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Neuntes Kapitel

Am zweiten Abend – es war der Sonnabend vor Estomihi – trat Ingeborg in das Zimmer, in welchem Maria neben Frau Strandigers Bett saß. Sie winkte mit Händen und Augen. Da ging Maria hinaus, ganz blaß geworden. Sie wußte, was kommen würde.

»Der ganze Eschenwinkel ist gekündigt. Zum ersten April müssen sie alle die Häuser räumen. Alle unsere Bekannten, die Alten und die Jungen, müssen fortziehen. Die kleinen Witts und Schutts ... weg! Alle weg! Wo sie hingehen, das weiß Franz Strandiger und Gott.«

Maria stand in der Thür und sah still vor sich hin.

»So sag' doch, Maria, was wir thun sollen.«

»Thun?« Sie hob den Kopf. »Ja, man muß etwas thun.«

»Er geht durch Haus und Hof mit einem Gesicht so frech und frei, als fragt er nichts nach Gott und Menschen. Die Eschenwinkler sind keine Männer mehr, sonst würden sie ihn heut' abend finden und in den Wehl werfen, wo er am tiefsten ist.«

»In den Wehl? Was redest du? Sei doch still!«

Ingeborg stürmte hinaus, das von Zorn und Liebe heiße Herz draußen in der frischen, kalten Winterluft ruhig zu machen. Sie war zweimal bis zur Schule gegangen, dann stieg sie den Sandweg hinauf nach dem Heidehof.

Heim Heiderieter saß mit einem Scheitel, so glatt, wie er ihn sonst nicht hatte, und mit einem Gesicht, so ernst, wie es sonst nicht war, an seinem Schreibtisch. Links von ihm sah man mehrere holsteinische Geschichtswerke aufgeschlagen übereinander; rechts lag ein Bogen Papier, auf dem zwei Zahlenreihen nebeneinander von oben nach unten gingen. Die langen Beine unter dem Tisch gegen die Wand gestemmt, berechnete Heim sein Soll und Haben: links das Soll, das in Form von protokollierten Schulden sehr genau feststand, und rechts das Haben, das in Haus, Acker, Vieh, Geld, Gut nicht so genau anzugeben war. Zuletzt, nach vielem Hin- und Herwiegen des Kopfes und manchem: Na! na! zog er die Schuldensumme vom Haben ab.

Es blieben vierzehntausend Mark Vermögen.

Nun saß er und sah nachdenklich auf diese Summe. Dann zeichnete er daneben ein Gesicht, das mit dem seinen eine gewisse Ähnlichkeit hatte. Nur war es länger und bekam dadurch einen etwas dumm-erstaunten Ausdruck; und die Haare waren nicht kraus, obgleich sich solches Haar so gut zeichnen läßt, sondern es stand starr vom Kopf, was sich noch leichter zeichnen läßt.

Als Ingeborg in ihrer rücksichtslosen Weise, ohne anzuklopfen, in den Saal kam, blieb er geduckt sitzen und hörte ihren Bericht an.

»Was sagst du dazu?«

»Ich? Ich? Sieh da!« sagte er und sah sie mit großen, erstaunten Augen an und zeigte auf den haarsträubenden Kopf: »Was meinst du wohl, wer das ist? Das bin ich! Ich bin das! So seh' ich inwendig aus!«

»Bewahre!«

»Und ich soll mich um andere Leute kümmem? Ich habe den ganzen Kram, das ganze Leben verpfuscht. Über zehntausend Mark habe ich verstudiert! ... So sein könnte ich hier sitzen! So gemütlich ist es hier. Aber Schulden! Schulden!«

Sie sah ihn mit ihren grauen, kühlen Augen an: »Du bist plötzlich unklug geworben. Was sind das für Bücher ... da?« Sie deutete mißtrauisch auf den Haufen Bücher unter der Lampe.

»Holsteinische Geschichte,« sagte er grimmig. »Ich will ja immer was schreiben. Aber ich weiß nichts und kann nichts. Da hat mal einer gesagt, ich glaube Gustav Freytag: Man muß Geschichte studieren, dann hat ein Schriftsteller festen Boden unter den Füßen. Aber wenn man Schulden hat! Schulden! Weg ist der Boden! Bis an die Kniee sitzt man im Schlick! Da nützt alle Geschichte nichts!«

»Ach was,« sagte sie, nun ganz erzürnt. »So'n dummes Jammern ist ganz unnütz. Du kannst ja man fleißig und sparsam sein. Aber das kannst du nicht: arbeiten!«

Er sah rasch auf und machte mit Kopf und Hand eine Deutung nach der Küche hin: »Sprich doch nicht so laut! Man hört es ja durchs ganze Haus.«

»Aha!« sagte sie und wiegte sich auf ihrem Stuhl: »Hast du Angst? Das thut dir gut, lieber Heim!« Sie sah sich im Zimmer um. »Sie ist sauber, und dein Haus ist auch sauber, und mir scheint, deine Haarkrone hat frischen Glanz. Wer weiß, Heim?«

»Du bist toll! Toll bist du, wie gewöhnlich!«

Da ging die Thür auf, und die Haushälterin trat in den Saal. Sie hatte von der Arbeit rote Wangen, und ihre Augen blitzten von Jugend und Gesundheit. Sie trug ihre starke, stattliche Gestalt hoch aufgerichtet; aber den dunklen Kopf hielt sie geneigt.

