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Zweiter Theil.


[164] [165]

Sechzehnter Abschnitt.

Es war ein schöner Herbstsonntag, sechzehn Jahre nachdem Silas Marner den neuen Schatz an seinem Heerde gefunden hatte.

Die Glocken der alten Dorfkirche verkündeten mit heiteren Klängen das Ende des Morgengottesdienstes, und aus der gewölbten Thür im Thurm kamen unter freundlichen Grüßen und Gesprächen die reicheren Gemeindeglieder heraus, welche diesen schönen Sonntag Morgen zu einem Kirchgang benutzt hatten. Damals war's auf dem Lande Sitte, daß die angesehnern Leute zuerst hinausgingen, während ihre ärmeren Nachbarn bescheiden warteten und zusahen, indem sie sich verneigten oder ihren Knix machten, wenn einer von den reichen Steuerzahlern sich zu ihnen wandte. Vornan unter diesen wohlgekleideten Leuten gehen einige, die wir gewiß wieder erkennen, trotzdem die Zeit sie alle mit ihrer bösen Hand berührt hat. Der große blonde etwa vierzigjährige Mann ist gegen den sechsundzwanzigjährigen Gottfried Caß im Gesicht nicht sehr verändert; er ist nur stärker geworden und hat jenes unbeschreibliche Etwas verloren, was man den Blick der Jugend nennt – ein Verlust, den man wohl merkt, wenn auch das Auge noch klaren Glanz hat und das Gesicht noch keine Runzeln. Die hübsche nicht viel jüngere Frau an seinem Arm hat sich vielleicht mehr verändert als ihr [166] Mann; die liebliche Blüthe, die sonst immer auf ihrer Wange war, stellt sich jetzt nur noch bisweilen ein, in der frischen Morgenluft oder bei starker Aufregung; aber für jeden, der ein Menschengesicht um deswillen liebt, wie die Menschenseele daraus spricht, hat Nancy's Schönheit ein erhöhtes Interesse. Die Seele reift oft zu vollerer Güte heran, während das Alter eine häßliche Haut über die Frucht zieht, so daß sich vom bloßen Ansehen nie errathen läßt, wie kostbar die Frucht ist. Aber so grausam sind die Jahre gegen Nancy nicht gewesen. Der feste und doch sanfte Mund und der klare offene Blick der braunen Augen bekunden eine Natur, die ihre Prüfung bestanden und ihre Vorzüge bewährt hat, und selbst die Tracht mit ihrer zierlichen Sauberkeit und Reinheit macht jetzt einen angenehmeren Eindruck, wo die noch so harmlose Coquetterie der Jugend nichts mehr damit zu thun hat.

Herr und Frau Gottfried Caß – der höhere Titel ist bei den Leuten in Raveloe nicht mehr gebräuchlich, seit der alte Squire zu seinen Vätern versammelt ist und seine Söhne sich in die Erbschaft getheilt haben – Herr und Frau Gottfried Caß haben sich umgedreht, um nach dem großen alten Herrn und der einfach gekleideten Dame zu sehen, die ein wenig zurück sind; es ist der alte Lammeter und Priscilla, und nun wenden sie sich alle vier auf einen schmalen Fußpfad, der über den Kirchhof nach einer Gitterthür, dem rothen Hause gegenüber, führt. Wir wollen ihnen jetzt nicht weiter folgen; vielleicht kommen noch andere aus der Kirche, die wir auch gern wiedersehen möchten, – nicht so gut gekleidet vielleicht und nicht so leicht wiederzuerkennen, wie der Herr und die Frau vom rothen Hause.

Indeß, Silas Marner ist nicht zu verkennen. Seine großen braunen Augen scheinen jetzt weiter zu sehen, wie das wohl Augen pflegen, die in der ersten Hälfte des Lebens kurzsichtig gewesen sind, und sie haben einen weniger unbestimmten, lebhafteren Blick, aber sonst sieht man ihm durchweg an, daß er in den sechzehn Jahren viel älter und gebrechlicher geworden ist. Mit seinen gebeugten Schultern und weißen Haaren sieht der [167] Weber beinahe aus, als sei er schon hoch bei Jahren, und doch ist er erst fünfundfunfzig, aber dicht neben sich hat er die frischeste Jugendblüthe, ein hübsches achtzehnjähriges Mädchen, die vergebens versucht hat, ihr dunkelbraunes Lockenhaar unter dem braunen Hute glatt zu halten; das Haar kräuselt sich so hartnäckig wie ein Bächlein im Märzwinde, und die kleinen Ringeln drängen sich hinten unter dem Kamme hervor und fallen unter den Hut herab. Eppie ist immer etwas unglücklich darüber, denn kein anderes Mädchen im Dorfe hat solches Haar, und sie meint, am Kopf müsse man glatt sein. Selbst in kleinen Dingen mag sie nicht tadelnswerth erscheinen; seht nur, wie sauber ihr Gebetbuch in dem wohlgefalteten bunten Taschentuche liegt.

