Johann Wolfgang von Goethe
Briefe an Charlotte Stein, Bd. 1
Johann Wolfgang von Goethe

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[Mittwoch 25. August]

Noch eine gute Nacht sollen Sie zum Morgen Grus haben. Ich bin glücklich mit wenigem Regen gegen neun angekommen und fand den Herzog mit Grothhausen und Knebeln auf der Wiese, es ist Gr[othhaus] eine edle, reine, brave Figur. Und es war in manchem Betracht gut dass ich herkam. Hier sind Pfirschen die ich finde. Lassen Sie mein Andencken bey sich seyn.

Nachts eilfe

G.

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[Mittwoch 1. September]

Einen Korb mit Früchten und einen Grus. Die Trauben sind freylich nicht vom Rhein, machen Sies damit wie Sies mit mir selbst halten müssen lesen Sie die reifen Beeren aus, und wo Sie was sauers spüren werfen Sie's weg. Wir machen uns viel Bewegung nach der alten und neuen Religion das ist mit reiten und laufen. Schreiben Sie mir etwas von sich. Noch gehts in der neuen Epoche ganz wacker mit mir. Adieu.

W. d. 1. Sept. 1779.

Grüsen Sie alles und theilen von süs und saurem mit.

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[Sonnabend 4. September]

Sonnabends mit Sonnenuntergang.

Morgen eh ich erwache soll der Bote an Sie fort der einen Korb mit Äpfeln und die Preise der Zeichenschule für Carl und Kestner überbringt. Es ist schade dass Sie nicht zugegen waren und die Ausstellung unsres kleinen Anfangs sahen. Jedermann hatte doch auf seine Art eine Freude dran, und es ist gewiss die unschuldigste Art der Aufmunterung wenn doch ieder weis dass alle Jahre einmal öffentlich auf das was er im Stillen gearbeitet hat reflecktirt, und seine Nahme in Ehren genannt wird. Übrigens haben wirs ohne Sang und Klang und Prunck auf die gewöhnliche Weise gemacht.

Den Herzog hats vergnügt dass er doch einmal was gesehn hat das unter seinem Schatten gedeiht, und dass ihm Leute dafür dancken dass er ihnen zum Guten Gelegenheit giebt.

Grüsen Sie Steinen und alles was um Sie ist. Wie gern wär ich wieder einige Tage bey Ihnen. Sie geniessen der schönen Tage hoff ich recht im ganzen ich nehme nur danckbaar meine Portion davon.

Adieu.

G.

Der Besuch der schönsten Götter die den weiten Himmel bewohnen dauert bey mir immer fort, ich thue mein möglichstes sie gut zu bewirthen, und wenn sie ia wieder scheiden sollten, so bitt ich dass sie mögen meine Hütte zum Tempel verwandlen in dem sie nie abwesend sind.

343

[Dienstag 7. September]

Ihre Weste trag ich bey ieder Feyerlichkeit, ich möchte ein ganz Gewand haben das Sie gesponnen und gewürckt hätten um mich drein zu wickeln.

Ich schicke Ihnen was von Egmont fertig ist, und alle meine andre Sachen, heben Sie mir sie auf. Da ich zulezt von Ihnen ging schied ich ungerner als Sie mich liessen, denn ich wusste dass ich Sie sobald nicht wiedersehen würde. Wir verreisen und zwar eine gewünschte und gehoffte Reise, wie wir einen Schritt vorsezzen sollen Sie Nachricht haben. Und Sie schreiben mir auch hoff ich. Leben Sie wohl, und recht wohl.

