Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elfter Abschnitt.

Manche Damen würden nicht grade vortheilhaft aussehen, gebe ich zu, wenn sie auf einem Hintersattel säßen und ein graubraunes Reitkleid und einen eben solchen Velpelhut Hut aus einem samtartigen Gewebe mit langen, sich umlegenden Haaren (öfter: ›Felbelhut‹). trügen, dessen Kopf ungefähr wie eine kleine Bratpfanne aussieht; denn ein Kleidungsstück, welches an einen großen Kutscherrock erinnert, bei dem das Tuch nicht gereicht und nur einen sehr kleinen Kragen hergegeben hat, ist nicht grade geeignet, etwaige Mängel der Figur zu verdecken, und eben so wenig ist schmutziges Grau eine Farbe, die blasse Wangen besonders hebt. Einen um so größern Triumph feierte Nancy Lammeter's Schönheit, daß sie grade in dieser Tracht zum bezaubern aussah, als sie hinter ihrem großen stattlichen Vater auf dem Sattel saß, sich mit dem einen Arme an ihm hielt und sehr ängstlich auf die schneebedeckten Pfützen hinab sah, aus denen das Wasser unter den Tritten des Pferdes hoch hinaufspritzte. Ein Maler hätte sie vielleicht am liebsten in ganz unbefangenen Augenblicken gezeichnet, aber sicher war die Blüthe ihrer Wangen im schönsten und schärfsten Gegensatz zu ihrer grauen Bekleidung, als sie an der Thür des rothen Hauses ankam und Gottfried bereit sah, ihr aus dem Sattel zu helfen. Sie wünschte, ihre Schwester Priscilla wäre zugleich mit ihr angekommen, dann hätte Gottfried zuerst Priscilla helfen müssen, und inzwischen wäre sie mit ihrem Vater um das Haus herum nach dem Hofe geritten, statt vorn an der Treppe abzusteigen. Es war sehr peinlich, daß der junge Herr, nachdem sie ihm deutlich genug zu verstehen gegeben, sie wolle ihn nicht heirathen, auch wenn er's noch so sehr wünsche, immer noch mit seinen Aufmerksamkeiten fortfuhr, und überdies, warum zeigte er sich nicht immer so aufmerksam, wenn er es aufrichtig meinte, sondern war so auffallend veränderlich in seinem Benehmen, daß er bisweilen that, als mache er sich gar nichts draus, mit [108] ihr zu sprechen, und sich wochenlang gar nicht um sie bekümmerte, und ihr dann mit einmal wieder förmlich den Hof machte? Und endlich, im Grunde war's klar, daß er sie nicht wahrhaft liebte; wie hätte er sich sonst so aufführen können, daß die Leute so von ihm sprachen? Redete er sich ein, Fräulein Nancy Lammeter ließe sich von jemand gewinnen, der einen schlechten Lebenswandel führte, und wenn er zehnmal Gutsbesitzer wäre? Dergleichen war sie bei ihrem Vater nicht gewöhnt; der war der nüchternste und beste Mensch in der ganzen Gegend, nur ab und zu ein bischen hitzig und übereilt, wenn nicht alles auf die Minute geschah.

Alle diese Gedanken gingen der hübschen Nancy in rascher Folge durch den Kopf, als sie Gottfried vor der Thür stehen sah und langsam auf ihn zuritt. Glücklicherweise kam der Squire auch heraus und begrüßte ihren Vater laut und herzlich und unter diesem Lärm schien sie, so zu sagen, einen Schutz zu finden, um ihre Verwirrung und ihren Mangel an Haltung zu verbergen, während starke Arme sie vom Sattel herunterhoben, denen sie lächerlich leicht vorzukommen schien. Sie fand guten Grund, rasch ins Haus zu eilen, da es wieder zu schneien anfing. Die Gäste waren zum größten Theil schon da; der Nachmittag ging auf die Neige und für die Damen, die weither kamen, blieb kaum die Zeit, sich zum Thee anzukleiden, der dem Ball vorhergehen und zum Tanz ermuntern sollte.

Als Nancy eintrat, ging ein Gesumme von Stimmen durch das Haus, untermischt mit den Tönen einer Fidel, die den Leuten in der Küche was vorspielte, aber die Ankunft solcher Gäste wie die Familie Lammeter hatte man doch vom Fenster aus bemerkt; Frau Kimble, die bei so großen Gelegenheiten die Honneurs im rothen Hause machte, kam Nancy auf dem Flur entgegen, um sie gleich nach oben zu führen. Frau Kimble war die Schwester des Hausherrn und außerdem die Frau des Arztes, und dieser zwiefachen Würde entsprach ihr Umfang vollkommen; eine Reise die Treppe hinauf war ihr daher etwas beschwerlich, und sie ließ es sich gefallen, als Nancy erklärte, sie könne [109] sich allein nach dem blauen Zimmer finden, wo das Gepäck der Damen Lammeter gleich des Morgens bei der Ankunft hingestellt war.

Im ganzen Hause war kaum ein Schlafzimmer, wo nicht Damen in der Unterhaltung und in der Toilette begriffen waren, so gut sich das eben in dem durch die vielen Extrabetten beschränkten Raume thun ließ, und als Nancy ins blaue Zimmer trat, hatte sie nicht weniger als sechs Damen auf einmal zu begrüßen. Zunächst waren da keine geringeren als die beiden Fräulein Gunn, Töchter des Weinhändlers in der nächsten Stadt, nach der allerfeinsten Mode gekleidet, in möglichst engen Röcken und möglichst kurzen Taillen, so daß Fräulein Ladbrook (vom Weidenhofe) sie mit einem halb scheuen halb kritischen Blick anstarrte. Einerseits nämlich dachte Fräulein Ladbrook, ihr eigener Rock müsse den Fräulein Gunn's unpassend weit erscheinen, und andrerseits fand sie, es sei doch recht schade, daß die Damen aus der Stadt nicht eben so verständig wären, wie sie selbst an ihrer Stelle sein würde, und die Mode so sehr übertrieben. Ferner war da Frau Ladbrook, in einer großen Haube und einem falschen Scheitel; einen Turban hielt sie in der Hand und war sehr höflich gegen eine andere Damen und lächelte freundlich und sagte: »nach Ihnen, Madam«; – es handelte sich nämlich um die Frage des Vortritts beim Spiegel.