Ingeborg stand auf und gab ihr die Hand. Sie waren schon Bekannte und vertrugen sich gut: ja es schien, als wenn sie viel Zuneigung zu einander hatten.

»Sagen Sie, Eva, was treibt dieser Mann den ganzen Tag?«

»O, was im Haushalt zu thun ist, das besorge ich und der Knecht. Der Herr ist fleißig bei den Büchern.«

Heim bückte sich tief auf sein Soll und Haben hinunter. Er wurde rot, wenn sie in Ingeborgs Gegenwart »Herr« sagte. Dieser Respekt, mit dem sie das sagte! Wenn er doch noch einmal so viel Achtung vor sich selbst bekäme!

Ingeborg sah mit kritischen Augen von einem zum andern. Der dort am Schreibtisch war durchsichtig wie Glas. Sein Schreibtisch ist geordnet; sein Haar ist glatt; sein Kragen rein; ein Löchlein am Ellbogen hat er selbst gestopft. Der Mann hat Respekt vor seiner Hausgenossin und jammert ihretwegen über versäumte Jahre und geschehene Thorheiten. Was Telsche Spieker und ich nicht fertig brachten, daß er sich aufraffte, das ist ihr leicht geworden. Aber das kräftige Mädchen mit dem dunkeln, geflochtenen Haar, der stolzen Haltung und demütigen Kopfneigung, ist ein Rätsel. Ist sie wahr oder spielt sie eine Rolle? Sieht sie denn nicht, daß dieser Mann um den Finger zu wickeln ist? Hat sie nicht gehört, daß er an Telsche Spiekers Schürze hing? Sieht sie nicht, daß er tanzt wie Schön Ingeborg pfeift? Warum ist sie so demütig, ehrerbietig und still? ... Aber ... ob absichtlich oder nicht ... wenn sie so beibleibt, macht sie einen andern Menschen aus Heim Heiderieter.

Sie sah auf Eva Walt und hatte eins ihrer kurzen, unüberlegten Worte auf der Zunge; aber sie sah in zwei dunkle, ernste Augen, da biß sie das Wort mit den weißen Zähnen kurz ab und, schon im Gehen, an der Thür, wandte sie sich um und sagte mütterlich tröstend zu dem stillen, saubern, gedrückten Mann am Schreibtisch: »Mache dir man keine Sorge, Heim. Ich glaube, daß noch alles gut wird, sowohl hier, als auf dem Strandigerhof. Weißt du, man muß die Dinge fix von vorn angreifen, im übrigen Gott walten lassen.«

Draußen, da die Haushälterin ihr bis zur Thür das Geleit gab, sagte sie wohl überlegend und mit Betonung: »Ich freue mich, daß mein Jugendfreund Sie für seinen Haushalt gewonnen hat. Ich bin überzeugt, daß Sie die Aufgabe, die Sie haben, richtig verstehen und auch lösen werden. Ja, das glaube ich.«

Eva Walt nickte ernst.

Damit gingen die beiden Evatöchter auseinander.

 

In derselben Stunde öffnete sich im Strandigerhof geräuschlos die Thür der Arbeitsstube. Franz Strandiger hatte in der Dämmerung am Fenster gestanden und über landwirtschaftlichen Plänen gebrütet, die wie Nebelgestalten vor ihm standen und ihn um Leben baten. Er wollte eine neue Dampfmaschine kaufen, er wollte die Moorwiesen jenseits des Waldes entwässern, er wollte den Eschenwinkel wegreißen und hinter den Wirtschaftsgebäuden eine Kaserne bauen. Aber zu dem allen brauchte er Geld.

Vergrämt und finster sah er in die öde Dämmerung hinaus. Ein tüchtiger Landwirt, voll von seinem Beruf, mit einer rastlosen Energie, Herr eines großen verlotterten Hofes, aus dem sich etwas Sauberes, Einträgliches machen läßt und ... kein Geld in Händen, keine Macht ... hier am Fenster stehen und grübeln, und draußen im Schnee stehen all die schönen Pläne.

Leidenschaft und Zorn durchbebte ihn: »Ich wäre im stande, mir zu stehlen, was ich brauche.«

Er wandte sich um und sah Maria Landt an der Thür, die sie leise hinter sich schloß.