Gestern hab ich der Herzoginn L[ouise] eine Zeichnung von mir gegeben, da ich bei der lezten Ausstellung nichts vorlegen konnte. Sie verzeihen mir die Untreue. Dafür sollen Sie von der Reise manches sehen, wills Gott. Gestern war in Ettersburg Euridice eine Parodie, nach dem Englischen von Einsiedel. es machte sich recht hübsch und Wedel spielte den Orpheus recht brav. Weil doch ieder auf sich zurückkehrt, so hoff ich er soll künftig den Crugantino spielen, so haben wir die ganze Claudine besezt. NB. Der Herzog hat Schnausen, Lynckern und mir den Geheimdenraths Titel gegeben, es kommt mir wunderbaar vor dass ich so wie im Traum, mit dem 30ten Jahre die höchste Ehrenstufe die ein Bürger in Teutschland erreichen kan, betrete. On ne va jamais plus loin que quand on ne scait ou l'on va. Sagte ein groser Kletterer dieser Erde.

Adieu, wenn Sie noch in Kochberg sind wenn wir zurückkommen, seh ich Sie gleich. Grüsen Sie alles. Adieu.

Wir gehen erst künftigen Sonntag also erwart ich noch ein Wort von Ihnen.

W. d. 7. Sept. 1779.

G.

344

[Freitag d. 7. September]

Noch einmal Adieu, und danck für den Talisman. Nach Franckfurt gehen wir, ich weis Sie freuen sich mit in der Freude meiner Alten. Schreiben Sie mir grad dorthin unter meiner Adresse. Adieu Liebst. Die Schule der Liebhaber ist beym Buchbinder.

W. d. 10. Sept. 1779.

G.

345

[Cassel, Mittwoch 15. September]

Wir gehen unter denen Cassler herrlichkeiten herum und sehen eine Menge in uns hinein. Die Gemählde Gallerie hat mich sehr gelabt, wir sind wohl und lustig, es war Zeit dass wir in's Wasser kamen. Schön Wetter haben wir bisher, und klare Augen. Schreiben Sie mir ia nach Franckfurt. Ich kan nichts sagen in der Zerstreuung in der wir iezt schweben. Die Gr[äfin] Wartensleben will ich besuchen. Adieu. Cassel d. 15. Sept. 1779.

G.

346

[Frankfurt, Montag 20. September]

Nur einen guten Morgen vorm Angesicht der Väterlichen Sonne. Schreiben kan ich nicht.

Wir sind am schönsten Abend hier angelangt und mit viel freundlichen Gesichtern empfangen worden. Meine alten Freunde und bekannte haben sich sehr gefreut. Den Abend unsrer Ankunft wurden wir von einem Feuerzeichen empfangen das wir uns zum allerbessten deuteten. Meinen Vater hab ich verändert angetroffen, er ist stiller und sein Gedächtniss nimmt ab, meine Mutter ist noch in ihrer alten Krafft und Liebe. Adieu beste! heut erwart ich ein Briefgen von Ihnen. bald rücken wir weiter von Ihnen weg, doch nicht mit Herzen. Adieu, grüsen Sie alles.

d. 20ten Sept. Frfurt. 79.

G.

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[Freitag 24. bis Dienstag 28. September]

Gegen Speyer über am Rhein. d. 24. Sept. 79

Wir warten auf die Fähre indess will ich im Schatten Ihnen einige Worte schreiben.

Wir streichen wie ein stiller Bach immer weiter gelassen in die Welt hin, haben heute den schönsten Tag, und bisher das gewünschte Glück. Auf diesem Weege rekapitulir ich mein ganz vorig Leben sehe alle alte bekannte wieder, Gott weis was sich am Ende zusammen summiren wird. Dem Herzog thuts sehr wohl, Wedel ist vergnügt. Die Schweiz liegt vor uns und wir hoffen mit Beystand des Himmels in den grosen Gestalten der Welt uns umzutreiben, und unsre Geister im Erhabnen der Natur zu baden. Lassen Sie immer etwas nach Franckfurt gehen, es wird mir nachgeschickt oder erwartet mich. Leben Sie wohl! auf der andern Seite ein leichtes Schattenbild der Gegend.

G.

Rheinzabern d. 25ten Sept. früh.