Kaum hatte Nancy diese Gäste begrüßt, als eine ältliche Dame an sie herantrat, deren großes weißes Mousselintuch und Morgenhaube auf den grauen Locken gegen die gelbseidenen gepufften Kleider und die hohen Hauben der andern sehr abstach. Sie begrüßte Nancy ein wenig geziert und sagte mit langsamer süßlicher Stimme:

»Nichte, ich hoffe, Du bist recht wohl.« Nancy küßte pflichtschuldig die Tante auf die Backe und antwortete mit derselben liebenswürdigen Förmlichkeit: »Danke, Tante, ganz wohl, und Sie doch auch?«

»Danke, liebe Nichte, es geht mir jetzt so leidlich. Und was macht mein Schwager?«

[110] Und so ging es mit pflichtschuldigen Fragen und Antworten weiter, bis man sich im einzelnen vergewissert hatte, die Lammeter's seien Gottlob wohl wie immer, und die Osgood's ebenfalls, und Nichte Priscilla müsse auch bald da sein, und zu Pferde reisen sei bei Schneewetter sehr unangenehm, obschon ein Reitkleid recht schütze. Dann wurde Nancy den Fräulein Gunn's, die bei ihrer Tante zum Besuch waren, förmlich vorgestellt, als den Töchtern einer Mutter, die ihre Mutter gekannt habe, obschon sie jetzt zum ersten Mal hier zum Besuch wären, und die Fremden waren so überrascht, in diesem entlegenen Winkel des Landes ein so hübsches Mädchen zu finden, daß sie sofort neugierig wurden, wie sie sich wohl anzöge, wenn sie ihr Reitkleid abgelegt habe.

Nancy, die in ihrem Fühlen und Denken ebenso sittig und maßvoll war wie in ihrer äußern Erscheinung, dachte bei sich, die Fräulein Gunn's hätten nicht grade feine Züge, und so tief ausgeschnittene Kleider könnten sie doch nicht aus Eitelkeit tragen, da sie keinen schönen Hals hätten; es müsse also irgend einen andern Grund haben, der hoffentlich weder dem Verstande noch dem Anstande widerspräche. Sie war überzeugt, das müsse auch die Ansicht ihrer Tante Osgood sein, denn Nichte und Tante glichen sich in ihren Anschauungen so sehr, daß jedermann erklärte, es sei förmlich überraschend, da doch die Verwandtschaft durch Herrn Osgood käme, und obschon man es nach der Förmlichkeit der Begrüßung nicht hätte meinen sollen, liebten und bewunderten Nichte und Tante einander aufrichtig. Selbst daß Nancy ihren Vetter Gilbert Osgood abgewiesen hatte, bloß weil sie zu nahe verwandt seien – selbst das hatte die Vorliebe der Tante nicht im geringsten abgekühlt, so schmerzlich es ihr auch gewesen, und nach wie vor blieb sie entschlossen, Nancy einige Erbstücke von Schmucksachen zu vermachen, Gilbert möge zur Frau nehmen, wen er wolle.

Drei von den Damen zogen sich bald zurück, aber die Fräulein Gunn's waren es ganz zufrieden, daß Frau Osgood vorzog, bei ihrer Nichte zu bleiben, und ihnen damit auch ein Recht [111] gab, die ländliche Schönheit Toilette machen zu sehen. Und das war wirklich ein Vergnügen – von dem ersten Oeffnen des Koffers an, wo alles nach Lawendel und Rosenblättern roch, bis zu dem Anlegen des kleinen Korallenschmucks, der genau um den kleinen weißen Hals paßte. Alles was Nancy gehörte, war von zarter Reinheit und Sauberkeit; nirgends lag eine Falte, wo sie nicht hingehörte; ihr Weißzeug war wirklich blendend weiß; die Nadeln selbst auf ihrem Nadelkissen hatte sie im regelrechtesten Muster gesteckt, und ihre eigene Person machte denselben Eindruck vollendeter Sauberkeit wie der Leib eines kleinen Vögelchens. Zwar war ihr hellbraunes Haar hinten abgeschnitten wie bei einem Knaben und lag vorn ganz aus dem Gesicht gestrichen in glatten Löckchen, aber Nancy hätte einen Kopfputz tragen können, welchen sie wollte – ihr Gesicht und Hals und Nacken blieben immer hübsch, und als sie endlich in ihrem silbergrauen, geköperten seidenen Kleide, dem Spitzenlätzchen und dem Korallen-Halsband und den korallenen Ohrringen fertig da stand, da konnten die Fräulein Gunn's nichts an ihr auszusetzen finden als höchstens ihre Hände, denen man es ansah, daß sie fleißig in der Milchkammer geholfen und selbst noch gröbere Arbeit gethan hätten. Aber Nancy schämte sich dessen nicht, und während des Ankleidens erzählte sie ihrer Tante ganz offen, wie sie und Priscilla gestern ihren Koffer gepackt hätten, da heute Backtag sei und sie doch gern vor der Abreise noch einen tüchtigen Vorrath von Fleischpasteten für die Küche hätten fertig machen wollen, und als sie diese verständige Bemerkung machte, wandte sie sich sogleich an die fremden Damen, damit sie nicht die Unhöflichkeit beginge, sie von dem interessanten Gespräch auszuschließen. Die Fräulein Gunn's lächelten vornehm steif und dachten im Stillen, es sei doch recht schade, daß diese reichen Gutsbesitzer, die sich so gut kleiden könnten – denn wirklich, Nancy trug sehr kostbare Spitzen und Seide – so unwissend und ungebildet aufwüchsen. Nancy sprach wirklich in einer Weise, daß es den jungen Damen aus einer kleinen Stadt (wo man beiläufig auch durchaus keine reine Aussprache hatte) [112] wohl auffallen konnte; sie war nie in eine höhere Schule gekommen als in die Dorfschule; ihre Bekanntschaft mit der schönen Literatur erstreckte sich kaum über die Reime hinaus, die sie in ihr großes Stickbuch unter das Lamm und die Schäferin gestickt hatte, und subtrahiren konnte sie nur so, daß sie handgreifliche Schillinge und Groschen von einer handgreiflichen Summe wegnahm. Heut zu Tage ist fast jedes Dienstmädchen besser unterrichtet als Fräulein Nancy, aber sie hatte dafür das, was zu einer wirklichen Dame gehört – Wahrheitsliebe, zartes Ehrgefühl in allem was sie that, Rücksicht gegen andere und feine Manieren, und wenn das noch nicht genügen sollte, um gründliche Kennerinnen der Grammatik zu überzeugen, daß sie sich innerlich mit ihnen hätte messen können, so will ich hinzufügen, daß sie etwas stolz und anspruchsvoll war und in ihrer Liebe zu einer unbegründeten Ansicht so treu wie in der Liebe zu einem ungetreuen Verehrer.

Die Besorgniß um Schwester Priscilla, die sich während des Ankleidens immer gesteigert hatte, wurde durch den Eintritt dieser muntern Dame selbst beschwichtigt, die von Kälte und Nässe ganz pausbackig aussah. Nach den ersten Fragen und Begrüßungen wandte sie sich zu Nancy und besah sie von Kopf bis zu Fuß; dann drehte sie sich herum, ob die Seiten- und Rückenansicht ebenso tadellos sei.

»Wie finden Sie diese Kleider, Tante Osgood?« fragte Priscilla, während Nancy sie entkleiden half.

