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Schelton war gerade im Begriffe, nach Oxford zurück zu gehen, da stieß er auf Mr. Dennant, der von einem Ritt heimkehrte.
Antonies Vater war ein dürrer, mittelgroßer Mann mit gelbem Gesicht, dünnem, grauem Schnurrbart, ironischen Augenbrauen und einigen winzigen Krähenfüßen. In seinem alten, kurzen, grauen Rock mit dessen kleinem Schlitz oben in der Mitte des Rückens, seinen mausgrauen, geschnürten Kniehosen, altertümlichen, mahagoniartigen langen Ledergamaschen und sorgfältig geschwärzten Schuhen, bot er, nicht ohne Würde, den Anblick einer trockenen, fadenscheinigen Standesperson dar.
»Ah, Schelton!« sprach er in seiner ruhigen heiteren Stimme; »freut mich, endlich wieder den Pilger bei uns zu sehen . . . Sie gehen doch nicht schon?« und seine Hand auf Scheltons Arm legend, schlug er ihm vor, ihn ein kleines Stück Weges, quer durch die Felder, zu begleiten.
Seit der Verlobung war es das erstemal, daß sie einander sahen. Und Schelton fühlte, daß er sich nun dazu aufraffen müsse, irgend einem, wenn auch noch so nüchternen Gefühl über die Verlobung und seine weiteren Absichten Ausdruck zu verleihen. Er warf sich in die Brust, räusperte seine Kehle und sah von der Seite auf Mr. Denannt. Dieser Gentleman ging steif und förmlich; seine geschnürten Kniehosen quiekten leise. Er schwang ein gelbes, gegliedertes Rohrstöckchen gegen seine Gamaschen und betrachtete, satirisch lächelnd, nach jedem Schlag seine Beine. Eigentlich sah er jenem gelben Rohrstab sehr ähnlich – blaß und schmächtig und gegliedert, mit etwas bogenförmigen Zügen, wie die Bogenform des Stockgriffes.
»Man behauptet allgemein, daß wir ein schlechtes Obstjahr haben würden,« sagte Schelton schließlich.
»Mein Lieber, ich fürchte, Sie kennen den Farmer schlecht. Man sollte einige dieser Farmer aufknüpfen – würde der Welt nur zum Heile gereichen. Schöne Seelen das! Ich habe heuer vorzügliche Erdbeeren gehabt.«
»Ich sollte meinen,« sagte Schelton, froh, den ihm unheimlichen Augenblick hinausschieben zu können, »in einem Klima wie dem unserigen hat jeder Bauer recht, wenn er murrt.«
»Richtig, ganz richtig! Schauen Sie aber uns arme Sklaven von Grundbesitzern an! Würde mich wahrlich schofel fühlen, könnte ich nicht auf die Farmer schimpfen. Sehen Sie etwas Schöneres als dieses Weideland? Und dabei wollen sie, daß ich ihnen die Pacht herabsetzen soll!«
Und Mr. Dennants Blick schweifte satirisch umher, blieb auf Schelton ruhen und kehrte zum Boden zurück, als ob er etwas ihn Beunruhigendes wahrgenommen hätte. Es entstand eine Pause.
›Nun drauf und dran!‹ dachte der jüngere Mann.
Mr. Dennant hielt seine Augen auf seine Schuhe gerichtet.
»Na, wenn sie wenigstens gesagt hätten, daß der Frost ihnen die Rebhühner vertilgte,« bemerkte er scherzend, »da wäre noch ein Sinn darin gewesen . . . Aber was ist von solchen Leuten zu erwarten? Schöne Seelen . . . So etwas wie Rücksichtnahme kennen sie überhaupt nicht . . .«
Schelton schöpfte tief Atem und mit abgewandten Augen begann er eilig:
»Es ist schrecklich schwer, Sir . . .«
Mr. Dennant schlug mit seinem Rohrstock an seinen Unterschenkel.
»Ja,« meinte er, »es ist ein schweres Kunststück, mit den Leuten auszukommen, aber was kann man als guter Kerl tun? Man muß die Farmer haben, man braucht sie . . . Gewiß, wenn nicht die Farmer wären, dann gäbe es allerdings noch ein oder zwei Hasen auf dem Grunde!«
Schelton lachte krampfhaft; wieder betrachtete er seinen Schwiegervater in spe von der Seite. Was bedeutete dieses Wackeln des Kopfes, die Vertiefung der Krähenfüße, das sonderbare Verziehen des Mundes? Und sein Auge begegnete dem Auge Mr. Dennants. Der Ausdruck desselben oberhalb der feinen, trockenen Nase – eine von der Art, die sich im Winde rötet – war recht eigentümlich.
»Ich habe mit Farmern nie viel zu tun gehabt,« sagte er endlich.
