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Zwei junge Leute trafen sich etwa gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts an einem schönen Frühlingstage vor den Toren von Stockholm. Der eine war stattlich gekleidet und ritt auf einem schönen Pferd, der andere ging bescheiden zu Fuße, und sein Anzug ließ nicht auf eine große Reisekasse schließen.
Der Fußgänger grüßte den Reiter; der Reiter antwortete höflich; es entwickelte sich ein Gespräch; es stellte sich heraus, daß die beiden junge Herren von Adel waren, und nach Stockholm gingen, um sich dem König vorzustellen; der Reiter saß ab, ließ sein Pferd am Wegrand grasen und setzte sich zu dem anderen auf einen Steinhaufen; dann erzählten sie sich ihre Geschichte, deren wesentlicher Inhalt war, daß der Reiter wohlhabende Eltern hatte und Lindstern hieß und der Fußgänger arm war und sich Ridderschwert nannte. Lindstern fand, das Leben habe ihm bis jetzt immer übel mitgespielt, Ridderschwert hatte bis nun noch keinen Grund zum Klagen gefunden. Lindstern machte dem anderen den Vorschlag, sie wollten Freunde sein, Ridderschwert nahm an und eröffnete den Bund mit der Bitte um ein Darlehen von drei Reichstalern, die der Freund gleich aus einem Täschchen vorzog, das ihm seine Mutter selber genäht und um den Hals auf die bloße Haut gehängt hatte, damit es ihm nicht gestohlen werde. Nachdem sie noch eine Weile geplaudert, verabredeten sie ein Gasthaus, wo sie sich treffen wollten; Lindstern schwang sich wieder auf sein Pferd und ritt weiter, und Ridderschwert zog zu Fuß hinter ihm her.
In der Stadt trafen sie sich nach ihrer Verabredung, ruhten sich aus, ließen ihre Kleider in Ordnung bringen und wurden den anderen Tag bei Hofe vorgestellt.
Die Königin gab ein Gartenfest und lud die beiden Herren ein; sie selbst war als Diana gekleidet, ihre Hofdamen als Nymphen, der König als Endymion, der Oberhofprediger als Silen, und wer von den Herrschaften am Hofe sonst noch Geld genug hatte für eine Maske, der stellte nach seinen Fähigkeiten irgendeinen anderen Gott, Halbgott oder mythischen Helden vor. Die beiden Freunde machten runde Augen, wie sie die vielen schönen Mädchen in den anmutigen Gewändern sahen, und Ridderschwert stieß Lindstern in die Seite, daß er braun und blau wurde. Eine Nymphe blieb plötzlich vor den beiden stehen, sah sie schalkhaft an, erhob ihren Speer und zielte auf sie; Lindstern zuckte zurück und Ridderschwert eilte auf sie zu; da wirbelte sie den dünnen Speer hoch in der Hand, lachte hell und eilte leichtfüßig davon über die Wiese, wo Maßliebchen und Veilchen zwischen dem niedrigen Gras blühten. Ridderschwert fragte einen kurzatmigen und dicken Herrn, der eine Lyra in der Hand trug und den Apollo darstellte, nach dem Namen des schönen Mädchens; der Herr antwortete mit stolzglücklichem Lächeln auf dem breiten Gesicht, indem er sich den Schweiß abwischte: »Das ist nämlich meine Tochter, das Fräulein von Palmschild.«
Lindstern war blaß geworden. Er zog Ridderschwert mit sich fort an eine einsame Stelle des Parks, legte die eine Hand auf sein Herz, ergriff mit der anderen die Rechte seines Freundes und rief: »Die ist es.« »Was?« fragte Ridderschwert verwundert. »Die ich liebe,« sagte der andere. Ridderschwert lachte. »Es ist die wahre Liebe, die Liebe auf den ersten Blick,« beteuerte Lindstern. Ridderschwert kaute an seinem Schnurrbärtchen und sagte: »Geschmack hast du, sie ist ein verdammt hübsches Frauenzimmer. Wenn du die kriegst, dann kannst du von Glück sagen.« Hier traten Lindstern die Tränen in die Augen, er sank dem anderen an die Brust und sprach: »Sie wird sicher schon versprochen sein.