Ich hatte mir vorgenommen ein klein Diarium zu schreiben, es ging aber nicht weil es mir keinen nahen Zweck hatte, künftig will ich Ihnen täglich, einfach aufschreiben was uns geschieht. Gestern Mittag kamen wir zu Speyer an, wie Sie aus der Bleystifft Beylage sehen, und suchten den Domher Beroldingen auf. Er ist ein lebhafter, grader, und rein teilnehmender Mann. Wir fasteten mit ihm sehr gut. sahen den Dom ein halb neues halb aus dem Brand überbliebnes Gebäude dessen erste Anlage wie die alten Kirchen zusammen in dem wahren Gefühl der Andacht gemacht ist. Sie schliesen den Menschen in den einfachen grosen Formen zusammen, und in ihren hohen Gewölben kan sich doch der Geist wieder ausbreiten, und aufsteigen, ohne wies in der grosen Natur geschieht ganz ins unendliche überzuschweifen. Neuerdings haben sie diese Kirche blaulich ausgemahlt und mit Schniz und Kriz possen ausstaffirt dass man gern wieder herausgeht. Wir sahen den Schaz wo alte Messgewande sind, wo ieder Künstler sein Ganz Talent dem Priester auf den Rücken gehängt hat. In allen diesen, wenigstens den ältsten ist sehr viel Herzlichkeit, Manigfaltigkeit in Köpfen und Figuren, ein wunderbaar Studium mit Perlen ein Clair obscür hervorzubringen da die grösten auf die höchsten Lichter gesezt sind und bis hinten in die Schatten die kleineren und kleinsten. Wie alles neu und beysammen, alles blanck und bunt war, bin ich überzeugt muss es schön und in seiner art vollkommen gewesen seyn. Wir sahen in der Sessionsstube des Capitels die Scizze zur Hochzeit von Cana durch Paul Veronese ein treffliches Stück, mit groser liebe und leichtigkeit gemahlen und gemalt und tüchtigkeit. Die meisten Köpfe sieht man sind Portraits auffallend lebendig. Wir sahen die Gemählde Sammlung des Dechanten der sehr viel und manches gute besizzt. Die Landschafften zogen mich besonders an, denn ich hoffe immer noch etwas zu lernen. Bis iezt stehn mir einige starcke Redouten noch entgegen, auf dieser Reise hoff ich wenigstens eine mit sturm einzunehmen. Wir fanden bey Berold[ingen] selbst manches Gute an Gemählden und Kupfern, aber alles durcheinander gekramt, eben eine Hagestolzen Wirthschafft. Er ist des Jahrs 5 Monate in Hildesheim die übrige Zeit theils hier theils auf Touren, und so kommt er nicht zur Ruhe und Ordnung. Er kennt und liebt die Kunst sehr lebhafft, und weis was ein Mahler thut. Abends bey schönem Mondschein fuhren wir hierher, da wir unsre Pferde Zeitiger vorausschickten. Hier ist nichts zu sagen wir kamen um eilf Uhr an schliefen lange, und reiten gleich weiter.

Selz Mittags. Ein ungemein schöner Tag eine glückliche Gegend, noch alles grün, kaum hie und da ein Buchen und Eichenblat gelb. Die Weiden noch in ihrer silbernen schönheit. ein milder willkommner Athem durchs ganze Land. Trauben mit iedem Schritt und Tage besser. Jedes Bauerhaus mit Reben bis unters Dach, ieder Hof mit einer grosen vollhangenden Laube. Himmelsluft weich, warm, feuchtlich, man wird auch wie die Trauben reif und süs in der seele. Wollte Gott wir wohnten hier zusammen, mancher würde nicht so schnell im Winter einfrieren und im Sommer austrocknen. Der Rhein und die klaren Gebürge in der Nähe, die abwechselnden Wälder Wiesen und Gartenmäsigen Felder, machen dem Menschen wohl und geben mir eine Art Behagens das ich lange entbehre.

