Johann Wolfgang von Goethe
Briefe an Charlotte Stein, Bd. 1
Johann Wolfgang von Goethe

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[Freitag 14. Juni?]

Ein Ragia und ein Brame die von den Dews verfolgt werden, bitten um ein Mittagsmahl heute in dem Quell Ihres reinen Lichtes. Wenns ia ist antworten Sie nicht, denn schon führt uns die Begier auf die Jagd der zweyfüsigen Schlange und des vierfüsigen Wolfs.

G.

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[Dienstag 18. Juni]

Also gestern wollte der Himmel nicht. Ich hatte einen übeln Tag. konnte Gestern Nacht für Hoffnung und Furcht nicht schlafen, der anhaltende Regen machte mich toll, und ich war dumpf biss Nacht. Aber heute kommen Sie doch mit der Schwester! Ich hoffe das Wetter soll bleiben. Adieu Beste. Kommt Stein auch? d. 18. Jun. 76.

G.

Wenn's regnet, wie ich fast fürchte; so wird heute wieder nichts draus. Vielleicht lauf ich auf die Nacht alsdann zu Ihnen. Sagen Sie mir Ein Wort. Grüsen Sie die Schwester.

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[Sonnabend 22. Juni]

Du hast gestern Steinen lahm nach Hause kriegt, sonst wär ich noch einen Augenblick kommen, denn ich bedarf auch einiger Pflege. Da ging ich zu Wiel[and] und ward mir wieder freyer. Liebste Frau ich darf nicht dran dencken dass Sie Dienstag weggehn, dass Sie auf ein halb Jahr hinaus von mir ab sind. Denn was hilft alles! Die Gegenwart ists allein die würckt, tröstet und erbaut! – Wenn sie auch wohl manchmal plagt – und das plagen ist der Sommerregen der Liebe. Ich hab Sie viel lieber seit neulich, viel theurer und viel werther ist mir deine Gutheit zu mir. Aber freylich auch klarer und tiefer ein Verhältniss, über das man so gerne wegschlüpft, über das man sich so gerne verblendet. Der Herz[oginn] M[utter] entging nicht dass ich mich auf einmal veränderte. Adieu! Hier eine Rose aus meinem Garten, hier ein Paar halbwelcke, die ich an einer Hecke, gestern zurückreitend dir abbrach. Leb wohl bestes. Der Schwester einen guten Morgen. Addio.

d. 22. Jun. 76.

G.

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[Sonntag 23. oder Montag 24. Juni]

Ich hab meine Glieder in Stern geschleppt, Sie noch zu sehn und einen Tropfen Anodynum aus Ihren Augen zu trincken. Sie waren nicht da und ich zog mich zu Wiel[and] und nach Haus, nun fühl ich dass ich müd bin. Ach Ihre Gesandten! – Liebe Frau. Lenz hat die Kirsche verwahrlost! hat mir sie nicht gegeben, mir nicht den Kern nicht den Stiel gegeben. Mir der ich in all dem Tumult so offt an Sie gedacht habe. – Hat mir nichts davon gesagt biss heute – Gute Nacht. Bleiben Sie mir immer die liebe, unveränderliche von Ewigk. zu Ewigk. Amen.

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[Sonntag 23. oder Montag 24. Juni]

Ich werde Sie nicht mehr sehen. Adieu. Ich habe kein Adieu zu sagen denn Sie gehn nicht fort. Hier was von meiner Schwester.

NB. [Auch das Portefeuille.] für ihre Matinees danck ich herzlich, ich habe mich herzlich drüber gefreut, ich bin weidlich geschunden, und doch freut michs dass es nicht so ist. Adieu. Schicken Sie mir die Grose Silhouette. Schicken Sie mir sonst noch was Sie mir gönnen. Adieu – Ich habe keine Idee von dem was das heisst: daß Sie gehn. Grüsen Sie die Schwester. –

NB. Warum Sie das Portefeuille nicht kriegen und an dessen Statt einen schlechten Pappedeckel, auf dem ich reisend nach Leipzig die Zettelgen unterweegs an Sie schrieb, und mitunter das Gedicht auf Hans Sachsen anfing, und dabey allerley Zeichnungen vergangener Zeiten hiermit erhalten; das ist zu heilig fürs Papier, da Sie mir nicht einmal geben können, was Sie schreiben konnten.

