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Am andern Morgen ritt Dunstan früh aus. Sein Weg führte ihn an dem Steinbruch vorbei, wo die Hütte stand, welche früher das Obdach eines Steinhauers, jetzt seit funfzehn Jahren von Silas Marner bewohnt wurde. Die Stelle sah um diese [39] Zeit recht trübselig aus; ringsum lag nasser zertretener Lehm und in dem verlassenen Steinbruch stand hoch das rothe schmutzige Wasser. Das war Dunstan's erster Gedanke, als er nahe herankam; sein zweiter war, der alte Narr von einem Weber, den er schon an der Arbeit klappern hörte, müsse irgendwo ein hübsch Stück Geld versteckt haben. Wie kam es, daß er, Dunstan Caß, so oft er auch von Marner's Sparsamkeit hatte reden hören, nie daran gedacht hatte, Gottfried zu überreden, er solle doch – auf die ausgezeichnete Sicherheit seiner Aussichten für die Zukunft – von dem alten Kerl durch Drohung oder Ueberredung Geld zu borgen suchen? Da überdies Marner's Schatz wahrscheinlich groß genug war, daß Gottfried noch eine hübsche Summe mehr bekäme, als er unmittelbar gebrauchte, und auch seinem treuen Bruder etwas abgeben könne, so erschien ihm dieser Ausweg so leicht und bequem, daß er schon daran dachte, wieder nach Haus zurückzukehren; denn Gottfried ginge sicher gern auf einen Plan ein, bei dem er Feuerbrand behalten könnte. Aber als Dunstan mit seiner Ueberlegung so weit gekommen war, wurde die Neigung, auf die Jagd zu reiten, wieder mächtig und überwog endlich. Die Freude sollte sein Bruder nicht haben; Mosjö Gottfried sollte sich ärgern. Zudem freute sich Dunstan der Wichtigkeit, die ihm der Verkauf eines Pferdes gab, und der Gelegenheit, einen Handel zu machen, zu renommiren und möglicher Weise jemand zu übervortheilen. Auch konnte er ja sowohl die Genugthuung haben, seines Bruders Pferd zu verkaufen, als auch die andere, daß er Gottfried dahin brächte, von Marner zu borgen. So ritt er denn weiter nach der verabredeten Stelle, wo die Jagd beginnen sollte.
Bryce und Keating waren richtig da, wie er erwartet hatte; er hatte ja immer Glück.
»Halloh«, rief Bryce, der schon lange ein Auge auf Feuerbrand hatte, »Sie reiten ja Ihres Bruders Pferd; wie geht das zu?«
»Oh, ich hab' mit ihm getauscht«, antwortete Dunstan, [40] dem die Freude am Lügen, auch wo es nichts nützte, nicht dadurch verkümmert wurde, daß der andere ihm wahrscheinlich nicht glaubte, – »Feuerbrand gehört jetzt mir.«
»Wie! hat er mit Ihnen getauscht gegen Ihre alte Kracke?« sagte Bryce, vollständig gefaßt auf eine zweite Lüge.
»Oh, wir standen ein bischen in Rechnung«, warf Dunstan leicht hin, »und die glichen wir durch Feuerbrand aus. Ich habe das Pferd blos ihm zu Gefallen genommen, sehr gegen meinen Wunsch; ich hatte Lust zu 'nem ganz andern Pferde, einem wahren Prachtthiere, wie Ihr je eins geritten. Aber nun ich'n mal habe, will ich Feuerbrand auch behalten, obschon mir schon hundertfunfzig Pfund dafür geboten sind, von einem Pferdehändler, der für Lord Cromleck aufkäuft; Ihr habt den Kerl wohl schon gesehen; er schielt und trägt 'ne grüne Weste. Aber ich denke Feuerbrand zu behalten; für die Jagd bekomme ich sobald keinen bessern. Das andere Thier, woran ich dachte, hat mehr Race, aber es ist ein bischen schwach im Kreuz.«
Natürlich errieth Bryce, Dunstan wolle das Pferd verkaufen, und Dunstan wußte, daß er es errieth (Pferdehandel nämlich ist eins von den vielen Dingen im Menschenleben, die auf diese sinnreiche Weise betrieben werden), und beide erachteten das Geschäft für eröffnet, als Bryce spöttisch antwortete:
»Das wundert mich, wirklich es wundert mich, daß Sie'n behalten wollen; ich hab' noch nie von jemanden gehört, der nicht sein Pferd verkaufte, wenn ihm die Hälfte mehr dafür geboten wurde, als es werth war. Mit hundert Pfund wären Sie auch zufrieden.«
Jetzt ritt auch Keating heran und die Verhandlung wurde lebhaft; sie schloß damit, das Bryce das Pferd für hundertundzwanzig Pfund kaufte, die sofort ausbezahlt werden sollten, wenn Feuerbrand wohlbehalten in Batherley abgeliefert sei. Das verständigste wäre nun gewesen, wenn Dunsey auf die Jagd verzichtet hätte, sofort nach Batherley geritten wäre, dort auf Bryce gewartet und sich ein Pferd gemiethet hätte, um mit dem Gelde in der Tasche wieder nach Haus zu reiten; aber die Nei [41]gung zu einem tüchtigen Ritt, das Vertrauen auf sein gutes Glück und ein tüchtiger Schluck aus der Jagdtasche beim Abschluß des Handels trieben ihn um so mehr zu einem andern Entschlusse, als er ein Pferd ritt, welches alle Hindernisse zu allgemeiner Bewunderung nehmen würde. Indeß, Dunstan nahm ein Hinderniß zu viel und sein Pferd rannte sich auf.