Der hübsche junge Bursch in dem neuen Anzuge von Parchent, der hinter ihr hergeht, ist in dieser Haarfrage im allgemeinen etwas unsicher und spricht sich auf Eppie's Befragen dahin aus, glattes Haar möge im allgemeinen wohl das beste sein, aber Eppie's Haar wünscht er nicht anders. Sie erräth gewiß, daß jemand hinter ihr ist, der ganz besonders an sie denkt und sich eben ein Herz faßt, an ihre Seite zu treten, sobald sie erst im Felde sind; warum sähe sie sonst so schüchtern aus und hütete sich wohl, nicht von Vater Silas wegzublicken, dem sie immer leise zuflüstert, wer in der Kirche gewesen sei und wer nicht, und wie hübsch der Vogelbeerbaum an der Mauer des Pfarrgartens aussehe.

»Ich wollte, wir hätten einen kleinen Garten, Vater, mit doppelten Marienblümchen drin, wie Frau Winthrop«, sagte Eppie, sobald sie draußen waren; »wenn's nur nicht so viel Arbeit machte mit dem Umgraben und der frischen Erde – und das könnt'st Du doch nicht, Vater, nicht wahr? Jedenfalls möcht' ich nicht, daß Du's thät'st, denn das wäre zu schwere Arbeit für Dich.«

»Doch, Kind, ich könnt's recht gut, wenn Du ein Stück Garten haben willst; an den langen Abenden könnte ich etwas von dem wüstliegenden Lande bestellen, wo Du schon ein paar Blumen hineinpflanzen könntest, und des Morgens thät' ich ein [168] paar Stiche mit der Schaufel, eh' ich mich an den Webstuhl setzte. Warum hast's mir nicht eher gesagt, daß Du einen kleinen Garten haben möchtest?«

»Ich kann Euch den Garten graben, Meister Marner«, sagte der junge Bursch in Parchent, der jetzt an Eppie's Seite trat und ohne weitere Einleitung am Gespräch Theil nahm. »Für mich ist's Spielerei, wenn ich mit meinem Tagwerk fertig bin, oder wenn ich sonst etwas Zeit habe, wo grad nicht viel Arbeit ist. Und Fruchterde will ich Euch auch mitbringen, aus Herrn Caß seinem Garten, er erlaubt's mir gern.

»Ei sieh, Aaron, mein Junge, bist Du auch da?« sagte Silas; »ich hab' Dich gar nicht bemerkt; wenn Eppie mit mir spricht, dann seh und hör' ich nichts anderes. Na, wenn Du mir beim graben helfen könntest, dann kriegten wir den Garten um so eher fertig.«

»Wenn's Euch recht ist«, erwiderte Aaron, »dann komme ich heute Nachmittag zu Euch, und wir überlegen, welches Stück wir zum Garten nehmen, und ich steh' dann schon früh auf und fange an zu arbeiten.«

»Aber erst mußt Du mir versprechen, Vater, daß Du nichts an dem schweren Umgraben thun willst«, sagte Eppie. »Ich hätte gar nicht davon gesprochen«, fügte sie halb schüchtern, halb schelmisch hinzu, »bloß Frau Winthrop meinte, Aaron würde so gut sein und« –

»Das hätt'st Du auch wissen können, ohne daß Dir's Mutter erst sagte«, fiel Aaron ein. »Und Meister Marner weiß auch wohl, daß ich gern etwas für ihn thue, und er wird hoffentlich nicht so unfreundlich sein und sich's von andern machen lassen.«

»Na, Vater, dann brauchst Du also nichts dran zu thun, bis die leichtere Arbeit kommt, und Du und ich wir stecken dann die Beete ab und machen Löcher und pflanzen. Es wird viel hübscher beim Steinbruch, wenn wir ein paar Blumen haben; ich glaube immer, die Blumen können uns sehen und wissen wovon wir sprechen. Und etwas Rosmarin möcht' ich haben [169] und Goldlack und Thymian, die riechen alle so hübsch, aber Lavendel, den haben bloß die reichen Leute.«

»Darum kannst Du aber doch welchen kriegen«, sagte Aaron; »von allen Blumen kann ich Dir Ableger schaffen; ich muß so viel abschneiden, wenn ich 'nen Garten in Ordnung bringe und meist werf' ich's weg. In dem Garten beim rothen Hause ist ein großes Beet Lavendel, die Frau hat's so gern.«

»Aber wenn's was kostet,« sagte Silas nachdrücklich, »dann darfst Du für uns nicht drum bitten; Herr Caß ist schon so gut gegen uns gewesen und hat uns den neuen Anbau an die Hütte machen lassen und uns Bettzeug gegeben und alles; da möcht' ich ihn nicht gern wieder um etwas bitten.«

»Nein, nein, darüber beruhigt Euch nur«, sagte Aaron; »in jedem Garten im Kirchspiel verkommt 'ne Unmasse, weil keiner da ist, der's gebraucht, und zuweilen kommt's mir so vor, als wenn keiner zu hungern brauchte, wenn man nur aus dem Lande machte, was sich draus machen läßt, und wenn jeder Bissen seinen Mund finden könnte. Es bringt einen auf allerlei Gedanken, die Gärtnerei. Aber jetzt muß ich umkehren, sonst ängstigt sich Mutter, daß ich nicht da bin.«

»Bring sie diesen Nachmittag mit, Aaron«, sagte Eppie, »ich möchte nichts über den Garten fest machen, wenn sie nicht von Anfang an dabei ist, und Du doch auch nicht, Vater.«

»Ja, bring sie mit, wenn Du kannst, Aaron«, antwortete Silas, »sie weiß immer was zu sagen, was einem auf den rechten Weg hilft.«

Aaron kehrte ins Dorf zurück, während Silas und Eppie auf dem einsamen, von Hecken verdeckten Feldwege weiter gingen.