»Sie haben den Eschenwinkel gekündigt. Was soll daraus werden?«

»Ich kann mein Geld nicht aus dem Fenster werfen. Ich kann billigere Arbeiter haben.«

»Aber hier ist ihre Heimat. Auf dem Kirchhof liegen ihre Kinder.«

»Und hier stehe ich, ein Mann, der vorwärts möchte. Und diese Leute und ihre Häuser hindern mich.«

Er hatte sich von seiner Erregung hinreißen lassen; nun kam er auf sie zu und sagte ruhiger: »Setzen Sie sich hierher! Ich will versuchen, Ihnen klar zu machen, daß ich ein normaler Mensch bin ... Sehen Sie, ich bin hier jetzt Herr! Ich habe die Verantwortung, daß auf den Weiden kräftiges Gras wächst, auf den Äckern starkes Korn, daß das minderwertige Vieh aus den Ställen verschwindet, und ein neuer, kräftiger Schlag hinein kommt. Frau Strandiger sorgte dafür – und sie konnte sich das leisten –, daß die Menschen auf ihrem Land zu ihrem Recht kamen; ich aber will dafür sorgen, daß das Land zu seinem Recht kommt, und da müssen, wegen meines schmalen Geldbeutels, die Menschen zurückstehen. Daß ein Mensch unglücklich ist, das kann ich ruhig ansehen; aber ein verlottertes Feld ist mir ein Greuel. Die klarste Wirtschaft will ich führen, gerade die größten Erträge will ich haben, an der Spitze will ich gehen. Ich bin nie für zweite Stellen gewesen. Arbeiten will ich, wie je ein Strandiger gearbeitet hat! Aber ich will auch Herr sein! ... Denken Sie sich in meine Lage! Da läuft der Eigentümer dieser Pachtung mit einem Gesicht herum, wie ein zahnloser Hund. Da ist meine Schwester, die morgens von Berlin redet und abends vom Sterben. Da sind die Eschenwinkler, die einen sind grob, die andern sind verrückt. Da sind Sie, Maria Landt, machen Augen, daß mir angst und bang wird; von Ihrer Schwester nicht zu reden, welche die Fäuste ballt, wenn sie mich sieht. Und das alles, weil ein Mann in dies Haus gezogen ist, der weiß, was er will.«

Maria Landt lehnte sich gegen die Thür: »Sagen Sie mir, was Sie wollen.«

Er nahm das Lineal vom Schreibtisch und that einen Hieb durch die Luft, daß ein feiner, singender Ton durchs Zimmer drang: »Wenn Sie sich entschließen könnten, auf meine Seite zu treten, dann ist mit einem Male alles klar: Andrees kommt zu einem Entschluß; die Eschenwinkler bleiben in ihren Häusern, bis ich oder Andrees neue baue. Sie und Ihre Schwester werden hier bleiben und den Eschenwinklern und ihren Kindern so viel Liebe erweisen, als Ihnen gut scheint. Also!«

Wieder ein Hieb durch die Luft. Aber man hörte ihn nicht. Maria weinte leise.

Er saß auf dem Rand des Schreibtisches; hatte den kurzgeschorenen Kopf vorgebeugt und sah auf sie. Es war ein kluger, feingezeichneter Kopf. Es war wie der Kopf eines edlen Jagdhundes, der ein leises Geräusch im Unterholz hört.

»Ich kann nicht klar erkennen,« sagte sie; »ich weiß nicht, ob es recht ist oder unrecht.«

Er wiegte den Kopf hin und her, während er immer auf sie sah: »Sie vertreiben mit einem Windstoß alle Wolken, die über Strandigerhof stehen. Es wird allen geholfen. Ich will ganz klar und wahr sein: Sie helfen auch mir. Ich muß ein gutes Stück Geld in Händen haben, sonst kann ich das Gut nicht so anfassen, wie ich möchte. Sie haben mehr als ich brauche. Den Rest mögen Sie verwenden, wie Sie wollen. Ferner: Wenn Sie, Maria Landt, die Frau des Pächters sind, und Sie sprechen den Wunsch aus, hier zeitlebens zu bleiben, und Sie tragen im Lauf der Jahre Sorge, daß der Riß zwischen mir und Andrees heilt, dann wird die Pachtung nach zwölf Jahren nicht gekündigt werden; ja, ich wage sogar zu behaupten: Dann werden wir beide einst Besitzer des stattlichsten Hofes sein, den es auf zwei Meilen in der Runde giebt.«

Sie hatte ihr Taschentuch an den Mund gedrückt und sah ihn aus großen Augen an.

