Friedrich de la Motte Fouqué
Die Saga von dem Gunlaugur genannt Drachenzunge und Rafn dem Skalden
Friedrich de la Motte Fouqué

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel.

Um diese selbe Stunde hatte Rafn der Skalde sich an das Lager gestellt, auf welchem sein Vetter, der berühmte Rechtsgelahrte Skapti, als Gast in seines Vaters Oenundur Hallen schlief.

»Es ist unrecht,« dachte Rafn in sich selber, »den süßen Schlummer eines Gastes zu verstören. Und dennoch muß ich diesen weisen Skapti durchaus sprechen, bevor ich einen recht freyen Athemzug in meiner väterlichen Heimath zu thun vermag, und einen recht entschlossenen Schritt auf meine wunderliche, vielleicht sehr furchtbar endende Bahn hinaus. Aber je furchtbarlicher die sich gestalten kann, je unrechtmässiger ist es, den Gast allzufrühe dafür zu erwecken.«

Er wandte sich auch ab, als wolle er von hinnen gehen. Doch zugleich ließ er seine vielen 16 schönen Waffen dergestalt mächtig aneinander klirren, daß der im Schlummer gestörte Skapti sich unwillig zu regen begann.

»So ein Allzugelahrter,« sagte Rafn, sich lachend nach ihm zurückwendend, »hat doch auch einen Schlaf, wie eine Eidechse. Kaum darf man zwanzig Schritte neben ihr durch das Gras hinschreiten, und thät' es der leiseste Mädchenfuß, so fährt sie auf und raschelt von dannen.«

Skapti aber fuhr nicht auf. Noch weniger eilte er von dannen. Vielmehr legte er sich, ohne die Augen zu öffnen, wieder zu einer bequemeren Stellung in den Schlaf zurück.

Rafn stand, und kam nach einigem Besinnen wieder näher. »Nein,« sprach er, mühsam seine Stimme zügelnd, »nein! nicht wie eine Eidechse, schläft der hochgelahrte Mann, sondern wie ein Eisbär im Winter. O du überkluger Vetter, wenn du wüßtest, wie in meiner sturmbewegten Brust –!«

Und da er fühlte, seine Stimme nicht länger zügeln zu können, drängte er sie lieber ganz und gar zurück, und ließ kaum nur einen Athemzug aus seiner glühenden Brust hervor.

Aber seine funkelnden Augensterne ließ er fest und scharf auf seines schlafenden Gastes geschlossene 17 Augenlieder blitzen, und dieser fuhr endlich mit dem Schreckensruf empor:

»O mir, was gibt es! O, wer schüttelt mich so gräßlich aus dem süßesten Schlummer!«

»Wer Euch schüttelt?« sagte lächelnd Rafn. »Ein Fiebertraum auf's allerhöchste. Ich wenigstens – das könnt Ihr ja merken – ich stand ganz regungslos, und sonder Athem fast, an Euerm Bett.«

»Hüthet Euch,« entgegnete Skapti, wild emporfahrend, »daß nicht einst auf ähnliche Weise der Tod an Euerm Lager stehe, still und starr und athemlos, aber Euch die gesenkten Augenlieder durchbohrend mit den glühenden Flammenpfeilen seiner Blicke.«

»Fluche nicht!« sagte Rafn, und trat erbleichend zurück. »Fluche nicht, Skapti. Ich komme ja in guten Frieden.«

Da versann sich erst der aus dem Schlummer geschreckte Rechtsgelahrte vollends, und sprach:

»Frieden und Freundschaft, mein edler, vielgereiseter Vetter! Und halte mir Du doch ja mein wunderliches Benehmen zu Gut. Hab' ich mich doch so von Herzen über Deine Heimkehr gefreut, daß ich noch gestern Abends durch einige Gehöfte herumsprengte, den Landsleuten die 18 Freude mitzutheilen. Und daher lag ich heute noch in so tiefem wunderlichen Morgenschlaf, und kann mich noch kaum recht besinnen. Zuletzt – ja zuletzt, da war ich – da war ich auf Thorstein's Gehöft zu Borgarfiörde. Und da kam mich ein so wunderliches Elfengrausen an, daß ich kaum weiß, wie ich wieder hierher gekommen bin.«

