Paul Ernst
Die Taufe
Paul Ernst

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Das vereitelte Stelldichein

Unter der glorreichen Regierung Friedrichs des Großen lebte in Berlin in der Linienstraße, gleich beim Koppenplatz, ein nicht unbegüterter Fleischermeister mit seiner Frau und seiner bereits heiratsfähigen Tochter, einem frischen, rotbäckigen und braven Kind. Ganz in seiner Nähe, an der Ecke vom Koppenplatz, hatte ein Kolonialwarenhändler seinen Laden, welcher der beste Freund des Fleischers war und auch wohl im gleichen Alter mit ihm stand. Damals waren die Vergnügungen der Bürger noch einfacher wie heute, der Kaufmann besuchte abends regelmäßig seinen Freund, brachte seine Kruke Weißbier unterm Arm mit, hatte den Tabaksbeutel um den Hals gehängt und die lange Pfeife im Mund; dann setzten sich die beiden ins Wohnzimmer vor das Brett und spielten Dame; die Mutter saß auf der anderen Seite des Tisches vor der Öllampe und stopfte Strümpfe, denn die Fleischer, welche ja bei der Arbeit in Holzpantoffeln gehen, haben oft Löcher in den Hacken; neben der Mutter saß die Tochter, indem sie Schürzen säumte, die gleichfalls viel im Geschäft gebraucht wurden; und in der Ecke auf einem niedrigen Schemel schnitzelte der Geselle Wurstspeiler. Wenn die Bürgerstunde schlug, wurde das letzte Spiel unterbrochen, der Kaufmann stand auf, nahm die geleerte Bierkruke unter den Arm und verabschiedete sich.

An einem Abend sah der Kaufmann das junge Mädchen, wir wollen sie Marie nennen, einmal starr an, indessen sein Freund die Steine aufsetzte, tat einen großen Zug aus seiner Pfeife und sprach dann: »Ja, wenn man nun so denkt, daß der Platz früher leer war, wie du noch um sieben zu Bett gebracht wurdest, und wie lange dauert's, dann kommt der Bräutigam, und dann wird der Platz wieder leer.« Hier machte ihn der Fleischer aufmerksam, daß er anziehen müsse: der Kaufmann schob sein Hauskäppchen gedankenvoll schief, betrachtete lange das geordnete Brett und zog dann den ersten Stein.

Wir wollen nicht lange damit hinter dem Berge halten: der Kaufmann hielt bei seinem Freunde um die Hand des Mädchens an, der Vater versprach sie ihm, und wie damals die Väter über ihre Kinder eine unbeschrankte Herrschaft ausübten, erklärte er ihr kurz, daß sie den Kaufmann in einem Vierteljahr, denn so lange dauerte die Herrichtung der Aussteuer, heiraten werde.

Das gute Mädchen fand zwar den Bräutigam schon recht alt, aber sie hätte sich wohl ruhig und zufrieden gefügt, da er ja sein vortreffliches Auskommen hatte, wenn nicht vorher in ihrem unschuldigen kleinen Herzchen eine heftige Liebe entstanden wäre.

Unter allerhand alten Büchern, welche ihr Vater zum Einwickeln der Wurst gekauft, hatte sie den ersten Band eines Romans gefunden, welcher den Titel trug »Die Husarenbraut«. Der Verfasser hatte einen moralischen Zweck beabsichtigt, indem er zeigen wollte, daß der Ungehorsam gegen die Eltern und eine Entführung immer zum Unglück der Mädchen ausschlagen; indessen befand sich in der Ökonomie seiner Dichtung die Darstellung des Unglücks im zweiten Band, der erste aber, den Marie allein besaß, schilderte in den glühendsten Farben die Liebe des Husarenleutnants und eine romantische Entführung auf dem Pferd, welche denn auch auf dem Titelkupfer künstlerisch vollendet abgebildet war. Nun wohnte einige Häuser von Mariens Eltern entfernt bei einem Schuster ein Leutnant; er gehörte freilich zu einem Grenadierregiment, aber das machte schließlich nicht viel aus. Nachdem sie den Roman gelesen, sah sie hinter diesem jungen Manne oft verstohlen her, wenn er vorüberging, mit Stolz beobachtete sie, wie die Soldaten ihn grüßen mußten und wie er ihnen nur ganz leicht und vornehm zuwinkte, sie bewunderte seine engen Hosen, in denen nicht ein Fältchen war; abends holte der Bursche öfters Wurst für ihn, und sie fragte den Mann nach seinem Herrn aus; sehr bald hatte der Leutnant die Verliebtheit des jungen Mädchens bemerkt, und ein kleiner Handel hatte sich bereits angesponnen, als der Vater ihr sagte, daß sie den Kaufmann heiraten solle.

