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Die Unterhaltung, die sehr belebt war, als Silas die Schenke erreichte, hatte wie gewöhnlich nicht recht vorwärts wollen, als die Gesellschaft sich zuerst versammelte. Man steckte die Pfeifen an und paffte im strengsten Schweigen; die angeseheneren Gäste, die Grog tranken und zunächst am Feuer saßen, starrten einander an, als verlöre der eine Wette, der zuerst die Lippen rührte, während die Biertrinker, meistens in Barchentjacken und Kitteln, vor sich hinsahen und sich mit der Hand über den Mund fuhren, als sei ein Schluck Bier die trübseligste Geschichte von der Welt. Endlich brach Mr. Snell, der Wirth ein Mann, der hoch erhaben dastand über allen Streitigkeiten seiner Mitmenschen, die doch alle in dem Bedürfniß geistiger Getränke einig seien – das allgemeine Stillschweigen, indem er in fragendem Tone zu seinem Vetter, dem Schlächter, sagte:
»Man sollt' sagen, das war ein hübsch Stück Vieh, was Du gestern vorbeitriebst, Bob.«
Der Schlächter, ein lustiger lachender Rothkopf, beeilte sich nicht mit der Antwort; er paffte erst ein paar mal, ehe er ausspuckte und erwiderte:
»Das wär' so unrecht nicht, Hans.«
[53] Nach diesem schwachen Versuch zum Aufthauen wurde das Schweigen wieder so strenge als vorher.
»'s war wohl eins von den rothen Durhams Durhams – eine bekannte englische Race Rindvieh. ( Anm.d.Vorl.)?« – nahm nach einigen Minuten der Hufschmied den Faden des Gesprächs wieder auf.
Der Hufschmied sah den Wirth an und der Wirth wieder überließ die Verantwortlichkeit der Erwiderung mit einem vielsagenden Blick dem Schlächter.
»Roth war's«, sagte der Schlächter mit seiner gutmüthigen rauhen Stimme – »und ein Durham war's auch.«
»Denn braucht Ihr mir nicht zu sagen, von wem Ihr's gekauft habt«, erwiderte der Hufschmied und sah sich triumphirend um: »wer die rothen Durhams hier zu Lande hat, das weiß ich. Und 'ne weiße Blässe hatte die Kuh, da möcht' ich 'nen Groschen drauf wetten«. Dabei bog sich der Hufschmied vornüber und guckte listig aus den Augen.
»Kann wohl sein«, gab der Schlächtermeister so langsam zur Antwort, wie es sich bei einer so bestimmten Bejahung gebührte, – »kann wohl sein; widersprechen thu' ich nicht.«
»Das konnt' ich mir denken«, sagte der Hufschmied, indem er sich wieder hintenüber lehnte und einen herausfordernden Ton annahm. »Wenn ich Mr. Lammeter seine Kühe nicht kennte, dann möcht' ich wohl wissen, wer sie kennt – mehr kann ich nicht sagen. Und die Kuh, die Ihr gekauft habt, der hab' ich mal was eingegeben – das soll mir keiner abstreiten.«
Der Hufschmied sah förmlich wild darein, und die sonstige Milde des Schlächters bei der Unterhaltung bekam einen kleinen Stoß.
