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Drittes Kapitel

Heim und Andrees waren Mitte September nach Haus gekommen. Das Abgangsexamen war bestanden.

Andrees hatte seine Primanermütze der Mutter gegeben, die ihn darum gebeten hatte. Man fand diese Mütze, um es gleich zu sagen, nach ihrem Tode, der achtzehn Jahre später eintrat, in der untersten Schieblade der Nußbaumkommode, die am Kopfende ihres Bettes stand. Da lag ihr Brautschleier, der an drei Seiten selbstgeklöppelte Spitzen hatte, und die ersten Schuhe ihres Andrees von schwarzem Ziegenleder und jene flache Tuchmütze ihres Mannes, welche am zweiten Tag von den Wellen ans Land gespült wurde. Da lag auch das neue Hemd aus feinem Bielefelder Leinen, die weißen Zwirnhandschuhe und die weiße Haube, welche sie im Tode tragen wollte. Denn sie trug im Alter gern weiße Morgenmützen, am liebsten den ganzen Tag. Alte saubere Frauen haben bei uns besondere Vorliebe für weiße Hauben.

Andrees hatte sich eine Art Jagdmütze gekauft, die ihm gut stand und ihm etwas Männliches gab. Er war sehr ruhig und benahm sich verständig und war in seinen Urteilen so gefestigt, daß er die mehr theoretischen Ausführungen von Pastor Frisius und die mehr praktischen Anschauungen, die Lehrer Haller entwickelte, bei allem guten Willen, den er als höflicher Mann hatte, nicht verwenden konnte. Seine Weltanschauung zeigte nicht die geringste Lücke mehr, und sein Herz würde, das wußte er, nie einen Weg gehn, den nicht Erfahrung und Nachdenken fest und sicher gepflastert hätten. Er war ein junger Mann, der mußte, was er wollte, der ein junges starkes Pferd gesattelt hat und nun von der Schulthür aus in die Welt reitet, einen bekannten schönen schattigen Weg, zur großen Stadt, in der alles ihm gewogen sein wird: Die Mädchen werden ihn lieben, die Jungen seine Erfahrung suchen, die Alten sein Nachdenken schätzen.

Er ging nach Berlin. Bei der Mutter von Franz Strandiger wollte er wohnen.

Heim Heiderieter trug noch die feuerrote Primanermütze, weil bis heute kein Geld flüssig gemacht war, einen Hut zu kaufen. Er dachte über das Geld, das nötig war, wenig nach. Mochte sein Vater in seine alten grauen Stiefel steigen und sehn, woher er es nahm. Er ging in seligen bunten Gedanken über die herbstliche dunkelfarbige Heide und träumte von alten Burgruinen im Mondschein, von gemütlichen Wirtschaften am Bergabhang und von stillen Waldwegen, in denen schöne Kinder lustwandelten und das Singen der Vögel aus dem Dickicht klang.

Er ging nach Tübingen.

Er sah neben Andrees auf der Sodenbank des Wodanshügels und starrte über die Heide, von welcher der Morgendunst aufstieg, gleich wie eine Decke von den Strahlen der Sonne wie von weichen, warmen Mutterhänden aufgehoben, und seine Traumgesichte füllten die weite, dunkle Fläche mit bunten Gestalten.