»Sagen Sie ›ja‹, Maria Landt! Sehen Sie ... von Kind an habe ich zwei Dinge gewußt. Die sind mir durch die Verhältnisse meiner Jugend eingebrannt. Erstens: herrschen wollte ich, König sein. Zweitens: dazu gehört Geld, viel Geld. Da hat sich all mein Sinnen auf Geld gerichtet ... Ich habe Ihnen nun nichts verheimlicht.«

»Es ist mir eine Beruhigung,« sagte sie weinend, doch in guter Haltung, »daß es nur das Geld ist, das uns zusammenführt.«

Er hob hastig den Kopf und sah sie an: »Das ist nicht ganz richtig. Ich habe helle Augen, Maria Landt, und will Herr über alles sein. Ich muß Ihnen auch das sagen.«

Sie hob, schwach abwehrend, beide Hände: »Es ist gut,« sagte sie tonlos. Und mit einer vertrauenden, erschütternden Kindlichkeit in Augen und Haltung fragte sie: »Sie glauben, daß nun alles gut wird?«

Da flog ein Schein von weicher Empfindung über sein scharfes, stolzes Gesicht: »Morgen machen wir unser Geheimnis bekannt, Maria, dann ist alles geordnet.«

»Morgen ist Sonntag,« sagte sie. »Wir müssen Kirchgang halten, das schickt sich so.«

Er wollte auf sie zugehen, weil es ihn jammerte, daß sie nun wieder so gebrochen und mit so leeren Augen dastand. Aber sie nickte mehreremal in Gedanken und ging schnell an ihm vorüber.

»Sagen Sie es heute niemand,« sagte er, »damit uns keiner dazwischen redet.«

Dann ging sie.

Es war sehr still und ruhig in ihr. So still und tot würde es nun immer in ihr sein. Nie würde sie den Kopf heben. Wer eine schwere Tracht auf der Schulter hat, der sieht vor sich auf die Erde.

Als sie die Treppe hinaufging, langsam, bei jeder Stufe tief Atem holend, wurde sie sehr müde. Auf der letzten Stufe erfaßte sie wieder ein Schwindel. Aber sie hielt sich und ging in ihr Zimmer und legte sich auf ihr Bett und schlief gleich ein und schlief traumlos, ruhig, wie sie lange nicht geschlafen hatte.

Nach einer Stunde – es war ganz dunkel im Zimmer – wurde sie von Anna geweckt, die mit einem Licht in der Hand unweit der Kommode stand und eine hauswirtschaftliche Frage that.

Sie erhob sich und antwortete nicht und ging gegen ihre Gewohnheit unruhig im Zimmer auf und ab. Dann sagte sie: »Du könntest heute abend nach dem Eschenwinkel gehen.«

Anna, die sich am Ofen zu schaffen machte, richtete sich auf. Da fiel Maria auf, daß sie so blaß aussah. Und wie Maria Landt immer an anderer Leute Leid dachte, nicht an ihr eigenes, fragte sie: »Bist du erkältet?«

»Ja ...«

»Dann solltest du im Hause bleiben. Du mußt aber nicht im Hause das große Tuch tragen, da erkältest du dich erst recht.«

Anna Witt zog das Tuch noch fester um sich: »Mich friert,« sagte sie, und ihre Augen flogen furchtsam hin und her.

»Wenn du nach dem Eschenwinkel kommst, dann sage deinem Vater, daß die Kündigung zurückgenommen ist. Alle Eschenwinkler bleiben in ihren Häusern. Und Arbeit bekommen sie auch. Nun laß mich allein ...«

Als sie allein war, fing sie wieder an, hin und her zu gehen. Sie hatte gedacht, daß es nun ruhig und still in ihr sein würde, ja, sie hatte gehofft, ein wenig das Gefühl des Gelingens, des Glückes zu haben. Aber nun standen da rund um sie neue Verhältnisse und fragten viel und wollten Antwort und machten sie unruhig, daß sie am ganzen Korper zitterte.

 

Das dritte Haus rechts war das kleinste im Eschenwinkel. Wenn man durch die einzige Thür hineinkam, war man in der Küche, grad aus war der Herd. Rechts war eine Stube, links auch eine. In der Stube zur Linken wohnte der Pellwormer, der Nachtwächter; zur Rechten wohnte die Witwe Thiel.

Eine Treppe hatte innerhalb des Hauses nicht angebracht werden können. Man stellte draußen über der Hausthür eine Leiter an und gelangte so durch die kleine Dachluke auf den Boden, auf dem der helle, leichte Torf lag, der überall gebrannt wurde.

Beide Stuben sind voll von Menschen, und auf den beiden Tischen steht je eine Branntweinflasche aus klarem Glas. Die bleichsüchtige Februarsonne steht mit ausdruckslosen Augen draußen am Fenster und kann mit ihrem blinden Gesicht den Dunst nicht durchdringen. Sie blinzelt nur ein wenig nach der Flasche auf dem Tisch, daß es einen widerlichen gelben Schein giebt.

Wie Ameisen aufgestört werden, so sind sie heute morgen in Aufregung. Und nun sind sie zusammengelaufen.

Von Auswandern reden sie ...

Vor vielen hundert Jahren, in grauer Vorzeit, da waren einst die Bewohner des Landes zusammengekommen, als der Märzschnee schmolz, und hatten über Auswandern beraten.

Über die weite, dunkle Heide war ein Mann gekommen, von Norden her, ob sie mit nach Süden reiten wollten. Auf der Heide, am Wodanshügel, berieten sie über Bleiben oder Fahren, über Sitzen oder Wandern, über Hütte oder Wagen.

