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Abermahl war es Sommer geworden auf Island, und abermahl hatten sich viele Isländer an der Dingstätte, Wahlfeld geheissen, versammelt, wo sie gemeinschaftlich über große allgemeine Angelegenheiten und auch über besondere Streitsachen, Wünsche oder Hoffnungen der Einzelnen zu verhandeln pflegten.
Eines schönen Morgens in diesen Tagen trat Rafn zu seines Vetters, des Rechtsgelahrten Skapti, Gemach, klopfte stark an, und als derselbe öffnete, sahe der Skalde ihn mit blitzenden Augen an, daß beynahe Skapti zu Anfang gedacht hätte, die junge blitzende Morgensonne selbst habe ihn so wunderlich ungestüm aus seinen Träumen erweckt; feuerroth, wie sie es an der Art hat, wenn sie aufsteigende Stürme vorbedeuten will.
52 Doch bald sich vollständig versinnend, sagte Skapti:
»Wohl sehe ich Dir an, daß Du sehr Ernstes und Strenges im Sinne trägst, o mein Vetter, Du wunderlicher Skalde. Muß es denn aber nun wirklich also gethan seyn, und ohne alle mildernde Bedingung? Siehe, da flammt mir Dein glühendes Antlitz ein furchtbarliches Ja in die Seele! Und meine Seele erschrickt davor, und entsetzliche Gestalten steigen ihr auf, den Bildern vergleichbar, die der kalte Vollmond erweckt, wann er in die strahlend ausbrechende Hekla'sflamme scheint.«
»Das gibt dann gräßliche Gespenster!« entgegnete Rafn. »Und zwar solche, die bey hellem, lichtem Tage umgehen. Du siehest ja, auch ich gehe wirklich um als ein solches gräuliches Ding.«
»Wie kannst Du mir nur mit so schauervollen Gleichnissen kommen!« sagte Skapti, scheu auf die Seite tretend. »Und zudem, es geschieht nur höchst selten, daß grade der Vollmond in die ausbrechende Hekla'sflamme scheint.«
Rafn entgegnete gelassen:
»Es geschieht auch nur höchst selten, daß ein Mensch in so ganz verzweifelte Stimmung kommt, den Andern zu einem Gang aufzurufen, wie 53 jetzt eben ich zu Dir gekommen bin. Erwiedre mir nichts, gelahrter Skapti. Es muß nun durchaus so ergehn. Wirb Du jetzt für mich bey Thorstein um Schön-Helga, denn Gunlaugurs Zeit ist abgelaufen, binnen deren er heimkehren sollte, sein wunderherrliches Lieb als Eheweib in sein väterliches Erb zu führen. Bringe mir nichts in Erinnerung von zarter Billigkeit, oder von ehemahliger holder Freundschaft zwischen Gunlaugur und mir. Von alledem will ich nichts mehr wissen. Ich stemme mich ausdrücklich und allein auf das strenge Islandsrecht, wie es in Euern Büchern und Tafeln aufgeschrieben steht.«
»Das strenge Recht?« sagte Skapti mit begütigendem Kopfschütteln. »Ey Freund, wenn das die einzige Gesetzauslegerinn wäre, wer dürfte wohl dann noch irgend hoffen, mit Ehren und Frieden in der Welt zu bestehen.«
»Niemand!« entgegnete der Sänger kalt. »Aber warum habt Ihr so vieles verpönt oder doch mit Weitläuftigkeiten umdornt, Ihr Weisen, wodurch sonst Euer mangelhaftes Ordnen und Wissen sich in rascher That hätte ausgleichen lassen unter göttlicher Leitung und Geduld. O, wahrhaftig, Ihr kommt und kamet Euch so ausnehmend witzig vor, daß Ihr uns Andern, die 54 doch im Grunde auch Euresgleichen sind, einreden wolltet, eine Schlinge um unseren Nacken seye eben nur ein artiges Halsband, und dagegen seye das edelblitzende Schwert in unserer rechten Hand ein Mord- und Jammerwerkzeug! Habt es denn, wie Ihr es haben wollt. Und Skapti, Du Rechtsgelahrter, ich mahne Dich nach der hergebrachten Sitte, gehe Du mit mir zu der Wohnung, welche der Thorstein auf dieser Dingstätte inne hat, und wirb bey ihm um seine Tochter, Schön-Helga, für mich.«
»Das ist ein bewältigender Bannspruch!« erwiederte Skapti achselzuckend. Er beschied darauf alsbald die gesetzmäßige Zahl freyer Männer für eine solche Werbung, und machte sich in dieser Begleitung sammt seinem Vetter auf den Weg nach Wahlfeld.
