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Ein Seeoffizier, ein Herr v. M., hatte kurz vor dem Kriege geheiratet. Die jungen Leute besaßen gerade das notwendige Vermögen, und so mußten sie sich denn das Leben recht bescheiden einrichten. Sie mieteten eine Wohnung von drei Zimmern, die vier Treppen hoch lag, statteten sie mit Möbeln aus und fühlten sich sehr glücklich. Die Geldsumme, welche ihnen für die Einrichtung zur Verfügung stand, war recht gering gewesen, aber die junge Frau hatte lange in Antiquitätengeschäften gesucht, hatte bald auch ihren Mann mit ihrer Liebe für gute alte Möbel angesteckt, und sie sagte, wenn man mit Ruhe, Verstand und Liebe suche, dann könne man auch für weniges Geld schöne Dinge kaufen. So hatten sie denn in dem Wohnzimmer einen herrlichen Rokokoschrank aus Eiche und Nußbaum, der weiß angestrichen gewesen war und als rumpeliges Küchenmöbel bei einem kleinen Trödler zum Verkauf gestanden; die Stühle hatte sie ihrer Mutter abgebettelt; sie waren ganz verwahrlost gewesen und hatten seit undenklichen Zeiten auf dem Hausboden geruht; ein schöner Tisch mit geschweiften Beinen und eingelegter Platte war freilich recht teuer gekommen, denn er war von einem großen Händler erstanden; aber sie rechneten eben alles in eins, und da hatten sie gerade den Preis noch zahlen können; dergestalt besaß jedes Stück, bis herunter zum Fußbänkchen, seine besondere Geschichte. Man kann sich denken, daß die Kameraden mit ihren Damen sehr erstaunt über die Einrichtung waren; die junge Frau fand, sie waren begeistert; ein großes Fragen entstand über das Alter der Möbel, die verschiedenen Stile, die Holzarten, die Preise; und so hatten denn die beiden die Vorstellung, daß es gar nicht möglich sei, schöner eingerichtet zu sein, wie sie es waren.
Die Mutter des jungen Mannes hatte sich über das Glück der beiden herzlich gefreut, und indem bald nach der Hochzeit sein Geburtstag war, hatte sie einen schönen Tafelaufsatz aus Silber angebracht und den beiden geschenkt; der Sohn war das einzige Kind, und sie sagte, sie sehe so schlecht, daß sie sich doch nicht über den Aufsatz freuen könne. Ihr verstorbener Gatte war gleichfalls Offizier gewesen und hatte ein Regiment gehabt; als er den Abschied nahm, hatte er den Aufsatz vom Regiment zum Andenken bekommen; auf dem Fuß waren die Namen aller Freunde eingegraben. Der Aufsatz lag in einem großen, lederbezogenen Kasten; in diesem Kasten hatte er immer im Salon gestanden auf dem schön verzierten Vertiko unter dem Kaiserbild.
Als der Befehl kam, daß der junge Ehemann auf sein Schiff mußte, blieben noch einige Stunden Zeit. Die beiden beschlossen, diese Stunden recht zu feiern. Die junge Frau deckte im Eßzimmer die Tafel für sie beide mit dem schönen Silber, das sie von einem unverheirateten reichen Oheim bekommen, mit feinem altem Porzellan, das von der Ausstattung der Urgroßmutter herrührte, und mit den schönen Gläsern und den Kristallschalen. In die Mitte stellte sie den Aufsatz. Sie aßen ein bescheidenes Abendbrot, aber der Mann hatte eine halbe Flasche Champagner aus dem Kasino holen lassen; nun öffnete er die knallend, und sie leerten die Gläser, indem sie alle schweren Gedanken durch bewußte Heiterkeit zum Schweigen brachten.
So war der Mann abgefahren und die Frau war allein zurückgeblieben. Wochenlang erhielt sie oft keinen Brief, dann bekam sie plötzlich ein ganzes Paket Briefe und Karten auf einmal, denn er schrieb täglich, auch wenn er lange auf seinem Schiff in See war. Die Freundinnen kamen; die unverheirateten und die verheirateten; die einen fragten und staunten, die anderen weinten mit ihr und trösteten sie; sie besuchte oft die Mutter ihres Mannes, und hörte die guten Erzählungen, wie es im französischen Krieg gewesen war, wie oft sie damals als Braut gezagt hatte, und er war doch glücklich durch alle Gefahren durchgekommen; die Mutter lächelte ihr immer zu, aber sie wußte wohl, daß sie oft heimlich weinte; sie tat, als ob sie das nicht wisse. Wenn sie einen Briefstoß bekommen hatte, dann las sie ihr alles vor, und die beiden freuten sich gemeinsam über die Scherze und die lustigen Schilderungen der Briefe; die Mutter nahm den grünen Augenschirm ab, strich sich über die verrunzelte Stirn und lachte still in sich hinein, indem sie sagte: »Ich sehe ihn vor mir! So war er immer!« Und dann erzählte sie eine Geschichte von ihm aus seiner Jugendzeit; es war immer dieselbe Geschichte, aber die junge Frau hörte sie immer mit der gleichen Liebe an.