»Recht hübsch, Nichte«, sagte Frau Osgood mit einer leisen Steigerung an Förmlichkeit; Nichte Priscilla war ihr immer zu derbe.

»Ich muß immer dieselben Kleider tragen wie Nancy, obschon ich fünf Jahr älter bin und gar nicht ihre frischen Farben habe; aber sie nimmt nie etwas, wenn ich's nicht auch trage; wir sollen wie Schwestern aussehen, sagt sie. Und die Leute meinen dann, ich bildete mir ein, es stände mir hübsch, weil sie hübsch drin aussieht. Denn ich bin doch mal häßlich – das ist nicht zu leugnen; ich arte in Vaters Familie. Aber [113] herrje, mir ist's einerlei; Ihnen auch?« und dabei wandte sie sich an die Fräulein Gunn's und bemerkte in ihrer Rappelei gar nicht, daß diese ihren Freimuth wenig zu schätzen wußten. »Die Hübschen dienen uns als Fliegenfallen – sie halten uns die Männer vom Leibe. Ich mach' mir nichts aus Männern, Fräulein Gunn – wie denken Sie darüber? Und daß man sich darum grämt und quält, was sie von einem denken, und daß man sich darüber den Kopf zerbricht, was sie thun, wenn sie einem aus dem Gesicht sind – Nancy, das habe ich Dir schon oft gesagt, das ist eine Narrheit, die sich kein Mädchen zu Schulden kommen lassen sollte, das einen guten Vater und ein behagliches Haus hat; das mag sie denen überlassen, die kein Vermögen haben und sich nicht zu helfen wissen. Wie ich immer zu sagen pflege, Mosjö Seineignerherrsein ist der beste Ehemann und der einzige, dem ich mich fügen würde. Ich weiß wohl, 's ist nicht angenehm, wenn man aus dem Vollen gelebt hat und Leute zu kommandiren gehabt hat und so was, und man soll denn bei andern Leuten unterkriechen, oder für sich allein Hungerpfoten saugen, aber mein Vater ist, Gott sei Dank, so frisch und gesund, daß er noch lange am Leben bleibt, und wenn er auch erst am Ofen hocken sollte und alt und kindisch werden – so lange er lebt, brauchen wir nicht aus dem Hause.«

Die Schwierigkeit, ihren engen Rock über den Kopf zu ziehen, ohne sich die schön geordneten Locken zu verderben, nöthigte die redselige Priscilla, in dieser raschen Auseinandersetzung ihrer Lebensanschauung eine kleine Pause zu machen, und Frau Osgood benutzte die Gelegenheit, sich zu erheben und zu äußern:

»Nun, Nichte, Du kommst wohl nach. Ich geh' mit meinen Gästen hinunter.«

»Schwester«, sagte Nancy, als sie allein waren, »Du hast die Fremden gewiß gekränkt.«

»Was hab' ich denn gethan, Kind?« fragte Priscilla erschrocken.

[114] »Ei, Du hast sie ja gefragt, ob's ihnen einerlei wäre, daß sie häßlich sind – Du bist so schrecklich rücksichtslos.«

»So! hab' ich das wirklich gesagt? Na – es fuhr mir so raus. 's ist nur ein Glück, daß ich nicht noch mehr gesagt habe; bei Leuten, die die Wahrheit nicht hören mögen, geht's mir immer schlecht. Aber was das häßlich sein angeht, sieh mich doch einmal an, Kind, in der silbergrauen Seide – ich hab's Dir vorhergesagt – ich sehe so gelb aus wie eine Butterblume. Wirklich, man sollte meinen, Du hätt'st eine Vogelscheuche aus mir machen wollen.«

»Nein, Priscechen, sag' so was nicht. Ich habe Dich so gebeten, wir wollten diese Farbe nicht nehmen, wenn Dir eine andere besser gefiele. Ich wollte Dich wählen lassen, ganz gern, und das weißt Du auch«, sagte Nancy in eifriger Selbstvertheidigung.

»Unsinn, Kind; Du hattest Dein Herz auf diese Farbe gestellt, und mit gutem Grunde; zu Deiner zarten Farbe paßt sie. Das wär 'ne schöne Geschichte, wenn Du tragen wollt'st, was meinem Teint gut steht. Was ich nicht recht finde, ist bloß, daß Du meinst, wir müßten alles überein tragen. Aber mach mit mir was Du willst – hast's ja immer gethan seit Du zu laufen anfingst. Wolltest Du mal bis an den Graben gehen, dann gingst Du auch wirklich bis an den Graben, und schlagen konnte man Dich nicht, weil Du immer so zierlich und unschuldig dabei aussahst, wie ein klein Marienblümchen.«

»Priscechen«, sagte Nancy sanft, indem sie einen Korallenschmuck genau wie den ihrigen der Schwester um den Hals heftete, der nichts weniger als genau wie der ihrige war, »ich will ja ganz gern nachgeben, soweit es recht ist, aber wer soll sich denn überein kleiden, wenn's Schwestern nicht thun; wir werden doch nicht herumgehen sollen und aussehen, als gehörten wir nicht zu einander – wir, die wir keine Mutter haben und keine Schwester sonst auf der Welt? Mir wär' es recht, wenn ich auch ein käsefarbiges Kleid tragen müßte, und ich möchte am liebsten, daß Du wähltest und mich tragen ließest, was Dir gefällt.«

[115] »Da haben wir's wieder! Du kommst immer auf dasselbe zurück, und wenn man auch von's Abends bis's Morgens auf Dich einspräche. 's wird ein rechter Spaß, wenn Du erst einen Mann kriegst und den nach Deiner Pfeife tanzen läßt, und alles so sanft und leise, als wenn der Kessel singt. Da werd' ich meine Freude dran haben. Ich sehe die Männer gar zu gern unter dem Pantoffel.«

»Sprich nicht so, Priscechen«, sagte Nancy erröthend. »Du weißt, ich will gar nicht heirathen.«

»Ih, mit Deinem Wollen, das ist blos Rederei«, sagte Priscilla, indem sie sich das Kleid glatt strich. »Für wen soll ich denn arbeiten, wenn Vater erst todt ist, wenn Du Dir was in den Kopf setzest und 'ne alte Jungfer werden willst, weil ein gewisser Jemand sich nicht so gut aufführt, wie er wohl müßte? Ich hab mit Dir keine Geduld mehr – sitzest da immer auf dem Windei, als wenn's gar kein frisches mehr in der Welt gäbe. Eine alte Jungfer von zwei Schwestern, das ist genug, und ich will meinem Stande Ehre machen, denn Gott der Allmächtige hat mich dazu bestimmt. Komm, jetzt können wir hinuntergehen; die Vogelscheuche ist fertig; nun ich die Ohrringe angesteckt habe, fehlt nichts mehr.«

Als die beiden Schwestern zusammen in das große Wohnzimmer traten, hätte jeder, der sie nicht näher kannte, unzweifelhaft glauben müssen, der Grund, weshalb die breitschultrige, plumpe Priscilla mit den groben Zügen genau so gekleidet sei, wie ihre hübsche Schwester, sei entweder die übel verstandene Eitelkeit der einen, oder eine absichtliche Bosheit der andern, um ihrer eigenen Schönheit eine Folie zu geben. Aber die gutmüthige, selbstvergessende Heiterkeit und der gesunde Menschenverstand Priscilla's würde jenen Verdacht bald beseitigt haben, und die ruhige Bescheidenheit Nancy's in Worten und Geberden bewies deutlich, in ihrem Herzen habe Heimtücke nicht Raum.