In diesen Tagen trug er sich mit dem Gedanken – er hat ihn nicht ausgeführt –, einen Sang oder eine Mär zu schreiben, wie damals Sitte war: Ein ritterlicher Sohn dieser Heide, kein Heiderieter, sondern ein Andrees Strandiger, sollte in jener bunten Zeit, da man zwei Beine, die zusammengehörten, das eine in blaues, das andere in rotes Tuch kleidete, von Tübingen zurück nach Holstein reiten und an einer Brücke des geschwollenen Neckar einem Mägdlein das Leben retten. Und in tollem Junkerübermut sollte er von dem überdankbaren, kindergesegneten, weintrunkenen Vater das Versprechen erlangen, daß selbiges Kind, Jungfrau geworden, ihm nach Holstein gebracht werden sollte in seine Burg am Strand der Nordsee. Und wie sie dann, nachdem drei Jahr ins Land gegangen, ankam, hoch und schlank, mit goldbraunem welligen Haar und dunklen Augen, von einer alten Dienerin geleitet, scheu fragend, bange, und wie das Heimweh sie packte, und sie trostlos übers Meer sah, und wie ihr Stolz sich aufbäumte, nicht ungleich dem dunkelbraunen Hengst, auf dem der Junker über die Düne ritt. Und wie er so kalt that und so gleichgültig und warten wollte, bis sie zu ihm kam, obwohl sein Herz vor Liebe brannte, wie die Morgensonne in den Bleifenstern der Kemenate, die nach dem Wald hinsahen. Und wie sie nebeneinander über die Heide ritten, und er von Pferd zu Pferd, in heißem Jagen, da ihr Haar gegen seine Wangen flog, doch ihr zuerst entgegenkam und um Liebe bat, wie die Frauen es so gern haben, stolz und doch demütig ... »Wird das nicht sein, Andrees?« Er war auf die Sodenbank gesprungen und zeigte über die Heide: »Da ... da reiten sie! Siehst du?«

»Das sind Träume!« sagte Andrees. »Du mußt in der Wirklichkeit leben.«

An einem andern Abend, als die Abreise schon nahe war, saßen die beiden Freunde im Garten unter der Ulme, die südlich vom Rasen steht. Dort hatte Heim Bank und Tisch gezimmert; Ingeborg hatte ihm geholfen.

Sie stritten sich über die beiden Mädchen. Heim behauptete, daß Maria zu gut für die Welt wäre. »Hast du je gesehn, daß sie zornig war? Sahst du sie je unruhig, launig oder heftig? Ist sie gegen jemand stolz? Wenn das Christentum, das Frisius predigt« – sie sagten jetzt immer Frisius, nicht Pastor Frisius – »in irgend einer Seele wirklich vorhanden ist, dann ist es in Maria Landts Seele!« Und er schlug mit der Hand auf den Rand des Tisches, den er gezimmert hatte.

Andrees lehnte sich zurück und sagte: »Wir stimmen ganz überein. Du sagst mit vielen Worten: ›sie ist eine Heilige.‹ So fahre ich fort: also ist sie im Leben nicht zu brauchen. Sie ist viel zu weich, zu vertrauensvoll, hat Nebel vor den Augen. Ihr einziger Umgang sind meine Mutter und etwa die Kinder vom Eschenwinkel. Diese weiche Natur, Heim! Und dieser weiche, kindliche, thränenreiche Umgang! Was soll daraus werden?«

»Deine Mutter ist fast ganz erblindet. Sie braucht Marias Hilfe.«

»Ingeborg dagegen geht oft zu Haller und Frisius.«

»Ingeborg!« sagte Heim mit Nachdruck. »Ingeborg ist das Gegenteil!«

»So? Maria eine Heilige, Ingeborg eine Hexe!«

»Na, das nicht! ... Aber eine Deutsche; eine stolze und starke!«

»Ich weiß nicht, wie du dich für ein Kind interessieren kannst.«

»Warte nur, wenn sie erst vier Jahre weiter ist! Sie ist eine von den alten germanischen Gestalten, die aus dieser Gegend nach England zogen! Stark, blondes Haar, das ein wenig rötlich ist, blitzende blaugraue Augen! Ihre Mutter war eine Verwandte deiner Mutter. Deine Mutter aber stammt aus dieser Gegend von dem alten Horstengeschlecht. Es ist aber geschichtlich erwiesen, daß Hengis und Horsa, die Häuptlinge der ausziehenden Sachsen, in dieser Landschaft auf Höfen gesessen haben.«