Es wogte und drängte damals im Volk, wie unter der Herde, die im Frühling aus dem Stall getrieben wird. Zu eng war der Tummelplatz für die jungen Fohlen, zu zahlreich waren die Kinder, zu kraftvoll die Glieder, zu hoch der Mut, zu leuchtend die Augen.

Dazu hatten sie einen Mann gefangen, draußen am Strand, dessen Boot der Westwind auf den Sand geworfen, daß es krachte. Blaß und naß kletterte der schiffbrüchige Mann die Düne hinauf; mit banger Sorge sah er über das unwirtliche, von herbstlichem, kaltem Nebel bedeckte Land; mit Herzklopfen trat er in die Hütte.

Aber er kam zur guten Stunde.

Der Metkessel stand überm Herdfeuer, und rund um ihn lagerten im niedrigen Raum unter verräucherten Speckseiten verräucherte Männer. Lind war der Empfang; warm war das Bleiben; heiß waren die Schilderungen des fremden Landes; wie kochender, aufsprudelnder Met zuckten des rheinischen Krämers Hände. Über die Wahrheit weg schossen seine Worte.

Er ist Schuld an der Wanderung der Teutonen! Er hat sie auf dem Gewissen, daß er des Mets nicht entsagte, da es Zeit war! Aber er war der Gastfreundschaft und der guten Stunde überfroh.

»Der süßeste Met hängt in schweren Dolden an den Bäumen!« sagte er. »Hier ist Mutter Erde eine Bärin!« rief er, »sie hält in weißem Pelz Winterschlaf; dort ist sie ein schönes, junges Weib, das durchs ganze Jahr der Augen Lust ist.«

So sprach er und verwirrte die Gemüter.

Er aber erreichte, daß es ihm gut ging, und daß er warm saß diesen ganzen Winter. Nichts übles widerfuhr ihm weiter, als daß ihm einmal, da der Hausherr auf der Jagd war, der Hausfrau größter Kochlöffel, aus Lindenholz gemacht, unsanft die Wange rührte.

Also berieten sie im Anfang des Märzmonats am Wodanshügel. Und nach sieben Tagen, da sprang das letzte Pferdeblut aus tief geschlagener Halswunde, rauchte das letzte Opferfeuer, ward der letzte Blick gethan über Meer und Heide. Dann tauchten sie in den Waldweg unter. Das letzte Knarren des letzten Wagens. Sie zogen fröhlich nach Süden. In Frankreich an der Rhone liegen ihre Knochen.

Im selben Jahre noch, als der Maiwind seine weiche Wange auf die Heide legte, lugte das erste Wendengesicht durch das helle Buchengezweig, schiefe Augen im tiefen Thal zwischen hohen Knochen. Unschön, kurz und krumm waren die Beine, nach außen gebogen, ob des vielen Reitens.

Als er die Heide leer fand, nirgends den Rauch einer Hütte, noch eines germanischen Mannes Spur, und er, Probislav der Springer, als der Erste seines Volkes das gewaltige Meer jenseits der Heide sah, die heißersehnte Nordsee, nach der sein Volk lange schon unterwegs war, da sprang er wie eine Katze den Wodanshügel hinauf, kehrte sich um und brach in ein solch Geheul aus, daß die germanische Heide sich vor Grauen in allen Blättlein sträubte, und die Erdgeisterlein, die zwischen den Grabsteinen im Wodanshügel eingeschlafen waren, entsetzt auffuhren. So greulich brüllte der Wende.

Denn die alten Geister waren im Lande geblieben, wie die Katzen im verlassenen Haus. Aber von Stund an ruhten sie nicht mehr. Sie wurden boshaft und den Eindringlingen über die Maßen beschwerlich. Sie trieben mit trübseligem Unkenruf die Paare auseinander, die in der Dämmerung am Waldrande der Liebe pflogen. Sie lenkten den Pfeil vom Wild und legten sich als knorrige Eichenzweige zwischen die krummen Beine des nachsausenden Jägers. Sie rissen in der schwarzen Sturmnacht die Pflöcke der Hütte los, sausend flog das Hausdach über die Heide, elend, im Schnee und Sturm lagen die Insassen auf der Erde. Sie plagten die Alten mit Zahnpein und Hexenschuß und zerschlugen nächtlicher Weile die rundbauchigen Thontöpfe, die neben der Hütte standen, der Wendenmutter Stolz. Denn das Geschlecht der Wenden war ihnen verhaßt, und sie konnten die Sippe nicht leiden, die mehr krüppeligen Hainbuchen glichen als Menschen, die in der Mondnacht in greulichen Tönen Liebes- und Trinklieder sangen.

Und sie hofften auf eine neue germanische Zeit, die auch bald gekommen ist.

Denn wie die Quecke im Geestland, so dehnten sich die Sachsen über die Elbe und bevölkerten wieder das Land. Echte Germanen, an denen alles breit war, breit der Gang, breit die Äxte, breit die Rede, breit die Schädel. Da schafften die Erdgeister wieder in freundlicher Weise. Sie legten der alten Mutter, die mühsam durch den Wald ging, einen handlichen Stab in den Weg, sich darauf zu stützen; sie neckten die Kinder, die am Waldrand entlang liefen; sie standen plötzlich in der dunklen Ecke der Hütte, daß die Mädchen laut aufschreiend dem in die Arme fielen, auf den sie schon lange ihre Augen geworfen hatten.