Das große getäfelte Zimmer prangte jetzt frisch und lustig mit schönen Stechpalm-, Taxus- und Lorbeer-Zweigen. An dem Haupttische, ziemlich oben an, waren Ehrenplätze für die Fräu [116]lein Lammeter aufbewahrt, und Nancy konnte sich beim besten Willen einer innern Regung nicht erwehren, als sie Gottfried auf sich zukommen sah, um sie an den Platz zwischen ihm selbst und dem Pastor zu führen, während Priscilla sich auf die andere Seite zwischen ihren Vater und den Squire setzte. Es machte der guten Nancy doch einen Unterschied, daß der Verehrer, den sie aufgegeben hatte, der angesehenste junge Mann im Kirchspiel war und einer Familie angehörte, die ein so ehrwürdiges und einziges Wohnzimmer besaß, das größte, was sie je gesehen hatte – ein Wohnzimmer, wo sie dereinst als Herrin regieren und Madame Caß, die Frau des Gutsherrn, heißen konnte. Diese Umstände gaben ihrem innern Kampfe in ihren Augen etwas Erhabenes und verstärkten den Nachdruck, womit sie sich selbst die Versicherung gab, zwar solle sie nicht die glänzendste Stellung bewegen, einen Mann zu heirathen, der nicht auf seinen guten Ruf hielte, aber für die Liebe eines treuen und reinen Weibes gelte das Wort »nie oder immer«, und niemals werde sie einem Manne ein Recht über sich einräumen, welches ihr die Verpflichtung auflege, die trockenen Blumen zu zerstören, die sie um Gottfried's willen aufbewahrte und immer aufbewahren wollte. Und Nancy war fähig, ein solches Wort, das sie sich selbst gegeben, unter sehr schweren Verhältnissen zu halten.

Als sie sich neben den Pastor setzte, verrieth nur ein leises Erröthen, das ihr sehr gut stand, die Empfindungen in ihrem Innern, und bei allem, was sie that, war sie so instinktiv zierlich und geschickt, und ihre hübschen Lippen schlossen sich so ruhig und fest, daß es ihr sogar schwer geworden wäre, aufgeregt zu erscheinen.

Der Pastor ließ nicht leicht ein hübsches Erröthen ohne ein entsprechendes Kompliment vorübergehen; er war nicht im mindesten hochmüthig oder aristokratisch, sondern einfach ein netter alter Mann mit lustigen Augen und gemüthlichen Zügen, dessen Kinn in einer breiten faltigen weißen Halsbinde steckte, die alles andere an ihm überstrahlte und sich, so zu sagen, auch in [117] seinen Bemerkungen abspiegelte, so daß von dieser Kravatte zu abstrahiren schwer und vielleicht bedenklich gewesen wäre.

»Ah, Fräulein Nancy«, sagte er, indem er den Kopf in der Kravatte drehte und freundlich zu ihr herablächelte, »wenn mir jetzt einer damit kommt, wir hätten einen strengen Winter, dann werd' ich ihm sagen, ich hätte am Neujahrsabend die Rosen blühen sehen – nicht wahr, Gottfried, was meinen Sie dazu?«

Gottfried gab keine Antwort und vermied es, Nancy fest anzusehen; denn obschon diese Art von Komplimenten in der altfränkischen Gesellschaft von Raveloe für sehr fein galt, so hat doch die Ehrfurcht der Liebe ihre eigene Höflichkeit, die auch sonst ungebildete Menschen leicht lernen. Aber der alte Squire konnte es nicht ruhig mit ansehen, daß Gottfried so wenig Feuer zeigte. Um diese vorgerückte Stunde des Tages war der Alte immer angeregter, als wir ihn am Frühstückstisch gesehen haben, und fand es ganz angenehm, nach altem Brauch seines Hauses lärmend lustig zu sein und die Leute aufzumuntern; er ließ dann seine große silberne Schnupftabacksdose fleißig herumgehen und bot sie der Reihe nach immer wieder allen Nachbarn an, wenn sie noch so oft gedankt hatten. Bisher hatte er nur die Häupter der einzelnen Familien beim Eintreten begrüßt, aber je später der Abend wurde, desto weiter strahlte seine Gastlichkeit Licht und Wärme aus, bis er auch die jüngsten Gäste auf den Rücken geklopft und ihnen seine besondere Freude ausgedrückt hatte, sie zu sehen, – wobei er denn die feste Ueberzeugung hegte, sie müßten sich doch sehr glücklich fühlen, einem Kirchspiel anzugehören, wo ein so herzlicher Mann wie Squire Caß sie einlüde und freundlich mit ihnen spräche. Selbst jetzt im ersten Anfang seiner heitern Stimmung war es natürlich, daß er die Mängel seines Sohnes zu decken suchte, indem er für ihn eintrat.

»Ja, ja«, begann er, indem er Herrn Lammeter seine Dose anbot, der sie zum zweiten Mal mit einer steifen Neigung des Kopfes und einer ruhigen Handbewegung abwies, »wir alten Leute können uns wohl wieder jung wünschen heut Abend, wenn [118] wir uns den Mistelzweig Es ist ein alter und allgemeiner Brauch in England, bei den Weihnachts- und Neujahrsfestlichkeiten mitten an der Decke des Tanzsaales oder Gesellschaftszimmers einen Zweig vom Mistelbaume aufzuhängen; unter diesem Zweige darf man jede Dame küssen, die man da trifft oder die es gelingt dahin zu führen. ( Anm.d.Vorl.) im Tanzsaal ansehen. Das meiste hat sich verschlechtert in diesen letzten dreißig Jahren, das ist wohl richtig; seit der Krankheit des alten Königs ist das Land heruntergekommen. Aber wenn ich mir hier Fräulein Nancy ansehe, dann muß ich sagen, die Mädchen haben sich gut gehalten; hol' mich der Kuckuk, so was hübsches hab' ich mein Lebtag nicht gesehen, als ich noch ein fixer junger Bursch war und mir viel auf meinen Zopf zu gut that. Keine Beleidigung für Sie, Madame«, fügte er mit einer Verbeugung gegen die Pastorin hinzu, die neben ihm saß, »Sie hab' ich nicht gekannt, als Sie so jung waren wie Fräulein Nancy.«