»Ich streite keinem Menschen was ab«, sagte er; »ich bin für Ruhe und Frieden. Manche schneiden die Rippen lang, ich schneide sie kurz, aber streiten thue ich darum nicht. Ich sage blos, es ist ein reizendes Beest – und wer Verstand im Leibe hat, dem kommen die Thränen in die Augen vom bloßen Ansehn.«
[54] »Na, es ist die Kuh, der ich mal was eingegeben habe, das ist sicher«, fuhr der Hufschmied ärgerlich fort, »und Mr. Lammeter seine Kuh war's, sonst habt Ihr gelogen, als Ihr sagtet, 's wär von den rothen Durhams.«
»Lügen thu' ich nicht«, sagte der Schlächter mit demselben gelinden Krächzen wie vorher, »und widersprechen thu' ich auch nicht – und wenn einer auch schwört, bis er schwarz wird; das geht mein Fleisch nichts an und mein Geschäft auch nicht. Ich sage blos, es ist ein reizendes Beest. Und was ich sage, dabei bleib' ich, aber zanken thue ich mich darum nicht.«
»Nein, bewahre«, sagte der Hufschmied mit bitterm Hohn, indem er die ganze Versammlung überblickte, »und Ihr seid auch kein Dickkopf, und Ihr habt auch nicht gesagt, die Kuh wäre eins von den rothen Durhams, und Ihr habt auch nicht gesagt, sie hätte 'ne weiße Blässe, – dabei bleibt auch, nun Ihr mal dran seid.«
»Aber, lieben Leute«, sagte der Wirth, »laßt die Kuh in Ruhe. Die Wahrheit liegt zwischen Euch; Ihr habt beide Recht und beide Unrecht, das sag' ich ja immer. Und daß die Kuh von Mr. Lammeter ist, darüber kann ich nichts sagen; aber das sage ich, der ›Regenbogen‹ ist der ›Regenbogen‹. Und was die Lammeters angeht – na, da wißt Ihr wohl am besten Bescheid, Meister Macey! Ihr erinnert Euch noch, als der alte Lammeter, der nun todt ist, zuerst hier in die Gegend kam und sich ankaufte – nicht wahr?«
Macey war Schneider und zugleich Küster im Dorf; in der letzteren Funktion hatte er seit kurzem wegen seines Rheumatismus einen etwas kümmerlich aussehenden jungen Mann, der ihm grade gegenüber saß, zum Gehülfen annehmen müssen. Bei der Frage des Wirths hielt der Küster seinen weißen Kopf etwas auf die Seite, drehte mit einer Mischung von Selbstgefälligkeit und wohlwollendem Ernst die Daumen und sagte mitleidig lächelnd:
»Ja ja, ich weiß, ich weiß, aber das Reden überlass' ich andern Leuten. Ich hab's aufgegeben; jetzt ist die Jugend dran. [55] Ihr müßt wen fragen, der in Tarley in die Schule gegangen ist; so einer hat die Aussprache gelernt, wo man zu meiner Zeit noch nichts von wußte.«
»Wenn das auf mich gehen soll, Herr Küster«, sagte der Stellvertreter mit gemessenem Anstande, »dann muß ich sagen, ich bin nicht der Mann dazu, mich zu überheben. Wie der Psalmist sagt:
Ich weiß was recht ist, und noch mehr:
Ich thu's und üb' es auch nachher.«
»Na, denn möcht' ich Euch doch rathen, Ihr hieltet hübsch die Melodie, wie sie mal gesetzt ist; wenn Ihr für's üben seid, denn übt das«, warf ein breitschultriger, lustig aussehender Mann ein, der die Woche über ein tüchtiger Stellmacher war und Sonntags den Chor leitete. Er blinzte bei diesen Worten zwei Leuten in der Gesellschaft zu, die amtlich als das »Fagott« und »das Klapperhorn« bekannt waren, und deren Zustimmung ihm nun das Recht geben sollte, im Namen der musikalischen Welt von Raveloe überhaupt zu sprechen.