Emmedingen d. 28. Sept. Ich kan nur zuerst die himmlischen Wolcken preisen und verherrlichen die bisher noch, wie ein Baldachin am Feyertage, über uns schwebten, und sich als Freunde und Führer unsres Unternehmens bekannten. In Demuth hoff ich dass es so weiter gehn wird, Lufft und Wetterglas geben Hoffnung. Nachts die klarsten Himmel, früh mit Sonnen Aufgang leicht auf und absteigende Nebel, die erhabensten Lufterscheinungen. Regen wenn wir ins Quartier kommen pp.

Ich fahre in meiner Erzählung fort.

d. 25 Abends ritt ich etwas seitwärts nach Sessenheim, indem die andern ihre Reise grad fortsezten, und fand daselbst eine Famielie wie ich sie vor acht Jahren verlassen hatte beysammen, und wurde gar freundlich und gut aufgenommen. Da ich iezt so rein und still bin wie die Luft so ist mir der Athem guter und stiller Menschen sehr willkommen. Die Zweite Tochter vom Hause hatte mich ehmals geliebt schöner als ichs verdiente, und mehr als andre an die ich viel Leidenschafft und Treue verwendet habe, ich musste sie in einem Augenblick verlassen, wo es ihr fast das Leben kostete, sie ging leise drüber weg mir zu sagen was ihr von einer Kranckheit iener Zeit noch überbliebe, betrug sich allerliebst mit soviel herzlicher Freundschafft vom ersten Augenblick da ich ihr unerwartet auf der Schwelle ins Gesicht tratt, und wir mit den Nasen aneinander stiesen dass mir's ganz wohl wurde. Nachsagen muss ich ihr dass sie auch nicht durch die leiseste Berührung irgend ein altes Gefühl in meiner Seele zu wecken unternahm. Sie führte mich in iede Laube, und da musst ich sizzen und so wars gut. Wir hatten den schönsten Vollmond. ich erkundigte mich nach allem. Ein Nachbaar der uns sonst hatte künsteln helfen wurde herbeygerufen und bezeugt dass er noch vor acht Tagen nach mir gefragt hatte, der Barbir musste auch kommen, ich fand alte Lieder die ich gestifftet hatte, eine Kutsche die ich gemahlt hatte, wir erinnerten uns an manche Streiche iener guten Zeit, und ich fand mein Andencken so lebhaft unter ihnen als ob ich kaum ein halb Jahr weg wäre. Die Alten waren treuherzig man fand ich sey iünger geworden. Ich blieb die Nacht und schied den andern Morgen bey Sonnenaufgang, von freundlichen Gesichtern verabschiedet dass ich nun auch wieder mit Zufriedenheit an das Eckgen der Welt hindencken, und in Friede mit den Geistern dieser ausgesöhnten in mir leben kan.

d. 26. Sonntags traff ich wieder mit der Gesellschaft zusammen, und gegen Mittag waren wir in Strasburg. Ich ging zu Lili und fand den schönen Grasaffen mit einer Puppe von sieben Wochen spielen, und ihre Mutter bey ihr. Auch da wurde ich mit Verwundrung und Freude empfangen. Erkundigte mich nach allem, und sah in alle Ecken. Da ich denn zu meinem ergözzen fand dass die gute Creatur recht glücklich verheurathet ist. Ihr Mann aus allem was ich höre scheint brav, vernünftig, und beschäfftigt zu seyn, er ist wohlhabend, ein schönes Haus, ansehnliche Famielie, einen stattlichen bürgerlichen Rang pp. alles was sie brauchte pp. Er war abwesend. Ich blieb zu Tische. Ging nach Tisch mit dem Herzog auf den Münster, Abends sahen wir L'Infante de Zamora mit ganz trefflicher Musik von Paesiello. Dann as ich wieder bey Lili und ging in schönem Mondschein weg. Die schöne Empfindung die mich begleitet kan ich nicht sagen. So prosaisch als ich nun mit diesen Menschen bin, so ist doch in dem Gefühl von durchgehendem reinen Wohlwollen, und wie ich diesen Weeg her gleichsam einen Rosenkranz der treusten bewährtesten, unauslöschlichsten Freundschafft abgebetet habe eine recht ätherische Wollust. Ungetrübt von einer beschränckten Leidenschafft treten nun in meine Seele die Verhältnisse zu den Menschen die bleibend sind, meine entfernten Freunde und ihr Schicksaal liegen nun vor mir wie ein Land in dessen Gegenden man von einem hohen Berge oder im Vogelflug sieht.