Die Pastorin, eine kleine Frau, die immer mit den Augen blinzelte und fortwährend an ihren Spitzen, Bändern. und der goldenen Kette herumzerrte und den Kopf drehte und ein kleines Geräusch machte, beinahe wie ein Meerschweinchen, das immer mit der Schnauze schnüffelt und in jeder Gesellschaft ohne Unterschied seine Selbstgespräche führt – die Pastorin also blinzelte den Squire an und sagte, »o nein, durchaus keine Beleidigung.«

Das starke Kompliment des alten Herrn gegen Nancy schien nicht blos Gottfrieden eine sehr deutliche Absicht zu haben; ihr Vater richtete sich noch etwas steifer in die Höhe, als er seine Tochter über den Tisch weg mit wohlgefälligem Ernst ansah. Der stattliche, etwas steife Herr dachte nicht im mindesten daran, seiner Würde etwas zu vergeben und sich durch den Gedanken an eine Heirath zwischen seiner Familie und der des Squire besonders geehrt zu fühlen; jede Ehre, die man seiner Tochter erwies, machte ihm Freude, aber ehe er seine Einwilligung gab, müßte erst manches anders werden. Seine magere aber gesunde [119] Gestalt und sein etwas vornehmes festes Gesicht, das so aussah, als sei es nie von einer Schwelgerei geröthet gewesen, stach nicht blos gegen den Squire, sondern auch gegen die andern Landwirthe in Raveloe auffallend ab – eine Erscheinung, auf die sein Lieblingswort paßte: »Race geht über Weide.«

»Fräulein Nancy sieht doch ihrer Mutter merkwürdig ähnlich, nicht wahr, Kimble?« fragte die Dame gleiches Namens, indem sie sich nach ihrem Mann umsah.

Aber Doktor Kimble – in alten Zeiten hatten die Apotheker auf dem Lande diesen Titel, ohne eines Diploms zu bedürfen – Doktor Kimble war ein dünner und beweglicher Mensch, der die Hände in den Taschen, im Zimmer herumhüpfte, sich bei seinen weiblichen Kunden liebenswürdig machte und überall als der angestammte Doktor willkommen war – nicht so ein miserabler Apotheker, der auf Kundschaft ausgeht und nur soviel Einkommen hat, daß sein eines Pferd dabei verhungern kann, sondern ein wohlhabender Mann, der einen so guten Tisch führt wie seine reichsten Patienten. Seit unvordenklicher Zeit hatte der Doktor in Raveloe Kimble geheißen; Kimble war offenbar ein Doktorsname, und es wurde den Leuten förmlich schwer, der traurigen Thatsache fest ins Auge zu sehen, daß der gegenwärtige Kimble keinen Sohn hatte und daß demnach seine Praxis eines schönen Tages an einen Nachfolger mit dem unpassenden Namen Taylor oder Johnson übergehen sollte.

»Sprachst Du mit mir, liebe Frau?« sagte der Doktor, indem er sich rasch neben seine Frau stellte, aber zugleich, da er vorher sah, sie sei zu sehr außer Athem, um ihre Bemerkung zu wiederholen, ohne weiteres fortfuhr: »Aha, Fräulein Priscilla, Ihr Anblick erinnert mich wieder, wie gut Ihre unübertreffliche Schweinepastete geschmeckt hat. Ich hoffe, es ist noch viel davon da.«

»Nein, Doktor, der Vorrath ist bald zu Ende«, antwortete Priscilla, »aber ich stehe dafür, die nächste Auflage soll eben so gut werden. Meine Schweinepasteten werden nicht das eine Mal gut und das andere Mal schlecht.«

[120] »Das kann man von Eurer Mischung nicht immer sagen, nicht wahr Doktor? Bei Eurer Medizin vergessen die Leute bisweilen das Einnehmen, he?« sagte der Squire, der von den Doktoren und ihrer Medizin beinahe ebenso dachte, wie mancher aufrichtige Anhänger der Staatskirche von der Kirche und der Geistlichkeit denkt; wenn er gesund war, ließ er gern einen Scherz gegen sie los, aber sobald ihm was fehlte, verlangte er ungeduldig nach ihrer Hülfe. Er klopfte auf seine Dose und sah sich mit einem triumphirenden Lachen um.

»Ja, ja, was meine gute Priscilla für einen scharfen Witz hat!« erwiderte der Doktor, der lieber einer Dame den Ruhm gönnen wollte als seinem Schwager. »Sie spart sich den Pfeffer für's Gespräch und darum thut sie nie zu viel in ihre Pasteten. Meine Frau dagegen, die weiß nie was sie antworten soll, aber wenn ich sie mal ärgere, dann verbrennt sie mir gewiß den nächsten Tag die Kehle mit Pfeffer, oder macht mir Kolik mit wässrigem Gemüse. Das ist ein schreckliches Wurst wider Wurst« – und dabei schnitt der muntere Doktor ein fürchterliches Gesicht.

»Hat man je so was gehört!« sagte Frau Kimble, indem sie gutmüthig so herzlich lachte, daß ihr das Unterkinn bebte, während die Pastorin, an die sie sich wandte, mit den Augen blinzte und ein Lächeln versuchte, welches jedoch im Drange der Umstände nur in neues Schnüffeln und leises Geräusch endete.

»Das ist wohl so'n Wurst wider Wurst, wie ihr Doktors es treibt, Kimble, wenn Ihr einen Groll habt auf 'nen Patienten?« meinte der Pastor.

»Wir haben nie einen Groll auf unsere Patienten«, erwiderte Kimble, »als wenn sie von uns gehen, und dann können wir uns durch kein Rezept mehr an ihnen rächen. Ah, Fräulein Nancy«, fuhr er fort, indem er rasch zu ihr hinüberhüpfte, »Sie vergessen doch nicht, was Sie mir versprochen haben? Sie müssen mir einen Tanz frei lassen, wissen Sie doch.«

»Aber, Kimble, das geht zu weit«, sagte der Squire. »Den jungen Leuten dürft Ihr nicht dazwischen kommen; mein Gott [121]fried fordert Euch heraus, wenn Ihr mit Fräulein Nancy davongeht. Er hat sie gewiß schon zum ersten Tanz aufgefordert, darauf verlaßt Euch. Nicht wahr, mein Junge?« fuhr er fort, indem er sich hintenüber lehnte und Gottfried ansah. »Du hast doch Fräulein Nancy aufgefordert, mit Dir den Ball zu eröffnen?«

Bei dieser neuen starken Anspielung auf Nancy fühlte sich Gottfried sehr unbehaglich und dachte schon mit Schrecken daran, wie das enden würde, wenn der Vater erst mit gewohnter Aufopferung seinen Gästen das Beispiel gegeben habe, vor und nach Tisch tüchtig zu trinken; aber jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zu Nancy zu wenden und so unbefangen wie möglich zu sagen:

»Nein, noch hab' ich sie nicht aufgefordert, aber hoffentlich schlagen Sie's mir nicht ab, wenn mir nicht schon jemand zuvorgekommen ist.«

»Ich bin noch nicht versagt«, antwortete Nancy ruhig, aber mit leisem Erröthen. Wenn Musjö Gottfried auf die Zusage eines Tanzes einige Hoffnung bauen sollte, so würde er bald genug enttäuscht werden, aber unhöflich brauchte sie nicht gegen ihn zu sein.