»Ein Elfengrausen!« wiederhohlte Rafn im tiefen Sinnen. »Ey, Freund und Vetter, die Elfen pflegen doch sonst, wie ich aus alten Sagen weiß, eben auf Borgarfiörde ihre Ringe nicht zu ziehen. Sie müssen etwas Absonderliches in ihren krausen Sinnen gewittert haben, wenn sie Dir eben dort in Deinen Sinn gedrungen sind, mit ihren listigen Schrecken und grauenvollen Warnungen und neckendem Gewimmer!«

»O still!« sagte Skapti. »Deine Worte tönen schon selbst wie Elfentanz.«

»Es geht allemahl so, wenn man von ihnen spricht und Ahnungssinn in der Brust hegt!« entgegnete Rafn. »Dießmahl aber kann ich es ihnen am wenigsten verdenken, wenn sie sich mit Dir auf Borgarfiörde zu thun machten, o rechtskundiger Skapti, und zwar absonderlich um Thorstein's Gehöft her. Denn dort sollst Du mir ein Freywerber – aber nein! Das will ich noch 19 nicht so bestimmt herausgesagt haben. Das weiß ich noch selbst nicht recht gewiß. Vorerst nur führe mich hin, wo ich Schön-Helga sehen kann, ohne daß sie selber es weiß.«

»Schön-Helga, Thorstein's Tochter?«

»Ey ja nun! Welche Schön-Helga wohl gäb' es auf Island noch sonst, mit ihr zu wetteifern?«

»Keine. Aber diese ist Gunlaugur Drachenzunge's Braut.«

»Nicht Braut! Verlobte nur. Ein Rechtskundiger, o Skapti, wie Du, sollte seine Ausdrücke besser wählen.«

»Nun, Braut für ihn, wenn er in der angesetzten Zeit wiederkehrt. Und er wird nicht ausbleiben.«

»Weißt Du das?«

»O Rafn, Du lächelst so fürchterlich. Du hast doch den Gunlaugur nicht etwan irgend an fremden Küsten erschlagen?«

»Nein. Aber wenn das Ding so vorwärts geht, wie es angefangen hat, mag es an der heimischen Küste auf diese Weise sich lösen. Weil aber mir selbst das im heimlichsten Herzensgrunde zuwider wäre, so – ja Skapti – so muß ich vor allen Dingen Schön-Helga sehen, ohne daß für dieses Erstemahl sie mich sieht.«

20 Skapti sahe nachdenklich und kopfschüttelnd vor sich nieder. Da sagte nach einer Weile Rafn:

»Ey wahrlich, Vetter, Du trauest mir doch wohl zu, daß nicht von Raub oder sonst irgend etwas Unedlem dabey die Rede seyn kann. Was will mir denn Dein hoch- und tiefgelahrtes Kopfschütteln bedeuten?«

Skapti erwiederte:

»Aus kleinem Samenkorn keimt hoher Baum. Es ist eben so eigentlich nichts Böses dabey, daß man ein Mägdlein fernher belausche, ohne ihre Vergunst und ohne ihr Wissen. Denn edle Magd wird allwärts edel erscheinen; und vorsichtig obenein, sobald sie aus ihren Kammern tritt. Aber Lauschen bleibt Lauschen. Und wehe dem Armen, der einen edlen Fruchtbaum erziehen will, und sich in dem Saamenkorn vergriff, einen Giftbaum hegend, wie es deren in den südlichen Landen gibt, Jammer und Tod über ganze Hausgenossenschaften verbreitend!«

Rafn sahe seinen Vetter mit einem sehr stolzen Lächeln an, und sagte: »Nun das muß ich gestehen, die so recht gründlich Rechtskundigen sind ausnehmend vorsichtige Leute. Ich habe mir bisher auch wohl eingebildet, ich verstände mich im geziemenden Maß auf das Recht. Aber so 21 alle möglichen Gefahren vorauszusehen und ihnen aus dem Wege zu weichen, die etwa aus der an sich gleichgültigsten Handlung erwachsen möchten; nein, guter, weiser Vetter, darin habt Ihr mich bey Weitem überflügelt in dieser stillen Inselheimath, während mein Leben kühnere Fittige durch fremde Meere und über niegesehene Küsten schwang.«

Skapti fuhr zornig in die Höhe, und faßte nach seinem guten Schwerte, das zu seines Lagers Haupt-Ende hing.