An einem Vormittag nun, wo eigentlich keine Briefe erwartet werden konnten, klingelte der Briefträger; die junge Frau horchte unruhig und gespannt; das Mädchen band sich im Gang die weiße Schürze um, öffnete, wechselte einige Worte mit dem Mann; dann nahm sie den Metallteller, legte den Brief darauf; die Frau erwartete sie begierig; als das Mädchen eintrat, griff sie gleich nach dem Brief.
Er war vom Admiralstab und enthielt die Mitteilung, daß ihr Gatte in Erfüllung seiner Pflicht den Tod gefunden habe, indem sein Boot vom Feinde vernichtet sei; sie werde aber aus Staatsgründen gebeten, niemandem Mitteilung zu machen, bis sie weiteren Bescheid erhalte.
Es war an einem der Tage, wo sie die Mutter ihres Gatten zu besuchen pflegte.
Die beiden hatten oft darüber gesprochen, wie unrecht es sei, wenn die Hinterbliebenen der Gefallenen sich öffentlich in Trauerkleidung zeigen. Sie zog ein helles Kleid an; im Fenster stand ein Nelkenstock, der herrliche rote Blüten hatte; sie hatte ihn sich gekauft, weil sie dachte, daß heute doch die Menschen wenig Blumen kaufen werden, und daß man die armen Geschäftsleute unterstützen müsse, wenn man es könne. Die schönste der roten Blüten schnitt sie mit der Schere ab und steckte sie ins Knopfloch, dann gab sie dem Mädchen noch Anweisungen und ging.
Die alte Frau ergriff sie bei der Hand und zog sie neben sich zum Sitzen; sie hatte viel zu erzählen, vom Kaufmann an der Ecke, von gefallenen Bekannten, von Beförderungen, von den gestiegenen Preisen; die junge Witwe hörte aufmerksam und freundlich zu, den Kopf auf ihren Strumpf geneigt, denn sie strickte fleißig an einem grauen Strumpf. Dann sprach die alte Frau von ihrem Sohn, erzählte die Geschichte aus seiner Jugend, lachte; so vergingen die zwei Stunden, welche die junge Frau bei ihr zu weilen pflegte.
Die Freundinnen kamen und fragten, wie es ihrem Mann ergehe; sie erzählte, daß er immer zufriedene Briefe schreibe; sie fragten Näheres, und sie erzählte Geschichten, die er in seinen früheren Briefen geschrieben; einige Freundinnen sagten, wie glücklich sie sein müsse, wenn der Briefträger klingele; andere kamen und klagten, daß sie lange keine Nachrichten erhalten, und fragten sie, ob sie selber Briefe bekommen habe, und sie erzählte dann wieder dasselbe, das sie den anderen schon erzählt; einige ihrer Freundinnen beneideten sie um ihre Gemütsruhe und sagten, wenn sie sich denken würden, welchen Gefahren der Mann ausgesetzt sei, dann würden sie nicht eine Nacht ruhig schlafen können; aber freilich sei die Gemütsart der Menschen verschieden und das sei ja ein Glück.
Die Schwiegermutter wunderte sich, daß so lange keine Briefe kamen; sie wurde unruhig, sie verlangte zuletzt, daß die junge Frau beim Admiralstab anfrage. Da setzte die sich hin, nahm Briefpapier und schrieb, als schreibe ihr Mann an sie. Sie hatte sich ganz in seinen Stil hineingelebt, sie kannte sein ganzes Leben genau; und so konnte sie denn von seinen täglichen Erlebnissen schreiben; dann stellte sie allgemeine Betrachtungen an, die sie der Zeitung entnahm; dann schrieb sie wieder einige Karten, die nur Grüße enthielten. Mit dem Stoß ging sie zu der alten Frau und las ihr vor. Die freute sich, lachte, rühmte ihren Sohn, sprach von Aufrücken, streichelte ihr die Hand. Endlich konnte die junge Frau nicht mehr an sich halten. Sie sagte, daß sie Kopfschmerzen habe und an die Luft gehen müsse.
Nun ging das eine ganze Weile so, daß sie erzählte und falsche Briefe verfaßte.
An einem Nachmittag sagte sie plötzlich zu dem Mädchen, der Herr komme; sie schickte das Mädchen zum Einkauf aus, ließ wieder eine halbe Flasche Champagner holen, deckte den Tisch mit ihrem Silber, Porzellan und Kristall. Sie lachte beständig bei ihrer Arbeit, und das Mädchen lachte auch, denn sie freute sich mit ihrer Freude. Sie hatte den Tafelaufsatz ohne das Futteral aufgestellt; er stand auf der Anrichte im Eßzimmer; als sie ihn auf den Tisch heben wollte, sah sie, daß er stark angelaufen war; sie zog sich alte Handschuhe an, ging in die Küche und putzte ihn.
Während sie da in der Küche arbeitete, klingelte es; die Mutter kam; sie wunderte sich über die plötzliche Nachricht, freute sich und setzte sich auf den Küchenstuhl zu ihr. Sie wollte immer darüber sprechen, welche Überraschung das nun sei; aber die junge Frau putzte eifrig an dem Aufsatz und sprach nur davon, daß der gar nicht blank werden wolle.