo wir dir vor anderthalb Jahren die Verse mit den Ochsen abfertigten, wie anders seh ich alles seit der Zeit, da ich weis welch eine Liebe drüben über den Bergen meiner wartet.

Über dein leztes Blat sind mir viel traurige Gedancken aufgestiegen, ich habe in einer Nacht recht bitterlich geweint da ich mir vorstellte daß ich dich verlieren könnte. Gegen alles was mir wahrscheinlich begegnen kann, hab ich ein Gleichgewicht in mir selbst, gegen das einzige nicht. Die Hoffnung hilft uns leben, nun denck ich wieder du bist wohl und wirst wohl seyn wenn du dies Blatt erhälst.

Die ersten Veilgen und ein Stück altes Moos leg ich zwischen dies Papier, die ersten sind nicht weit von den Ruinen gepflückt die ich gezeichnet mitbringe. Es ist alles vergebens ich bringe nichts vor mich im Zeichnen, ietzo seh ich täglich mehr wie eine anhaltende mechanische Übung endlich uns das geistige auszudrucken fähig macht, und wo iene nicht ist, bleibt es eine hohle Begierde dieses im Flug schiesen zu wollen.

In Barchfeld fand ich die guten Ehleute recht wacker und gefällig. Sie fragte nach dir, klagte daß sie lang keinen Brief von dir habe, und sagte du schriebst nicht gern, worüber ich mich heimlich freute, denn ich hatte deine lezten in der Tasche.

Von Barchfeld ritt ich auf die Probstey Zelle wo ich mich hatte beym Probst anmelden lassen, um einmal fremde Menschen zu sehen, und von fremden Verhältnissen reden zu hören.

Er ist iung, erst ein Jahr an diesem Platz, ein H. v. Warnsdorf gefällig, offen, unbefangen und unverfänglich wie einer der reich gebohren ist. Einen katolischen national und familienschnitt. Seine Mutter eine behägliche verständige Frau. Unsre Diskurse führten uns nach Fulda, Würzburg, Bamberg, Maynz. Die Verfassung dieser Provinzen bildet ganz andre Menschen als die unsrige, und ich erreichte meinen Zweck.

Ich habe zwar nichts auserordentliches, doch vielerley Betrachtungen gesammelt die ich gerne mit dir theilen will. Wenn ich vor mir allein bin, erzähl ich mir was ich gesehn habe als wenn ich dir's erzählen sollte und es berichtigt sich alles. Liebste was bin ich dir nicht schuldig. wenn du mich auch nicht so vorzüglich liebtest, wenn du mich nur neben andern duldetest, so wär ich dir doch mein ganzes Daseyn zu wiedmen verbunden. Denn hätt ich wohl ohne dich ie meinen Lieblingsirrthümern entsagen mögen. Doch könnt ich auch wohl die Welt so rein sehn, so glücklich mich drinne betragen, als seitdem ich nichts mehr drinne zu suchen habe.

Ostheim d. 10ten.

Endlich am Aphelio, weitsten Punckt meiner Reise, so nah meinem Vaterlande als dir, und doch von ienem hundert Meilen in Gedancken entfernt und dir so nah als wenn Hand zu Hand reichte.

Morgen ist mir ein lieber Tag denn ich werde sagen können: in acht Tagen werd ich sie wiedersehn. Bis dahin werd ich noch manchmal Berg auf und ab müssen. Morgen auf Meinungen wo die zwey Herzoge allein sind, dann |: und will's Gott bald :| nach Barchfeld wo die Prinzessinnen sich aufhalten. Über den Türinger Wald hernach auf Illmenau und dann meiner Geliebten entgegen. In dieser Erwartung will ich recht artig seyn, denn da du dich nun einmal meiner angenommen hast, so mögt ich daß iedes, wie unsre Gräfinn, dir zulispelte: pour celui la, on Vous le pardonne.

Ich schäme mich dir zu wiederhohlen, wie und wie immer ich an dich dencke. Du bist mir in alle Gegenstände transsubstanziirt, ich seh alles recht gut und sehe dich doch überall, ich bin weder abwesend noch zerstreut und doch immer bey dir und immer mit dir beschäfftigt.