»O Papa«, fing sie an, als sie allein waren, und faßte und drückte ihn am Arm und küßte ihn herzhaft auf die Backe; »mein liebes, altes Papachen! ich bin so glücklich. Wenn wir erst einen kleinen Garten haben, dann fehlt mir nichts mehr, und ich wußte wohl, Aaron würd'n uns fertig machen«, fuhr sie mit schelmischem Triumph fort; »ja, das wußt' ich recht gut.«

[170] »Du bist ein klein listig Kätzchen, weißt Du das?« sagte Silas, und aus seinem Gesichte lachte das sanfte Glück eines von Liebe verschönten Alters, »aber Du wirst auch hübsch freundlich gegen Aaron sein und ihm ordentlich danken.«

»Denk' nicht dran«, sagte Eppie lustig lachend, »er thut's ganz gern.«

»Hübsch ruhig, gieb mir Dein Gebetbuch, sonst läßt Du's noch fallen, wenn Du so wild herumspringst.«

Eppie bemerkte jetzt, sie werde beobachtet, aber der Beobachter war ein freundlicher Esel, der mit einem Klotz am Bein Früher wurde dem Vieh auf einer nicht eingezäunten Weide ein Holzklotz an eines der Beine gebunden, damit es nicht weglaufen konnte. Dasselbe Mittel wurde in den USA bei Arbeitssträflingen eingesetzt, die an eine Eisenkugel angekettet waren ( ball and chain). weidete – ein sanfter Esel, der über die menschlichen Schwächen nicht spöttisch die Nase rümpfte, sondern dankbar war, wenn man ihn selbst an der Nase kraute, und Eppie verfehlte nicht, ihm diesen Genuß zu verschaffen, wofür er denn freilich die Unbequemlichkeit hatte, sich mühsam bis an die Thür des Hauses hinter ihnen herzuschleppen.

Aber ein lautes Gebell drinnen im Hause, als Eppie den Schlüssel in die Thür steckte, brachte den Esel auf andere Gedanken, und ohne weitern Befehl abzuwarten, humpelte er wieder zurück. Das laute Gebell war der lebhafte Willkomm eines klugen braunen Dachshundes, der ihnen zuerst um die Beine sprang, dann unter den Webstuhl auf ein kleines Kätzchen losschoß und sich mit ihm herumzerrte und dann wieder laut bellend hervorstürzte, als wolle er sagen, »ich bin der Wächter, ich hab' Euch das Haus gehütet«, – während die ehrwürdige Mutter des Kätzchens am Fenster saß und ihre weiße Brust sonnte und sich mit einem schläfrigen Blick nach den Eintretenden umsah, als erwarte sie Liebkosungen, werde sich aber nicht weiter drum bemühen.

Die Anwesenheit dieser vierbeinigen Hausgenossen war nicht die einzige Aenderung in der Hütte. Im Wohnzimmer stand kein Bett mehr, und der kleine Raum war hinlänglich mit anständigen Möbeln besetzt, alle so blank und sauber, daß Dorchen Winthrop ihre Freude dran hatte. Der eichene Tisch und der dreieckige eichene Stuhl waren für die dürftige Hütte beinahe zu [171] schön; sie stammten mit den Betten und den andern Sachen aus dem rothen Hause; denn Herr Gottfried Caß handelte recht freundlich gegen den Weber, das gab jeder im Dorfe zu, und es war auch ganz in der Ordnung, daß die sich nach dem Weber umsahen und ihm halfen, die's über hatten; er hatte ja ein Waisenkind erzogen und hatte Vater- und Mutterstelle bei ihm vertreten, und sein Geld hatte er auch verloren und besaß nichts weiter, als was er Tag für Tag verdiente, und noch dazu ging die Weberei so herunter, weil immer weniger Flachs gesponnen wurde, und jung war Meister Marner auch nicht mehr. Kurz, niemand mißgönnte es dem Weber; er galt allgemein als eine Ausnahme und auf die Hülfe seiner Mitmenschen wurde ihm mehr Anspruch zugestanden, als sonst wem im Dorfe. Was etwa noch an Aberglauben in Bezug auf seine Person geblieben war, hatte eine ganz neue Färbung angenommen, und der Küster Macey, jetzt ein hinfälliger Greis von sechsundachtzig Jahren, den man nur noch an seinem Kamin oder im Sonnenschein auf der Schwelle sitzen sah, behauptete ganz bestimmt, wenn jemand das gethan habe, was Silas an dem Waisenkinde, so sei das ein Zeichen, daß sein Geld wieder zum Vorschein käme, oder daß mindestens der Dieb zur Verantwortung gezogen würde – und dann fügte der Küster ferner hinzu, er sei noch so klar im Kopfe wie je.