»Nun wirst du wild!«

»Ah ... du hast keine Phantasie, Andrees!«

»Die hast du! Aber du kannst nicht mit ihr fahren! Sie geht mit dir durch!«

»Du, Andrees, wie stehst du mit Maria?«

»Du hörst ja: sie ist eine Heilige! Was soll also die Frage? Und du mit Ingeborg?«

Heim fuhr mit der großen, magern Hand über den Mund und schwieg; dann sagte er plötzlich: »Wenn ich zu ihr sage: ›Liebe Ingeborg!‹ dann macht sie solche Augen und sagt: ›Heim ...??‹«

Sie saßen eine Weile mit nachdenklichen Gesichtern, bis die beiden Mädchen zwischen den Ulmen hervorkamen und durch den Garten gingen: Maria nun schon kein Kind mehr, aber noch sehr leicht aufgebaut, mit weichen, etwas langsamen Bewegungen und sanften Augen, Ingeborg noch ein Kind, aber größer als Maria, etwas eckig in Worten und Bewegungen: »der dürrste Rethalm im Wehl,« sagt Andrees; »ein fliegender Pfeil,« sagt Heim.

Die beiden Freunde standen höflich auf, und Heim sagte zu Ingeborg: »Unsere Freunde aus der Stadt haben uns geschrieben, daß sie morgen reisen wollen. Wir reisen mit ihnen.«

»Na ... denn man los!«

Maria sah Andrees an: »Morgen schon, Andrees?«

»Kinder!« sagte Ingeborg, »dann gehn wir nochmal über die Heide! Komm', Heim!«

Das war selbstverständlich, daß Ingeborg mit Heim ging und Maria mit Andrees.

Maria ging eilend den Wodanshügel hinauf und, wohl in ihrer Verlegenheit, weil Andrees heute so fremd und steif war, stellte sie sich auf die Sodenbank und legte die Hand gegen die Birke. Er war gleich bei ihr, und im Zorn, weil sie so gleichmütig blieb, und weil er nichts erreicht hatte, legte er den Arm mit rascher Bewegung fest um sie. Die Sonne lag als eine goldene Kugel auf silberner Platte auf dem Meer. Die Luft war klar und blank wie farbloses Glas, und es war ganz still in der Welt, und es war, als wenn die ganze Welt ohne Flecken und Leid wäre. Da legte sie zum erstenmal den Arm zutraulich um seine Schultern.

»Siehst du, Maria, dort ganz fern am Horizont die langen weißen Linien, sie kommen und gehn, sie wälzen sich wie lange glänzende Schlangen nach der Sonne zu: Das ist die kommende Flut.«

»Aber was ist dort rechts von der Sonne, Andrees? ... O, sieh doch: ein weißes Gebirge mitten im Meer!«

»Es wird eine Brandung sein ... wo denn?«

Sie hatte ihren Kopf leicht an den seinen gelegt. Ihr Haar und ihr zeigender Arm hinderte die Aussicht.

Da nahm er ihren Arm gefangen, und nun sah er es deutlich im Meer liegen, weit weg: »O!« sagte er... »Das ist ein seltener Anblick. Das ist Flackelholm!«

Sie atmete hoch auf: »Das ist Flackelholm?! Schon und still liegt es da. So rein und weiß.«

Er lachte kurz auf: »Entsetzlich öde und langweilig muß es da sein. Aber es thut mir doch leid, daß ich auch diesmal nicht dazu gekommen bin, es zu besuchen. Ich bin noch nie dagewesen; Mutter will es nicht.«

»Deine arme Mutter!«

Sie schwiegen beide.

