Adolf Glaßbrenner
Neuer Reineke Fuchs
Adolf Glaßbrenner

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Zweiunddreißigstes Capitel.

               

Bald war das schöne Königreich
    Des Stieren elend, krank und bleich,
Und kehrte, hinkend an zween Krücken,
    Der großen Gegenwart den Rücken,
Bis es, so geist- wie körperlahm,
    Zurück in's Mittelalter kam.

Vom Geier bis herab zur Laus
    That sich der Adel frech heraus;
Es wurde alle Wissenschaft
    Von Schweinehunden angeblafft,
Und die man gnädiglichst erlaubte,
    War eine polizeigeschraubte.
Die Baukunst und die Malerei
    Ließ man im Lande walten frei,
Weil sie sich mehr in Formen strecken
    Und nicht den Geist der Freiheit wecken;
Weil sie nicht wirken so lebendig,
    Und weil vor Allem so behendig
Sie sind, den Reichthum zu beprachten,
    Und meist die Gegenwart verachten;
Weil sie nicht, was der Dichtkunst Streben,
    Das arme Dasein hold erheben,
Dem Kleinsten süßen Werth verleihen,
    Die Sinnenlust poetisch weihen,
Erborgten Glanz und eitles Schimmern
    Mit dem Gedankenblitz zertrümmern,
Und aus dem Staube goldne Früchte
    Darbieten allem Erdgezüchte.

Drum war die Kunst und die der Rede
    Lang' mit der Polizei in Fehde,
Bis diese und die Klosterpfaffen
    Sie endlich machten ganz erschlaffen.

Der König, zwischen Fuchs und Kuh,
    Regierte nun in guter Ruh',
Und hielt sein armes, dummes Vieh
    Im Zügel durch Bigotterie;
Bebaute rings das ganze Land,
    Und baute immer in den Sand;
Denn wo kein Geist herrscht, kann der Stein
    Nichts weiter als Bedrückung sein.

Und wie viel Klöster auch entstanden:
    Die Tugend und die Sitte schwanden!
Und thät er auch Canäle bauen,
    Kam doch kein Schiff an mit Vertrauen!
Und baute er auch manchen Hafen,
    Der Kummer wollte doch nicht schlafen!
Und baute er auch Brück' auf Brücke,
    Fiel doch in's Wasser alles Glücke!
Und in den herrlichsten Fontainen,
    Da sprangen nur des Volkes Thränen!
Und in der prächt'gen Größen-Truhe
    Ging alle Größe auch zur Ruhe. –

Einst saß er in dem Cabinete
    Allein und schmiedend an der Kette,
So über Hütte, Haus und Bogen
    Nun unermüdlich ward gezogen;
Der Morgensonne milder Schein
    Umspielte die Despotenstreiche:
Da flog durch's offne Fenster ein
    Die Nachtigall, die liederreiche,
Und ließ sich zwischen Ros' und Flieder,
    Die hier das Fenster schmückten, nieder.

Unwillig sah sie der Tyrann,
    Bald aber bleich und staunend an,
Als sie mit wundervollem Klang
    Aus ihrem tiefsten Herzen sang:

»Wo, König! ist der edle Prinz geblieben,
    An dessen Brust und ihrem Lieben,
Erwartend ihren neuen Tag,
    Die unterdrückte Thierwelt lag?
Todt ist die Brust!
    Todt ihre süße Lust,
Sich königlich
    Ueber Könige sich
Mit Götterschwingen zu erheben,
    Und den Geächteten,
Und den Geknechteten
    Freiheit, Freiheit zu geben!
Weh Dir! Schon liegt die Zeit
    In ihrem Sterbekleid,
Als Du, zerbrechend alle Schranken,
    Mit frühlingsseligen Gedanken
Beseligt durch den Frühling liefst,
    Und aus dem liebeheißen Herzen riefst.
O selig, wem ein Gott das Loos gegeben,
    Ein Gott der Erde hier zu leben,
Deß schaffend Wort durch weite Kreise dringt,
    Abstreift der Thierwelt schnöde Fesseln,
In Rosen wandelt alle Nesseln
    Und Segen in die kleinste Hütte bringt!