Mariens Lage glich auf das Haar der Lage der Heldin in dem Roman; beide sollten einem ungeliebten Mann zum Opfer gebracht werden. Die Schulbildung war damals nicht so gut, daß die Tochter eines Fleischermeisters hätte aus sich selber einen Brief an einen Leutnant verfassen können; aber sie hatte eine Vorlage in dem Roman; und so schrieb sie denn den Brief der Heldin ab, welcher sie schon beim ersten Lesen gerührt hatte. In diesem Brief bat sie den Geliebten, sie durch eine Entführung von der Tyrannei ihrer Eltern zu befreien. Der Leutnant antwortete entsprechend, und so wurden Ort und Stunde brieflich festgesetzt.

Die Briefe zwischen den beiden Liebenden waren immer durch den Gesellen befördert, von dem Marie annahm, daß er ihr in blinder Anhänglichkeit wie in dem Roman ein Dienstmädchen der Tochter ihrer Herrschaft anhing. Nun muß man aber wissen, daß der Geselle ein verständiger junger Mann war, ein Sohn rechtschaffener Eltern, welcher seine bestimmten Absichten hatte. Deshalb hatte er jeden Brief vorher heimlich geöffnet und gelesen. So las er denn auch diesen Brief; und da ihm nun die Entwicklung weit genug gediehen schien, so ging er mit dem Brief zum Vater.

Man weiß, daß Friedrich der Große ein nüchterner Mann war. Zuerst dachte der Fleischermeister, sich in seinen guten Anzug zu werfen und mit der Angelegenheit zum König zu gehen; aber dann sagte er sich, daß der König ihm wahrscheinlich antworten werde, er solle seine Gans selber hüten. Der Geselle pflichtete ihm bei, daß ein solches Hüten sehr schwer ist, und gab ihm einen anderen Rat. Es komme darauf an, den gefährlichen Leutnant zu entfernen. Er wolle den Brief dem Mädchen abgeben; der Vater solle tun, als wisse er von nichts, an dem Abend der Verabredung aber sie einschließen und etwa seiner, des Gesellen, Bewachung übergeben; dann solle seine Frau die Kleider der Tochter anziehen und zu dem Stelldichein gehen und er selber ihr in einiger Entfernung folgen. Der Leutnant werde die Frau entführen wollen, dann solle er herbeieilen, die Polizei rufen und sich nun beim König beklagen, daß der Offizier seiner Gattin nachgestellt habe. Das sei denn doch eine ernste Sache, und der Liebhaber werde sicher in eine andere Garnison versetzt.

Der Alte schätzte den Gesellen seit lange als einen anschlägigen Menschen, und da er bei ihm keinen anderen Beweggrund vermutete als das Wohl seines Herrn, so führte er den Plan auch aus.

An dem bestimmten Abend klagte die Tochter nach dem Abendessen über Kopfweh und verlangte, in ihre Schlafkammer unterm Dach zu gehen. Der Vater entließ sie, ging hinter ihr her, schloß leise ihre Tür zu und gab den Schlüssel dem Gesellen. Dann kam der Nachbar, erzählte von den Unruhen in der Türkei, entkorkte seine Weißbierkruke und goß sie in den großen Humpen, fragte darauf nach seiner Braut und bemerkte, solche Kopfschmerzen seien häufig, wenn die jungen Mädchen in das Alter kämen, wo sie heiraten müßten; dann setzten sich alle in der gewohnten Weise; die beiden Männer spielten rauchend und trinkend ihr Brettspiel, die Mutter sah die gewaschenen Strümpfe durch, zog sie über die Hand und legte die zerrissenen zur Seite, und der Geselle schnitzte seine Wurstspeiler. Wie der Nachbar sich entfernt hatte, machten sich die Eltern in der verabredeten Weise zurecht; die Mutter trocknete ihre Tränen und bat den Gesellen, das Kind zu trösten, damit es sich nicht ein Leid antue, und dann gingen die beiden gleichfalls.