Dem Gehülfen des Küsters, der die allgemeine Unbeliebtheit aller Stellvertreter theilte, stieg das Blut zu Kopf, aber er antwortete mit großer Mäßigung: »Wenn Ihr mir beweisen könnt, Meister Winthrop, daß ich falsch singe, denn will ich's abstellen; das ist mal meine Art. Aber gewisse Leute, die meinen, sie haben allein ein richtiges Gehör, und denn soll der ganze Chor ihnen folgen. Jedes Ding hat seine zwei Seiten, und verschiedene Ansichten giebt's auch.«
»Ja ja«, sagte der Küster, dem dieser Angriff auf jugendliche Ueberhebung sehr gelegen kam, »da habt Ihr Recht, Tookey; verschiedene Meinungen giebt's immer – eine Meinung, die einer von sich selbst hat, und eine andere Meinung, die andere Leute von ihm haben. Auch über eine gesprungene Glocke gäb's gewiß zwei verschiedene Meinungen, wenn sie sich selbst hören könnte.«
Dieser spitzigen Bemerkung folgte allgemeines Gelächter, nur der arme Tookey blieb ernst und sagte:
[56] »Herr Küster, ich vertrete auf unserm Herrn Pastor seinen Wunsch Eure Stelle, wenn Ihr mal zu schwach seid, und dazu gehört auch das Recht, im Chor mitzusingen – warum hättet Ihr's denn sonst selbst gethan?«
»Oho! aber der alte Herr und Ihr, das ist zweierlei«, sagte Ben Winthrop. »Der alte Herr hat die Gabe dazu. Hat'n der Squire doch oft zu 'nem Glas Wein eingeladen, blos um das Lied vom rothen Reitersmann zu hören – nicht wahr, Herr Küster? 's ist mal 'ne natürliche Gabe. Mein kleiner Aaron hat auch so'ne Gabe – der singt jede Melodie frisch weg wie 'ne Drossel. Aber Ihr, Meister Tookey, Ihr solltet bei Euern ›Amens‹ bleiben; Eure Stimme ist ganz gut, so lange Ihr sie in der Nase haltet. Drinnen da fehlt's Euch – am besten fehlt's; inwendig seid Ihr wie'n hohler Stengel.«
Diese Art von rücksichtslosem Freimuth war für die Gesellschaft im Regenbogen die pikanteste Form des Scherzes, und in aller Augen hatte Ben mit seinem derben Worte den spitzen Ausfall des Küsters überboten.
»Ich sehe schon, wo das hinaus soll«, entgegnete Meister Tookey, unfähig sich länger zu beherrschen; »es ist 'ne Verschwörung, um mich aus dem Chor zu verdrängen, damit ich vom Weihnachtsgeld nichts abbekomme – das ist die ganze Geschichte. Aber ich spreche mit dem Pastor; ich lasse mir von keinem was bieten.«
»I nein, Tookey«, sagte Ben Winthrop; »wir wollen Euch Euer Theil bezahlen, wenn Ihr weg bleibt – so steht die Geschichte. 's ist nicht blos Ungeziefer, wo man gern was zugiebt, um's loszuwerden.«
»Nun hört's aber auf«, sagte der Wirth, dem das Prinzip, Leuten für ihr Wegbleiben noch was zuzugeben, sehr gefährlich für die menschliche Gesellschaft schien. »Ein Scherz ist'n Scherz. Wir sind ja hier alle gute Freunde, denk' ich. Geben und nehmen – das bedenkt, Meister Tookey. Ihr habt beide Recht und beide Unrecht, das sag' ich immer. Ich halt's mit dem Küster: es giebt verschiedene Ansichten, und wenn ich um meine [57] gefragt werde, so sag' ich, sie haben beide Recht. Tookey hat Recht und Winthrop hat Recht, und sie brauchen sich blos in den Unterschied zu theilen, denn sind sie gleich.«
Der Hufschmied hörte diese Erörterung verächtlich an und paffte mit einem gewissen Ingrimm seine Pfeife. Er hatte kein Gehör für Musik und ging wegen seines ärztlichen Berufes nie zur Kirche, da er leicht zu leidenden Kühen gerufen werden konnte. Aber der Schlächter, der »Musik hatte in ihm selbst«, hatte in getheilter Stimmung zugehört; halb wünschte er eine Niederlage Tookey's, halb die Erhaltung des Friedens. Er ging daher auf die versöhnliche Absicht des Wirthes ein und meinte:
»Natürlich hängen wir an unserm alten Küster, das versteht sich doch von selbst – so'n tüchtiger Sänger, wie er immer war, und 'nen Bruder hat er, der ist der beste Fidler weit und breit. 's ist recht schade, daß Salomon nicht hier im Dorfe wohnt und uns was vorspielen kann, wenn wir grade möchten – nicht wahr, Herr Küster? Leber und Lungen sollt' er bei mir umsonst haben – das gäb' ich drum.«