Jetzt, hört man, leben Menschen, die so klug sind, daß sie alles wissen, was im Himmel und auf Erden und unter der Erde ist, und also nicht mehr nötig haben, die Augen offen zu halten. Sie liegen gähnend auf der Heide und im Moos des Waldes, jappen in die Luft und sagen, es sei langweilig.

Derweil spielen die Erdgeister über ihre Nasen hinüber: »Bock, steh' fest.«

 

Unter dem niedrigen Strohdach des Pellwormers reden sie auch von Heimatverlassen. Aber es ist wenig Hoffnungsfrohes, es ist nichts Leuchtendes in ihren Augen, wie einst in den Augen ihrer Vorväter. Sie müssen wandern, sonst bleiben sie, wo sie sind.

Sie haben drei Wege. Sie können in die Nähe der Stadt ziehen und dort in kleinen Häusern am Rand der Geest Mietsleute werden und dann umher auf den Marschhöfen, auf stundenweiten Wegen, Arbeit suchen. Das wollen sie nicht.

Sie können nach Hamburg gehen und dort, in der Stadt oder am Hafen, Arbeiter werden; aber einige von ihnen haben im vorigen Winter, während eines Strikes, dort gearbeitet. Sie haben zwar eine Hand voll Geld mitgebracht, aber auch die Erfahrung, daß die Stadt zu eng ist für Leute, die den weiten Blick über Heide, Marsch und Meer gewohnt sind.

Sie können endlich nach Amerika auswandern. Und davon reden sie jetzt.

Und die Thielsche hat ihre Brille aufgesetzt, die durch ein Band um die weiße Nachtmütze gehalten wird, und liest mit polternder Stimme – diese Stimme hat sie, wenn sie vorliest, sonst spricht sie mit hohem, etwas weinerlichen Ton – zwei, drei Briefe vor.

Sie hören alle zu. In ihren Mienen ist nichts zu lesen als stille, ruhige Aufmerksamkeit. Da ist keine Spur von Aufregung oder Beifall. Sie ringen mit dem alten Mißtrauen, das sie an sich haben.

Also das schreibt Dora, die seit zehn Jahren in Iowa ist:

»Liebe Mutter! Ich ergreife die Feder zur Hand, um Dir einen Brief zu schreiben, und ich hoffe, daß ich mit meinem Schreiben Dich bei guter Gesundheit antreffen werde. Liebe Mutter! Daß ich an Dich schreibe, ist dies. Die Kinder haben heute mittag so viel gegessen; da muß ich wohl daran denken, daß wir acht Mann am Tisch waren und saßen alle rund um und hatten die Löffel in der Hand und schlugen damit auf den Tisch. Und das mochtest Du nicht haben; denn wir waren aber so hungrig. Heinrich stand am Fenster und sagte: Vater kommt. Und Du sagtest manchmal, wir nehmen alle jeder drei Klöße, sonst kann Vater den Spaten nicht in die Erde kriegen; denn es war ja gegen Frühling, so im März, und die Erde noch etwas gefroren. Liebe Mutter! Wir können hier jeden Tag Schweinefleisch essen, die Pökeltonne steht in der Küche, und wenn ich will, geht mein Klaus hinaus und schießt eine Henne; hier schießen sie die Hühner. Liebe Mutter! Wenn ich daran denke, was Du alles mit Vater, der man schwach war, und mit uns für Not gehabt hast, und Dein einziger Jung ist tot ...«

»Verschollen!« sagte Antje.

»Dann weine ich manchmal, denn ich habe jetzt selbst Kinder, zwei holen die Pferde und eins ist an der Brust, und ich weiß nun wohl, wie lieb Du uns gehabt hast. Darum schreibe ich Dir nun wieder in diesem Brief, sei man nicht bang vor dem Wasser. Das dauert man zehn oder zwölf Tage. Komm' man herüber; es wird ollreit!«

Die Alte schlug mit schwerer Hand auf den Tisch und sagte halb weinend, halb scheltend: »Ich kriege meine Rente und verdiene noch manchen schönen Groschen mit Sackflicken. Ich kann hier doch nicht so weglaufen!«

Peter Schütt hatte schon das dritte Glas Kümmel ausgetrunken. Er stammt von jenen Schütts, die nun schon im dritten Glied Trinker sind. Sein Großvater, der alte Thoms Schütt, brachte die Familie um den Hof, den sie im Dorf unweit der Kirche besaß. Aber im letzten Jahr seines Lebens trank er nicht mehr. Man erzählt, er habe eines Tags seinen Enkel, eben diesen Peter Schütt, als einen zehnjährigen Jungen im Kuhstall gefunden, wie er die Branntweinflasche an den Mund setzte, da habe ihn ein Grauen gepackt, und er sei bis an sein Ende nüchtern gewesen. Die Schütts haben kein Ehrgefühl. Das ist im Spiritus ertrunken wie eine Fliege. Sie sind die einzigen im ganzen Eschenwinkel, die ihre Kinder im Winter auf Bettel schicken. Die andern sind alle ernste, ehrenwerte Männer; aber Peter Schütt ist verkommen und roh.

