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Von dieser Zeit an lebte Gunlaugur lange in dem Gehöfte Thorsteins zu Borgarfiörde. Zwar kam er auch bisweilen in die Wohnung seines Vaters auf Gilsbacka. Doch pflegte er dann sein Pferd immer ganz kühl in den Stall zu bringen, und ihm ohne Schaden sogleich Futter in die Krippe zu streuen, auch ihm frisches Brunnenwasser im Eimer vorzuhalten. Galt es dagegen wiederum, nach Borgarfiörde zu reiten, so kam das Roß immer ganz heiß und schnaubend vor Thorsteins Wohnung an, und die Knechte mußten es lange herumführen, ehe sie ihm die Stallruhe und vollends das Futtern und Tränken gönnen durften. Denn ihnen überließ dorten Gunlaugur diese Sorge, ohne sich im mindesten selbst um die Pflege seines Gaules zu kümmern, so daß man ihn wohl für einen nachlässigen und 144 schier gewissenlosen Reiter hätte halten müssen; nur daß man schon gemerkt hatte, er mache es bloß deßhalb so, um desto eher das Schachtafelspiel mit Schön-Helga zu beginnen. Und da hielten es ihm denn auch die ältesten und eigensinnigsten Männer recht gern zu Gute, und meinten wohl gar, so Etwas deute auf desto schönere Heldenthaten in der Zukunft.
Dabey lernte Gunlaugur mit großem Fleiße die edle Rechtswissenschaft aus Thorsteins Munde, und verhielt sich auch, wie sich das auf eines freyen Mannes Hof absonderlich wohl schicken will, sehr höflich gegen die Hausfrau, welche jederzeit als Richterinn und Lenkerinn bey dem Schachtafelspiele zugegen war.
Als aber auch einmahl der Hausvater dabey sehr achtsam zusah, mochte ihm nicht Alles gefallen, obgleich Gunlaugur jetzt immer sein Spiel um Vieles milder und sorgfältiger einrichtete, als vordem. Thorstein blieb an diesem Abende nachdenklich schweigsam.
Tages darauf sagte er zu seinem jungen Zögling und Gastfreunde:
»Pflanzen, die immer in demselben Erdreich bleiben, zeigen selten sonderliches Gedeihen.«
Gunlaugur antwortete:
145 »Ihr lehrt mich eben damit nicht viel Neues, guter Herr. Schon längst hab' ich das auf den Äckern und in den Gärten meines Vaters mit eigenen Augen gesehen. Ein hübsches Stückchen Zeit schon, bevor ich Euch kannte wußte ich das.« –
»Das ist mir lieb,« sagte Thorstein, »daß Du so früh um Dich zu sehen gelernt hast, oder es doch mindestens versuchtest. Und da wirst Du um so besser begreifen, daß es Dir gut thun möchte, wenn Du einmahl in eines andern rechtsgelahrten Mannes Schule gingest, als in die meinige. Ich will damit nur sagen: so zur Abwechselung.«
»So!« – sagte Gunlaugur, und sahe ganz still vor sich nieder, und ward ein wenig blaß. – Dann aber nahm er sich wieder keck zusammen, und fragte: »Wo meint Ihr denn, daß ich als ein Lehrling der edlen Rechtswissenschaft am Besten hinreiten könnte, außer zu Euch?«
»Skapti heißt ein Mann;« sagte Thorstein. »Der ist der größte Rechts-Erkenner auf ganz Island. Der findet das Recht allwärts, wo es liegt, und wär' es auch klaftertief bereits versunken seit Jahrhunderten her, wie die Palmenwälder unter unserer winterlichen Eilandsdecke 146 versunken sind.« – »O, Meister Thorstein,« fragte Gunlaugur, die Hände vor Verwunderung zusammenschlagend, »Palmenwälder, sagtet Ihr? – Palmenwälder – so hört' ich wohl immer – die sollen ja nur fern emporsprossen und schatten in den Landen des süßen, seligen Friedens, von wo unsere Altväter eingezogen sind in diese strengeren Gefilde und Eilande? Hier, wo man, statt wie in jenen blühenderen Auen nach Tagen, die Zeit nach Nächten zählt – wie kämen denn hier die Palmen her? Die haben Sonne und Frieden gern, und hier herrscht Nacht und Krieg.« –
»Auch der Krieg ist schön, und auch die Nacht!« erwiederte Thorstein voll freundlichen Ernstes. »Und auch inmitten des Krieges und der Nacht pflegt sich immer etwas zu offenbaren wie Friedensmilde und Tagesglanz. Du aber wisse: in viel urälteren Zeiten, als die, wo unsere Asiaväter vom Idaberge nach Nordland schifften, haben hier Palmenwälder geschattet und geblühet. Seitdem hat ein wunderbares Geschick die Erde verwandelt, und die süße Herrlichkeit jener Tage liegt verhüllt für uns unter dem Schnee und dem Haidenmoose der Gegenwart. Überhin wandeln wir, und mühen uns ab, und netzen den 147 Boden mit Schweiß und mit Blut. Ach wie vergeblich! – Tief unten liegen unwiederbringlich die längstversteinten und fast schon vergessenen, selig friedlichen Wälder!« –
»Das ist ja sehr seltsam und sehr feyerlich;« sagte Gunlaugur. Und sein glühender Blick senkte sich nach dem Boden, als wolle er von dorten Freud' und Frieden und Palmen wieder heraufbeschwören. Dann traten Zähren in seine Augen, und er flüsterte wie in unbewußten Sangestönen: »Ach, sie kommen uns nimmer zurück!« –
»Deßhalb ziemen uns desto mehr die Waffen, und die Lehren des heilig strengen Rechtes!« sagte Thorstein. »Und deßhalb reite Du zum Skapti, daß er Dich es finden lehre für Alles, was Dir in Deinem jungen und vermuthlich noch sehr thatenreichen Leben begegnen mag.« –
»Ich will wohl hinreiten;« sprach Gunlaugur. »Aber ich will eben auch nicht gern sehr lange von hier wegbleiben. Wo find' ich denn Euern hochgerühmten Skapti?« –
»Da reitet man« entgegnete Thorstein – »in gerader Richtung nach der Gegend zu, welche Mosfelli geheißen ist.«
148 »Die Gegend gefällt mir nicht!« sprach heftig der Jüngling.