»Ja ja«, sagte der Küster, auf dem Gipfel des Behagens, »wir Macey's sind als Musikanten bekannt, so lange man denken kann. Aber so was stirbt aus, das sag' ich Salomon jedes Mal, wenn er hier durchkommt; die Stimmen sind nicht mehr was sie früher waren, und was wir erlebt haben, das hat keiner erlebt, höchstens noch die alten Krähen.«
»Jawohl«, fiel der Wirth ein, »Ihr habt's noch erlebt, als Hrn. Lammeters Vater in diese Gegend zog – nicht wahr, Herr Küster?«
»Sollt's meinen«, sagte der alte Mann, der sich nun lange genug hatte nöthigen lassen, um seine Erzählung beginnen zu können – »und ein stattlicher alter Herr war's, eben so stattlich und noch stattlicher als der jetzige Herr Lammeter. Er stammte aus dem Norden, soweit ich's ergründen konnte. Aber von der Gegend weiß kein Mensch so recht Bescheid; blos, gar weit nach Norden konnt's nicht gewesen sein und auch nicht viel anders als bei uns zu Lande; denn er brachte eine hübsche Zucht [58] Schafe mit, und da muß es dort wohl Weiden geben und was sich sonst schickt. Es hieß, er habe sein eigenes Land verkauft, und das war auffallend, daß er denn herkam und an einem fremden Orte eine Pachtung antrat. Aber die Leute meinten, seine Frau sei ihm gestorben und darum sei er weggezogen; doch das meinten die Leute blos so, und 's giebt Gründe und Veranlassungen wo kein Mensch was von weiß – das habe ich oft genug gefunden; freilich, manche Leute, die sind so klug, die wissen gleich funfzig Gründe schlank weg, und währenddem steht der wahre Grund in der Ecke und lacht sie was aus und sie sehen 'n gar nicht. Indessen aber wir merkten bald, daß wir ein neues Gemeindemitglied hatten, der von allen Dingen gut Bescheid wußte und ein guter Wirth war und von jedermann geachtet wurde. Und der junge Herr – was jetzt Herr Lammeter ist, denn Schwestern hatte er nicht – der fing bald an, Fräulein Osgood die Cour zu schneiden, die dem jetzigen Herrn Osgood seine Schwester war, und ein prächtiges hübsches Mädchen war's – Ihr könnt's Euch garnicht denken; die Leute sagen wohl, das junge Fräulein Nancy sähe ihr ähnlich, aber das ist blos, weil sie nicht wissen, wie's früher war. Ich muß das wohl wissen, denn ich half dem alten Pastor, den verstorbenen Herrn Drumlow mein' ich – dem half ich, als sie getraut wurden.«
Hier schwieg der Küster; er gab seine Geschichten immer in Absätzen und ließ sich gern um die Fortsetzung bitten.
»Und bei der Trauung, da passirte was ganz besonderes – nicht wahr, Mr. Macey, was Ihr so bald nicht vergessen habt?« fragte der Wirth aufmunternd.
»Sollt's meinen, – ganz was besondres«, erwiderte der Küster und nickte mit dem Kopfe. »Pastor Drumlow nämlich – der gute alte Herr, ich hatt'n recht gern, obschon er'n bischen konfus war im Kopf, von dem hohen Alter und weil er manchmal einen Tropfen Warmes nahm, wenn's des Morgens in der Kirche recht kalt war. Und der junge Herr Lammeter wollte abs'lut im Janovar getraut werden, was doch 'ne rechte [59] ungeschickte Zeit zum Trauen ist, – beim Taufen oder Begräbniß, da kann man's mal nicht ändern, – und als nun Pastor Drumlow – der gute alte Herr; ich hatt'n so gern – aber als es nun an die Fragen kam, da stellt er sie verkehrt und sagt: ›Begehrst Du diesen Mann zur Ehefrau?‹ sagt er, und dann sagt er: ›Begehrst Du diese Frau zum Ehegatten?‹ sagt er. Aber was das allerauffallendste ist, kein Mensch merkt's als ich, und sie sagten so schlankweg Ja – grade als wenn ich an der rechten Stelle mein Amen sage.«
»Aber Ihr wußtet recht gut was vorging, nicht wahr, Herr Macey? Ihr wart auf dem Posten – he?« fragte der Schlächter.