Hier bin ich nun nah am Grabe meiner Schwester, ihr haushalt ist mir, wie eine Tafel worauf eine geliebte Gestalt stand die nun weggelöscht ist. Die an ihre Stelle Getrettne Fahlmer, mein Schwager, einige Freundinnen sind mir so nah wie sonst. Ihre Kinder sind schön, munter, und gesund. Von hier wirds nun auf Basel gehn. Wenn Sie wieder von mir hören weis ich nicht. Von Ihnen hab ich noch nichts. Obgleich andre Briefe von Frankfurt aus nachgeschickt sind.

Adieu. Grüsen Sie alles.

Emmedingen d. 28 Sept. 1779.

d. 27. früh sind wir von Strasburg ab und Abends hier angekommen.

Lavatern zu sehn und ihn dem Herzog näher zu wissen ist meine gröste Hoffnung. Ich unterhalte Sie nur von mir. Es ist meine alte Sünde. Adieu.

348

[In Seidels Hand]

Münster den 3. Okt. Sonntag Abends. Ich eile nur von der lezten Station einige Worte aufzuzeichnen.

Von              wo wir zu Mittag gegessen hatten, kamen wir bald in den engen Pass der hierher führt.

Durch den Ruken einer hohen und breiten Gebirgkette hat die Birsch ein mässiger Fluss sich einen Weeg von uralters gesucht. Das Bedürfniss mag nachher durch diese Schlüchter ängstlich nachgeklettert seyn. Die Römer erweiterten schon den Weeg und nun ist er sehr bequem durchgeführt. Das über Felsstücke rauschende Wasser und der Weeg gehen neben einander weg und machen an den meisten Orten die ganze Breite des Passes der auf beiden Seiten von Felsen beschlossen ist, die ein gemächlich aufgehobenes Auge fassen kann. Hinterwärts heben Gebirge sanft ihre Rüken, deren Gipfel uns von Nebel bedekt waren.

Bald steigen an einander hängende Wände senkrecht auf, bald streichen gewaltige Lagen schief nach dem Fluss und dem Weeg ein, breite Massen sind auf einander gesezt und gleich darneben stehen scharfe Klippen abgesezt. Grosse Klüfte spalten sich aufwärts und Platten von Mauerstärke haben sich von dem übrigen Gesteine losgetrennt. Einzelne Felsstüke sind herunter gestürzt, andere hängen noch über und lassen nach ihrer Lage fürchten dass sie dereinst gleichfalls heim kommen werden. Bald rund, bald spiz, bald bewachsen, bald nakt sind die Firsten der Felsen, wo oft noch oben drüber ein einzelner Kopf kahl und kühn herübersieht, und an Wänden und in der Tiefe schmiegen sich ausgewitterte Klüfte hinein.