»Dann haben Sie hoffentlich nichts dagegen, mit mir zu tanzen«, sagte Gottfried, der die Sache allmälich ganz behaglich fand.

»Nein, gar nichts dagegen«, erwiderte Nancy kalt.

»Aha, Du hast Glück, Gottfried«, meinte Onkel Kimble, »aber Du bist mein Pathe und da will ich Dir nicht im Wege sein. Uebrigens so sehr alt bin ich doch noch nicht, Frau«, fuhr er fort, indem er wieder zu seiner Frau zurück chassirte. »Du nähmst es doch nicht übel, wenn ich nach Dir noch eine zweite Frau nähme – natürlich, erst würd' ich gehörig weinen!«

»Nun nun, nimm 'ne Tasse Thee und sei mal 'n bischen still, hörst Du«, sagte die gutmüthige Frau mit einem gewissen Stolze auf einen Mann, den die ganze Gesellschaft so gescheut und amüsant finden mußte. Hätte er sich nur nicht beim Kartenspiel immer so leicht geärgert!

[122] Während so die gewiegten Personen der Gesellschaft den Theetisch belebten, ertönte immer näher der Klang einer Fidel, und man sah den jungen Leuten allgemein die Ungeduld an, daß doch die erste Mahlzeit vorüber sein möchte.

»Ei, da ist Salomon auf dem Flur und spielt meine Lieblingsmelodie, glaub' ich, ›der Bauernjung' mit blondem Haar‹; er will uns andeuten, wir ließen zu lange auf uns warten. Bob«, rief er seinem dritten langbeinigen Sohne zu, der am andern Ende des Zimmers stand, »geh hinaus und bring Salomon her; er soll uns hier was vorspielen.«

Bob gehorchte, und Salomon kam spielend herein, denn er wollte um keinen Preis mitten in einer Melodie abbrechen.

»Hierher, Salomon«, rief der Squire laut und freundlich. »Hier herum, alter Junge. Aha, wußt ich's doch, es war ›der Bauerjung' mit blondem Haar‹ – die schönste Melodie, die's giebt.«

Salomon Macey, ein kleiner dünner, aber noch rüstiger alter Mann mit einer Fülle von langem, weißen Haar, welches ihm beinahe auf die Schultern reichte, trat mit einer tiefen Verbeugung vor, wohin ihn der Squire wies, spielte aber immer weiter, als wolle er sagen, er achte zwar die Gesellschaft sehr hoch, aber Takt und Melodie noch mehr. So wie er fertig war und seine Fidel senkte, verbeugte er sich wieder gegen den Squire und den Pastor und sagte, »ich hoffe, Euer Ehren und Euer Hochwürden befinden sich wohl, und ich wünsche Ihnen auch Gesundheit und ein langes Leben und ein fröhliches neues Jahr. Und Ihnen wünsch' ich das auch, Herr Lammeter, und den andern Herrn und den Damen und den jungen Fräuleins.«

Bei den letzten Worten verbeugte sich Salomon ängstlich nach allen Seiten, um es nirgends an der gehörigen Achtung fehlen zu lassen, aber dann griff er sofort wieder zur Fiedel und spielte eine Melodie, an der, wie er wußte, Mr. Lammeter seine besondere Freude hatte.

»Danke, Salomon, danke«, sagte Mr. Lammeter, als die Melodie wieder verstummte. »Das war ›Ueber die Hügel weit [123] hinweg‹. Wenn mein Vater die Melodie hörte, sagte er immer zu mir: aha, mein Junge, über die Hügel weit hinweg, da bin ich her. Es giebt viele Melodien, da kann ich gar nicht klug draus werden, aber die hier spricht mir ans Herz, als wenn die Amsel schlägt. Ich glaube, es liegt mit am Namen; auf den Namen kommt viel an bei der Melodie.«

Aber Salomon war schon ungeduldig, wieder zu spielen, und fiel mit großer Lebhaftigkeit in die Melodie: »Sir Roger de Coverley«, worauf sofort die jungen Leute ihre Stühle zurückschoben und lachend unter einander flüsterten.

»Ja, ja, Salomon, wir wissen schon, was das bedeutet«, sagte der Squire, indem er ebenfalls aufstand. »Es ist Zeit zum Tanzen, nicht wahr? Spielt vor uns her, wir wollen alle folgen.«

So marschirte denn Salomon, den Kopf auf die Seite geneigt und tüchtig aufstreichend, vor dem lustigen Zuge her in das große weiße Zimmer, wo der Mistelzweig hing und zahlreiche Talglichter, die aus den grünen Zweigen mit den rothen Beeren hervorschienen und in altmodischen, ovalen Wandspiegeln wiederleuchteten, eine glänzende Wirkung hervorbrachten. Ein seltsamer Zug! Der alte Salomon in seinen abgetragenen Kleidern und langen weißen Locken schien die vornehme Gesellschaft mit dem Zauberklang seiner helltönenden Fidel fortzulocken – ehrsame Matronen in turbanförmigen Hauben, und darunter die Pastorin selbst, deren aufrecht stehende Feder mit der Spitze grade dem Squire an die Schulter reichte; – hübsche Fräulein, die sich ihrer kurzen Taillen und völlig faltenlosen Röcke wohl bewußt waren, – stattliche Väter in langen bunten Westen, und rothbäckige Söhne, meist noch schüchtern und ungelenk, in kurzen Hosen und sehr langen Rockschößen.