Er selbst, der leider Unverkäufliche, kam glücklich davon, aber der arme Feuerbrand wälzte sich ohne Bewußtsein von seinem Werth am Boden, wo er jämmerlich verendete. Kurz vorher hatte Dunstan absteigen müssen, um etwas am Sattelzeug in Ordnung zu bringen, und diese Unterbrechung, die ihn grade im Augenblicke der Entscheidung in den Nachtrab brachte, hatte ihn so wüthend gemacht, daß er toll auf alle Hindernisse losgeritten war. Bald würde er die Hunde wieder eingeholt haben, als das unglückliche Ereigniß eintrat, und so fand er sich ziemlich in der Mitte zwischen den Reitern an der Spitze, die sich nicht darum kümmerten, was hinter ihnen vorging, und zwischen den weit zerstreuten Nachzüglern, die an der Stelle, wo sein Pferd gestürzt war, eben so gut nahe vorbeikommen konnten wie weit ab. Dunstan, der sich überhaupt mehr aus augenblicklichen Unbequemlichkeiten machte als aus den entfernteren Folgen, war nicht sobald wieder auf den Beinen und erkannte, daß es mit Feuerbrand zu Ende sei, als er eine gewisse Befriedigung darüber empfand, daß ihn niemand in dieser Lage sehe, an der kein Renommiren etwas bessern konnte. Nachdem er sich auf den ersten Schreck mit etwas Branntwein und viel Fluchen gestärkt hatte, trat er in ein nahe gelegenes Gebüsch, durch welches er unbemerkt von den Jägern nach Batherley zu kommen dachte. Sein erster Gedanke war, er wolle dort ein Pferd miethen und sofort nach Haus reiten, denn einige Stunden weit, ohne eine Flinte im Arm auf einer offenen Landstraße zu gehen, war für ihn eben so außer Frage, wie für jeden andern feurigen jungen Mann seines Schlages. Daß er Gottfried eine so schlimme Nachricht bringe, kümmerte ihn nicht sehr, da er ihm ja zu gleicher Zeit den Ausweg eröffnen konnte, von Marner zu borgen, [42] und wenn Gottfried bei dem Gedanken an neues Schuldenmachen wild werden sollte, wie das seine Art war – nun, das ging vorüber; Dunstan war sicher, er könnte Gottfried zu allem bringen. Der Gedanke an Marner's Schatz wurde immer mächtiger in ihm, für je dringender er das sofortige Bedürfniß erkannte; die Aussicht, in dem schmutzigen Aufzuge eines Fußgängers in Batherley erscheinen und sich den spöttischen Fragen von Wirth und Stallknechten aussetzen zu müssen, war ein böses Hinderniß für sein ungeduldiges Verlangen, so rasch wie möglich wieder in Raveloe zu sein und seinen glücklichen Plan auszuführen, und als er in Gedanken zufällig in der Westentasche herumfühlte, machte er die niederschlagende Entdeckung, die paar kleinen Münzen, die sich da vorfanden, seien von einer zu bleichen Farbe, um den Pferdeverleiher zu befriedigen, der schon längst erklärt hatte, mit Mosjö Dunsey handle er nur noch gegen baar. Auch fand er, daß die Jagd ihn ziemlich eben so nahe bei Haus gebracht habe als bei Batherley, und endlich bestimmte ihn noch ein anderer Grund zu dem unerhörten Entschluß, zu Fuß nach Haus zu gehen. Es war nämlich beinahe vier Uhr und ein starker Nebel zog herauf; je eher er die Straße erreichte, desto besser. Wie er sich erinnerte, war er kurz vor seinem Sturze an dem Wegweiser vorbeigekommen, und so knöpfte er sich den Rock zu, wickelte das Peitschenende