Heute unterweegs hielt ich eine Philippikam gegen den Pontius Pilatus, stille vor mich hin. das beste davon will ich dir aufbewahren. Wenn nur der May schön wird daß wir glückliche Spaziergänge machen können.

Ostheim d. 11ten endlich ist der erwünschte Donnerstag gekommen, der nächste wird noch erwünschter seyn. Ich gehe auf Meiningen und hoffe dort Briefe von dir zu treffen. Es graut mir vor dem Anblick zweyer iunger erst freygelassner Prinzen, und noch dazu solcher. Die Hofmeister iunger Fürsten die ich kenne vergleiche ich Leuten denen der Lauf eines Bachs in einem Thal anvertraut wäre, es ist ihnen nur drum zu thun daß in dem Raum den sie zu verantworten haben alles fein stille zugehe, sie ziehen Dämme queer vor und stemmen das Wasser zurück, zu einem feinen Teiche, wird der Knabe Majorenn erklärt, so giebts einen Durchbruch und das Wasser schiest mit Gewalt und Schaden seinen Weeg weiter und führt Steine und Schlamm mit fort. Man sollte Wunder dencken was es für ein Strom wäre, bis zulezt der Vorrath ausfliest und ein ieder zum Bache wird, gros oder klein, hell oder trüb wie ihn die Natur hat werden lassen, und er seines Gemeinen Weeges fortfließt. Verzeih mir das lange Gleichniß. Gilt es doch auch von der strengen Privaterziehung. Adieu liebste. Grüse Steinen, Fritzen, die Waldner, Carolingen. Ernsten.

Empfiel mich dem Herzoge und der Herzoginn.

Dieser Brief wird erst spät zu dir kommen von hier aus gehen die Posten nicht sehr regelmäsig. Grüse die kleine Schwägerinn.

G.

857

Meiningen d. 12ten Apr.

Dein lieber Brief den ich hier fand hat mir einen freundlichen Willkomm gegeben. Ich logiere bey Bibra, und meine Sachen gehn gut. Die Herzoge wenden Erde und alte Mauern um, und machen Thorheiten die ich ihnen gern verzeihe weil ich mich meiner eignen erinnere. Sie fragen mich um Rath, und ich habe gelernt nicht mehr zu rathen als was ich sehe daß auszuführen ist.

Die Frau v. Hendrich leidet viel um ihren ältsten Sohn, ich habe ihr wenig Hoffnung für das Kind geben können, es ist aus seiner innersten Natur heraus ohnmächtig und schleppt ein Hülfloses Leben. Sie will mir seines Zustandes Geschichte aufsetzen und ich soll Huflanden konsultiren. Der Fr. von Bibra verschreib ich eine Mamsell von Lausanne, und habe noch eine Menge eben so ungleicher Aufträge übernommen, du siehst daß ich Wort halte.

O liebe Lotte was sind die meisten Menschen so übel dran! Wie eng ist ihr Lebenskreis und wo lauft es hinaus! Wir beyde haben dagegen Schätze daß wir Könige auskaufen könnten, laß uns im Stillen des bescheerten geniessen.

Stein wird schweer geheilt werden, du dauerst mich. Wenn du noch von dieser Seite beruhigt wärest, so würden wir die Last der Welt wenig fühlen. Ich habe mich diese Tage her recht bemüht meine Gedancken auf die Erdschollen zu konzentriren, und bin nur überzeugter daß ein Mensch der seine Lebzeit am Spieltisch zugebracht hat, nicht ein Bauer werden kann. Man muß ganz nah an der Erde gebohren und erzogen seyn um ihr etwas abzugewinnen.

Es ist ein erhabnes, wundervolles Schauspiel wenn ich nun über Berge und Felder reite, da mir die Entstehung und Bildung der Oberfläche unsrer Erde und die Nahrung welche Menschen draus ziehen zu gleicher Zeit deutlich und anschaulich wird; erlaube wenn ich zurückkomme daß ich dich nach meiner Art auf den Gipfel des Felsens führe und dir die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit zeige.