»Du lieber Himmel!« erwiderte der Küster und lächelte mitleidig über die Unfähigkeit seiner Zuhörer, sich eine solche Scene recht auszumalen, – »ich auf dem Posten! Ih, ich zitterte am ganzen Leibe; ich kam mir vor als wie'n Rock, den man an beiden Schößen zerrt; den Pastor konnt' ich doch nicht unterbrechen, das durft' ich mir nicht herausnehmen, und doch sagt' ich mir: ›wenn nun die Trauung nicht gilt, sagt' ich, weil die Worte verkehrt waren?!‹ und die Geschichte ging mir im Kopf 'rum wie toll, weil ich mir mein Lebelang immer alles sehr genau überlegt habe und die Dinge von allen Seiten ansah, und so sagte ich bei mir selbst: ›Ist's die Absicht oder sind's die Worte, die eine Ehe fest machen?‹ Denn der Pastor hatte die rechte Absicht und die Brautleute hatten auch die rechte Absicht. Aber mir fiel ein, mit der Absicht kommt man nicht weit in der Welt, denn wenn einer auch die Absicht hat, was zusammen zu leimen und der Leim ist schlecht, denn sitzt er da. Und so sage ich denn bei mir selbst: ›die Absicht thut's nicht, der Leim thut's‹. Und es quälte mich so, als müßt' ich drei Glocken auf einmal ziehen, und da gingen sie in die Sakristei und schrieben sich ins Kirchenbuch. Aber was hilft das Reden? Ihr könnt Euch doch nicht denken, was in einem klugen Menschen vorgeht.«
»Aber Ihr hieltet doch an Euch?« fragte der Wirth.
[60] »Ja, ich hielt fest an mich, bis ich mit dem Herrn Pastor allein war, und denn kam ich mit der Geschichte heraus, aber natürlich in aller Ehrerbietung, wie immer. Und er – er nimmt die Sache ganz leicht und sagt: ›ih, Macey, darüber beruhigt Euch‹, sagt er, ›die Absicht thut's nicht und die Worte thun's auch nicht – das Kirchenbuch thut's, das ist der Leim.‹ Er wurde also rasch damit fertig, seht Ihr, denn die Pastors und Doktors, die wissen alles auswendig und brauchen sich nicht damit abzuquälen, was recht ist und was unrecht, wie ich das mein Lebtag oft genug habe thun müssen. Und die Heirath war auch ganz in der Ordnung und alles ging gut; bloß die arme Frau Lammeter, was früher Fräulein Osgood gewesen war, die starb noch ehe ihre Kinder groß waren, aber was Wohlstand angeht und Achtbarkeit, da ist keine Familie besser dran.«
Die ganze Gesellschaft hatte diese Geschichte schon manch liebes Mal gehört, aber man hörte doch wieder so aufmerksam zu, als wär's eine Lieblingsmelodie gewesen, und an gewissen Stellen nahm man die Pfeifen so erwartungsvoll aus dem Munde, als hätte man gar nicht gewußt was folgte. Indeß die Geschichte ging noch weiter, und der Wirth stellte pflichtschuldigst die einleitende Frage.
»Der alte Herr Lammeter hatte wohl ein hübsches Vermögen, als er hier in die Gegend kam?«
»Ei ja«, sagte der Küster, »aber der jetzige Herr Lammeter kann froh sein, wenn er's noch all zusammen hat. Denn es hat immer geheißen, auf dem Gute könnte keiner reich werden, obschon er's billig hat, denn's ist Stiftsland, wie man's nennt.«
»Na, und wie es Stiftsland geworden ist, das wissen wenige Leute so gut wie Ihr, nicht wahr, Herr Küster?« fragte der Schlächter.