Mir machte der Zug durch diese Enge eine grosse ruhige Empfindung. Das Erhabene giebt der Seele die schöne Ruhe, sie wird ganz dadurch ausgefüllt, fühlt sich so gros als sie seyn kann und giebt ein reines Gefühl, wenn es bis gegen den Rand steigt ohne überzulaufen. Mein Aug und meine Seele konnten die Gegenstände fassen, und da ich rein war, diese Empfindung nirgends falsch wiedersties, so würkten sie was sie sollten. Wenn man solch ein Gefühl mit dem vergleicht, wenn wir uns mühseelig im Kleinen umtreiben alle Mühe uns geben ihm so viel als möglich zu borgen und aufzufliken und unserm Geist durch seine eigne Kreatur eine Freude und Futter zu geben, so sieht man erst wie ein armseelig behelf es ist. Ein iunger Mann den wir von Basel mitnahmen sagte es sei ihm lange nicht wie das erste mal und gab der Neuheit die Ehre. Ich möchte aber sagen wenn wir einen solchen Gegenstand zum erstenmal erbliken so weitet sich die ungewohnte Seele erst aus und es macht dies ein schmerzlich Vergnügen eine Ueberfülle die die Seele bewegt und uns wollüstige Thränen ablokt, durch diese Operation wird die Seele in sich grösser ohne es zu wissen und ist iener ersten Empfindung nicht mehr fähig, der Mensch glaubt verlohren zu haben, er hat aber gewonnen, was er an Wollust verliert gewinnt er an innrem Wachsthum; Hätte mich nur das Schicksaal in irgend eine grosse Gegend heissen wohnen, ich wollte mit iedem Morgen Nahrung der Grosheit aus ihr saugen, wie aus meinem lieblichen Thal Geduld und Stille.

Am Ende der Schlucht stiege ich ab und kehrte einen Theil alleine zurük. Ich entwikelte noch ein tiefes Gefühl was das Vergnügen auf einen hohen Grad für aufmerksame Augen vermehrt. Man ahndet im Dunkeln die Entstehung und das Leben dieser seltsamen Gestalten. Es mag geschehen seyn wie und wann es wolle, so haben sich diese Massen nach der Schweere und Aehnlichkeit ihrer Theile gros und einfach zusammengesezt. Was für Revolutionen sie nachhero bewegt, getrennt, gespalten haben, so sind auch diese auch nur einzelne Erschütterungen gewesen und selbst der Gedanke einer so ungeheuren Bewegung giebt ein hohes Gefühl von ewiger Festigkeit. Die Zeit hat auch gebunden an die ewige Geseze, bald mehr bald weniger auf sie gewirkt.

Sie scheinen innerlich von gelblicher Farbe zu seyn, allein das Wetter und die Luft verändern die Oberfläche in graublau, dass nur hier und da in Streifen und in frischen Spalten die erste Farbe sichtbar ist. Langsam verwittert der Stein selbst und rundet sich an den Eken ab, weichere Fleken werden weggezehrt, und so giebts gar zierlich ausgeschweifte Hölen und Löcher, die wenn sie mit scharffen Kannten und Spizzen zusammentreffen sich seltsam zeichnen.

Die Vegetation behauptet ihr Recht auf iedem Vorsprung, Fläche und Spalt fassen Fichten Wurzel, Moos und verwandte Kräuter säumen die Felsen. Man fühlt tief, hier ist nichts willkührliches, alles langsam bewegendes ewiges Gesez und nur Menschenhand ist der bequeme Weeg über den man durch diese seltsame Gegenden durchschleicht.

349

[Sonnabend 9. Oktober und Donnerstag 14. Oktober]

[Seidels Hand]

Lauterbrunnen den 9 Oktbr 1779. Ab ½7 U.

Wir sind ½5 wirklich hier in der Gegend angelangt und alles was ich bisher gewünscht, wir haben den Staubbach bei gutem Wetter zum erstenmal gesehen die Wolken der Obern Luft waren gebrochen und der blaue Himmel schien durch. An den Felswänden hielten Wolken, selbst das Haupt wo der Staubbach herunter kommt, war leicht bedekt. Es ist ein sehr erhabener Gegenstand. Und es ist vor ihm, wie bei allem grossen so lang es Bild ist so weis man doch nicht recht was man will. Es lässt sich von ihm kein Bild machen, die Sie von ihm gesehen haben sehen sich mehr oder weniger ähnlich; aber wenn man drunter ist, wo man weder mehr Bilden noch beschreiben kann, dann ist man erst auf dem rechten Flek. Iezo sind die Wolken herein ins Thal gezogen und deken alle die heitere Gründe. Auf der rechten Seite steht die hohe Wand noch hervor über die der Staubbach herab kommt. Es wird Nacht, wir sind beim Pfarrer in Lauterbrunn eingekehrt es ist ein aus ein ander liegendes Dorf, genannt, wie die Leute sagen weil lauter Brunnen nichts als Brunnen in dieser Gegend von den Felsen herunter kommen.