»Vater hat dort über zehntausend Mark in Gräben und Buhnen angelegt; noch stehn da die beiden Hütten, in denen die Arbeiter gewohnt haben. Nach Vaters Tod ist nichts mehr geschehn. Man mochte von Flackelholm nichts mehr hören.«

»Wie es so still und weiß daliegt! Es ist, als wenn die Sonne es lieb hätte. Sie hat sich dicht daneben gelegt.«

»Wenige Menschen wissen den Weg dahin. Die Störfischer aus der Elbe liegen zuweilen in der Nähe; es ist schwer, da zu landen und nichts zu finden, höchstens Möveneier, oder einmal ein Wrackstück, oder ein toter Seehund.«

»Oder ein ... toter Mensch.«

»Man kann auch zur Ebbzeit zu Fuß hinkommen. Es ist ein gefährlicher, stundenweiter Weg. Mein Vater kam dabei um.«

»Ist es nur unfruchtbare Düne?«

»Nein! Im Schutz der Düne liegt flaches, niedriges Vorland, viele Hektare, sagt man, und der Schlick soll wachsen, immerfort. Wenn ich wiederkomme, will ich doch dahin gehen und nachsehn. Man sagt freilich, was da wächst, ist salzig und sumpfig, kein Tier frißt es, und die ganze Insel ist ohne Wert. Und langweilig ist es da über die Maßen.«

»Aber wenn einer krank wäre, Andrees, ich meine, so am Herzen, traurig oder verbittert oder unglücklich; wenn die Menschen ihm Unrecht gethan hätten, oder er hätte selbst ein Unrecht auf sich geladen: dann müßte er dahin gehn.«

Er zuckte die Achseln und ließ ihren Arm fahren: »Ich kann mir so was nicht denken!« sagte er.

»O,« sagte sie, »es giebt doch so viel Elend und Unglück in der Welt! Im Eschenwinkel ist beinahe immer Krankheit. Der kleine Schütt hat starkes Fieber, und die Stube ist so niedrig und dumpfig. Die Frau von Reimer Witt ist auch wieder krank. Sechs Kinder sind da.«

Er löste den Arm von ihrer Schulter. Ein unwilliger Zug war in sein Gesicht getreten.

Da merkte sie, daß sie ihn verletzt hatte und wollte ihn wieder gut machen: »Wer weiß den Weg nach Flackelholm?«

Er lachte kurz auf: »Deine Freundin, Antje Witt, und Reimer, ihr Bruder! Weißt du das nicht? Die kennen ihn. Man sagt, wenn die Ebbe eintritt, geht Antje Witt fort und wandert stundenlang durchs Watt, in weitem Bogen den Prielen ausweichend, und kommt so nach Flackelholm. Es ist jedenfalls Thatsache, daß sie zuweilen mit dem Wasser fortging und nicht mit dem Wasser wiederkam. Wo kann sie sonst geblieben sein? Sie muß doch irgendwo Land finden? Es ist aber ein furchtbares Wagnis. Ich habe es auf der Landkarte gemessen, es ist der vierte Teil des Weges nach Helgoland.«

»Es ist wunderbar: Ein ganzes Land, das man nicht kennt?«

»Komm!« sagte er. »Wir wollen von etwas anderm sprechen! Was geht mich die öde Insel an? Hier ist es schön, und vor mir liegt die ganze Welt.« Und als wollte er noch einmal das Bild der Heimat umfassen, sah er über die Heide und sagte wieder: »Morgen geh' ich in die Welt!«

Er sah nicht auf sie und achtete nicht auf sie. Es war, als hätte er sie vergessen.

Da dachte sie: Er freut sich, daß er fortgeht. Und sie grübelte darüber nach, was doch das wäre, das verschieden in ihnen war und sie trennte. Und sie konnte es nicht finden.

