Friedrich de la Motte Fouqué
Die Saga von dem Gunlaugur genannt Drachenzunge und Rafn dem Skalden
Friedrich de la Motte Fouqué

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Fünf und zwanzigstes Kapitel.

Rafn und Gunlaugur erzählten sich manche Tage hindurch, wie sie einander mondenlang gesucht hätten, und doch immer einander seltsam aus dem Wege gereiset wären. Sie gewannen sich während dieser Gespräche immer lieber. Denn Jedem von den Zweyen war es zu Sinne, als seye der Andre ein unschätzbares Kleinod, welches er, auf dem Punkt gestanden habe, zu verlieren, und das ihm nur auf gar wunderbarliche Weise wiederum zu Theil geworden sey.

Deßhalb gingen sie auch eine Zeitlang sehr schonend neben einander her. Jeder vermied gern und sorgsam, was ihn zu einer herben Reibung mit dem Andern hätte bringen können. Denn Jeglichem hätte es allzuwehe gethan, von 180 dem Andern durch eine Störung getrennt zu werden.

Schön wäre es, und auch wahrhaftig unmöglich nicht, wenn wir Menschen allzumahl ein solches Verkehr miteinander führten. Ach, wir sind ja doch in der That solche Rafn's und Gunlaugur's, die einander lange Zeit hindurch vergeblich suchten – wenn auch nur im sehr unbewußten Lieben oft – und die, wenn wir nach dem Finden uns abermahl verlieren, ein unaussprechlich edles und theures Kleinod verlieren! Eines, das sich zum zweytenmahle nicht so leicht in seiner vollen Schönheit wieder gewinnen läßt!

Wie es den beyden Helden dieser Sage damit erging, wollen wir jetzt betrachten.

Wenn doch Einer von ihnen vor der Hand irgend einmahl über die wohl erkannten Schranken flog im ungestümen Adlerschwung, so war das meist immer nur der Gunlaugur; doch er selber war dann auch der Erste, das zu merken.

Deßhalb fragte er eines recht heitern Tages im frohen Beysammengehen an dem schönen Meergestade seinen lieben Bruder Rafn, wie das wohl komme, daß immer die heftige Gluth auf seiner eignen Seite auflodere, und Rafn dabey so still bleibe und so gesetzt.

181 Da ging plötzlich ein wunderbares Zucken und Leuchten durch Rafn's sanftfreundliche Züge, und wie mit gewaltsamer Zurückdrängung seines eigentlichsten, innerlichsten Lebensstromes sagte er:

»Miß die Heklagluth nicht nach dem stillen, weißleuchtenden Schnee auf dem Heklagipfel. Und bist Du Sonnengluth, und bist Du Regenguß, und bist Du Blitzesstrahl; o hüthe Dich, den Schnee zu schmelzen, und aufzustören, und an das Licht der jetzt noch freudigen Oberwelt zu rufen, was drunten brauset und lodert in Höllenkammern, unvernommen von aller Oberfläche des grünenden Erdbodens!«

»Siehe, Gunlaugur,« setzte er nach einigem Schweigen hinzu; »es gibt allerhand in der Welt, wovon die Welt gar keinen Begriff hat. Und darauf besteht zum Theil die Sicherheit und Ruhe des Lebens. Aber von der andern Seite verbreitet doch eben das auch das Untergehen der Welt. Wundre Dich nicht, wenn mein Gerede darüber einigermaßen, wie Stammeln herauskommt, und wie das Geschwätz unmündiger Kinder.«

»All' Menschenwort, wenn es sich bestrebt, das Höchste zu erklimmen, oder das Tiefste zu ergründen, gestaltet sich auf ähnliche Weise, damit wir erinnert werden mögen, wie feyerlich 182 hoch der Himmel sey, und wie fürchterlich tief der Abgrund. Mit Dir aber möchte ich gern Alles recht Hohes und Tiefes theilen, was in mir lebt, und eben deßhalb – o  meine Sprache verstummt – o habe Geduld mit mir, mein Gunlaugur!«

Und wie ihn darüber Gunlaugur verwundert ansah, vielleicht sogar ein wenig kopfschüttelnd, sagte Rafn, plötzlich abgekühlt:

»Auch Du ja kennst die alten Sagen. Aus einem Eschenstamm, künden die Heidenlieder, habe ein wundersamer Asageist das Mannesbild geschnitzt, und aus einem Espenstamm das Bild des Weibes! Und gewiß, die alte, gute träumerische Sage hat so Unrecht nicht. Holz sind wir, sag' ich Dir, Gunlaugur, und die auflodernde Gluth ist unsere Verzehrung. Laß uns die Flammen ersticken, derweil es noch Zeit damit ist. Lodert es los, so sind wir Gluth und Dampf und Funkengesprühe, und andere hölzerne Menschenkinder, nur vielleicht um ein kleinbischen grüner noch als wir, klappen die Hände darüber staunend zusammen, und werden doch endlich gleichfalls von unserer tollen Funkenwirthschaft ergriffen, und dann hat die Freude ein Ende mit ihnen, wie mit uns!«

183 »Es ist recht Schade um Dich, Rafn, daß Du in tolle Elfengewalt gefallen bist!« sagte scherzend Gunlaugur.

Und wehmüthig entgegnete Rafn: »Bist Du weiser, als ich? Es wäre mir wahrhaftig von ganzem Herzen lieb! So gib es mir kund, warum verstehen sich Freunde oft einander so wenig? Und warum verstehen sich Feinde oft so fürchterlich scharf?«

Gunlaugur konnte nichts darauf antworten.

Da sagte Rafn schaudernd:

»Uns Beyden steht etwas Entsetzliches bevor, und nehme sich in den nächsten Tagen Jeglicher vor dem Andern in Acht.«

Da reichte Jeder dem Freunde die tapfere Hand. Aber Jeder fühlte die Hand des Freundes kalt wie Eis. Sie wandten sich für dasmahl stumm und sehr betrübt auseinander. 184

 


 


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