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[Dienstag 25. Juni bis Dienstag 9. Juli]

d. 25. Nachts. sagt ich's nicht! kaum sind Sie weg, schon so ein Tag, ein unendlich verwickelter Tag, dass ich kaum schreiben, und eigentlich gar nichts schreiben kann. Was sich nur sagen liesse – Kaum sagen liesse! – Gute Nacht beste.

d. 2. Jul. Es ist und bleibt Gegenwart alles! – Was hilft mich's dass Sie in der Welt sind, dass Sie an mich dencken. Sie fehlen mir an allen Ecken, ich schleiche meinen Tag herum und es ist mir eben weh bey der Sache. Mit Wielanden hab ich göttlich reine Stunden. Das tröstet mich viel. Ihre Schwester ist gut, sie kommt wohl einmal vor meinem Garten vorbey und guckt ob ich drinn bin. hinein ist sie noch nicht kommen. Ich hab ihr Rosen geschickt und hab sie lieb. Dass sie für mich zeichnen macht mir Hoffnung. Der kleine ruhige Land Blick hat mir gar wohl an Herzen gethan. – Sie werden noch herrlich zeichnen lernen. Nur immer das Datum an ein Eckgen ganz klein. Addio.

Nachts halb eilf der Mondschein war so göttlich ich lief noch ins Wasser. Auf der Wiese im Mond. Gute Nacht.

d. 9. Juli. Gestern Nachts lieg ich im Bette schlafe schon halb, Philip bringt mir einen Brief, dumpfsinnig les ich – dass Lili eine Braut ist!! kehre mich um und schlafe fort. – – Wie ich das Schicksaal anbete dass es so mit mir verfährt! – So alles zur rechten Zeit – – Lieber Engel gute nacht.

Übrigens gehts so entsezlich durcheinander mit mir dass es eine Freud ist. Ade.

Die Imhof kriegt manchmal was von Intressen, davon ich die Quittungen aufweisen kann.

Dein Tagbuch!!!

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d. 27. Jun. Nachts. Ich schlafe beym Herz[og] und eh ich mich auf's Canapee streiche nur ein Wort Dancks für die Zeichnung! Sie ist ganz herrlich, ganz wahr, und deine ganze Seele in der Wahrheit, das Gefühl des Friedens der mit dir geht an den Bauer Schwellen. Liebe allen Danck und gute Nacht.

d. 28. Morgends! schon in Fränzgen und schwarzem Rock, erwartend, des Conseils erhabene Sizzung. liebe Frau und dann bey Tisch. Die Zeichnung freut mich! – Weil ich ganz überzeugt bin Sie werden in kurzem Ihrem Gefühl zu Danck und Liebe fürtragen können. Ich zeichne iezt leider nichts, doch wird hoff ich etwas fertig für Sie.

Guten morgen liebe Frau, alle Geister der Berge, der Schlösser, der Morgen u. Abenddämmerung seyen ihre Begleiter. Denken Sie an mich; Ich treibe mich jetz mit Göthen ins Conseil. Wann Sie in Pirmont ist liebe Frau, so trincke Sie ja wenn der Morgen hübsch ist das erste glas auf Göthens, und meine Gesundheit.

C[arl] A[ugust]

In deinem Zimmer schreib ich das. habe mit den Grasaffen gessen. Huder und der kleine Laufer haben sich im Bassin gebadt und allerley Possen gemacht – hier siz ich auf deinem Canapee. Adieu Engel –

5. Jul.

Wielands Garten auch am 5. Jul. ich komm von deinem Zimmer. Noch ein Wort. Ich hab deine Briefe bestellt. Grüs Zimmermannen, sag ihm ich hab ihn nicht verkannt aber ich hab einen Pick auf all meine Freunde die mich mit Schreiben von dem was man über mich sagte wider ihren Willen plagten. Du kennst meine Lage am besten, also sag ihm was dir's Herz sagt. Sag ihm er solls für sich behalten, soll mich lieb behalten. Addio beste. Gestern hatt ich mit Louisen einen lieben Augenblick Leb wohl denck mein wie sonst. Zeichne mir was. Mir ist ein Streich mit der Zeichnung für dich begegnet schadt aber nichts. Du kriegst sie doch. Adieu.