Sie fanden den Thorstein vor der Thür seiner Dingwohnung stehen; vor demselben Hause, welches er einst in seines längst verschollnen Gastes Bardur Gesellschaft vor manchen Jahren besucht und auf dessen Schwelle wunderliche Träume gehabt hatte.
Auch in der vergangenen Nacht mochte Thorstein bedeutsammliches geträumt haben, wie das den Isländern wohl öfters begegnet. Denn er 55 sahe die zwey Heranschreitenden mit einem wunderlichen Blick an, und sagte:
»Einen guten Morgen bescheer' uns allesammt der ewige Tag! Was Ihr mir bringt, das ahn' ich wohl. Daß es uns Allen fromme, darüber walte Gott!«
»Darüber walte Gott!« wiederhohlte Skapti, und ein ahnungsvoller Schauer rieselte durch der drey Männer Herzen und Gebeine. Und auch den anwesenden Zeugen ward auf ähnliche Weise zu Sinn.
Der Rechtsgelahrte blickte seinen Vetter an, wie fragend: »Bleibt es denn wirklich dabey, daß ich Deinen wunderlichen Auftrag in's Werk richten soll?«
Rafn's kühnloderndes Auge flammte: »Ja!«
Da begann Skapti seinen Spruch, und somit erging folgende Rede zwischen ihm und Thorstein, dem Myramannen:
»Rafn hier, mein Vetter, will um Schön-Helga, Deine Tochter, werben. Dir ist sein Geschlecht kund, sein reiches Vermögen, seine eigne Trefflichkeit und wie viel der Anverwandten und edlen Freunde ihm bereit stehen zu Schutz und Trutz.«
Thorstein entgegnete:
56 »Sie ist vorlängst dem Gunlaugur verheissen, und dem will ich mein Wort halten, wie das einem Ehrenmann eignet und gebührt.«
Da sagte Skapti:
»Sind denn nicht schon die drey Winter vergangen, die Ihr unter Euch zum Ziel der Verpflichtung aufgestellt hattet?«
»Ja!« sagte Thorstein. »Aber der Sommer ist nicht vorüber, und im Laufe dieses Sommers kann Gunlaugur noch immer kommen.«
Skapti sprach:
»Kommt der nun aber auch in diesem Sommer nicht wieder, welch eine Hoffnung gebt Ihr alsdann unserem Spruch?«
Thorstein erwiederte:
»Dann muß erst noch ein anderer Sommer aufgehen. Denn nicht ist es Nordlandssitte, einen Vertrag zu brechen, weil etwa der Bundesfreund gehemmt ward, sich sogleich auf Stunde, Tag oder Monath einzustellen. Und fürwahr, das soll auch nun und nimmer Nordlandssitte werden, so lange es Männer meinesgleichen auf Island gibt, und Island der edle Brunnquell bleibt, von wo alle schönen Rechte und Sitten der Väter sich rein ergießen durch das gesammte Norderland. Überhaupt jedoch, was geschehen 57 könne und nicht geschehe, falls ein Ehrenmann sein Wort hielte oder nicht, das ist ein unersprießliches und obenein oft sehr gefährliches Geschwätz. Hiermit habt, Ihr edlen Werber und Zeugen, für dießmahl Dank, aber keinen Bescheid. Oder gefällt es Euch, einen Becher mit mir zu leeren?«
Dazu empfanden sie indessen für dießmahl keine Lust, sondern gingen verdrießlich von hinnen.
Als sie aber nachher von der Dingstätte wieder nach Hause ritten, sagte Rafn trotzig zu seinem Vetter Skapti:
»Und Schön-Helga wird dennoch dereinst mein Eheweib!« 58