Ueber das Münsterthal wodurch wir gekommen sind hab ich ein eigen Papier geschrieben die Gegenstände darinn sind sehr erhaben aber proportionirter zu dem Begriff der menschlichen Seele als wie die gegen die wir näher rüken, gegen das übergrosse ist und bleibt man zu klein. Ich werde mich entschließen müssen Ihnen rükwärts ein Tagbuch so leicht und leidlich als möglich von unserer Reise zu machen. Heute Sonntag abend den 9ten gingen wir früh von Thun ab zu Schiff über den See. Die Nebel fielen wann wir in unserer Landssprache sagen es regnete, die Gipfel der Berge waren eingehüllt wir sassen in einem bedekten Schiff ich las den       Gesang aus Bodmers Homer. Gegen zwölfe kamen wir in Untersewen an, assen eine grosse Forelle, examinirten einen Augenarzt wovon ich den Zettel hier beischliesse und fuhren auf einem engen Leiterwägelgen zusammen gepakt ab gingen aber bald zu Fusse durch das Thal bis nach Lauterbrunn. NB. man sagt auch hier zu Land auf dem Wagen reiten.

Den 8ten konnte ich in Bern früh mit dem Perukenmacher nicht fertig werden, suchte Leute auf die ich nicht fand und durchstrich bei der Gelegenheit die Stadt, sie ist die schönste die wir gesehen haben in Bürgerlicher Gleichheit eins wie das andere gebaut, all aus einem graulichen weichen Sandstein, die egalitaet und Reinlichkeit drinne thut einem sehr wohl, besonders da man fühlt, dass nichts leere Decoration oder Durchschnitt des Despotismus ist, die Gebäude die der Stand Bern selbst aufführt sind gros und kostbar doch haben sie keinen Anschein von Pracht der eins vor dem andern in die Augen würfe, wir nahmen ein Frühstück statt des Mittagsessens und ritten drauf nach Thun, wo wir bei zeiten anlangten um noch die schöne Aussicht vom Kirchhof auf den See zu sehen und an der Aar bis gegen den See zu spazieren. Wir machten mit einem Bürger Bekanndtschaft der uns geleitete, drauf unser Schiffer war und künftig unser Geleitsmann seyn wird.

Den 7. brachen wir von Annet auf, es rieselte stark, wir mussten durch den Moor und Moos was man bei uns durch Rieder nennen möchte, wodurch uns der Wirth begleitet, wo wir doch oft unsere Pferde führen mussten aus Furcht nicht einzusinken. Wir kamen tüchtig im Regen nach Murten ritten aufs Beinhaus und ich nahm ein Stückgen Hinterschädel von den Burgundern mit, in Murten assen wir zu Mittag und lassen aus einem treflich geschriebenen Buche die Geschichte der Murten Schlacht. Es ist äusserst rührend von einem Zeugen und Mitstreiter, die Thaten dieser Zeit erzählen zu hören. Das Wetter klärte sich auf als wir von Murten wegritten und wir zogen durch die schöne Landschaft nach Bern, wo alles gar glüklich abgetheilt und genuzt ist und frölich und nahrhaft und reich aussieht. Den 6ten hatten wir einen etwas verworrnen Tag wurden aber doch von einem guten Geist irre geführt. Früh ritten wir von Biel aus am See weg über Erlach nach Annet von da wollt ich nach La Sauge allein der Weeg war wiedrig und wir verirrten uns im Ried, wir waren gezwungen auf die Hauptstrasse zurük zu gehen und genöthigt von Ort zu Ort wo theils keine Wirthshäusser waren theils die Leute uns nicht aufnehmen konnten bis nach St. Blaise zu gehen das zu oberst des Neustädter Sees liegt, es war eben ein schöner Mittagsblik der Sonne aus dem Gewölk als wir ankamen, wir freuten uns des und genossens recht sehr assen zu Mittag, sezten uns wieder an den See und ritten endlich auf Annet wieder zurük, wo wir in einem leidlichen Wirthshaus über Nacht blieben.

