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Thorstein saß an seinem Herde. Die Nacht war schon tief herauf, und er befand sich für dasmahl mit seinem Weibe, der edlen Frau Jofridur, und mit seinem Töchterlein, der schönen Helga, allein in der Halle. Die zwey Frauen hatte über den feinen Geweben, an welchen sie arbeiteten, ein leiser Schlummer beschlichen, und das kam wohl mit von den sanften, tiefwehmüthigen Wohllautklängen her, die Thorstein ahnungsvoll aus den Saiten seiner großen, schönen Harfe gelockt hatte, ohne den wunderbaren Hall mit einem Worte zu begleiten.
Gesang, in begeisternden Worten erhoben, vertreibt jegliche Betäubung aus dem Gemüthe des Menschen. Sanfte Klänge dagegen sonder Worte, wiegen den Menschen ein. Klang wird 6 ja so leicht zum Träumen, und Träumen wird so leicht zum Schlaf.
Die Frauen hatten ihre lockigen Häupter seitwärts gegen die Lehnen ihrer hohen Sessel geneigt, und athmeten sanft und tief.
Und auch Thorstein's Hände sanken nach und nach von den immer leiser berührten Harfensaiten herab, und sein schönes, jetzt nun schon von einzelnen Silberlocken etwas greisendes Haupt senkte sich vornüber auf das Gestell der Harfe. Er träumte von räthselhaften Dingen, und seine Harfe schwieg vor fremden Ohren. Aber in seinem Innern klang es in sehr wundersamen Wiederhallesklängen nach; ja, in Walhallaklängen zog es ihm durch den ahnungsbewegten Sinn. Es waren Todesklänge und Lebensklänge zugleich.
Da trat ein Mann rasch und unversehens in die Halle, und sprach mit lauter, fröhlicher Stimme: »Er ist heimgekehrt!«
»Herr Gott!« sagte Schön-Helga, aus ihrem Schlummer freudiglich aufgeschreckt, und faltete ihre zarten Hände ineinander, sie dankend emporhebend gen Himmel, und dann stolz durch die Halle umherblickend, einer schönen Königinn an einem Siegesfeste vergleichbar, sagte 7 sie: »Das wußte ich ja wohl, daß er nicht lange mehr ausbleiben dürfe!«
Staunend sahe der fremde Bothe nach der schönen Gestalt empor, wie sie so still und fromm und glücklich von dem Hochsitze aufgerichtet gen Himmel sah.
Thorstein indessen und seine Hausfrau Jofridur, nichts eben Ungewöhnliches ahnend, gingen dem raschen Gaste freundlich entgegen, und der Wirth des Herdes, sagte: »Ey willkommen, Skapti, Du vielerfahrner Rechtsgelahrter! Willkommen, was es auch Fröhliches sey, das Du dieser Hofstelle und vermuthlich zugleich dem ganzen Islande zu verkünden hast. Aber, wenn Du vorerst – das versteht sich – einen gastlichen Becher geleert haben wirst, so gib es uns in deutlicheren Worten kund, über wessen Heimkehr wir uns mit Dir freuen sollen.«
Skapti neigte freundlich bejahend sein Haupt, und leerte behaglich den ihm dargebothenen Becher, während Schön-Helga leise in die zart berührten Saiten ihrer Zither summte:
»Nur Einem kann es gelten!
Frag' nicht so zwischen Schmerz
Und Freude, liebes Herz! 8
Und ob sich ganze Welten,
Und Welten, ganz von Erz,
Dem Wunsch entgegenstellten,
Und zorn'ge Meere schwellten,
Der Freund kam heimathwärts.
Nur Einem kann es gelten,
Schlag fröhlich liebes Herz!«
Skapti sahe staunend umher vor Schön-Helga's Gesangesflüstern, und sagte: »Haltet Ihr Bienen in Eurer Halle, die mit ihren Flügelein und lieblichem Gesumme gegen die Saiten der Harfen antönen? Nun, was es auch sey, es gibt einen gar lieblichen Klang! Aber für jetzt wollte ich Euch eine viel dauerhaftere Freude verkünden. Ein edler Skalde ist gelandet auf unserer Insel! Ein weiser Kundiger des Rechtes zugleich.«
»Das wußte ich ja!« flüsterte Schön-Helga, und ihre Wangen erglüheten im ungewohnten Roth, und ihre Augen funkelten wie Sternlein, die den Aufgang des Morgens anmelden wollen.
Und Skapti, mit wohlgefälligem Lächeln nach ihr hinblickend, sagte: »Ja wohl, das sind ihm herrlich günstige Zeichen. Ja, Rafn ist gelandet auf Island! Rafn, der Oenundurssohn, mein kühner Anverwandter, der edle Skalde, 9 freundlich, wie die Nachtigall, und stark, wie der Adler!«
Aber da rief Schön-Helga: »O wehe um die Adler! Die stürzen einander ja in ihr edles Blut!«
Und zurück sank sie in ihrer Mutter Arme wie ein ohnmächtiges Kind. Als aber Vater und Gast und die Mägde in der Halle besorgt sie umstanden, erhub sie sich hoch und stark, obgleich ganz todtenbleich, und sagte kopfschüttelnd:
»Ihr bildet Euch wohl ein, die Helga seye schon an dem Schatten des Adlerunheils gestorben? O nein! die Helga gehört auch noch mit in das zukünftige Adlerunheil. Und sie ist ja Deine Tochter, edler Thorstein, und Deine Tochter, weise Jofridur. Nicht so allzuleicht wird sie erliegen. Länger wird sie leben, weit länger, als es ihr lieb ist.«
Und zugleich fuhr sie schaudernd zusammen, und sagte dann nach einigem Besinnen:
»Länger, als es ihr lieb ist? Ey, da hat ja die arme Helga ein gar entsetzliches Wort ausgesprochen! Es ist nur gut dabey, daß ich dieses schrecklichste aller Worte über mich selbst ausgesprochen habe. Wenn Eines etwa sich 10 ungeschickterweise in's Haar rauft, da kann und muß der Schmerz schon zu ertragen seyn, und geht beynah' in's Lachen über. Griffe uns aber ein frecher Fremdling in die Locken, und thäte er es auch aus Weissagergabe und Weissagerberuf, ha!«
Sie fuhr schnell empor, nach der Wand hin, wo ihres Vaters Waffen hingen. Bald aber, sich wieder klar besinnend, neigte sie sich gegen den Gast, mit freundlichen Worten ihr wunderliches Benehmen entschuldigend, wünschte ihm vieles Glück zu der Ankunft seines rechts- und sangeskundigen Neffen, und ging mit ihrer Mutter zur Ruhe, nicht duldend, Hülfe von ihr zu empfangen, sondern vielmehr selbst die erschreckte Frau sorgsam unterstützend.
Thorstein und Skapti sahen einander eine Zeitlang staunend an. Als der Wirth den Gast zu seinem Lager führen wollte, sagte dieser ganz verwirrt: »O nein! O laßt! Die Adler fliegen so wild in dieser stürmigen Zeit, und machen Einem die Rosse scheu. Ich muß mich beeilen, daß ich zu Hause komme.«
Sie erschauerten Beyde vor diesen Worten, und wußten nicht recht warum. Und während Skapti verwildert von hinnen 11 sprengte, vernahm Thorstein Adlerschwung und Adlerruf, wie von kämpfenden Lüftekönigen, um seines Hauses Giebel her. Er spürte aber keine Lust, nachzuforschen, was für Adler es seyen, die da miteinander Streit hielten. 12