« »Na, dann frage sie doch,« riet ihm der Freund. Lindstern erwiderte, er werde nie den Mut haben. Ridderschwert lachte und sagte: »Dann werde ich sie fragen.« Lindstern errötete, dann drückte er dem Freunde stumm die Hand und ging von ihm fort. »Eine putzige Kruke, hat Angst vor einem hübschen Mädchen,« sagte Ridderschwert für sich; »aber ein anständiger Kerl; wir wollen sehen, was sich machen läßt.« Er strich sich die Handschuhe glatt, ging wieder zu der Gesellschaft, suchte, bis er Fräulein von Palmschild fand, und trat auf sie zu, verneigte sich und zog tief seinen Hut ab. Die schöne Nymphe errötete; er lachte. »Weshalb lachen Sie?« fragte sie ihn unwillig. »Wir haben uns immer darüber gestritten, ob die Mädchen auch im Dunkeln erröten,« erwiderte er, »und ich habe stets behauptet, das ist nicht der Fall. Aber nun sehe ich, daß Sie nur bis zum Hals erröten, und man sieht doch mehr als nur Gesicht und Hals.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen, sie wendete sich ab. Er ergriff ihre Hand und sprach: »Verzeihen Sie den Scherz, er war zu dreist.« »Was wollen Sie von mir?« fragte sie leise. Hier nun wurde er plötzlich verlegen, er stotterte: »Ich sollte Sie von meinem Freund Lindstern fragen ...,« aber mehr konnte er nicht vorbringen. Sie merkte seine Verlegenheit, lachte hellauf, sah ihn unter ihren Tränen schelmisch an und rief ihm zu: »Weshalb fragen Sie denn nicht für sich selber?« Damit lief sie fort, und es war ihm vor seinen trunkenen Augen, als ob die Blumen und Gräser sich unter ihren Tritten nicht bogen.
»Donnerwetter,« murmelte er; »das kann mir keiner übelnehmen«; und damit machte er sich mit langen Schritten hinter der zierlichen Nymphe her. Wirklich erreichte er sie auch nach einiger Zeit wieder; sie stand vor einem dichten Gebüsch und konnte nicht weiter, er stellte sich breit vor sie hin und verhinderte, daß sie ihm vorbeifloh, dann sagte er: »Ich frage für mich.« Da nahm sie ihren Speer, stieß den Verehrer mit dem stumpfen Ende in die linke Weiche, wo die kitzlige Stelle ist, er bog sich vornüber, und nun entwischte sie ihm lachend. Sein Hut war zur Erde gefallen, er hob ihn auf, setzte sich ihn wieder auf den Kopf und sagte zu sich: »So, das ist in Ordnung, jetzt wird der Alte gefragt.«
Wie er aber den Alten aufsuchen wollte, traf er den Freund, der erwartungsvoll beide Hände gegen ihn ausstreckte, um dankbar seine Rechte zu ergreifen, und fragend ausrief: »Nun?« Die Sache war ihm doch fatal, und so antwortete er denn brummig, in einem Tone, als ob der andere schuld sei: »Sie liebt überhaupt mich.« Entgeistet wich Lindstern zurück, sah ihn starr an, plötzlich zog er seinen Degen und rief: »Nimm Deckung.« So fochten sie nun, und da Ridderschwert geschickter und schneller war wie der andere, so lag Lindstern bald auf dem Boden. Das Geklirr der Waffen hatte Menschen herbeigezogen, man ergriff Ridderschwert, der auf den bewußtlosen Körper starrte, beschäftigte sich mit dem Verwundeten; ein Arzt erklärte die Verletzung für sehr gefährlich; der König erschien, Fräulein von Palmschild kam, machte einen langen Hals, und als sie den zerstörten Jüngling erblickte, den die Umstehenden festhielten, fiel sie in Ohnmacht.
Um dem Duellunwesen zu steuern, hatte der König ein scharfes Gesetz gegeben, nach welchem jeder, der einen anderen im Zweikampf verletzte oder tötete, mit dem Tode bestraft werden sollte. So wurde der unschuldige Jüngling denn ergriffen und in ein Gefängnis geschleppt; der König hatte selber die schärfsten Befehle gegeben.