Silas setzte sich und sah mit vergnügtem Blick zu, wie Eppie das reine Tischtuch ausbreitete und die Brühkartoffeln auftrug, die in glühender Asche warm gehalten waren. Denn einen Rost oder Bratofen wollte Silas durchaus nicht haben; er liebte den alten gemauerten Heerd, wie er früher seinen irdenen braunen Topf geliebt hatte, und hatte er an dem Heerde nicht Eppie gefunden? Die Götter des Heerdes sind für uns noch da, und jeder neue Glaube möge ja tolerant sein gegen diesen Götzendienst; er beschädigt sonst seine eigenen Wurzeln.

Silas war heute beim Essen stiller als gewöhnlich, legte bald wieder Löffel und Gabel hin und sah halb gedankenlos dem Spiele Eppie's mit dem Hunde und der Katze zu, wodurch sie ihr eigenes Mahl sehr in die Länge zog. Aber wohl war es [172] ein Anblick um abschweifende Gedanken zu fesseln – wie Eppie, der der Schmuck des Haares um den Kopf zitterte wie Lichtschein in den Wellen, und deren weißes Kinn und Hals von dem dunkelblauen Kattunkleide gehoben wurde, so herzlich lachte, als das Kätzchen sich mit allen Vieren an ihrer Schulter hielt, während der Hund auf der einen Seite und die große Katze auf der andern ihre Pfoten nach einem Stück Fleisch ausstreckten, welches Eppie ihnen hinhielt, so daß sie beide nicht heran konnten, bis sie sich endlich erweichen ließ, beide Thiere liebkosete und das Stück unter sie theilte.

Aber plötzlich blickte Eppie auf die Uhr, hörte auf zu spielen und sagte: »O Papa, Du willst gewiß hinaus in die Sonne und Dein Pfeifchen rauchen. Aber erst muß ich aufräumen, damit das Haus in Ordnung ist, wenn die Gevatterin kommt. Ich will mich sputen – bin gleich fertig.«

Seit zwei Jahren hatte sich Silas angewöhnt, täglich eine Pfeife zu rauchen, da die Weisen von Raveloe ihm zuredeten es sei gut gegen Zufälle, und Doktor Kimble es auch gut geheißen hatte, weil es eben nichts schade – ein Grundsatz, der überhaupt in der ärztlichen Praxis dieses Herrn eine große Rolle spielte. Silas hatte keinen besondern Genuß am rauchen und wunderte sich oft, wie seine Nachbarn es so sehr liebten, aber sich bescheiden in das zu fügen, was andere für gut fanden, war eine starke Gewohnheit des neuen Ich geworden, welches sich, seit er Eppie gefunden, in ihm entwickelt hatte. Indem er aufsuchte und herbeischaffte, was Eppie bedurfte, und die Wirkung theilte, die alles auf sie machte, hatte er sich allmälich die Formen angeeignet, welche dem Leben in Raveloe eigen waren, und da mit seinen wiedererwachten Empfindungen auch das Gedächtniß wieder erwachte, hatte er angefangen, den Inhalt seines alten Glaubens zu untersuchen und mit den neuen Eindrücken zu verschmelzen, bis er wieder ein Gefühl von Einheit zwischen seiner Vergangenheit und Gegenwart erlangte. Das Gefühl der Versöhnung mit Gott und Menschen, welches jeden wahren Frieden, jede wahre Freude begleitet, gab ihm den unbestimmten Eindruck, es müsse [173] irgendwo ein Irrthum, ein Mißverständniß stecken, wodurch der düstere Schatten auf seine besten Jahre gefallen sei, und da es ihm immer leichter wurde, Dorchen sein Herz zu eröffnen, so theilte er ihr allmälich alles mit, was er von seinem frühern Leben zu sagen wußte. Diese Mittheilung war eine langsame und schwierige Geschichte, da weder Silas sich geläufig aussprechen konnte, noch auch Dorchen ihm mit raschem Verständniß entgegen kam, weil sie bei ihren beschränkten Erlebnissen fremde Sitten nicht verstand und über jede Neuigkeit dieser Art sich so verwunderte, daß sie die Erzählung auf Schritt und Tritt aufhielt. Nur bruchstückweise und mit Unterbrechungen, welche Dorchen Zeit zum überlegen und begreifen ließen, kam Silas endlich an den entscheidenden Punkt der traurigen Geschichte – das Ziehen der Loose und das falsche Zeugniß, welches diese gegen ihn geredet, und das mußte er ihr bei verschiedenen Unterredungen immer wiederholen, da sie sich über diese Art, den Schuldigen zu entdecken und den Unschuldigen zu rechtfertigen, gar nicht beruhigen konnte.

»Und Ihr habt dieselbe Bibel, seid Ihr auch ganz sicher, Meister Marner? Die Bibel, die Ihr aus Eurer Heimath mitgebracht habt, – ist das dieselbe Bibel, wie in unserer Kirche, wo Eppie draus lesen lernt?«

»Ja«, sagte Silas, »ganz genau dieselbe, und in der Bibel wird auch geloost, müßt Ihr wissen«, fügte er leise hinzu.