»Nicht? Sie glücklicher Mensch! Die am meisten . . . ja wirklich am allermeisten auf die Nerven fallende menschliche Spezies – außer Töchtern.«
»Well, Sir, Sie können von mir wohl kaum erwarten . . .« begann Schelton.
»Tu ich nicht – oh, fällt mir nicht ein! Wissen Sie, ich glaube, wir werden heute noch bis auf die Haut naß.«
Eine große, schwarze Wolke verdeckte die Sonne, und schon spritzten einige Tropfen auf Mr. Dennants Filzhut.
Schelton hieß den Regenschauer willkommen; er erschien ihm wie eine Fügung der Vorsehung. Er würde wohl doch noch was Gefühlvolles sagen müssen, aber nicht jetzt, erst später.
»Ich setze meinen Weg fort,« sprach er, »mir liegt nichts daran, daß es regnet. Aber Sie, Sir, sollten vielleicht schon umkehren.«
»Ach Gott, warum nicht gar! In diesem Landhaus habe ich einen Pächter,« sagte Mr. Dennant in seiner maßvollen, trockenen Manier, »und ein Wilderer ist der Halunke auch noch obendrein . . . Ersuchen wir ihn wenigstens, uns vor dem Unwetter Schutz zu gewähren. Wie denken Sie?« Und sarkastisch lächelnd, als ob er seine Absicht, sich trocken zu halten, eigentlich nun billigen sollte, schlug er an die Tür eines gedeihlich aussehenden Landhauses.
Sie ward von einem Mädchen in Antonies Alter und Statur geöffnet.
»Ah, Phöbe! Ihr Vater zu Hause?«
»Nein,« erwiderte errötend das Mädchen; »Vater ist nicht zu Hause, Mr. Dennant.«
»Tut mir recht leid. Möchten Sie uns ein bißchen von dem Regen hier ausruhen lassen?«
Die reizend aussehende Phöbe staubte ihnen zwei Sessel ab; nach einigen Knicksen verließ sie das Besuchszimmer.
»Was für ein hübsches Mädchen!« sagte Schelton.
»Ja, sie ist ein hübsches Mädchen. Die Hälfte der jungen Kerle der Gegend sind hinter ihr her, aber sie will ihren Vater nicht verlassen. Oh, der Kerl ist ein geradezu entzückender Schnake!«
Diese Bemerkung brachte Schelton urplötzlich zur Erkenntnis, daß er weiter denn je vom der Vermeidung der Notwendigkeit, seinen familiären Gefühlen Ausdruck verleihen zu müssen, entfernt sei. Er schritt zum Fenster hinüber. Obwohl eine weit unterhalb des Firmaments sich dahinziehende Goldlinie die rasche Beendigung des Platzregens versprach, prasselte der Regen doch mit ungeheurer Wut herab. ›Um Himmels willen,‹ dachte er, ›laß mich doch irgend etwas, wenn auch noch so Idiotisches, sagen und es hinter mir haben! . . .‹ Aber er vermochte nicht, sich umzuwenden, wie eine Art von Paralyse war es über ihn gekommen.
»Ein ungeheuer heftiger Regen!« sprach er schließlich. »Es gießt wie aus Wasserröhren!«
Genau so leicht wäre es gewesen, zu sagen: »Ich erachte Ihre Tochter als das süßeste Geschöpf auf Erden; ich liebe sie und werde sie glücklich machen!« Genau so leicht, es hätte derselben Anzahl von Atemzügen bedurft; und dennoch – er konnte es nicht aussprechen! Er beobachtete das Strömen des Regens und dessen Gezisch gegen die Blätter, wie er mit seinen unablässigen Gießbächen den Staub der ausgetrockneten Landstraße untertauchte. Mit Präzision nahm er alle Einzelheiten des draußen vor sich gehenden Vorganges wahr – wie die Regentropfen gleich Speeren auf die Blätter schossen, und wie hundertmal in der Minute die Blätter sich freischüttelten, während weich und rasch kleine Wasserflüßchen eisklar über ihre Ränder rollten . . . Auch bemerkte er den trauernden Kopf einer schutzsuchenden Kuh, die an der Hecke wiederkäute.
Mr. Dennant hatte ihm keine Antwort erteilt auf seine Bemerkung über den Regen. Dieses Schweigen setzte Schelton sosehr in Verlegenheit, daß er sich umdrehte. Sein Schwiegervater in spe auf dem Holzstuhl starrte auf seine wohlgeschwärzten Schuhe, beugte sich nach vorwärts und stach mit seinem Stäbchen nach dem Teppich. Ein Blick auf sein Gesicht behinderte Schelton in seinem Entschluß . . . Es war nicht etwa verbietend, abschreckend, entmutigend – keineswegs; es hatte für den Augenblick bloß aufgehört, satirisch auszusehen. Dies aber machte ihn so stutzig, daß Schelton momentan sein Sprachvermögen einbüßte . . . In Mr. Dennants Ernsthaftigkeit schien diesmal eine höchst gewichtige Bedeutsamkeit zu liegen; es war, als ob er endlich einmal feierlich aussähe, weil er es so wollte . . . Doch sobald er einen Blick auf Schelton empor warf, trat sein trockener Humor aufs neue hervor.