Der Pellwormer, dem betrunkene Leute zuwider sind, sitzt ihm gegenüber und beobachtet ihn mißtrauisch. Er will ihm sagen, das Trinken zu lassen; aber er kann wegen seiner schweren Zunge nicht über das erste Wort hinwegkommen.

Schütt schlägt auf den Tisch und fängt an zu lärmen: »Muß i denn, muß i denn zum Städtelein hinaus ...«

Da schießt der Pellwormer gegen den Tisch; seine Brauen verschwinden in den Stirnhaaren, und er singt nach derselben Melodie: »Wo du kommst, wo du kommst, da säufst du den Kram, säufst du den Kram!« und er hielt den steifen Finger auf die Branntweinflasche, und von Stottern war nicht die Rede.

»Da hast du mal recht!« sagte Thielsche und nickte ihrem alten Hausgenossen zu und nahm umständlich mit beiden Händen die Brille ab und rückte die verschobene Haube in die rechte Lage: »Ich muß sagen, ich bin hier ganz zufrieden. Aber das muß ich auch sagen: Die Kleinen von meinen Deerns – es sind im ganzen vierzehn, soviel ich weiß – die möcht' ich wohl mal sehen.«

»Aber wir,« sagte Dwenger, »wir haben das Haus voll Kinder.«

»Was in den Briefen steht, ist alles wahr,« schrie Schütt.

»Ja!« sagte die Alte. »Wenn Therese das geschrieben hätte, die konnte immer ein bißchen übertreiben. Aber was Dora schreibt, das ist wahr. Sie haben in diesem Jahr drei Schweine geschlachtet.«

Es wurde einen Augenblick still. Sie standen alle vor schönen, feisten Schweinen, die an der Leiter hingen, und saßen alle an schwergedeckten Tischen. Dwengers Frau sagte leise: »Dreihundert Pfund.«

So deutlich sah sie das Schwein.

»Und dann das Land! Hundertvierzig Acker!«

»Wieviel sind das denn?«

»So zwanzig bis dreißig Morgen.«

Wieder wurde es still.

»Aber arbeiten müssen sie.«

»Wie Pferde!«

»Das müssen wir hier auch.«

»Aber sie kommen auch vorwärts!«

»Das ist der Unterschied.«

»Hier macht Arbeit halb satt, dort ganz.«

Na ... satt bist du immer geworden ... du mit deinen drei Kindern.«

»Ja, aber wo viele Kinder sind, da hapert's den ganzen Winter.«

»Mensch! Denk' mal: dreißig Morgen Land!«

»Und wenn's nur zwei Morgen wären!«

»Land!«

Sie sahen einander an.

»Ja, das ist das Schlimme, daß wir kein Stück Land haben. Deshalb und darum sind all die andern weggegangen. Und darum gehen wir auch.«

»Überall, wo wir gehen und stehen, kann man uns verjagen. Gehen wir auf die Heide, die gehört Heim Heiderieter. Gehen wir in den Wald, der gehört den Bauern. Wenn wir uns auf den Deich setzen, der gehört dem Strandiger. Wenn wir in unserer Stube sitzen, die gehört der Sparkasse.«

»Ja, so ist es.«

»Ich will an meinen Onkel schreiben, der hat eine Farm bei Klinton. Klinton heißt die Stadt, liegt in Iowa.«

»Ja ... man zu! An Dora und Therese Thiel schreiben wir auch.«

»Und ich schreibe an meine Brüder, die schicken gleich Geld.«

Und deine Kinder, Rohde.«

Rohde, der überhaupt nur wenig sprach, nickte nur ernst mit dem Kopf. Er hatte schon ganz graues Haar, hatte vor Metz die Ruhr gehabt. Ihm ging es noch am besten im Eschenwinkel. Seine Kinder waren, bis auf den Jüngsten, in Amerika. Dieser Jüngste saß neben ihm. Er war Knecht im Dorf und, wie alle Rohdes, ernst und tüchtig.

»Dora soll auf jeden Fall zwei Freikarten schicken,« sagte Thielsche, »wenn ich es ihr schreibe, thut sie es.«

»Wenn ... wenn ... ich es ihr schreibe!« sagte der Pellwormer. Denn er schrieb die Briefe; Thielsche hatte das Schreiben nie gelernt.