»O du liebe Zeit«, sagte Dorchen betrübt, als höre sie einen ungünstigen Krankenbericht. Sie schwieg einige Minuten und sagte dann:

»Kluge Leute werden schon wissen, wie das zusammenhängt; der Pastor weiß es gewiß; aber man braucht schwere Worte, um es zu erklären, und daraus werden wir armen Leute nicht klug. Ich kann nie recht verstehen, was ich in der Kirche höre, blos hier und da ein bischen; ich weiß nur, daß es mir gut ist. Aber was Euch auf der Seele liegt, Meister Marner, das versteh' ich ganz gut; Ihr meint, wenn Die über uns recht an Euch [174] gehandelt hätten, dann hätten sie Euch nicht als einen schlechten Dieb verstoßen lassen, da Ihr doch unschuldig wart.«

»Ach ja«, sagte Silas, der Dorchens Redeweise verstehen gelernt hatte, »das war's, was mich traf wie glühend Eisen; seht Ihr, keiner kümmerte sich um mich oder stand mir bei, weder im Himmel noch auf Erden, und der, mit dem ich zehn Jahre und länger aus- und eingegangen war und alles getheilt hatte – mein liebster bester Freund, auf den ich ganz vertraute, der hob den Fuß gegen mich auf und stürzte mich ins Unglück.«

»Ih, das war ein schlechter Mensch – so schlecht wie es keinen zweiten giebt«, sagte Dorchen. »Aber ich bin ganz überwältigt, Meister Marner; es ist mir, als wenn ich aufwachte und wüßte nicht, ob es Nacht oder Tag ist, und es kommt mir ganz bestimmt so vor, als müßte doch Gerechtigkeit in dem sein, was Euch betroffen hat, wenn man's nur ausfinden könnte, und Ihr durftet nicht so den Muth verlieren, wie Ihr gethan habt. Aber da wollen wir ein ander Mal weiter drüber reden; denn bisweilen kommen mir Sachen in den Kopf, wenn ich Blutigel setze oder so was, wo ich nie dran dächte, wenn ich still sitze.«

Dorchen war eine zu gesuchte Krankenwärterin, um nicht manche Gelegenheit zu einer solchen Erleuchtung zu haben, und es dauerte nicht lange, so kam sie auf den Gegenstand zurück.

»Meister Marner«, sagte sie eines Tages, als sie Wäsche für Eppie brachte, »ich habe mich recht gequält über Euer Unglück und die Geschichte mit dem Loosen, und es war mir ganz verdreht, und ich wußte nicht, bei welchem Ende ich's anfassen sollte. Aber endlich ging mir ein helles Licht auf, als ich Nachts bei der armen Lisbeth wachte, die nun von ihren Kindern weggestorben ist, Gott helfe den armen Dingern! – Da wurd's mir so klar wie das Sonnenlicht, aber ob ich's jetzt noch so einsehe und es ordentlich über die Zunge bringen kann, das weiß ich nicht. Ich habe oft viel auf der Seele und es will doch nicht recht 'raus, und wenn Ihr von Euren Leuten in der Heimath erzählt, daß die kein Gebet auswendig wissen oder ablesen, [175] dann müssen die grausam klug sein; wenn ich nicht das Vaterunser oder sonst ein gutes Wort wüßte, was ich aus der Kirche mitbringe, dann könnte ich 's Abends noch so viel auf die Knie fallen, ich brächte doch nichts heraus.«

»Aber was Ihr sagt, Frau Winthrop, das kann ich meist recht gut verstehen«, sagte Silas.

»Also, Meister Marner, was mir in den Sinn kam, war ungefähr so: aus dem Loosen und der verkehrten Antwort, da kann ich nichts draus machen; vielleicht kann's Euch der Pastor sagen, aber der gebraucht so schwere Worte. Was mir aber so klar wurde wie das Sonnenlicht, das war als ich mit der armen Lisbeth zu schaffen hatte, und es kommt mir immer in den Sinn, wenn ich für andere sorge und recht fühle, daß ich keine Macht habe, ihnen zu helfen, und wenn ich auch mitten in der Nacht aufstände, – dann kommt es mir in den Sinn, daß Die über uns viel mehr Liebe im Herzen haben als ich selbst – denn ich kann doch nicht besser sein als Die, die mich geschaffen haben, und wenn mir etwas hart scheint, dann ist's blos deshalb, weil es Dinge giebt, die ich nicht verstehe, und das kann manches sein, was ich nicht verstehe, denn ich verstehe nur wenig – recht wenig, und als ich nun daran dachte, da fielt Ihr mir ein, Meister Marner, und da kam's mit einem Male auf mich eingestürzt: sind nicht Die über uns, die uns geschaffen haben, und wissen's die nicht besser und können alles besser leiten und führen? Das ist das einzige, wovon wir gewiß sind, und alles andere ist ein schweres Räthsel, wenn ich's recht bedenke. Denn da kommt das Fieber und rafft die weg, die groß und stark sind und die Kinder bleiben hülflos zurück, und da bricht einer ein Bein, und die sich rechtschaffen halten und verständig, die müssen von denen leiden, die es nicht sind, und so giebt es viel Trübsal in der Welt und gar manches, wo wir uns gar nicht drin finden können. Und alles was wir zu thun haben, Meister Marner, das ist: wir müssen vertrauen – müssen Recht thun, so weit wir können, und vertrauen. Denn wenn wir, die wir so wenig wissen, doch immer etwas Gutes und etwas Gerech [176]tigkeit in der Welt sehen, dann können wir sicher sein, daß es noch viel mehr Gutes und viel mehr Gerechtigkeit in der Welt giebt, wo wir nichts von wissen; das fühle ich so in meinem Herzen, daß das so sein muß. Und wenn Ihr nur mehr Vertrauen gehabt hättet, Meister Marner, dann wär't Ihr nicht so weggelaufen vor Euren Mitmenschen und hättet so allein gestanden.«