Es ging eine Wagenspur quer über die Heide, die nach dem Strandigerhof führte. Diese verfolgten sie. Jeder ging in einer der Spuren; zwischen ihnen lief der niedrige Erdwall, mit hoher Heide bewachsen. So gingen ihre Gedanken auch nebeneinander her, wie die Wagenspuren, die nie zu einander kamen. –

Die Sonne wollte ins Meer steigen; das Abendrot begann hinter verstreuten Wolken seine Feuerlein anzuzünden; da kam Heim Heiderieter von Norden her durch die Heide. Ingeborg ging neben ihm, den braunen Strohhut in der Hand schwenkend und mit den Fußspitzen lässig gegen die Heide stoßend. So schlenderte sie gemütlich, träge dahin. Kümmerte sich Ingeborg Landt in jenen Jahren überhaupt um irgend etwas? Lebte sie nicht ohne Sorgen und Gedanken? Wie eine Schwalbe, wie eine Möve? War sie nicht damals eine sehr schöne, sehr stattliche, sehr langhalsige Distel? War sie damals eine wilde Hummel in der Heide? Heim weiß es! Ja, so war sie.

Wenn Maria über die Heide ging, blieb sie zuweilen erschreckt stehen und fürchtete, eine Schlange zu sehen, die durchs Kraut schlich, und ging nur zagend weiter. Ingeborg aber stieß gegen das Heidekraut und sagte: »Macht Platz oder bückt euch!« und kümmerte sich nicht um Schlangen. Als eine junge Königin ging sie durch ihr Reich. Die Augen waren voll klarem, blankem Feuer, das hellblaue Kleid mit kleinen weißen Tupfen legte sich bescheiden und demütig schmeichelnd an und machte weiter keinen Anspruch, als Heims Augen abzuhalten, die zuweilen thöricht waren.

Sie ging ein wenig vorauf in Gedanken; nun kehrte sie sich um und sah auf Heim.

Still und feierlich, wie auf Besuch wartend, stand der Wald vor ihnen; hier und da waren Weißbirken zum Empfang vor die Thür getreten.

Ein buntes, sein gewirktes Kleid trägt der Wald, sittsam, hochgeschlossen. Nur dort in der Tiefe, wo der Bach mit seinen blanken Augen zwischen Blättern lugt, ist das Kleid ein wenig gehoben, ist der Fuß ein wenig frei. Denn der Wald geht langsam gen Westen über die Heide.

Vornan ein wirres Dickicht von niedrigem Eichengestrüpp, Farn und Heidekraut, wie liegende Kinder vor feinen Füßen; dann die ersten Buchen, die mit tief herabgelassenen grünen Schleiern des Waldes Geheimnisse decken. Vor dem allem stehen hier und da, mitten in der Heide, Weißbirken, schlanke Gesellen. Der Westwind hat sie immer wieder fest angefaßt, und sie haben sich zurückgelehnt, aber sie halten ihre Schlapphüte fest und halten Wache vor dem Wald, einzeln, zu zweien und dreien.

Da ist der Wodanshügel. Er wächst vor dem Wald auf, nicht hoch, zwanzig Fuß, und kreisrund. Die kleinen, kurzbeinigen Geister des Waldes haben ihn aufgebaut, von der Höhe Umschau zu halten über die Heide, und weiter übers Meer und weiter, so weit ein Waldgeist sehen kann. Sie haben auch die Birken darauf gepflanzt, klettern hinauf, sitzen und lugen, ob Wolken überm Meer aufsteigen und hartes Wetter anzeigen. Dann laufen sie weinend und stöhnend den Wald entlang, die lange Linie, und melden, was kommt: »Fest die Wurzel! Biegsam den Stamm! Stolz die Krone!« Brausend, heulend kommt der erste Stoß; unter die knorrige Wurzel fliegt jammernd der Waldgeist.

Wenn aber die Sonne scheint wie heute, und ein weicher Wind weht, dann sitzen sie acht und neun nebeneinander – denn es sind kleine Wichte – auf der Bank, die sie sich aus Soden gemacht haben, und erzählen von alten Zeiten und von dem Liebespaar, das am letzten Sonntag durch den Wald schlich, und von Heim Heiderieters beiden goldenen Reifen, die noch immer unter der Sodenbank liegen ... »Husch! weg! Da kommt Heim Heiderieter, der Störenfried, und Ingeborg, die Schöne.«