Weh Dir! Schon liegt die Zeit
    In ihrem Sterbekleid,
Als Du, gekrönter Missethäter,
    Das Erbe küßtest Deiner Väter
Und riefst: Ich küss' Dich, heil'ger Sand!
    Ich küsse Dich, geliebtes Vaterland!
Laß Deine Adern jugendlich erglühen,
    Laß Deine Blumen duftig blühen,
Laß Deine Bäume munter sprießen
    Und Deine Ströme heiter fließen!
Vorüber sind all' Deine Schmerzen!
    Mein Vaterland, Du liegst an meinem Herzen!
Ich segne Dich mit diesem Königskusse
    Zur Freiheit und zum süßesten Genusse!

Weh Dir! Der über dem Azur,
    Tyrann, er hörte Deinen Schwur!
Er wird Dich richten
    Und Dich vernichten,
Wie Du vernichtest dieses Land,
    So er gelegt in Deine Hand!

Weh Dir, daß Du Dich König nennst,
    Und bist doch nur noch das Gespenst
Von Dem, der einst in edlem Drang
    Nach jener höchsten Krone rang,
Die, eine goldne Sonne, Segen
    Und Liebe ausstrahlt allerwegen!

Gespenst! nun seh' ich Dich nur weiter
    Aufklimmen an der schwachen Leiter
Der Tyrannei, um zu erklettern
    Die Sündenpreise Deiner Vettern.
Wahnsinniger, erschreckt Dich nicht
    Das furchtbar drohende Gesicht
Der Sklaven dort zu Deinen Füßen,
    Die ihren Krönungsjubel büßen?
Wie, wenn sie rütteln?
    Wie, wenn sie schütteln
Und wenn sie Dich, geweihter
    Vermaledeiter,
Hinunterstürzen sammt der Leiter,
    Und unter Ketten Deinen Leib begraben,
Die sie sich abgerissen haben?
    Sie werden Deines Kettengrabes Rücken
Durch jene Puppe draußen schmücken,
    Mit der Du Dich, ein Thier
Wie wir,
    Machttrunken Gott, dem Herrn der Welt
Und aller Welten, gleichgestellt!

O schau', Du trunkener Tyrann,
    Mich nicht so grimm'gen Auges an!
Ich, Dichter, von edlerem Blut,
    Das mit dem Himmel verwandt ist,
Ich lache Deiner Wuth,
    Der Du an die Erde gebannt bist!
Uns Sänger
    Soll länger
Nicht bangen,
    Daß Deine Häscher uns fangen;
Wir wollen in Deine Mauern
    Unser höheres Dasein nicht pferchen;
Hier wollen nicht verstummen, vertrauern
    Die lieben, die glücklichen Lerchen!
Aus Deinen Auen allen
    Soll nimmer wieder erschallen
Das Lied der Nachtigallen!
    Das sei für Deinen Trug
Dein Fluch!
    Dein weites Erbe
Verderbe!
    Denn wo die Dichter ziehen,
Denn wo die Sänger fliehen,
    Da ist das Glück zerschmettert,
Da ist die Hoffnung entblättert,
    Da ist das Leben entgöttert!
Ich aber verlasse Dich nie!
    Ich kehre immer wieder
Und singe, König Stier,
    Wo Du auch weilest, Dir
In trauriger Melodie
    Wie heut dieselben Lieder!
Ich bin Dein früheres Herze,
    Und leihe Töne dem Schmerze,
An dem, so welk und kerkerbleich,
    Darniederliegt Dein armes Reich!«

So schmetterte die Nachtigall
    Herab von ihrem grünen Wall,
Indeß zu ihrem Ruhme
    Am Fenster jede Blume
Ihr in die Augen blickte,
    Das bunte Köpfchen nickte,
Und duft'ge Seufzer schickte.

Denn überall, allüberall
    Liebt man die holde Nachtigall!
Im Menschen-, Thier- und Pflanzenreich
    Hält man den Sänger engelgleich,
Der in bescheidenem Gefieder,
    Kaum seines Werths bewußt,
Aus tiefster Brust
    In Schmerz und Lust
Aushaucht die wundervollen Lieder!

O armer König Stier, ich wollte
    Nie, daß die Nachtigall mir grollte!
Nie, daß des Dichters Zorn mich träfe,
    An dessen Wiege standen
Die Götter und ihm wanden
    Den Lorbeer um die süße Schläfe!
Wem Alles Liebe bringt entgegen,
    Deß Liebe ist ein Sommersegen;
Doch wo er zürnt und wo er droht,
    Ist schwere Noth und Wintertod.


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