Nun stieg der Geselle zu dem Mädchen; er fand sie erstaunt und ratlos auf dem Bettrand sitzen, denn sie hatte geglaubt, daß der Riegel aus Versehen von außen zugeschnappt sei.

Hier zeigte der Geselle nun eine sehr große psychologische Erfahrung, indem er sich auf das Vertrauen berief, das sie immer zu ihm gehabt und das er verdienen wolle, koste es auch seine Stellung; dann erzählte, daß Vater und Mutter alles entdeckt haben und gegangen seien, um den Leutnant zu überraschen; dann ihr Flehen anhörte, sie vor der Strafe zu beschützen, die ihr von den Eltern drohte; und endlich zögernd auf ihr Bitten einging, ihr zur Flucht behilflich zu sein. Das Mädchen dachte nur an das Fortlaufen, und er hütete sich, sie auf die Frage zu bringen, wohin sie eigentlich laufen wolle. Das Mädchen mummte sich ein, er zog seinen Sonntagsanzug an, öffnete mit dem zweiten Schlüssel das Haus und schloß es wieder gewissenhaft, und führte dann das Mädchen an einen Ort, den er sich vorher ausgedacht.

Inzwischen traf der Leutnant die Mutter, die, so natürlich es bei einer schon etwas entwickelten Fülle des Körpers gehen wollte, denn sie war ja doch eine Fleischersfrau, die Tochter nachahmte; faßte sie um die Taille und versuchte, sie in eine wartende Droschke zu heben; das war nicht so leicht, da er kaum halb soviel wiegen mochte – denn auch damals hatten die Leutnants schlanke Taillen – wie die vermeintliche Geliebte. Hierüber erschien der Fleischermeister und begann laut zu schreien. Der Leutnant erschrak, ließ die Frau los, und da seine Liebe wohl nicht so heftig war, daß er sich über mögliche Unannehmlichkeiten mit seinem Obersten hinweggesetzt hätte, so erklärte er dem Mann, er habe genug von der Geschichte und wolle nach Hause gehen. Der Fleischermeister beruhigte sich aber nicht; Leute kamen aus den Häusern; dem Leutnant ging es gegen die Ehre, auszureißen, was wohl das Richtigste gewesen wäre, und er legte sich aufs Fluchen; der Kutscher nahm seine Partei und bedrohte den Meister mit dem Peitschenstiel; die Polizei erschien; das Ehepaar war in der Gegend bekannt, der Leutnant mußte seinen Namen angeben, bezahlte den Kutscher, welcher ihn tröstete und sich für weitere Gelegenheiten empfahl, und zog dann beschämt ab; der Fleischermeister erzählte noch irgendeine konfuse Geschichte, daß er mit seiner Frau habe die Abendkühle genießen wollen; da der Geselle sich von diesem Punkt der künftigen Handlung nicht berührt gefühlt, so hatte er ihm vorher keine solche Geschichte gegeben, und so kam diese Erfindung etwas unwahrscheinlich heraus; aber die Umstehenden störte das nicht und die Polizei beschloß, später schon weiter nachzuforschen.

So wanderte nun das Ehepaar, nachdem alles gut gelungen, nach Hause zurück. Sie sahen kein Licht mehr im Hause, und der Meister lobte den sparsamen Sinn des Gesellen, daß er im Dunklen sitze; dann zog er den großen Schlüssel aus der Tasche, schloß die Haustür auf, trat mit seiner Frau ein und schloß wieder zu.

Wir brauchen das Entsetzen der braven Leute nicht zu beschreiben, als sie das Haus leer fanden, und können sie verlassen, wie sie ratlos in der Stube sitzen, die Frau dem Manne Vorwürfe macht und der Mann stumm den Kopf hängen läßt.

Es ist auch nicht nötig, zu schildern, wie der Geselle die merkwürdige Lage benutzte. Wir wissen, daß er ein gescheiter Mensch war und seine Absichten hatte; er war auch ein hübscher Kerl und war jung, und befand sich in der vorteilhaften Stellung des Trostspenders; das Mädchen war auch jung und war trostbedürftig. So konnte er denn mit ruhigem Gemüte das Mädchen am anderen Morgen eine Weile allein in dem Gasthof lassen, in den er mit ihr gegangen war, und zu den Eltern gehen, welche die ganze Nacht schlaflos gesessen hatten. Sie stürzten auf ihn zu, als er eintrat, ergriffen seine Hände, die Tränen rollten ihnen beiden über die Wangen, denn man weiß ja, daß Fleischer, wenn sie nicht roh sind, sehr weichmütige Naturen zu sein pflegen; und fragten ihn nach ihrem Kind.

