Paul Ernst
Die Taufe
Paul Ernst

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Der Pudel

Bei dem Russeneinfall in Ostpreußen ereignete sich folgender Vorfall.

Ein Bauer, ein älterer Mann, wohnte mit seiner einzigen Tochter, einem Mädchen von achtzehn Jahren, in einem der letzten Häuser seines Dorfes. Er hatte nach dem Tode seiner Frau vor einigen Jahren seine Äcker verpachtet, da er ihrer Bewirtschaftung nicht mehr gewachsen war; nur eine Kuh stand noch im Stall, er mästete ein Paar Schweine, und der Garten wurde ordentlich bestellt; dazu hatte er noch einen Morgen Kartoffelacker und eine Wiese zurückbehalten.

Es liefen einmal Knaben am Garten vorbei, die junge Hunde im Sack trugen, um sie zu ertränken. Die Tochter redete sie an, sie zeigten ihr die Tierchen, sie empfand Mitleid und behielt den einen. Der Vater machte erst einige Bemerkungen, daß sie ihm da einen unnützen Fresser aufgeladen habe, gab sich aber dann bald zufrieden. Sie legte das junge, blinde Geschöpf, das den großen Kopf noch nicht heben konnte, in ein geflochtenes Hühnernest, das sie mit Wolle ausgepolstert, und stellte das unter den Herd; nach kurzer Zeit konnte das Hündchen schon allein seine Milch schlappen, erhob sich auf seine dicken, wackeligen Beine; dann kroch es in der Küche herum und begann zu laufen. Es schloß sich treu seiner Herrin an, begleitete sie in Stube, Küche, Ställe, Garten, spielte mit ihren wehenden Kleiderfalten, kugelte sich vor ihr auf der Erde, bellte mit seinem kleinen Stimmchen; sie lachte, haschte es, es umlief sie bellend und schwanzwedelnd; sie nahm es auf den Arm, wiegte es wie ein Kind, ließ es dann wieder zur Erde gleiten. Schnell wurde das Hündchen größer; es stellte sich heraus, daß es ein Pudel war, der eine besondere Gelehrigkeit zeigte; bald lernte er Schildwache stehen, apportieren, sich tot stellen und ging dann zu den höheren Künsten über, indem er einen Lieblingsbrocken verschmähte, wenn seine Herrin ihm sagte, er sei von einem Juden; schon sollte er lernen, mit dem Korb zum Bäcker zu gehen und die Frühstücksemmeln zu holen. Der alte Mann, der gern in seinem Ohrenstuhl auf dem rings umschlossenen Hof unter dem Fliederbusch in der Sonne saß und aus seiner kurzen Pfeife rauchte, lachte viel über den possierlichen Moritz, denn so hatte das Mädchen den Hund getauft, und sagte oft, daß er sein Brot verdiene, denn er könne eine ganze Familie lustig machen.

Als die Russen kamen, erschien auf dem Hof eine Abteilung Soldaten. Moritz bellte und verkroch sich dann im Kuhstall. Dem Alten wurden die Hände auf dem Rücken gebunden, vielleicht dachten die Männer, er sei eine Amtsperson, weil das Haus sehr sauber gehalten war, mit steif gestärkten Gardinen, Alpenveilchen, Kranichschnabel und Rosmarin in den Fenstern, und schönen alten gewachsten Nußbaummöbeln mit Messingbeschlägen. Ein Soldat stieß ihn mit dem Gewehrkolben in die Seite; er hörte, wie seine Tochter laut jammerte; sie stand auf dem Hof in einem Knäuel von Soldaten; ihr zerfetztes Busentuch flatterte, sie suchte sich loszureißen; er sah noch, wie ein Mensch sie auf die Erde warf, indessen die Umstehenden brüllend lachten. Ein Kerl hatte die Betten im Arm und lief damit aus der Hoftür. Wie der Alte durch den Flur getrieben wurde, sah er, wie ein anderer in der Stube mit einer Axt das Spind zerschlug; die silbernen Löffel gingen von Hand zu Hand und wurden geprüft. »Die Löffel sind von meiner Urgroßmutter, das Spind auch,« sagte er zu dem Mann, der ihn vorwärts stieß; der fletschte grinsend die Zähne. Mit einem Male wurde ihm klar, was mit seiner Tochter geschah, er schrie laut auf und warf sich längshin auf die Erde. Der Soldat trat ihm mit dem Absatz in die Rippen, bis er sich wieder erhob und torkelnd vor ihm her ging.