»Und kann ich erfahren warum? fragte lächelnd der Hausherr. Gunlaugur aber entgegnete trotzig:
»O das sind nun ganz gewiß nicht wunderliche Traumesgrillen, wie Ihr bisweilen meine besten Einfälle zu schelten pflegt. Das hier hat seinen sehr vernünftigen Grund. In der Gegend, welche Mosfelli heißt, wohnt auch jener priesterliche Hausvater Oenundur, und sein für hochweise gelobter Sohn, welchen sie Rafn den Skalden nennen.« –
»Ganz Recht!« sagte Thorstein. »Und der gelahrte Rechtsmann Skapti ist Oenundurs naher Anverwandter. Ihre Mütter waren Schwestern. Da kannst Du mit den wackern Leuten zugleich Bekanntschaft machen.«
»Das fehlte mir noch!« rief Gunlaugur zürnend aus. »Nein, jetzt mag ich vollends nicht das mindeste mehr von Euerm klugen Rechtsfinder Skapti vernehmen, wenn er solch einen Neffen hat, wie Rafn!«
»Was kannst Du gegen einen so edlen Jüngling aufbringen, Gunlaugur?«
»Alles, Meister Thorstein. Verdirbt er mir 149 doch fast mein ganzes junges Leben! Denn könnt Ihr Euch Widerwärtigeres erdenken, als bey jedem Eurer Schritte hören zu müssen: »So macht er's beynahe, wie der treffliche Rafn! Aber es mangelt freylich noch viel!« – Oder gar: »Das war nun ganz und gar Unrecht. So fängt es Rafn der Skalde niemahls an!« – Und allerhöchstens: »Wenn sich der Bursche recht viele Mühe gibt, kann er binnen zwanzig Jahren etwa so ein Ding werden, wie jener allerliebste Rafn der Skalde schon jetzt in seinen jungen Jahren ist.« Ey, hohle der Kuckuk Rafn den Skalden! Ihr und mein Vater und wer weiß wie viele Frauenzungen – Ihr habt mir den Rafn so lange gepriesen, bis er mir zum Gräuel geworden ist. Und nun soll ich noch gar seine angenehme Bekanntschaft machen, und wo möglich – dafern's mir nähmlich seine Vortrefflichkeit gestatten will – zu ihm sprechen: Herzbruder! Ich danke.« –
Da mußte Thorstein herzlich über den ungestümen Jüngling lachen. Gunlaugur aber sagte ganz betrübt:
»Das seh' ich nun wohl, daß ich Euch zur Überlast geworden bin, und Ihr mich auf irgend eine Weise aus Euerm Gehöfte los seyn wollt. 150 Ihr könnt dabey wohl lachen, denn am Ende ist jeder Hausvater König an seinem Herd, und mag fortschicken, wen er nicht mehr behalten will. Aber mir wäre das Weinen näher, drängte nicht glücklicherweise der Ärger über jenen unausstehlichen Rafn solche weibische Thränen zurück. Doch Skalde Rafn, laß mich nur Dich finden! Da sollen Dir meine Thränen zu Blutstropfen werden, und aus Deinen Adern zum Vorschein kommen. Ihr aber, Meister Thorstein – lebt wohl, und gesegn' Euch Gott viel Gutes und Liebes, was Ihr mir seither erwiesen habt. Und Alles, womit Ihr mir wehe gethan habt, komme nicht auf Euer Kerbholz.« –
Da wollte er aus der Halle gehen, aber Thorstein hielt ihn sehr bewegt an der Hand fest, und sagte: »I Du guter wunderlicher Junge, so bleibe doch!« – Da sagte wiederum Gunlaugur sehr weich: »Von Herzen gern. Ihr müßt aber nur nicht immer wieder thun, als wenn Ihr Einen fortschicken wolltet.« – »Ach wer thut denn auch so!« sprach Thorstein. Und weil in eben diesem Augenblicke Schön-Helga in die Halle trat, setzte der Hausvater selbst für die Beyden das Schachtafelspiel auf, und sahe dießmahl dem Hin- und Wiederziehen der Steine sehr fröhlich zu. 151