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Zur Zeit Ludwigs des Vierzehnten kam ein junger Mann aus einer vornehmen, aber armen Familie nach Paris, um auf irgendeine Weise sein Glück zu machen. Er stieg in einem bescheidenen Gasthof ab, ließ sich ein Zimmer unter dem Dach geben, verzehrte ein Stück Brot, das er sich im letzten Dorf vor der Stadt gekauft hatte, weil auf dem Lande das Brot billiger ist, putzte seine Stiefel, bürstete seine Kleider, setzte seinen Hut auf das linke Ohr und steckte die Hand stolz in den Degengriff, und ging dann in den Tuileriengarten; denn es war gerade die Stunde, daß sich dort die vornehme und reiche Welt versammelte.
In einem einsamen Gang traf er zwei junge Mädchen, eine Dame mit ihrer Dienerin. Die Dame schien ihm hübsch zu sein; er zog seinen Hut, stellte sich ihr vor und begann von seiner Reise zu erzählen. Die Dame lachte, die Dienerin kicherte; er ließ sich nicht stören, geleitete die Dame zu einer Bank, drückte ihr dabei sanft die Hand und sagte, wenn eine Dame lache, so habe man ihr Herz schon zur Hälfte gewonnen. Die Dame sah ihn schräg an, seufzte und blickte zur Erde nieder, indessen der Kavalier erzählte, daß er noch elf Geschwister zu Hause habe. Die Dame erwiderte, sie sei das einzige Kind und müsse gleich nach Hause zurückgehen; er fragte sie nach dem Namen und der Wohnung ihrer Eltern, sie errötete und sagte ihm, was er wissen wollte; es kamen Leute, sie bat ihn, sie zu verlassen, damit kein Aufsehen erregt werde, er zog ihre Hand an die Lippen und verabschiedete sich.
Noch an demselben Abend machte er dem Vater der jungen Dame seinen Besuch. Dieser war einer der Mitpächter der Salzsteuer und also ein sehr reicher Mann; es ist nicht wunderbar, daß er erstaunte, als der Landjunker ihm erzählte, er habe sich in seine Tochter verliebt, und obgleich sie bürgerlich sei, wolle er sie doch heiraten; er antwortete trocken, daß er seine Millionen nicht gesammelt habe, um einem armen Ritter aufs Roß zu helfen. Der Kavalier erhob sich ungestüm und sagte, indem er an sein Schwert schlug, er werde ihm schon zeigen, daß der Adel etwas bedeute, und ging, die Tür hinter sich zuschlagend.
Der Steuerpächter war ein bürgerlicher Mann, der sich nicht gerade durch Mut auszeichnete, denn wozu braucht ein Steuerpächter wohl Mut? Die drohende Miene des Jünglings war ihm recht unangenehm und er konnte sich nicht anders vorstellen, als daß der junge Mann doch irgend etwas gegen ihn beginnen werde; man darf es ihm nicht übelnehmen, daß er sich auf die Psychologie eines jungen Herrn von Stande nicht verstand, der nur seinem Groll Luft machen wollte, denn er selber war früher Bedienter gewesen und hatte sich stets jedes Wort überlegt, das er gesagt.
Der Kavalier ging nach Hause, warf sich unmutig auf sein Bett und schlief die Nacht sehr gut. Am anderen Morgen nahm er sein bescheidenes Frühstück ein, indem er sich vom Milchmann einen Topf Milch kaufte und vom Bäcker nebenan eine Semmel dazu, und dann machte er sich auf den Weg durch die Straßen von Paris, um zu sehen, ob er nicht anderswo sein Glück finden werde. Er war überzeugt, daß es einem nicht in Paris fehlen kann, wenn man von Adel, achtzehn Jahre alt und sechs Fuß zwei Zoll lang ist.
Es begegnete ihm nichts Merkwürdiges, aber nach einigen Stunden begann ein sehr heftiger Regen. Nun hatte er natürlich seinen besten Anzug an, der zugleich sein einziger war, und sein Vater hatte ihm vor der Reise noch eingeschärft: »Schone ihn, ein anständiger Anzug und gute Manieren sind mehr wert wie ein voller Geldbeutel.« So sah er sich denn nach einem Schutz um, und da er ein großes palastähnliches Gebäude erblickte, in das viele Menschen hineingingen, so dachte er, daß er hier den Schauer abwarten könne. Er schloß sich einem Trupp schwarzgekleideter Bürger an, diese stiegen eine Treppe hinauf und traten in einen großen Saal, wo schon andere Schwarzgekleidete sie zu erwarten schienen, denn sie kamen begrüßend auf sie zu; unser junger Kavalier, der ja niemanden kannte, hielt sich allein; und da ihm das Stehen zu langweilig wurde, so ging er mit großen Schritten in der Mitte des Saales auf und ab, indem er an seine Liebschaft dachte und sich über den Vater ärgerte, diesen alten Idioten, wie er ihn nannte.
Der Regen dauerte lange an, und natürlich fiel der vornehme junge Mensch, welcher so allein hartnäckig auf und ab schritt, bald den anderen auf. Es taten sich Gruppen zusammen, welche sich besprachen; ein Gestufter ging bald durch die ganze Gesellschaft; man sah nach ihm hin, der junge Mann wurde durch die Blicke angezogen und schaute nun auch auf die anderen; da erkannte er den Vater seiner Geliebten unter ihnen; als wohlerzogener Edelmann begrüßte er ihn als den Älteren höflich, dann setzte er seinen Spaziergang weiter fort und bekümmerte sich um niemanden mehr.