»Welch ein Ententag!« sagte er; und abermals lag eine untrügliche Unruhe in seinem Auge. War es möglich, daß auch er irgend etwas befürchtete?
»Ich kann nicht zum Ausdruck bringen . . .,« begann, sich überstürzend, Schelton.
»Ja, eine geradezu bestialische Sache, so durchnäßt zu werden,« sagte Mr. Dennant, und er sang rasch:
»For we can wrestle and fight, my boys,
And jump out anywhere«.
›Denn wir sind Ringer und Boxer, ihr Jungens,
Und kriegen immer und überall die Oberhand.‹
»Sie werden doch nächste Woche an unserer Soiree teilnehmen, nicht? Wird kapital! Der Bischof von Blumenthal und der alte Sir Jack Buckwell werden auch da sein. Ich muß meine Frau dazu bewegen, Sie zwischen jene beiden zu setzen . . .
»For it's my delight of a starry night.«
›Denn das ist meine Freude in einer Sternennacht,‹
»Der Bischof ist ein großartiger Bekämpfer jeglicher Eherechts- und Scheidungsreform, und der alte Buckwell war mindestens zweimal bei Hofe . . .«
»In the season of the year!«
›In der Jahres-, Jahreszeit!‹
»Gentlemen, darf ich Sie zum Tee einladen?« sprach Phöbes Stimme im Türeingange.
»Nein, Phöbe, besten Dank. Dieses Mädchen sollte verheiratet werden,« setzte, während Phöbe sich errötend zurückzog, Mr. Dennant hinzu. Im Sturme seiner Gefühle schoß ihm das Blut ganz sonderbar in seine bleichen Wangen. »Eine wahre Schande, sie so an ihres Vaters Schürze geknüpft zu halten – ein höchst selbstsüchtiger Kerl, der!« Er blickte scheu um sich, als ob er eine gefährliche Bemerkung hätte fallen gelassen.
»The keeper, he was watching us,
For him we didn't care!«
›Der Wächter sollte uns behüten,
Allein wir kümmerten uns nicht um ihn!‹
Schelton empfand es plötzlich, daß auch Antonies Vater genau so gern, wie er selbst, seinen Gefühlen über ihn und seine Tochter Ausdruck verliehen hätte, aber ebenfalls außerstande war, es zu tun. Und dies wirkte ermutigend auf ihn ein.
»Sir – Sie wissen . . .«, hub er an.
Doch Mr. Dennants Augenbrauen hoben sich, seine Krähenfüße zwinkerten. Seine Persönlichkeit schien förmlich einzuschrumpfen.
»Wahrhaftig!« rief er, »der Regen hat aufgehört, kommen Sie nur mit, mein Lieber! Verzögerungen sind stets gefährlich!« Und mit seiner ewig hänselnden Höflichkeit öffnete er die Tür, um Schelton hinaus zu lassen. »Hier, glaube ich, sollten wir Abschied nehmen,« sagte er, – »ich denke, so ist's am besten . . . Gut Glück!«
Er hielt ihm seine trockene, gelbe Hand entgegen. Schelton ergriff sie, schüttelte sie kräftig und murmelte nur das eine Wort:
»Danke!«
Wieder bebten, als ob jemand an ihnen gezupft hätte, Mr. Dennants Augenbrauen. Er war durchschaut und das mißfiel ihm. Die Farbe seines Gesichtes erstarb; unter dem flachen, schmalen Hutrand sah es kalt, runzelig, todesähnlich aus. Sein grauer Schnurrbart hing dünn nach abwärts; grimmer traten die Krähenfüße um seine Augen hervor; ein merkwürdiges Lächeln schwellte seine Nasenflügel.
»Dank!« meinte er; »fast ein Laster, nicht wahr? Gute Nacht!«
Auch Scheltons Antlitz zuckte. Er lüftete seinen Hut und, eben so schroff, wie der Ältere sich wendend, setzte er seinen Weg fort. Er hatte die Rolle einer Komödie gespielt, die nur in England aufgeführt werden konnte. Über sein früheres Unbehagen vermochte er nun zu lächeln, da er nicht länger das Gefühl einer Pflichtverletzung verspürte. Alles, was Anstand und Herkommen zu sagen geboten, war in einer Weise gesagt worden, wie man eben in England delikate Dinge berührt . . . Keiner hatte sich weh getan; er konnte es sich nun sogar leisten, zu lächeln – zu lächeln über sich selbst, über Mr. Dennant, über den morgigen Tag . . . Zu lächeln über das süße Erdaroma, über dessen scheue verschämte Süße, die nur der Regen zutage fördern kann.