»Sprich nicht so laut, Ingeborg! Die Luft ist so klar und still. Es klingt weiter, als du denkst. Schlag' nicht mit der Hand durch die Luft; es wird klingen, als wenn du auf Glas schlägst. Wenn du singen willst, mußt du Ernstes und Feines singen; denn es klingt bis an die Pforte, wo die Engel stehen.«

Ingeborg kehrte sich um und sah ihn bedenklich an: »Na ... nun bist du wieder im Zug! Nun kann man wieder kein vernünftig Wort mit dir reden.«

Sie gingen nebeneinander den Hügel hinauf. Er sah, wie ihre Kniee gegen das Kleid stießen.

»Hier liegt ein König begraben!«

»Weißt du's gewiß?«

Er legte sich ins Gras und sah zu ihr auf: »Natürlich weiß ich's; ich bin ja ein Sonntagskind.«

»Hast du in diesen Tagen was fertig gebracht? Du prahltest!«

»Vielleicht! Wenn du freundlich bist!«

»Ist es auch vernünftig?«

»Ich weiß nicht. Es hat noch niemand gehört.«

»Das ist nicht mehr als recht! Sag' her!«

Am Wodanshügel

Es war ein Fürst am Nordseestrand,
Der hatt' ein Schloß am Heiderand,
Der sprach: Wir wollen jagen
Heiho – in Herbstestagen.

Sie jagten da drei Tage lang
Und hatten manchen guten Fang;
Dann zogen sie zum Schlosse,
Heiho – in lautem Trosse.

Der Fürst am Wald zurücke blieb;
Wodan das rechte Wild mir gieb!
Ich muß am Walde säumen,
Ich muß im Leide träumen.

Er träumte, bis er fest einschlief,
Bis in dem Wald die Unke rief,
Bis Nebelfrauen kamen
Und ihm das Herze nahmen.

Auf seinem Grab am Waldesrand
Ich nimmer meine Ruhe fand,
Ich such' nach einem Wilde,
Ich träum' von einem Bilde.

»Das ist mir nun wieder zu hoch,« sagte sie. Aber er merkte wohl, daß sie ein wenig davon begriffen hatte, so viel als man von einer Wolke begreift, die fern heraufzieht. Sie hatte den Mund ein wenig geöffnet, und ihre Brust bewegte sich langsam und stark. Wenn man nur wüßte, was sie jetzt denkt! Aber sie ist immer wie ein Vogel: man meint, er ist im Garn, da singt er auf dem nächsten Baum, als gäb' es weder Fuchs noch Vogelsteller.

»Was siehst du da, Ingeborg?«

»Kannst du nicht sehen? Hast du keine Augen? Andrees und Maria gehen da. Er hat mich noch nicht ein einzig Mal aufgefordert, mit ihm zu gehen. Na, es ist mir auch sehr gleichgültig.«

Waren das ihre Gedanken?

»Andrees hat Maria lieb; darum geht er mit ihr. Ich habe dich lieb, also!«

»Ach was ... lieb? lieb? Was ist das?«

»Es ist wirklich so, Ingeborg! Und du könntest gern ...?«

»Könntest? Kannst? ... Ich will aber nicht! Es ist dummes Zeug!«

»Ich wollt' aber gern,« sagte Heim, und seine Augen waren sehr zornig, »daß du endlich einmal freundlich mit mir wärst. Nun gar am letzten Tag!«

»Und ich ... ich wollte, daß du das Betteln ließest. Andrees würde es nie einfallen, zu betteln und hinter einem Mädchen herzulaufen... aber du bist lappig!« Sie sprang auf und ging mit steifer Kopfhaltung und den Hut hin und her schlagend, den Hügel hinunter nach dem Strandigerhof zu.

Heim stand und sah ihr nach.