Die anderen scharten sich um den Begrüßten, fragten, sprachen auf ihn ein, drängten ihn; endlich schritt der auf den jungen Mann zu, entschuldigte sich, daß er ihn so ohne weiteres anredete, und sagte zu ihm. »Mein Herr, es sind zwei Möglichkeiten: Entweder Sie vereinigen sich mit uns und gehen mit zu gleichen Teilen, oder wir zahlen Ihnen eine Abstandssumme. Sind Sie mit tausend Louisdor zufrieden?« Der junge Mann starrte den anderen an, und indem er es nicht für nötig hielt, über die sonderbare Ansprache nachzudenken, erwiderte er ihm grob: »Verschonen Sie mich.« Bestürzt zog sich der Bürger zurück und tuschelte wieder eifrig mit den anderen, indessen der Jüngling weiter auf und ab ging, von Zeit zu Zeit einen ungeduldigen Blick aus dem Fenster auf den Regen werfend.
Nach einer Weile wurde unser Bürger wieder zu ihm geschickt. Er nahm seine Mütze ab, verbeugte sich und entschuldigte sich, daß er ihm vorhin so wenig geboten habe; dann fuhr er fort, seine Freunde seien übereingekommen, daß sie ihm zehntausend Louisdor anbieten könnten. Hier wurde der junge Kavalier wütend, faßte an seinen Degen und schrie: »Herr, wenn Sie schlechte Witze machen wollen, dann suchen Sie sich einen anderen aus.« Der Bürger wurde kreideweiß, drückte sich und lief zu seinen ängstlichen Genossen zurück.
Indessen klärte sich das Wetter auf; die versammelten Männer murmelten: »Jetzt kommt er gleich,« und blickten immer ängstlicher auf unsern jungen Mann, der ihnen den Rücken zuwendete, auf einer Fensterscheibe trommelte und die letzten Sprüher abwartete, um zu gehen. Ein Diener erschien im Saal und rief: »Exzellenz schicken eben einen Boten, Exzellenz sind noch bei Majestät, die Herren sollen morgen um dieselbe Zeit wiederkommen.« Nun brachen alle auf und gingen, und da der Regen inzwischen gänzlich aufgehört hatte, so folgte der junge Mann ihnen; auf der Straße blieben die anderen noch eine Weile beratschlagend stehen, und er schritt seines Weges mit langen Schritten fürbaß, immer daran denkend, wie er nun sein Glück machen werde.
Am Nachmittag wandelte er wieder im Tuileriengarten und suchte eine neue Bekanntschaft. Aber es zog ihn doch gegen seinen Willen zu dem Gang, in welchem er gestern gewesen war, und sieh, da fand er wieder die reizende Dame; aber sie hatte heute rotgeweinte Augen und sah recht niedergeschlagen aus. Mit höflichem Gruß wollte er vorbeigehen, da rief sie ihn an und winkte ihn zu der Bank, und nun erzählten sich die beiden.
Es stellte sich heraus, daß die Pacht der Salzsteuer abgelaufen war, daß die bisherige Pachtgesellschaft ihr Gebot erneuert hatte und am Vormittag zum Finanzminister bestellt war, um die Antwort zu erhalten. Der unbekannte junge Mann hatte bei den Versammelten die Vorstellung erweckt, daß er in derselben Angelegenheit Audienz habe, der Vater der Schönen hatte sich der drohenden Worte von gestern abend erinnert, und nun fürchteten alle, der junge Mann wolle die Salzsteuer gleichfalls pachten und werde wegen seiner adeligen Beziehungen vom Minister ihnen vorgezogen. Der Vater der Schönen war ganz vernichtet nach Hause gekommen.
Errötend schloß die junge Dame ihre Erzählung, der Herr müsse nun den Entschluß fassen, der ihm der richtigste scheine, stand dann schnell auf und entfernte sich.
Am anderen Vormittag wartete die Pachtgesellschaft wieder im Vorzimmer des Ministers; der junge Mann erschien einige Minuten vor dem angesetzten Beginn der Audienz; er ging auf die Versammlung zu und sagte: »Meine Herren, ich verachte die Geldgeschäfte.« Alle verneigten sich. Er meinte mit diesen Worten natürlich: »Ein Edelmann bewirbt sich nicht um die Steuerpacht,« und wenn diese Idioten ihn falsch verstanden, so war das nicht seine Schuld. Dann wendete er sich zu dem Vater seiner Geliebten, faßte ihn am Rockknopf, zog den Schlotternden zum Fenster und sagte ihm ins Ohr, laut genug, daß alle es hören konnten: »Ihre Tochter und die zehntausend Louisdor von gestern als Mitgift, denn ich habe nichts.« Hilfeflehend sah sich der Alte nach seinen Freunden um; der junge Mann zog kaltblütig seine Uhr aus der Tasche und sagte zu ihm: »Bedenken Sie sich, in drei Minuten lassen Exzellenz die Tür öffnen.« Die anderen liefen zu ihnen, alle schrien durcheinander, daß sie die zehntausend Louisdor gemeinschaftlich tragen wollten; der junge Mann zog ein Papier aus der Tasche, Tinte und Feder, und bat die Herren um ihre Unterschrift; der Vater las, unterschrieb mit Tränen in den Augen; die anderen unterschrieben gleichfalls; der junge Mann nahm aus der anderen Tasche einen Sandstreuer und löschte die Unterschriften, faltete das Blatt sorgfältig und steckte es in die Tasche; und indem er sich vor den Herren zum Abschied verbeugte, öffnete der Bediente die Tür zum Kabinett des Ministers und rief: »Exzellenz lassen bitten.«