Der Geselle setzte sich kaltblütig und begann im allgemeinen davon zu sprechen, daß die Meister ihre Töchter immer aus dem Gewerbe herauszugeben pflegten, was ein großes Unrecht gegen die Gesellen sei; dann erzählte er, daß das Mädchen sich habe etwas antun wollen, daß er sie aber behütet habe und daß sie gesund sei; daß er zwar kein Vermögen besitze, aber sein Geschäft gründlich verstehe, wie der Meister wohl wisse, denn er habe zwei Jahre in Braunschweig gearbeitet, und eine Mettwurst, wie er sie mache, solle ihm einmal einer in Berlin zeigen, und alle seine Geheimnisse habe er dem Meister auch nicht verraten, denn wenn der Meister dem Gesellen erst alles abgesehen, dann wird ihm der Stuhl vor die Tür gesetzt. Auch sei es ein Unrecht, ein junges Mädchen an einen alten Mann zu verheiraten, daraus komme nur Unfriede; und so sprach er eine Weile weiter, bis er zu dem Schluß kam, daß das Mädchen nun seine Braut sei, und daß man das Geschäft vergrößern könne, und die Schwiegereltern könnten ganz gut eine Treppe hoch wohnen, und sonst könne alles beim alten bleiben.

Kurz und gut, die Eltern mußten wohl ja sagen, und der verständige Geselle zog befriedigt ab, seine Braut wieder zu ihren Eltern zu führen.

So war nun alles zur Zufriedenheit aller Teile geregelt, denn der Nachbar ergab sich, nachdem er eine Woche lang gegrollt, und erschien wieder zu dem abendlichen Brettspiel; gegen den Gesellen war eigentlich nichts zu sagen und Marie hatte ihn ja auch von Herzen lieb. Nur die Entführung hatte noch ein kleines Nachspiel.

Die Polizei bestellte den braven Meister und verlangte eine nähere Aufklärung des merkwürdigen Vorfalls. Der wußte sich nicht anders zu helfen, als indem er ehrlich alles erzählte, was denn eine große Heiterkeit bei den Beamten erweckte. Darüber aber kam der arme Leutnant in tausend Ängste. Er erschien in seiner besten Uniform plötzlich im Hause des Fleischermeisters; Marie öffnete ihm errötend die Stubentür und lief dann nach oben; der Meister kam vom Wurstmachen, wischte sich die Hände an der Schürze ab, entschuldigte sich vielmals über seinen Aufzug und schob dem Leutnant einen Stuhl hin; dieser stand eine Weile und drückte, dann sagte er: »Ich will mich ja nicht weißbrennen, ich habe einen dummen Streich gemacht. Aber wenn der König die Geschichte hört, dann sagt er: ›Einen Offizier, der ein altes Weib für ein junges Mädchen hält, kann ich nicht brauchen, den kann ich doch keine Patrouille führen lassen.‹ Dann fliege ich.« Dem Meister tat der junge Mann leid, und er sagte, von ihm aus solle die Sache begraben sein. Der Geselle kam und sprach davon, ob der Leutnant nicht ein Wort beim Obersten einlegen könne, wenn die Fleischlieferungen für die Grenadierkaserne wieder vergeben würden; der Leutnant versprach hastig, alles zu tun, was in seiner Macht liege; der Meister aber sagte: »Ich liefere gute Ware, wer meine Ware nicht will, der braucht sie nicht zu nehmen. Was ich gesagt habe, das habe ich gesagt. Ich gehe auf die Polizei, die Beamten kennen mich alle und wissen, daß ich ein ruhiger Bürger bin. Die Geschichte kommt nicht vor den König, das sage ich. Und wenn dem Herrn Leutnant meine Ware gefällt, das ist eine Sache für sich, aber solche Hintertreppen gehe ich nicht.« Der Geselle ging schweigend ab, und der Meister sagte zu dem Leutnant: »Man darf die jungen Leute auch nicht zu hoch kommen lassen. Immer der Herr im Hause bleiben!« Dankbar drückte der Leutnant die fettige Hand des Meisters, errötete, murmelte etwas und eilte aus dem Zimmer.


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