Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwanzigster Abschnitt.

Im Sternenschein gingen Gottfried und Nancy schweigend nach Haus. Als sie in das getäfelte Wohnzimmer traten, warf sich Gottfried auf einen Stuhl, während Nancy Tuch und Hut ablegte und sich an den Kamin nahe zu ihrem Mann stellte; sie mochte ihn selbst nicht auf Minuten verlassen und wagte doch nicht zu sprechen, um ihn nicht zu verletzen. Endlich wandte Gottfried den Kopf zu ihr, und ihre Blicke trafen sich, und in diesem Anschauen verweilten sie ohne Regung. Dieses ruhige gegenseitige Anschauen von Ehegatten, die einander vertrauen, ist wie der erste Augenblick von Ruhe nach einer großen Ermattung oder von Sicherheit nach einer großen Gefahr, und kein Reden und Thun darf es stören und die Empfindung von dem frischen Genuß der Erholung ablenken.

Endlich streckte Gottfried die Hand aus, und als Nancy ihre Hand hinein legte, zog er sie an sich und sagte:

»Das ist vorbei!«

Sie neigte sich zu ihm und küßte ihn und sagte: »ja, ich fürchte auch, wir müssen die Hoffnung aufgeben, sie zur Tochter zu haben. Zwingen dürfen wir sie nicht. Wir können's nicht ändern, daß sie bei dem Weber aufgewachsen ist und nun bei ihm bleiben will.«

»Nein«, sagte Gottfried mit einer Bestimmtheit im Ton, die gegen seine gewöhnliche lässige Ausdrucksweise sehr abstach – »es giebt Schulden, die lassen sich nicht abbezahlen, wie Geldschulden, daß man was drauf giebt für die Jahre, die man versäumt hat. Während ich immer zögerte und zögerte, sind die Bäume gewachsen, und jetzt ist's zu spät. Marner hatte ganz recht, als er davon sprach, daß man den Segen von der Thür weis't; der Segen fällt dann einem andern zu. Früher wollte ich für kinderlos gelten, Nancy; jetzt gelte ich für kinderlos gegen meinen Wunsch.«

Nancy antwortete nicht gleich, aber nach einer kurzen Weile [211] fragte sie: »Du willst's also keinem sagen, daß Eppie Deine Tochter ist?«

»Nein – was könnte das nutzen? Nur schaden könnte es. Ich muß für sie thun, was ich in der Stellung, die sie sich wählt, thun kann. Erst muß ich sehen, wen sie denn eigentlich heirathen will.«

»Wenn es nichts nutzt, daß Du die Sache bekannt machst«, sagte Nancy, die es nun für erlaubt hielt, einem Gefühle Ausdruck zu geben, welches sie bisher unterdrückt hatte, »dann würd' ich Dir recht danken, wenn Du es Vater und Priscilla auch erspartest. Die Geschichte mit Dunstan kann ihnen allerdings nicht verschwiegen bleiben.«

»Ich werd' es in mein Testament setzen – ja, das wird das beste sein. Ich möchte nicht, daß so etwas nachher zufällig entdeckt würde, wie jetzt die Geschichte mit Dunsey«, sagte Gottfried nachdenklich. »Aber wenn ich es jetzt erzählte, so sehe ich nichts als unangenehme Folgen voraus. Ich muß helfen, daß sie in ihrer Weise glücklich wird. Ich denke mir übrigens«, fügte er nach kurzer Pause hinzu, »ihr Bräutigam ist Aaron Winthrop. Ich hab' ihn schon mit ihr und Marner aus der Kirche gehen sehen, erinnere ich mich.«

»Nun, das ist ein verständiger und fleißiger Mensch«, sagte Nancy, die sich Mühe gab, die Sache so heiter als möglich anzusehen.

Gottfried versank wieder in Nachdenken, aber bald blickte er bekümmert zu Nancy auf und sagte:

»Sie ist ein sehr hübsches nettes Mädchen, nicht wahr, Nancy?«

»Ja, Gottfried, und sie hat ganz Deine Augen und Dein Haar; ich wundere mich, daß mir das nicht früher aufgefallen ist.«

»Es schien mir, als wenn sie einen Widerwillen gegen mich faßte, als sie hörte, ich sei ihr Vater; ich konnte deutlich sehen, daß sie nachher anders gegen mich wurde.«

»Sie konnte den Gedanken nicht fassen, daß Marner nicht [212] ihr Vater sein sollte«, erwiderte Nancy, welche diesen peinlichen Eindruck ihres Mannes nicht gern bestätigen mochte.

»Sie meint, ich hätte an ihrer Mutter eben so unrecht gehandelt, wie gegen sie selbst. Sie hält mich für schlechter, als ich bin. Aber sie muß das glauben, und nie soll sie alles erfahren. Es gehört zu meiner Strafe, Nancy, daß meine Tochter mich nicht leiden kann. Nie wäre ich in jenes Unglück gekommen, wenn ich Dir treu gewesen – wenn ich kein Narr gewesen wäre. Ich mußte wohl auf schlimmes gefaßt sein bei einer solchen Heirath, und als ich noch dazu mich scheute, meine Vaterpflicht zu erfüllen.«

Nancy schwieg; ihr rechtschaffner Sinn erlaubte ihr nicht, die Schärfe einer gerechten Reue abzustumpfen. Nach kurzer Zeit sprach er wieder, aber in einem ganz andern Ton; mit der frühern Selbstanklage war jetzt Zärtlichkeit gemischt.

»Und doch hab' ich Dich bekommen, Nancy, trotz alle dem, und hab' doch gemurrt, und bin unzufrieden gewesen, weil ich nicht noch mehr hatte – grade als wenn ichs verdiente.«

»Gegen mich hast Du Dich nie vergangen, Gottfried«, sagte Nancy ruhig und offen. »Mein einziger Kummer wäre zu Ende, wenn Du Dich in das Schicksal finden wolltest, was über uns verhängt ist.«

»Nun, vielleicht ist's dazu noch nicht zu spät – obschon es für manches doch ein ›zu spät‹ giebt, man mag sagen was man will.«


 << zurück weiter >>