Noch andere Leute aus dem Dorf waren zusammengetrieben. Es wurde ihnen bedeutet, daß sie marschieren sollten. Die Frauen jammerten und weinten, Kinder hängten sich an ihre Kleider, die Männer bissen sich auf die Lippen und blickten auf die Erde. Der Alte sah sich ängstlich bei ihnen allen um. Sie schlossen sich zu einem Zug, Kosaken ritten an der Seite, einer schlug im Übermut mit seiner Peitsche in den Zug hinein; ein Mann, der Schmied des Dorfes, war über Kopf und Gesicht getroffen; der Striemen schwoll auf, der Mann schwieg, aber seine Halsadern wurden dick.

In den nächsten Tagen wurden manche schwach und blieben am Weg liegen, die meisten aber kamen in dem russischen Ort an, wo sie zunächst bleiben sollten. Sie erfuhren, daß man sie nach Sibirien schicken würde.

Wie es den deutschen Truppen gelungen war, die Russen zu verjagen, wurden später auch die Verschleppten befreit. Die deutschen Soldaten gaben ihnen zu essen, erzählten und ließen sich erzählen, und die Leute, welche nicht zu krank geworden waren, durften sich gleich auf die Bahn setzen und zurückfahren. Der Alte ging mit den Nachbarn vom Bahnhof ins Dorf. Da fanden sie ausgebrannte Mauern, verkohlte Sparren, welche hochragten, zertrümmerte Möbel auf der Straße. Ein Mann schlug sich mit beiden Fäusten an die Brust, wie er vor seinem Haus stand; eine Frau setzte sich in die leere Schwelle ihres Hauses, bewegte die Lippen, aber kein Ton war von ihr zu hören. Der Alte ging schnell weiter, den Kopf gesenkt. Da kam er an sein Haus, die Fenster waren zertrümmert, die Tür lag auf der Straße, aber es war nicht verbrannt. Er trat ein. In der Stube lag Stroh in Schütten, fußhoch, ein unerträglicher Gestank war, trotzdem die Luft durch Fenster und Türen hereinkam; er wich schnell zurück, öffnete die Hintertür und trat in den Hof.

Moritz stand da, ganz dick gefressen, sah ihn mit schuldbewußten Augen an, die Ohren an den Kopf gekniffen, den Schwanz eingeklemmt, und schlich zur Stalltür; wie er über die Schwelle gekommen war, sprang er wie gejagt in das Dunkel. Der Alte schüttelte den Kopf, legte die Hand über die Augen, um zu sehen. In der Hofecke an der Pumpe lag ein unförmiger Ballen Kleider. Er ging hin, um sie aufzuheben.

Es war der Leichnam seiner Tochter, gräßlich verstümmelt. Der in den Hof eingesperrte, hungernde Hund hatte von der entblößten Brust und dem Kopf das Fleisch abgefressen.

Der Alte riß eine Latte vom Zaun los und ging in den Kuhstall. Die Augen des Hundes leuchteten aus der hintersten Ecke. Er stieß die Luke auf; da sah er den Hund, wie er an allen Gliedern zitterte und ihn mit Augen ansah, fürchterlich vor Angst. Der Alte erhob die Latte, da sprang der Hund auf ihn zu, schnappte in die Hand und lief mit einem winselnden Geheul aus der Tür.

Der Hund wurde nie wiedergesehen. Die gebissene Hand schwoll an; die Nachbarn rieten dem Alten, zum Arzt zu gehen, der schüttelte nur den Kopf. Der Biß war durch den Speichel des geängstigten Tieres vergiftet; in der Nacht ging die Vergiftung auf den Arm über; der Pfarrer, welcher auch verschleppt gewesen, hatte zu spät von dem Vorfall gehört, denn in jeder Familie des Dorfes war ja Unglück geschehen; als er kam, lag der Alte schon in der stinkenden Stube auf dem Unrat der Russen, bewußtlos fiebernd. Er starb noch an demselben Tage.


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