Der Küster und ein paar andere bevorzugte Leute aus dem Dorf, die bei so großen Gelegenheiten als Zuschauer zugelassen wurden, saßen schon auf den für sie bestimmten Bänken an der Thür und sahen nun mit freudiger Bewunderung zu, als die Paare sich zum Tanz aufstellten und der Squire mit der Pastorin [124] und dem Pastor und Frau Osgood als zweitem Paar vortanzte. Das war wie's sein mußte – so waren's alle Leute gewöhnt – und die Verfassung von Raveloe schien damit aufs neue bestätigt. Es galt nicht etwa für einen unpassenden Leichtsinn, daß die alten Herrschaften ein Tänzchen mitmachten, ehe sie sich an den Spieltisch setzten, sondern vielmehr für einen Theil ihrer gesellschaftlichen Pflichten. Denn worin bestanden diese anders, als zur gehörigen Zeit lustig zu sein, möglichst oft Besuche und Geflügel auszutauschen, einander althergebrachte Komplimente in altbekannten Wendungen zu sagen, wohl erprobte kleine Scherze auf einander zu machen, seine Gäste zu nöthigen, daß sie aus lauter Rücksicht zu viel aßen und tranken, und selbst auch beim Nachbar zu viel zu essen und zu trinken, bloß um zu beweisen, daß es einem schmecke? Und bei diesen geselligen Pflichten mußte natürlich der Pastor das Beispiel geben. Ohne eine besondere Offenbarung wären nämlich die Leute in Raveloe nie darauf gekommen, ein Geistlicher müsse ein bleichwangiges memento mori sein und nicht ein Mensch mit einer verständigen Anzahl von Fehlern, dessen ausschließliches Recht, in der Kirche vorzubeten und zu predigen, zu taufen, zu trauen und zu begraben, als nothwendige Ergänzung das weitere Recht zur Seite habe, die Begräbnißplätze auf dem Kirchhofe zu verkaufen und Zehnten zu nehmen, – über welchen letzten Punkt natürlich etwas gemurrt wurde, aber nicht schlimmer als wenn es etwa zu viel regnete; dabei gab sich auch kein gottloser Trotz kund, sondern nur der Wunsch, man möge in der Kirche alsbald um gutes Wetter bitten.

Die Leute sahen also gar keinen Grund, warum der Pastor nicht eben so gut tanzen sollte wie der Squire, und der Küster fühlte sich andrerseits durch seine amtliche Stellung gar nicht behindert, die Leistung seines Pastors der Kritik zu unterwerfen, die ein Mann von außerordentlichem Scharfsinn natürlich gegen alles Thun und Treiben seiner irrenden Mitmenschen ausübt.

»Der Squire ist noch recht fix auf den Füßen, für seine Schwere«, bemerkte der Küster, »und er stampft tüchtig auf. [125] Aber Herrn Lammeter reicht doch keiner das Wasser; seht mal, er hält sich so grade wie'n Soldat; er ist nicht so ausgepolstert wie die meisten alten Herrn, die sind alle so dick, und ein hübsches Bein hat er auch. Der Pastor ist auch wohl fix genug, aber er hat kein besonderes Bein; unten ist's ein bischen zu dick, und wenn die Knie näher aneinander ständen, das könnte auch nicht schaden, aber 's geht noch so eben an, noch so eben an. Freilich, so vornehm die Hand bewegen wie der Squire, das kann er nicht.«

»Na, wenn Ihr vom fixen Tanzen sprecht, denn seht mal Frau Osgood an«, bemerkte Ben Winthrop, der seinen kleinen Aaron auf dem Schooße hielt. »Mit ihren kleinen Schritten trippelt sie hin und her, daß kein Mensch sehen kann, wie sie eigentlich geht; 's ist grade als wenn sie kleine Räder unter den Füßen hätte. Sie sieht noch just so jung aus wie letztes Jahr; hat doch die hübschste Figur von allen und sobald kommt ihr keine gleich.«

»Ih, ich frage nichts nach Frauenfiguren«, meinte der Küster etwas verächtlich; »sie tragen weder Röcke noch Hosen, da kann kein Mensch sehen, was Figur ist.«

»Vater«, sagte Aaron, der mit seinen kleinen Füßen munter den Takt schlug, »wie ist die große Hahnenfeder auf der Pastorin ihrem Kopfe festgemacht? Hat sie ein kleines Loch im Kopf, wie in meinem Federball?«

»St! stille, Junge, stille! so tragen sich die vornehmen Damen mal«, antwortete der Vater, fügte jedoch leise zu dem Küster hinzu: »Sie sieht putzig damit aus – beinahe wie 'ne dicke Flasche mit 'ner langen Gänsefeder drin. Aber herrjes, seht mal hin, da legt der junge Herr mit Fräulein Nancy los. Das ist 'n Mädel! rein wie Milch und Blut – man sollte gar nicht glauben, daß es so was hübsches geben kann, und wundern sollt's mich nicht, wenn die noch mal Madam Caß würde. Paßt auch keine besser dazu; das wär'n hübsches Paar. An Musjö Gottfried seiner Figur habt Ihr doch nichts auszusetzen, da möcht' ich 'nen ganzen Groschen drauf wetten.«

[126] Meister Macey verzog den Mund, legte den Kopf ganz auf die Seite und drehte die Daumen so schnell, wie er Gottfried sich im Tanz drehen sah. Endlich faßte er seine Meinung zusammen:

»Nicht übel im Unterkörper, aber ein bischen zu runde Schultern. Und die Röcke, die er von seinem Schneider aus der Stadt kriegt, die sind auch das Geld nicht werth.«

»Hört mal, Herr Küster, darin sind wir verschieden«, sagte Ben, etwas ungehalten über diese Tadelsucht. »Wenn ich 'nen Krug gutes Bier habe, dann trink ich's 'runter und thue meiner Seele was zu gut, und rieche nicht erst dran 'rum und guck es an, ob ich vielleicht was dran auszusetzen finde. Ich wollte doch mal sehen, ob Ihr mir wohl einen hübschern jungen Mann fändet, als unsern jungen Herrn Gottfried, der einen leichter zu Boden schlüge, oder lustiger aussähe, wenn er recht auf sein Schick ist.«

»Pah!« meinte der Küster, den dies nur noch strenger in seinen Anforderungen machte, »das muß noch anders kommen: er ist wie eine unausgebackene Pastete. Und ich fürchte, er ist ein bischen schwach hier im Kopfe; warum ließe er sich sonst von dem Taugenichts, dem Dunsey, um den Finger wickeln, den in der letzten Zeit kein Mensch gesehen hat, und ließ ihn das schöne Jagdpferd zu Tode reiten, wovon die ganze Gegend gesprochen hat? Und denn ist er mal 'ne Zeit lang hinter Fräulein Nancy her, und denn ist mit einmal wieder alles vorbei, beinah, möchte man sagen, wie der Dampf von 'ner heißen Suppe. So hab' ich's nicht gemacht, als ich auf Freiers Füßen ging.«

»Ja ja, aber vielleicht hielt Fräulein Nancy zurück und Euer Mädchen that das nicht«, meinte Ben.