Rafn der Skalde trat einige Schritte zurück, um dem Vetter und Gaste Raum zu geben für Alles, was er etwa beginnen wolle. Doch legte er zugleich seine Rechte kampf- und schlagfertig an den Schwertgriff.

Skapti hatte seine Klinge erfaßt, und sagte nun, rund heraus: »Rufest Du mich von meinem Lager, um mich zum Gefechte zu reizen, da treibst Du vergebliche Mühe, insofern ich mich irgend in Frieden vergleichen kann, und mich also aus des heiligen Rechtes Vortheil geben müßte, um Dich anzufallen. Willst aber Du der angreifende Theil werden, auf Deine Seele der Erfolg dort oben! Auf Deinen Leib der 22 Erfolg hienieden! Ich schlage mich eben so gern, wie ein anderer muthiger Isländer sonst.«

»Versteht mich doch, Vetter!« entgegnete Rafn, und lachte. »Es ist wahrhaftig kaum zu glauben, daß ein Rechtsgelahrter so muthwillig und ganz ohne alle Veranlassung Schwerthändel suchen sollte, wie in diesen Augenblicken Ihr. Doch sollt Ihr für dasmahl dergleichen nicht finden. Könnet nicht Ihr Schön-Helga mir zeigen, ohne daß Schön-Helga mich sieht, wohlan, ich werde meinen Weg auch so zu treffen wissen. Könnet Ihr ihn aber vielleicht milder und freundlicher für mich bahnen, auch da: wohlan!«

»Wohlan!« wiederhohlte Skapti, aber in einem sehr ernsten und wehmüthigen Tone. Dann setzte er hinzu, während er, sich vollends vom Lager erhebend, sein Schwert rüstig umgürtete: »So sey es nun!«

»Waffe schneidet!
Getroffener leidet!
Aber weit minder
Schaden die
Waffen, Wenn Männer sie raffen, 23
Als wenn die Kinder
Im kindischen Schaffen
Sie schwingen! Und minder Schlimmes ist minder!«

»Ich will Dich hinführen,« sagte er, »wo Du Schön-Helga sehen kannst, ohne daß sie Dich erblickt. Allmorgens, seitdem Gunlaugur Drachenzunge hinausgeschifft ist in die weite Welt, pflegt sie von unserem Islandstrande hinauszublicken in die weite See.«

»Und nach wem blickt sie denn in die weite See?« fragte Rafn der Skalde. »Ey nun,« entgegnete der Rechtsgelahrte, »da solltest Du Dich auch gar nicht den Skalden heißen lassen, wenn Du so schwaches Sehergefühl in Deiner Seele spürst, und nicht einmahl die allerneuesten Saga's auf unserem Eilande kennst. Und obenein hab' ich Dir's ja nur kaum erst ausgesprochen, nach ihrem Verlobten, dem Gunlaugur Drachenzunge, schauet allmorgens Schön-Helga in die See.«

Über Rafn's Wangen flog eine helle Gluth, und er seufzte vor sich hin, wie ein schmerzlicher Nachhall:

»Nach ihrem Verlobten, dem Gunlaugur Drachenzunge, schauet allmorgens Schön-Helga 24 in die See!« Dann setzte er noch leiser hinzu: »O selig spiegelnde See! O noch unaussprechlich Beseligterer, auf den ein Engel wartet!«

Dann sprach er laut mit nur kühner gesteigerter Sehnsucht zu Skapti:

»Führe mich hin, wo ich Schön-Helga sehen kann. Leben und Sterben hänget an diesem Schritt. Aber an welchem menschlichen Schritt, über die weite Erde hin, hinge das nicht!«

»Da hast Du wieder einmahl vollkommen Recht!« sagte der Rechtsgelahrte. »Komm!« Und Rafn und er machten sich mitsammen auf den Weg. 25

 


 


 << zurück weiter >>