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Seit dieser Stunde fühlte Schön-Helga sich allerwärts auf eine recht wundersame Art von Liedesweisen und Saitenklängen umtönt, und Worte hallten darein von seltsam lockendem und ihr doch sehr schauerlichem Inhalt.
So, wenn sie Frühmorgens auf den Klippen des Meeresstrandes wandelte, spähend, ob des heimkehrenden Gunlaugurs Segel sich noch immer nicht aus der Fluth emporheben wollten – und seit jenem wunderlichen Besuche Skapti's, that sie das wohl noch emsiger und sorglicher, als sonst – hörte sie oftmahlen aus den Uferhöhlungen folgendes Lied erklingen:
»Frage nicht die Wogen
Nach dem wilden Ritter!
Der ist fortgezogen,
Weiter stets hinaus, 48
Der sprengt Schlossesgitter,
Ringt nach andern Frauen
Frech im Kampfgewitter
Und im Sturmgebraus.
Allen weckt er Grauen
Doch die sanfte Zither
Tönt ob Meer und Auen
Treu landein, landaus.«
Und wenn sie dann vor dem Klange floh, der ihren Verlobten schelten wollte, und etwa Mittags im kühlen Thal am Brunnen saß und spann, erhub sich ein Gesang in dieser Weise aus dem nahen Gebüsch:
»O spinne nicht die goldnen Flocken
Zum Brautgeweb dem wilden Mann!
O nimm du nicht auf goldne Locken
Von roher Hand den Brautkranz an.
Es gibt wohl Wen! Nach süßern Rechten
Und in des heil'gen Liedes Glanz,
Weiß der in dein Gelock zu flechten
Den sel'gen, frommen Liebeskranz.
Er weiß so gut das Schwert zu führen,
Als Jener, der im Zorne ficht.
Doch zarten Sinns die Saiten rühren
Kann dieser nur, und Jener nicht.«
49 Ja selbst in Schön-Helga's Träume säuselten bisweilen von einem nahegelegnen Hügel, welchen man auch wohl den Elfenhügel benannte, Lieder, wie dieses:
»Träume! Doch träume du hold!
Träume du nicht von Meeresschäumen!
Träume von heimisch traulichen Bäumen,
Träume von Klängen,
Von Harfengesängen
Rein und edel wie lautres Gold!
Träume! Doch träume du lind!
Träume du nicht von blutigem Streiten!
Träume von Liedern, die lieblich gleiten,
Bis friedliche Räume
Goldlicht umsäume,
Das nimmer im Strom der Zeiten verrinnt.
Träume! Doch träume du hoch!
Träume du nicht von Zank und Sorgen!
Träume, wie jeglicher neue Morgen
Dich preise, du Schöne,
Im Garten der Töne,
Wie sie für dich dein Sänger erzog!«
Schön-Helga's Herz schlug bisweilen höher vor diesen wunderlich sie umschwebenden Klängen, 50 und es ward ihr dann in schauerlich süßer Verwirrung, als sinke das Bild Gunlaugurs unter, und aus dem Tönemeer tauche eine neue Gestaltung auf, deren Nahmen sie vor sich selbst nie auszusprechen wagte.
Sie schalt sich sehr über solche Gedanken, ohne doch ihrer ledig werden zu können. Aber da kam ihr endlich wie ein Gegengift – sie wußte selbst nicht woher – ein Reim in den Sinn, den sie laut auszusprechen pflegte, wenn die Klänge ihr wieder naheten, und davor wurden diese fast jedesmahl, wie in scheuer Beschämung, still. Der Reim hieß folgendergestalt:
»Der du von Gottes Gnaden
Viel Lieder weißt zu singen,
Laß Andern nie zum Schaden
Gesang und Wort erklingen.
Du bist ja keine Schlange,
Die gift'ge Weisen zischt.
Thust du's, da währt's nicht lange!
Aus geht's mit dem Gesange,
Und Kraft und Lust verlischt.«
Sie hätte mit diesen Worten vielleicht den unsichtbaren Sänger auf immer von sich bannen können, aber sie hatte zu deren Aussprechen leider nicht immer die rechte Kraft und Lust. 51