»Aber das wäre schwer gewesen«, sagte Silas mit unterdrückter Stimme; »das wär' schwer gewesen, damals noch zu vertrauen.«

»Ja, das ist wahr«, sagte Dorchen, beinahe entschuldigend; »so was ist leichter gesagt als gethan, und ich schäme mich ordentlich, so zu reden.«

»Nein nein«, sagte Silas, »Ihr habt ganz recht, Frau Winthrop, ganz recht. Es giebt gutes in der Welt, das fühl' ich jetzt auch, und das beweist einem, daß es noch mehr gutes giebt, als man sehen kann, trotz aller Trübsal und Schlechtigkeit. Die Geschichte mit dem Loosen ist dunkel, aber das Kind ist zu mir gesandt; es giebt Fügungen – wundersame Fügungen.«

Dieses Gespräch fand statt, als Eppie noch klein war und Silas sich täglich zwei Stunden von ihr trennen mußte, wo sie in die Lesestunde ging, da er selbst vergebens versucht hatte, sie lesen zu lehren. Nun sie erwachsen war, hatte Silas in den vielen Stunden ruhiger Herzensergießungen, welche Leuten bescheert sind, die in vollkommener Liebeseintracht zusammen leben, auch mit ihr oft von der Vergangenheit gesprochen und ihr erzählt, wie und warum er so einsam gelebt, bis sie ihm gesandt worden. Unmöglich nämlich konnte er ihr verschweigen, daß sie nicht sein eigenes Kind sei; selbst wenn das Geschwätz im Dorfe in ihrer Gegenwart die zarteste Verschwiegenheit über diesen Punkt beobachtet hätte, würde er ihrer eigenen Fragen nach ihrer Mutter sich nicht haben erwehren können, ohne die Vergangenheit in ein vollständiges Geheimniß zu hüllen, welches eine peinliche Schranke zwischen ihnen errichtet hätte. So wußte denn [177] Eppie längst, ihre Mutter sei im Schnee erfroren und sie selbst sei von Vater Silas am Heerde gefunden worden, und er habe ihre goldenen Locken für seine verlorenen Goldstücke gehalten. Die zärtliche und eifersüchtige Liebe, mit der sie der Alte in fast unzertrennlicher Gemeinschaft bei sich aufzog, und die einsame Lage ihrer kleinen Wohnung hatte sie vor jeder bedenklichen Einwirkung der Leute im Dorf bewahrt, und ihrem Geiste die Frische erhalten, die man wohl fälschlich für eine stehende Eigenschaft der Landbewohner hält. Vollkommene Liebe hat einen Hauch von Poesie, der auch die ungebildetsten Menschen zu erheben vermag, und dieser Hauch von Poesie hatte Eppie seit der Zeit umschwebt, wo sie dem hellen Glanze nachgegangen war, der sie an Marner's Heerd lockte; es kann daher nicht überraschen, daß sie auch abgesehen von ihrer zarten Schönheit kein gewöhnliches Landmädchen war, sondern eine Feinheit und Frische hatte, die nur aus ungefälschtem, sorgsam gehegtem Gefühl stammte. Sie war zu kindlich und einfach, als daß ihre Einbildungskraft sich viel mit ihrem unbekannten Vater beschäftigt hätte. Lange Zeit kam es ihr nicht mal in den Sinn, daß sie einen Vater gehabt haben müsse, und der Gedanke, daß ihre Mutter verheirathet gewesen, trat ihr zum ersten Mal entgegen, als ihr Silas den Trauring zeigte, den er von dem kalten Finger abgezogen und in einem kleinen Schächtelchen sorgfältig aufbewahrt hatte. Als sie herangewachsen war, übergab er ihr dies Schächtelchen, und sie öffnete es oft, um sich den Ring anzusehen, aber sie dachte dabei kaum an den Vater, dessen Symbol der Ring war. Hatte sie nicht einen Vater ganz in ihrer Nähe, der sie mehr liebte als alle Väter im Dorfe ihre Töchter zu lieben schienen? Dagegen, wer ihre Mutter gewesen sei, und wie es gekommen, daß sie so einsam und elend gestorben, das waren Fragen, die sich ihr oft aufdrängten. Nach ihrer Kenntniß von Frau Winthrop, mit der sie nächst Silas am besten befreundet war, fühlte sie wohl, wie köstlich es sein müsse, eine Mutter zu haben, und immer wieder ließ sie sich von Silas erzählen, wie ihre Mutter ausgesehen habe und wie er sie an dem [178] Ginsterbusch gefunden, wohin ihn die kleinen Fußtapfen und der ausgestreckte Arm des Kindes leiteten. Der Busch stand noch immer da, und als Eppie am heutigen Nachmittag mit Silas in den Sonnenschein hinaustrat, war er das erste, was ihre Blicke und Gedanken fesselte.