Ingeborg ging über die Heide und dachte an Andrees. Denn Andrees war das Stolzeste und Herrlichste, was es auf der Erde gab. Er war so herrlich, wie alle die Leute, von denen sie in diesen Wochen im Unterricht bei Frisius gehört hatte, wie Theodor Kürner, Friedrich Friesen und die andern jungen Helden des Freiheitskrieges. So schön war er, so sicher, und so stolze Augen hatte er! Und es war ein Jammer, daß er nicht nach Ingeborg Landt fragte! Heim aber? Nein, Heim war zu weich, zu unruhig, zu freundlich. Heim ist kein Held!

Heim stand noch eine Weile und sah ihr nach. Dann steckte er die Hände in die Tasche und sah ins Abendrot, das wunderbar leuchtend am Himmel stand. Das nahm ihn gefangen. Sein Gesicht verlor die ärgerliche Spannung, und seine Augen fingen Feuer. Er vergaß die Ingeborg, die da seitwärts auf der Heide ging, und er fing an, mit der andern zu reden, die in seiner Phantasie lebte, die mit ihm über die Heide ritt, die seine Liebste war. Er ging rascher vorwärts, und wie er so weiterging, die Augen nach dem Abendrot gerichtet, hob er die Hand, und alles andere in der Welt versank: »Die ganze Burg steht in Flammen, Ingeborg! Galopp! Und fürcht' dich nicht! Siehst du, wie stark und stolz die wolkengrauen Mauern stehen? Die fallen nimmer um. Aber inwendig sind lauter Flammen. Sie schaun mit ihren wahnsinnigen roten Augen aus allen Fenstern, sie laufen die Gänge entlang, treten auf den Söller und klettern den Turm hinauf. Siehst du? Nun fliegt der rote Hahn über den First! Acht auf den Weg, Ingeborg, und halt die Zügel fest. Siehst du die Lohe in der schönen Halle? Über Tisch und Bett springen und sprühen die roten Feuergeister... Wein' nicht, Ingeborg. Wir bauen ein neues Haus, viel schöner noch, mit einem Altan nach dem Wald zu sehen und mit hohen Fenstern nach dem Meer ... Nun sinkt die Glut... die Feuer gehen aus... hohle Augen sehen mich an... ach... nun ist es eine Ruine!«

Er ließ beide Arme sinken und stand still, weltverloren. Unweit lag der Heidehof, und hinterm Wall lag Ingeborg, so lang sie war, und lachte.

Da wurde er sehr verlegen und wollte sich zornig abwenden. Aber wie sie da lag und ihn so übermütig anlachte und ihr helles Haar sich mit dunklem Heidekraut mischte, konnte er sich nicht von ihr reißen. Er stand vor ihr und dachte: Wenn sie dich doch lieb hätte! Und sie ließ sich gern betrachten, weil er sie mit seinen Worten in Ruhe ließ, und dehnte und streckte sich wie ein Kätzchen, das spielen will.

Da wandte er sich still ab, fast ein wenig blaß geworden, und sie stand gleich auf und ging mit ihm den Abhang hinunter, über Marsch und Meer lag schon Abenddunkel.

»Ich mag dich doch leiden!« sagte sie plötzlich. »Sonst ginge ich wohl nicht immer mit dir über die Heide.«

»Aber dann bist du mit einem Male unfreundlich und fängst Streit an.«

»Hab' ich nicht am Wall auf dich gewartet?«

»Ja, das hast du, und darum... und weil«... und er griff in die Tasche und suchte und sah sie an... aber da hatte sie schon wieder die großen, verwunderten Augen; als sähe sie plötzlich »einen Elefanten vor sich«, solche Augen!

Da ließ er es.

Als er allein auf dem Rückweg am Wehl vorüber kam, nahm er den Armreifen aus der Tasche, und mit plötzlicher zorniger Bewegung warf er ihn ins Wasser. Silbernes Licht erschien, und die Hände der Wasserfrauen griffen gierig aus dem Wasser heraus nach dem Kleinod. Die Unvorsichtigen!

»Es wird doch nie was!« sagte Heim. »Sie ist zu eigensinnig. Sie ist anders als ich!«


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