»Freilich that sie's nicht«, sagte der Küster nachdrücklich. »Eh' ich schnipp sagte, hatte ich mich wohl vorgesehen, daß sie schnapp sagte und ohne sich lange zu besinnen. Ich dachte nicht dran, zuzuschnappen wie ein Hund nach 'ner Fliege, der nichts dabei in den Magen kriegt.«

[127] »Na, ich glaube, Fräulein Nancy wird sich schon wieder 'rum kriegen lassen«, sagte Ben; »der junge Herr sieht heute nicht so niedergeschlagen aus. Und seht, da führt er sie bei Seit und bietet ihr einen Stuhl an, da der Tanz zu Ende ist; das sieht aus wie Courmacherei, will mich dünken.«

Der Grund, warum Gottfried und Nancy zu tanzen aufhörten, war indeß nicht so zarter Natur, wie Ben glaubte. In dem dichten Gedränge der Paare war Nancy mit ihrem Kleide ein kleines Unglück passirt; vorn kurz genug, um ihr hübsches Aenkel Der hervortretende Knöchel an beiden Seiten des Fußes. sehen zu lassen, war das Kleid hinten so lang, um dem Squire unter die derben Füße zu kommen, so daß einige Stiche rissen und Schwester Priscilla in große Aufregung und Nancy in tiefe Betrübniß gerieth. Man kann mit Liebesgedanken sehr beschäftigt sein und bleibt doch gegen eine Unordnung in der äußern Einfassung des Herzens nicht unempfindlich. Nancy hatte in der Tour, bei der sie grad' waren, kaum ihren Theil getanzt, als sie tief erröthend zu Gottfried sagte, sie müsse sich hinsetzen, bis Priscilla zu ihr käme; denn die Schwestern hatten schon ein kurzes Geflüster und einen bedeutungsvollen Blick mit einander gewechselt. Es bedurfte einer so gebieterischen Nöthigung, um Nancy zu vermögen, daß sie Gottfried diese Gelegenheit gab, allein bei ihr zu sitzen. Gottfried seinerseits fühlte sich bei dem reizend langen Contretanze mit Nancy so glücklich und selbstvergessen, daß er bei ihrer Verwirrung etwas kühn wurde und sie ohne weitere Erlaubniß gleich in das anstoßende kleine Zimmer hinauszuführen suchte, wo die Spieltische standen. Aber sobald Nancy bemerkte, was er vorhabe, sagte sie kalt, »nicht da hinein, wenn ich bitten darf. Ich will hier warten, bis Priscilla fertig ist und zu mir kommen kann. Es thut mir leid, daß ich Sie um den Tanz bringe und Ihnen beschwerlich falle.«

»Nun, 's ist Ihnen vielleicht bequemer, hier allein zu sitzen«, sagte der listige Gottfried. »Ich will Sie verlassen, bis Ihre Schwester kommt«, fügte er in einem gleichgültigen Tone hinzu.

Das war ein angenehmer Vorschlag, und genau was Nancy [128] wünschte: und doch warum fühlte sie sich etwas verletzt, als Gottfried so sprach? Sie ging mit ihm in das andere Zimmer und setzte sich auf einen Stuhl an einen der Spieltische, weil das die steifste und unnahbarste Stellung war, die sie einnehmen konnte.

»Ich danke Ihnen«, sagte sie gleich darauf. »Weiter brauche ich Sie nicht zu bemühen. Es thut mir leid, daß Sie eine so unglückliche Tänzerin getroffen haben.«

»Das ist recht unfreundlich von Ihnen«, erwiderte Gottfried, indem er bei ihr stehen blieb und nicht die geringste Neigung zeigte fortzugehen, »daß es Ihnen leid thut, mit mir getanzt zu haben.«

»O, ich wollte gar nichts unfreundliches sagen«, sagte Nancy und sah dabei verzweifelt hübsch aus. »Für Herren, die so viel Vergnügen haben, macht ein Tanz sehr wenig aus.«

»Sie wissen, daß das nicht wahr ist; Sie wissen, daß mir ein Tanz mit Ihnen mehr ist als alle andern Freuden auf der Welt.«

Es war schon lange, lange her, daß Gottfried so deutlich gesprochen hatte, und Nancy war überrascht. Aber aus natürlicher Würde und aus Abneigung gegen jeden Schein von Erregung, blieb sie ganz still sitzen und legte nur etwas mehr Schneide in ihre Stimme, als sie sagte:

»Nein, Herr Gottfried, das weiß ich doch nicht so bestimmt, und ich habe meine sehr guten Gründe, anderer Ansicht zu sein. Wenn's aber doch wahr ist, dann wünsch' ich es nicht zu hören.«

»Würden Sie mir denn nie verzeihen, Nancy, – nie gut von mir denken, was auch kommen möge – würden Sie nie glauben, daß die Gegenwart alles gut machen kann für die Vergangenheit? Auch nicht wenn ich mich ganz umthäte und alles aufgäbe, was Ihnen nicht gefällt?«

Gottfried war sich halb bewußt, durch die plötzliche Gelegenheit, Nancy allein zu sprechen, sei er außer sich, aber blinde Leidenschaft führte ihm die Zunge. Durch die Aussicht, welche [129] Gottfried's Worte eröffnete, fühlte sich Nancy wirklich sehr aufgeregt, aber grade dieser Drang des Gefühls, der sie zu überwältigen drohte, rief ihre ganze Selbstherrschaft auf.

»Ueber eine Aenderung zum Bessern würde ich mich bei jedem freuen, Herr Gottfried«, antwortete sie mit einer kaum merklichen Veränderung im Ton, »aber es wäre besser, wenn es gar keiner Aenderung bedürfte.«

»Sie sind recht hartherzig, Nancy«, sagte Gottfried gereizt, »Sie könnten mich wohl aufmuntern, mich etwas zu bessern. Ich bin recht elend, aber Sie haben kein Gefühl.«

»Mir scheint der Mangel an Gefühl auf Seiten derer, die das erste Unrecht begehn«, sagte Nancy, indem sie wider Willen etwas aufflammte.

Gottfried war entzückt über den kleinen Blitz und hätte am liebsten diese Stimmung benutzt und sie in einen Streit verwickelt; Nancy war so verzweifelt ruhig und fest. Noch war er ihr nicht ganz gleichgültig, sah er, wenn sie auch –

Da trat Priscilla eilig herein und sagte: »Komm schnell, Kind, laß mich Dein Kleid nachsehen« – und damit waren Gottfried's Hoffnungen auf einen Streit zu Ende.

»Jetzt muß ich wohl gehen«, sagte er zu Priscilla.

»Mir ist's einerlei, ob Sie gehen oder bleiben«, antwortete die aufrichtige Dame, indem sie geschäftig in der Tasche nach etwas suchte.

»Wünschen Sie, daß ich gehe?« sagte Gottfried und blickte Nancy an, die sich jetzt auf Priscilla's Wunsch erhob.

»Ganz wie Sie wollen«, erwiderte Nancy, indem sie ihre frühere Ruhe wieder zu gewinnen suchte und ernsthaft auf den Saum ihres Kleides hinabsah.

»Dann will ich bleiben«, sagte Gottfried in dem trotzigen Entschluß, den Freudenbecher heute bis auf die Neige zu kosten und nicht an das Morgen zu denken.

[130]


 << zurück weiter >>