»Vater«, sagte sie in einem Ton milden Ernstes, der bisweilen ihre lustigen Scherze wie eine wehmüthige langsame Cadenz abschloß, »den Busch wollen wir mit in den Garten setzen, ganz in die Ecke, und dabei pflanze ich denn Schneeglöckchen und Crocus, die gehen nicht aus, sagt Aaron, sondern werden immer mehr!«

»Ja wohl, Kind«, sagte Silas, immer zu reden bereit, wenn er die Pfeife in der Hand hatte; die Pausen schienen ihm mehr Vergnügen zu machen, als das Paffen selbst, – »ja freilich, Kind, den Ginsterbusch dürfen wir nicht draußen lassen, und 's giebt auch nichts hübscheres, als wenn er ganz gelb ist von lauter Blüthen. Aber da fällt mir eben ein, wie kommen wir zu einem Zaun? Vielleicht bringt uns Aaron auf 'nen Gedanken, denn 'nen Zaun müssen wir haben, sonst kommen uns die Esel herein und zertreten alles. Und so'n Zaun, der ist nicht so leicht zu schaffen, soweit ich die Sache verstehe.«

»O, ich will Dir was sagen, Papa«, sagte Eppie nach kurzer Ueberlegung und schlug vor Freuden die Hände zusammen. »Hier liegen genug lose Steine herum, große und kleine, die legen wir auf einander und machen eine Mauer. Du und ich nehmen die kleinsten und die andern trägt Aaron, das thut er mir schon zu Gefallen.«

»Aber Du Herzenskind«, antwortete Silas, »ganz herum reichen die Steine doch nicht, und mit Deinem Tragen – na, Deine kleinen Arme tragen höchstens einen Stein, der nicht größer ist wie so'ne Rübe. Du bist ein zartes Ding«, fügte er liebevoll hinzu, »das sagt Frau Winthrop immer.«

»O, ich bin stärker, als Du glaubst, Papa«, sagte Eppie, »und wenn die Steine nicht ganz reichen, denn reichen sie doch ein gut Stück und dann brauchen wir um so weniger Stöcke [179] und so was für den Zaun. Sieh nur, da an der großen Grube, wie viel Steine da sind!«

Sie sprang auf die Grube zu, um einen Stein aufzuheben und ihre Kraft zu zeigen, fuhr aber überrascht zurück.

»O Vater«, rief sie aus, »komm mal her und sieh, wie das Wasser seit gestern gefallen ist; gestern war die Grube noch ganz voll.«

»Ja wirklich«, sagte Silas, indem er zu ihr trat; »das wird wohl von dem Drainiren kommen, was sie seit vorigem Herbst auf Mr. Osgood seinem Felde angefangen haben. Der Aufseher sagte mir noch neulich, als ich vorbeikam: ›Meister Marner‹, sagte er, ›es sollt' mich nicht wundern, wenn wir Euer Stück Land da oben knochentrocken legten‹. Er sagte, Herr Caß hätte das Drainiren angefangen, seit er die Stücke Land von Herrn Osgood gepachtet.«

»Wie komisch das aussehn wird, wenn die alte Grube austrocknet«, meinte Eppie, indem sie sich bückte und einen etwas größern Steine aufhob; »sieh, Papa, so viel kann ich ganz gut tragen«, sagte sie und ging kräftig einige Schritte weit, ließ aber dann den Stein fallen.

»Jawohl, Du bist mächtig stark, das sieht man«, sagte Silas, während sich Eppie vor Schmerz die Arme schüttelte und lachte. »Komm, Kind, laß uns hingehen und da hinten an die Hecke setzen, und daß Du mir nichts mehr hebst; Du könnt'st Dir weh thun, Kind. Du mußt jemand haben, der für Dich arbeitet, und mein Arm ist nicht mehr zu stark.«

Die letzten Worte kamen langsam heraus, als wollte Silas etwas besonderes damit sagen, und als sie sich an die Hecke gesetzt hatten, rückte Eppie dicht an ihn heran, ergriff liebkosend den Arm, der nicht mehr zu stark war, und legte ihn sich auf den Schooß, während Silas pflichtschuldigst seine Pfeife weiter rauchte, die er in der andern Hand hielt. Eine Esche in der Hecke gewährte Schutz gegen die Sonne und streute zitternde Schatten um sie her.