Den 5. fuhren wir früh auf dem Rathsschiffe von Biel aus nach der Insel des Bieler Sees wohin Rousseau sich begab als er von Geneve weggetrieben wurde. Die Insel gehört dem Hospital zu Bern und der Schaffner und seine Frau die die Wirthschaft selbst führen sind noch eben dieselben die Rouss[eau] bewirtheten.

[Goethes Hand]

Gute Nacht für heute, es ist wenigstens etwas und mehr als ich von Inen die Zeit gehört habe.

G.

Thun d. 14. Oktb. Abends 7. wir sind glücklich wieder hier angekommen. Diese vier Tage das schönste Wetter, heut und gestern keine Wolck am Himmel, und die merckwürdigsten Gegenden ganz rein in dem himmlischen Lichte genossen. Es fällt schweer nach allem diesem zu schreiben, ich will nachher aus meinem Bleystifft Gekrizzel Phillippen wieder dicktiren.

Die merckwürdige Tour durch die Bernischen Glätscher ist geendigt wir haben leicht vorübergehend die Blüte abgeschöpft an einigen Orten hätt ich mit dem Bogen noch einmal schlagen können aber es ist auch so gut. Wär ich allein gewesen ich wäre höher und tiefer gegangen aber mit dem Herzog muss ich thun was mäsig ist. Doch könnt ich uns mehr erlauben wenn er die böse Art nicht hätte den Speck zu spicken, und wenn man auf dem Gipfel des Bergs mit Müh und Gefahr ist, noch ein Stiegelgen ohne Zweck und Noth mit Müh und Gefahr suchte. Ich bin auch einigemal unmutig in mir drüber geworden, dass ich heut Nacht geträumt habe ich hätte mich drüber mit ihm überworfen, wäre von ihm gegangen, und hätte die Leute die er mir nachschickte mit allerley Listen hintergangen. Wenn ich aber wieder sehe wie iedem der Pfal in's Fleisch geben ist den er zu schleppen hat, und wie er sonst von dieser Reise wahren Nuzzen hat, ist alles wieder weg. Er hat gar eine gute Art von Aufpassen, Theilnehmen, und Neugier, beschämt mich offt wenn er da anhaltend und dringend ist, etwas zu sehen oder zu erfahren, wenn ich offt am Flecke vergessen oder gleichgültig bin.

Es soll recht gut werden denck ich und bisher hat uns das Glück gar unerhört begleitet. Kein Gedancke, Keine Beschreibung noch Erinnerung reicht an die Schönheit und Grösse der Gegenstände, und ihre Lieblichkeit in solchen Lichtern Tageszeiten und Standpunckten.

Wedel hat des Tags hundert tolle Einfälle, und wenn ihn nicht manchmal der Schwindel ankäme und ihn auf Augenblicke böser Laune machte, wäre kein Gesellschaffter über ihn.

Von dem Gesange der Geister hab ich noch wundersame Strophen gehört, kann mich aber kaum beyliegender erinnern. Schreiben Sie doch sie für Knebeln ab, mit einem Grus von mir. Ich habe offt an ihn gedacht.

Nun geht die Erzählung wieder ordentlich von Lauterbrunn an. Wie wir von Emmedingen nach der Bieler Insel gekommen sind. Wird wohl Lücke bleiben.


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