Abends 9.

Im Welschen Garten getanzt. Deine Schwester war da. Sie lachte mich aus da ich umweege machte ihr zu sagen was ich von dir wüsste. Addio Engel.

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Als ich für dich zeichnete an der Ilm. d. 29. Jun. 76. Zwischen Mittag und 1.

Hier bildend nach der reinen stillen
Natur, ist ach mein Herz der alten Schmerzen voll
Leb ich doch stets um derentwillen
Um derentwillen ich nicht leben soll.

Sonst hab ich noch allerley Ihnen geschrieben. Der Herzog nahm mir neulich was weg und wollt was drunter schreiben. Es war danck für Ihre herzliche Zeichnung. Brauch ich zu sagen dass ich Sie vermisse. – Es ist Prüfung dass Sie weg sind. Engel ade. d. 2 Juli 76.

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[Dienstag 16. Juli]

Nur Ein Wort beste Frau. ich hab den Kopf die Queere sizzen und kann nichts sagen. Wir gehn übermorgen nach Ilmenau, und wollt sie wären in Kochberg. Sie fehlen mir an allen Ecken und Enden und wenn Sie nicht bald wiederkommen, mach ich dumme Streiche. Gestern auf dem Vogelschiesen zu Apolde hab ich mich in die Cristel von Artern verliebt ppp. Ich habe gar nichts was mich in linde Stimmung sezt. Wiel. thut mir noch am wohlsten. Der Herz[og] u. ich theilen unsre Dumpfheit wenigstens, alles andre hezzt mich und ich kann mich nicht zu Ihnen flüchten. Sonst ist nicht leicht ein glücklicher Geschöpf als ich, wenn ich dich nur wieder hätte. O Schick mir was! grüs Zimmermann. d. 16. Jul. 76.

G.

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[Dienstag 16. und Mittwoch 17. Juli]

Abends d. 16. Noch ein Wort. Gestern als wir nachts von Apolde zurück ritten war ich vorn allein bey den Husaren die erzählten einander Stückgen, ich hörts, hörts auch nicht, ritt so in Gedancken fort. Da fiel mir's auf wie mir die Gegend so lieb ist, das Land! der Ettersberg! die unbedeutenden Hügel! Und mir fuhrs durch die Seele – Wenn du nun auch das einmal verlassen musst! das Land wo du so viel gefunden hast, alle Glückseeligkeit gefunden hast die ein Sterblicher träumen darf, wo du zwischen Behagen und Missbehagen, in ewig klingender Existenz schwebst – wenn du auch das zu verlassen gedrungen würdest mit einem Stab in der Hand, wie du dein Vaterland verlassen hast. Es kamen mir die Trähnen in die Augen, und ich fühlte mich starck genug auch das zu tragen. – Starck –! das heißt dumpf.

Gegen neun! ich wollt du wärst hier! Ich hab dir was zu sagen das fürs Papier zu gut ist. Mit denen Grasaffen habe heute gessen. Du fehlst Allen. Hab den Friz gefüttert. Deine Schwester seh ich nicht Es ist ein liebes Geschöpf wie ich eins für mich haben mögte, und dann nichts weiter geliebt. ich bin des Herztheilens überdrüssig.

d. 17. Adieu! Wir gehen heute Abend. Dein Mann hat heut Reuter Künste getrieben und deiner Schwester schick ich noch eine Rose eh ich geh. Leb wohl. Ich komme wieder ferner von dir und wenn du zurück kommst bin ich nicht da. Adieu. – Wenn ich nur leben könnte ohne zu lieben.


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