Friedrich de la Motte Fouqué
Die Saga von dem Gunlaugur genannt Drachenzunge und Rafn dem Skalden
Friedrich de la Motte Fouqué

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Neuntes Kapitel.

Auf diese Weise waren nach und nach sechs Jahre hingegangen. –

Sechs Jahre sind freylich eine lange Zeit! Vorzüglich für schwer in der Seele verwundete Menschen. –

Aber man braucht nicht eben zu denken, es habe dabey immerfort Jammer und Weh oder Trübsal in Thorsteins schönem Gehöfte vorgeherrscht.

Fremde wurden heiter empfangen, nach, wie vor. Nach, wie vor, spielten fröhlich die Kindlein auf dem Hausflur und vor der Thüre. Nach, wie vor, betrieb Thorstein als wackerer Hauswirth seine Geschäfte auf Acker und Wiese, im Forst und am Strande, auf der Dingstätte, und – wo es zu kämpfen galt – auch auf blutigem Felde. Das Alles führte er ganz ehrbar und stark und rühmlich hinaus.

65 Überhaupt gibt es kein unsterbliches Weh im irdischen Menschenleben; eben so wenig, als unsterbliche Lust. Nach einigen Jahren erinnert man sich wohl noch immer voll großer Bewegung an Schmerz oder Wonne. Aber die Gegenwart reißt uns auf's neue mit sich fort: in Leid und Freude; mehrentheils in beydes zugleich.

Diese Betrachtung thut weh. Denn sie ist von demüthigender Art. Thorstein konnte ein Lied darüber nicht los werden, welches einstmahl an seinem Herde ein gastlich aufgenommener Skalde in das Geschwirr seiner trauernden Saiten gesungen hatte:

»Und ständ' auch noch so fest Dein Haus,
    Der Grundstein ruht in Nacht und Graus.
Und säh' Dein Haus auch wolkenein,
    Aus dem Abgrund hob man den Gipfelstein.
Und wär' Dein Haus auch ein starker Thurm,
    'S ist rings umdrängt von Regen und Sturm.
Und hätte Dein Haus ein Zauberdach,
    In den Wolken ist stärkerer Zauber wach!
Ist wach in den Grüften! Klüften! auf Höh'n! –
    Versteh'st Du des Abgrunds Jammergestöhn? –
Ach, Mensch! Du bauest wohl hoch und weit –
    Du weißt nicht: bauest Du Lust oder Leid! –
Ach armer Mensch, ob Du klagest, ob lachst –
    Du weißt nicht, ob du träum'st oder wach'st. 66
Träum' weiter, weiter Du Menschenkind!
    Dein Lachen verhallt! Deine Thräne verrinnt!«–

Es war damahls, als hätte der Skalde noch weiter singen wollen, aber als hätte er seine Lippen wie versiegelt gefühlt für diesen Augenblick. Und bald nachher soll er gestorben seyn.

Das Beste, was der Mensch eigentlich am dießseitigen Ufer zu sagen hätte, pflegt ihm ja ohnehin oft unausgesprochen in der Seele zu bleiben. 67

 


 


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