»Woher sollten sie's auch wissen?« erwiderte der alte Mann etwas verächtlich. »Mein Großvater hat die Bedientenlivreen gemacht für den Mr. Cliff, der die großen Pferdeställe auf dem Gute anlegte. Die Ställe sind viermal so groß wie Squire [61] Caß seine, denn er dachte bloß an Pferde und Jagen, der Cliff, – die Leute sagten, es wäre ein Schneider aus London, der betrogen hätte wie verrückt, aber reiten konnte er nicht; du meine Zeit, er hatte das Pferd so wenig in der Gewalt, als wären seine Beine Schwefelsticken Zündhölzer. gewesen, das hat mein seliger Großvater von dem Squire Caß manch liebes Mal gehört. Aber reiten wollt' er doch, als wenn ihn der Deibel selber ritte, und sein Sohn, ein Bursch von sechszehn Jahren, den ließ der Alte nichts thun, als er mußte immer reiten und reiten, obschon der Junge bange war, wie es hieß. Und die Leute sagten alle, der Alte wollte den Schneider aus dem Jungen 'rausreiten und 'nen vornehmen Herrn draus machen, – nicht als ob ich mich schämte, daß ich ein Schneider bin, im Gegentheil, ich bin stolz drauf, da Gott mich mal dazu gemacht hat, und schon länger als hundert Jahre steht über unserer Thüre ›Macey, Schneidermeister‹. Aber Cliff, der schämte sich, daß er ein Schneider gewesen war, und es ärgerte ihn schwer, wenn man ihn mit seinem Reiten auslachte, und von den vornehmen Leuten hier herum konnte ihn keiner ausstehen. Indessen aber, der arme Junge wurde krank und starb, und der Vater lebte auch nicht lange mehr, denn er wurde alle Tage verdrehter, und die Leute sagten, er ginge immer mitten in der Nacht mit der Laterne in den Stall und steckte 'ne Menge Lichter an, weil er nicht schlafen könne, und da stand er denn und klatschte mit der Peitsche und sah sich die Pferde an, und ein rechtes Glück war's, daß der Stall nicht in Flammen aufging mit den armen hülflosen Thieren. Aber endlich starb er in Raserei, und denn fand sich's, daß er sein ganzes Vermögen, das Gut und alles an 'ne milde Stiftung in London vermacht hatte, und darum heißt es Stiftsland. Aber die Ställe, die benutzt Herr Lammeter gar nicht – denen traut kein Mensch – wahrhaftig, wenn man mit der Stallthür klappte, das schallte wie Donner über's halbe Kirchspiel.«
»Ja, aber in den Ställen geht mehr vor als man bei Tageslicht sehen kann, nicht wahr, Herr Küster?« fragte der Wirth.
[62] »Ja ja, geht nur hin bei dunkler Nacht, mehr kann ich nicht sagen«, erwiderte der Küster und gab sich ein geheimnißvolles Aussehen, »und daß Ihr dann kein Licht im Stall gesehen hättet, oder Pferde hättet trampeln hören, oder Peitschenknallen und gegen Tagesanbruch heulen – das macht 'nem andern weiß. ›Cliff macht Feierabend‹, nennt man's, schon von meiner Kindheit her, und das soll heißen, der Böse giebt ihm dann frei, daß er nicht zu braten braucht. So hat's mir mein Vater erzählt, und das war ein verständiger Mann; heut zu Tage freilich giebt's Leute, die verstehn sich besser darauf was passirt ist, ehe sie auf die Welt kamen, als auf ihr eigenes Geschäft.«
»Was sagt Ihr dazu, Meister Dowlas?« sagte der Wirth zu dem Hufschmied, der schon ganz ungeduldig auf sein Stichwort wartete. »Das ist 'ne Nuß für Euch zu knacken.«
Meister Dowlas war in der Gesellschaft »der Geist, der stets verneint«, und er war stolz auf diese Stellung.