Der junge Rohde beugte sich zu seinem Vater, der still dasaß: »Ich möchte wohl mit, aber du und Mutter ...«

»Wenn du meinst,« sagte der Graukopf ... »Dann geh'! Die andern sind auch hinüber. Geh' du auch!«

»Ich meine, weil ich der Letzte bin ... Ihr könntet ja mitgehen ...«

»Ich habe hier fünfzig Jahr gewohnt und bin mit in Frankreich gewesen. Nun so fortziehen, als ginge mich alles nichts an, das kann ich nicht ... Mutter kann auch nicht von den beiden weg, die auf dem Kirchhof liegen.« Schutt schrie dazwischen: »Mensch, du bist bange vor Heimweh! Heimat? ... Für die Katz ... Was thu' ich mit der Heimat? Gott straf mich!«

»Das ... das wird er thun ...« sang der Pellwormer ... »das sollst du sehen. Denk' an den Pellwormer!«

Sie saßen alle mit stillen Gesichtern da.

Die Hausthür ging auf, und alle sahen dahin.

Da stand Anna Witt mit blassem Gesicht. Sie stellte sich hinter den breiten Rücken der Thielsche und sagte: »Ich soll von Maria Landt sagen, daß die Kündigung zurückgenommen ist. Wir bleiben hier alle wohnen, und Arbeit giebt's auch wieder.«

»Donnerwetter!«

»Nun hör' an!«

»Warum denn mit einem Male?«

Schutt brüllte: »Die Katze spielt mit den Mäusen. Ich wandere doch aus. Die ganze sogenannte Heimat kann mir im Mondschein begegnen.«

»Wer hat es dir gesagt?«

»Maria Landt!«

»Ja, was hat die zu sagen?«

»Wollt ihr wetten, die hat für uns gebettelt!«

»Vielleicht ist sie mit Franz Strandiger einig geworden.«

Anna Witt zuckte auf: »Nein!« sagte sie.

»Aber ich sage, es ist zu spät.«

»Es wird doch nicht gehen mit Strandiger, dem harten Schuft.«

»Nein! Nein! Niemals! Er jagt uns der Reihe nach weg.«

»Wir sitzen hier auf der Wippe, so lange wir leben.«

Der junge Rohde beugte sich wieder zu seinem Vater: »Was meinst du, Vater?« »Das mußt du wissen. Kümmere dich nicht um uns! Wir wollen deinem Glück nicht im Wege stehen. Du weißt ja, wie kümmerlich es uns in all den Jahren gegangen ist.«

»Dann schreibe ich morgen nach Iowa, Vater.«

»Natürlich! Wir schreiben!« riefen einige. »Es ist ja nicht wegen der Kündigung, sondern wegen dieses Menschen. Der ist und bleibt ein Leuteschinder.«

»Wir schreiben. Natürlich, wir schreiben.«

Und sie gingen auseinander, um bei trübem Lampenschein, auf braungestrichenen Tischen die schwerfälligen Briefe zu schreiben. In diesen Briefen war das häufigste Wort: »Land!«

Der Pellwormer war kopfschüttelnd in seiner Stube zurückgeblieben und hatte die Thür zugemacht, das Gesangbuch aufgeschlagen und sang leise vor sich hin. Da er nicht gut sprechen konnte, sang er gern.

In der Stube der Thielsche war nur noch Anna zurückgeblieben. Sie saß der alten, dicken Frau gegenüber und sah sie an, als wenn sie bat: »Sag' mir die Wahrheit!« Die hatte die Brille wieder aufgesetzt und starrte ihr in das blasse Gesicht. »Du bist krank,« sagte sie.

»Nein!« sagte Anna und sah auf den Tisch.

»Du siehst gerade so aus wie Therese damals, als sie nach Amerika ging.«

Anna Witt kannte die Geschichte. Sie kannte seit einem Jahre alle diese Geschichten. »Ja!« sagte sie.

»Wann wollt ihr Hochzeit machen?«

Sie schüttelte sich und sah auf, und in ihrem Blick lag ihre ganze Not.

Da ging die Thür, und Hinnerk Elsen trat gebückt in die Stube: »Ich habe dich bei deinem Vater gesucht,« sagte er, »komm' mit, die Uhr ist gleich neun.« Er hatte die Uhr in der Hand.

»Ihr solltet bald Hochzeit machen!« sagte die Alte.

Hinnerk Elsen sah sie überlegen an. Er konnte die Thielsche nicht leiden; sie war ihm zu unordentlich mit dem Mundwerk. »Wir müssen erst sparen,« sagte er. »Unter zweitausend Mark mache ich keine Hochzeit. Anna ist auch noch zu jung.«

Die Alte lehnte sich in ihrem großen Stuhl zurück und sah ganz verblüfft zu ihm auf: »Was?« Sie hatte die Brille in der erhobenen Hand.

Aber die beiden standen schon auf der Schwelle.

»Wollt ihr auch nach Amerika?« rief sie.

»Nein!« sagte Hinnerk Elsen und steifte den Nacken: »Wer seinen Kram zusammenhält und mit dem Heiraten wartet, der kann hier auch was werden.«

Da schlug die Alte ganz verwirrt auf den Tisch: »Na, denn nicht!«


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