»Vater«, sagte Eppie mit sanftester Stimme, nachdem sie [180] eine kurze Zeit schweigend gesessen hatten, »wenn ich heirathe, muß ich denn mit Mutters Trauring getraut werden?«

Silas fuhr beinahe unmerklich zusammen, obschon die Frage ganz zu den Gedanken stimmte, die er im Stillen hegte, und sagte mit unterdrücktem Tone: »Eppie, hast Du denn an so was schon gedacht?«

»Erst diese Woche, Vater«, war Eppie's einfache Antwort, »seit Aaron mit mir davon gesprochen hat.«

»Und was hat er Dir denn gesagt?« fragte Silas weiter, immer noch mit derselben Zurückhaltung, als scheue er sich, Eppie auch nur im Tone zu verletzen.

»Er sagte, er möchte sich gern verheirathen, weil er doch ins vierundzwanzigste Jahr ginge und recht viel mit der Gärtnerei zu thun hätte, seit der alte Mott es dran gegeben hat, und zweimal die Woche geht er regelmäßig zu Herrn Caß und einmal zu Herrn Osgood und in der Pastorei wollen sie ihn auch haben.«

»Und wen will er denn heirathen?« fragte Silas lächelnd, aber das Lächeln war etwas wehmüthig.

»Mich natürlich, Papachen«, sagte Eppie mit dem süßesten Lachen und küßte den Alten auf die Backe; »wen sollt' er sonst wohl heirathen?«

»Und Du willst ihn nehmen?« fragte Silas.

»Ja, mit der Zeit«, antwortete Eppie, »wann, weiß ich noch nicht. 'mal heirathet jeder, sagt Aaron. Aber ich hab' ihm gesagt, das wär' nicht wahr; er sollte Dich mal ansehn, Du hätt'st nie geheirathet.«

»Nein, Kind«, sagte Silas, »Dein Vater war immer allein, bis Du zu ihm kamst.«

»Aber Du sollst nie wieder allein sein, Vater«, sagte Eppie zärtlich. »Das hat mir Aaron auch gesagt: ich denke nicht dran, Dich von Meister Marner wegzunehmen. Und ich meinte, das hülfe Dir auch nichts, Aaron. Und er möchte, daß wir alle zusammen wohnen, und denn brauchst Du gar nicht mehr zu arbeiten, Vater, blos noch was Dir Vergnügen macht, und [181] er würde so gut gegen Dich sein wie ein Sohn – das hat er auch gesagt.«

»Und möcht'st Du es denn, Eppie?« fragte Silas.

»Mir wär's recht, Vater«, war Eppie's einfache Antwort. »Und ich möchte gern, daß Du nicht viel zu arbeiten brauchtest. Wenn's nicht darum wäre, denn möcht' ich am liebsten, es bliebe so, wie es ist. Ich bin recht glücklich so; ich hab's gern, daß Aaron mich lieb hat und uns besucht und nett gegen Dich ist – er ist doch immer nett gegen Dich, nicht wahr, Vater?«

»Ja, Kind, so nett wie nur einer sein kann«, antwortete Silas mit Nachdruck. »Er ist seiner Mutter Sohn.«

»Aber ich verlange keine Aenderung«, sagte Eppie. »Ich möchte, daß wir noch lange, lange so weiter lebten wie jetzt. Blos Aaron möcht's anders haben, und ich mußt 'n bischen weinen – nur ein ganz klein bischen – weil er sagte, ich machte mir nichts aus ihm, denn sonst müßt' ich ebensogut wünschen, daß wir uns heiratheten, wie er.«

»Aber Herzenskind«, sagte Silas und legte die Pfeife hin, weil's doch nichts mehr nutzte, daß er zum Schein noch rauche. »Du bist noch zu jung zum heirathen! Wir wollen Aaron seine Mutter fragen, was die davon hält; die weiß immer, was gut ist. Aber eins mußt Du bedenken, Eppie; es ändert sich alles, wir mögen wollen oder nicht; lange bleibt es nicht mehr so wie es jetzt ist. Ich werde immer älter und hülfloser, und dann werd' ich Dir zur Last, wenn ich nicht ganz von Dir gehe. Nicht als ob ich glaubte, Du hieltest mich für 'ne Last – ich weiß, das thätst Du nie – aber es würde Dir doch sauer, und wenn ich daran denke, dann möcht' ich gern, Du hätt'st einen bei Dir, der jung und stark ist und so lange lebt wie Du selbst und für Dich sorgt bis an's Ende«. Silas schwieg, legte die Arme auf die Knie und fuhr nachdenklich mit den Händen auf und ab, während er zu Boden sah.

»Denn sähst Du's also gern, wenn ich mich verheirathete?« sagte Eppie, und ihre Stimme bebte ein wenig.

»Ich sage nicht nein, Eppie«, antwortete Silas mit Nach [182]druck, »aber erst wollen wir Deine Gevatterin fragen. Sie will Euer beider bestes, Deins und Aarons.«

»Da kommen sie«, sagte Eppie. »Wir wollen ihnen entgegen gehen. Aber soll ich Dir nicht erst die Pfeife wieder anstecken?« sagte Eppie und hob das ärztliche Instrument vom Boden auf.

»Nein, Kind«, sagte Silas, »für heute ist's genug. Ein bischen rauchen bekommt mir besser, als zu viel auf einmal.«


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