Der dicke Herr von Palmschild liebte seine Tochter zärtlich und mußte alles tun, was sie wollte; so ging er denn zum König und bat für den Verbrecher; der König antwortete ihm, er dürfe nicht begnadigen, so leid ihm auch der junge Mann tue. Fräulein von Palmschild weinte so lange, bis die Königin ihren Gemahl aufsuchte und Fürbitte tat; der König war unerbittlich und sagte, er würde seinen eigenen Sohn hinrichten lassen, wenn er sich duellierte. Lindstern wurde gut gepflegt, und da er ein junger und gesunder Mann war, so genas er wieder; als er eben gehen konnte, erbat er eine Audienz, fiel dem König zu Füßen, erzählte, wie er selber zuerst den Degen gezogen habe und wie sein Freund eigentlich unschuldig sei. Der König antwortete ihm: »Gott hat mich auf meinen Thron gesetzt, daß ich tue, was recht ist, und nicht, was mir gefällt.«
Nun hatten die Richter das Urteil gesprochen und Ridderschwert sollte in einer Woche hingerichtet werden. Da erklärte Fräulein von Palmschild ihrem Vater: »Ich liebe ihn und will mich mit ihm verheiraten, damit ich wenigstens nachher seine Witwe bin und vielleicht einen Sohn von ihm großziehen kann.« Der Vater tat natürlich alles mögliche, um sie von diesem Plan abzubringen, er versprach ihr ein Reitpferd, ein Brokatkleid, einen Brillantschmuck, er schlug ihr vor, sie solle Lindstern heiraten; sie bestand auf ihrem Willen; die Königin küßte sie und sagte ihr, sie sei ein mutiges Mädchen, auch der König sprach sich anerkennend aus; der alte Palmschild weinte und sagte, die Worte der Herrschaften seien sein einziger Trost; und so wurde denn die Hochzeit im Gefängnis gefeiert.
Eine Woche lang lebten die Neuvermählten zusammen. Der König hatte Befehl gegeben, daß ihnen zwei Zimmer und eine Küche im Gefängnis eingeräumt wurden, die junge Frau hatte die Zimmer behaglich und zierlich mit schönen Möbeln ausgestattet, die Küche mit blankem Kupfergeschirr, der König hatte ein köstlich geschnitztes Bett geschenkt, die Königin die Bettwäsche, alle Freunde, Verwandten und selbst die entferntesten Bekannten, ja ganz fremde Menschen, hatten Silbergerät, Teppiche, Bilder und allerlei anderen Schmuck in die junge Wirtschaft gestiftet; und so saßen die beiden behaglich und heiter in ihrer Weltabgeschiedenheit, lachten und trieben Scherz.
Unterdessen aber war Lindstern nicht müßig.
Damals hielt sich gerade eine russische Gesandtschaft am schwedischen Hof auf, und man wußte, daß der König genötigt war, jede mögliche Rücksicht auf die Russen zu nehmen. Lindstern hatte mit den Herren dieser Gesandtschaft freundschaftliche Beziehungen angeknüpft, unter großen Qualen freilich, denn die Russen tranken entsetzlich viel, und zwar reinen Schnaps. So hatte er denn vermocht, sie für seinen Freund zu erwärmen; wie die beiden verheiratet waren, hatte er sie mit den Russen besucht; die junge Frau hatte ein reizendes Essen angerichtet, nach dem Essen hatte man getrunken, gesungen, getanzt, dann hatten alle untereinander Brüderschaft gemacht, dann hatten die Russen die Gläser zerschlagen, und zuletzt hatten sie erklärt, der Zar werde nicht dulden, daß ihr Freund wegen einer solchen Kleinigkeit hingerichtet werde.
Wie nun das Blutgerüst auf dem Schloßhof aufgerichtet war, der ganze Hof versammelt, der gute Ridderschwert mit gebundenen Händen, nacktem Hals und geschorenem Haar ankam, begleitet von seiner geliebten Frau, welche ihre Hand unter seinen rechten Arm geschoben hatte, da erhoben sich plötzlich die Russen, schritten vor die Majestäten, machten eine tiefe Verbeugung und erklärten, daß sie für das Leben des jungen Mannes bäten und ihrem Zaren schreiben wollten, daß sie diese Bitte an die Majestät richteten als ein Zeichen der Freundschaft für den Zaren, denn wenn der Zar die Geschichte des jungen Mannes höre, so werde er sich gewiß freuen, wenn er seinetwegen begnadigt sei.
Der König wollte ja gern begnadigen, und nun er durch die Bitte der Gesandten einen Grund hatte, erhob er sich erfreut und sagte: »Ich erweise gern meinem erhabenen Vetter von Rußland diese Gefälligkeit.« Da freuten sich die Russen so, daß sie in ihrer Begeisterung platt auf die Erde fielen und Hurra riefen, wie sie es vor ihrem Monarchen tun, der alte Palmschild stimmte mit in das Hurra ein, die anderen Leute auch; die junge Frau schnitt mit ihrer Schere, die sie am Gürtel hängen hatte, die Bande des Gefangenen durch, fiel ihm um den Hals und küßte ihn; Lindstern kam zaghaft herbei und wünschte ihr Glück, da fiel sie auch ihm um den Hals und küßte ihn, und das machte Lindstern so glücklich, daß er nun auch seinen Hut schwenkte und noch einmal Hurra rief, als die anderen schon aufgehört hatten zu schreien, was denn ein allgemeines Gelächter und eine große Fröhlichkeit bei allen erzeugte.