Morgen geh ich auf Barchfeld und bleibe da biß Dienstag früh. Laß mich Dienstag Abend ia ein Wort in Illmenau finden und eine Hoffnung auf den Donnerstag. Er wird ia auch kommen, und mir wohlthätig seyn, es ist mir ia bisher alles so gut gegangen.

Die arme H[erzoginn] dauert mich von Grund aus. Auch diesem Übel seh ich keine Hülfe. Könnte sie einen Gegenstand finden der ihr Herz zu sich lenckte, so wäre, wenn das Glück wollte, vielleicht eine Aussicht vor sie. Die Gräfinn ist gewiss liebenswürdig, und gemacht einen Mann anzuziehen und zu erhalten. Die Herzoginn ists auch, nur daß es bey ihr wenn ich so sagen darf immer in der Knospe bleibt. Der Zugeschlossne schliesst alle zu, und der offne öffnet, vorzüglich wenn Superiorität in beyden ist. Man kann nicht angenehmer seyn als die Herzoginn ist, wenn es ihr auch nur Augenblicke mit Menschen wohl wird; auch sogar wenn sie aus Raisonnement gefällig ist, das neuerdings mehrmals geschieht, ist ihre Gegenwart wohlthätig.

Wenn ich komme sag ich dir noch viel hierüber, auch über die Gr[äfinn] was ich weis.

O du beste! wer kann der Liebe vorschreiben? Dem einfachsten und dem grilligsten Dinge in der grillenhafften Zusammensetzung die man Mensch nennt. Dem Kinde das bald mit elendem Spielzeuge zu führen ist, bald mit allen Schätzen nicht angelockt werden kann. Dem Gestirn dessen Weeg man bald wie die Bahn der Sonne auf den Punckt auszurechnen im Stande ist, und das offt schlimmer als Comet und Irrlicht den Beobachter trügt.

Hier beste ein Epigramm, davon die Dichtung dein ist. Du wirst dich verwundern wie H. Jourdain, qui faisoit de la prose sans le scavoir.

Königen sagt man hat die Natur vor andern Gebohrnen,
    Zu des Reiches Heil längere Arme verliehn.

Doch auch mir geringen gab sie das fürstliche Vorrecht,
    Denn ich fasse von fern und halte dich Psyche mir fest.

Nun hab ich noch ein Conzert und ein Soupee auszustehn.

Mit den Prinzessinnen hoff ich soll es schon besser gehn, besonders da sie die kleine Thunger bey sich haben der ich gut bin. Nicht wahr du erlaubst mir freundlich und artig zu seyn, denn ich bringe dir doch immer den Ganzen wieder zurück. Tausendmal Adieu.

G.

858

[Barchfeld, Sonntag 14. April]

Barchfeld d. 14ten Apr. 82.

Heute fängt sich die Woche an, vor deren Ablauf ich meine Lotte wiedersehen soll.

Ich habe dir recht artige Sachen zu schreiben und zu sagen. Hier ist es zu unruhig, und deswegen nur wenige Worte.

Die Prinzessinnen sind lustig und artig, die Oberhofmeistrinn gesezt wie du sie kennst, und die kl. Dunger ein recht kurioses Wesen das ich dir beschreiben will, ich hoffe das Bildgen soll dich unterhalten, ich bin ihr recht gut. Aber wie wundersam, und wie auffallend wenn ich so ein fremdes Völckgen wo gewissermassen kein Wort auf eine Saite in mir trifft beysammen sehe und mit ihm lebe. Ich will mich gut halten. Und hoffe auf den Donnerstag. Du wirst einen Brief von Ostheim und Meinungen von mir haben oder bald erhalten. Lebe wohl beste. Lass mich etwas von dir in Illmenau finden. Lebwohl du mein einziges, eingebohrnes und angewöhntes Glück. Bibra hat mich hierher begleitet, ein gar rechtschaffner guter Mensch. Adieu.

G.

859

[Weimar, Dienstag 23. April]

Sag mir l. L. ein einzig Wort wie du geschlafen hast. Und schicke mir Coxens Reisen nach der Schweitz. Ich kann nicht wohl seyn, wenn dirs nicht ist.

d. 23. Apr. 82.

G.


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