»Was ich dazu sage? Ich sage, was jeder sagen muß, der die Augen nicht zumacht, wenn er nach 'nem Wegweiser sehen will; ich sage, ich wette auf der Stelle zehn Pfund, wenn einer mit mir eine ruhige Nacht bei dem Stalle wachen will, daß wir kein Licht sehen und kein Geräusch hören, außer vielleicht, wenn wir uns die Nase schnauben. Das ist meine Ansicht und das hab' ich schon oft gesagt, aber es will keiner seine zehn Pfund an die Gespenster wagen, wenn er auch noch so bestimmt dran glaubt.«
»Ih, Meister Dowlas, das ist 'ne schöne Wette«, meinte Ben Winthrop; »Ihr könntet eben so gut 'ne Wette anbieten, man holte sich keine Erkältung, wenn man in 'ner kalten Nacht bis an den Hals im Wasser stände. Es wär ein schöner Spaß, wenn einer seine Wette damit gewönne, daß er sich doch die Erkältung holte. Wer an Cliff seinen Feierabend glaubt, der wagt sich für keine zehn Pfund in die Nähe.«
»Wenn Meister Dowlas sich überzeugen will, was dran ist«, [63] bemerkte der Küster mit höhnischem Lächeln und indem er die Daumen gegen einander schlug, »dann braucht er nicht zu wetten – er kann ja allein hingehen und sich hinstellen – hindert ihn keiner, und denn kann er uns andern sagen, ob wir Unrecht haben.«
»Danke freundlich! sehr verbunden«, erwiderte der Hufschmied mit lautem Hohn. »Will einer ein Narr sein, das geht mich nichts an. Ich will gar nicht wissen, was an der Spukgeschichte ist; ich weiß es schon. Aber gegen eine Wette hab' ich nichts – alles offen und ehrlich. Will einer zehn Pfund mit mir wetten, daß ich mir ansehe, wenn Cliff Feierabend macht, dann geh' ich allein hin und passe auf. Dazu brauch' ich keine Gesellschaft. Mir ist's so gleichgültig, als ob ich mir die Pfeife stopfte.«
»Oho, aber wer soll Euch denn kontrolliren, Dowlas, daß Ihr's auch wirklich thut? Das ist keine ehrliche Wette«, sagte der Schlächter.
»Keine ehrliche Wette?« erwiderte Dowlas ärgerlich. »Ich möchte den sehen, der aufstände und sagte, ich wollte nicht ehrlich wetten? 'raus damit, Meister Lundy; ich möchte wohl hören, daß Ihr das sagtet.«
»So, möchtet Ihr das?« sagte der Schlächter. »Aber meine Sache ist's nicht, mit Eurem wetten hab' ich nichts zu schaffen. Ich bin für Ruhe und Frieden.«
»Ja, das ist jeder bissige Köter, wenn man ihm einen Stock hinhält«, sagte der Hufschmied. »Aber ich fürchte mich vor niemand, weder Mensch noch Gespenst, und ich will jede ehrliche Wette eingehen – ich kneife nicht den Schwanz zwischen die Beine, wie ein begossener Pudel.«
»Ja, aber eins ist doch zu bedenken, Dowlas«, bemerkte der Wirth in seinem liebenswürdigsten und mildesten Tone. »Es giebt Leute, mein' ich, die können keinen Geist sehen, und wenn er auch so deutlich vor ihnen stände, wie ein Kirchthurm. Und das hat seinen Grund. Meine Frau z. B., die kann gar nicht riechen und wenn sie den stärksten Käse unter die Nase kriegt. [64] Ich habe selbst noch keinen Geist gesehen, aber dann sag' ich mir immer: ›Snell‹, sag ich, ›Du hast wohl nicht den Geruch dafür‹. Nämlich, ich sage Geist für Geruch, und umgekehrt. Und darum halt' ich's mit beiden Ansichten, denn wie gesagt, die Wahrheit liegt in der Mitte. Und wenn Dowlas hinginge und die Nacht wachte und dann wieder käme und sagte: ›Cliff hat die ganze Nacht nicht Feierabend.gemacht‹, denn glaubt' ich's ihm, und wenn ein andrer herkäme und sagte, ›Cliff hat doch frei‹, denn glaubt' ich's dem auch. Ich gehe nach dem Geruch.«
Diese Erläuterung des Wirths durch Beispiele fand bei dem Hufschmied, der jeder Vermittelung durchaus abgeneigt war, keine günstige Aufnahme.
»Pah, pah«, sagte er, indem er höchst gereizt sein Glas hinsetzte, »was hat der Geruch damit zu thun? Hat ein Geist schon einem das Auge blutig geschlagen? Das möcht' ich wissen. Wenn ich an Geister glauben soll, denn mögen sie aufhören, im Dunkeln und an einsamen Plätzen herum zu schleichen – denn mögen sie hinkommen wo Gesellschaft ist und Licht brennt.«
»Als wenn den Geistern was dran gelegen wäre, ob ein so unwissender Mensch an sie glaubt!« sagte der Küster mit tiefem Abscheu über die völlige Unfähigkeit des Hufschmied's, die Frage der Geistererscheinungen zu beurtheilen.