fest um den Griff, schlug sich wohlgefällig damit ans Bein, als wolle er sich selbst weiß machen, die Sache sei ihm eigentlich ganz recht, und machte sich mit dem Gefühl auf die Wanderung, er unterziehe sich einer beispiellosen körperlichen Anstrengung, die er bei Gelegenheit mit den nöthigen Uebertreibungen einem auserlesenen Kreise im Regenbogen zum besten geben wolle. Wenn ein junger Herr wie Dunsey in eine so außergewöhnliche Lage gebracht ist, zu Fuß gehen zu müssen, so ist eine Reitpeitsche in der Hand ein erwünschtes Mittel, um den bedenklichen Eindruck einer solchen Lage etwas zu mildern, und indem Dunstan durch den immer dichter werdenden Nebel hindurchschritt, schlug er immer mit seiner Peitsche irgendwogegen. Die [43] Peitsche gehörte Gottfried; er hatte sie sich ohne weitere Erlaubniß genommen, weil sie einen goldenen Griff hatte; natürlich konnte niemand sehen, wenn er sie in der Hand hielt, daß Gottfried's Name darauf stand; man sah dann nur, es sei eine hübsche Peitsche. Dunsey war nicht ohne Besorgniß, er könne doch einem Bekannten begegnen, in dessen Augen er eine klägliche Figur spielen würde, denn der Nebel schützt nicht, wenn zwei Leute sich nahe begegnen; aber als er sich endlich in den wohlbekannten Wegen der Raveloeer Feldmark befand, ohne einer Menschenseele begegnet zu sein, sagte er sich, das beweise doch wieder, er sei ein rechter Glückskerl. Inzwischen war es bei dem Nebel und der hereinbrechenden Nacht dunkler geworden, als ihm lieb war; der Nebel verdeckte die Geleise, in die seine Füße einsinken konnten, verdeckte alles und jedes, so daß er seinen Weg mit der Peitsche an den Hecken entlang fühlen mußte. Bald, meinte er, müsse er an der Steingrube sein; an der Lücke in den Hecken hoffte er das zu erkennen. Er erkannte es indeß an etwas anderm, unerwartetem, nämlich an einem Lichtschein, der, wie er sofort vermuthete, aus Silas Marner's Hütte kam. Diese Hütte und das Geld, welches er darin verborgen glaubte, hatte ihm auf seinem Gange unaufhörlich im Sinne gelegen, und er hatte sich schon ausgedacht, wie er den Weber durch allerlei Schmeichelkünste verlocken wolle, gegen die Aussicht auf Zinsen sein Geld herzugeben. Es schien ihm, ein bischen Drohung könne auch nicht schaden, denn seine eigenen arithmetischen Anschauungen waren nicht grade so klar, um ihm einen überzeugenden Beweis für die Vortheile des Zinsnehmens an die Hand zu geben, und was Sicherheit angeht, so hatte er davon den unbestimmten Begriff, es sei ein Mittel, jemanden zu betrügen, indem man ihm einrede, er bekomme sein Geld wieder. Alles in allem war der Kriegsplan gegen den Geizhals der Art, daß ihn Gottfried gewiß seinem kühnern und listigern Bruder überließ, darauf war Dunsey schon gefaßt, und um die Zeit, wo er den Lichtschein durch die Ritzen von Marner's Läden blinken sah, war ihm der Gedanke eines [44] Gesprächs mit dem Weber bereits so geläufig geworden, daß es ihm durchaus in Ordnung schien, die Bekanntschaft sofort zu machen. Das konnte mehr als einen Vortheil haben; der Weber hatte vermuthlich eine Laterne, und Dunstan war es müde, seinen Weg im Dunkeln zu fühlen. Er war noch eine Viertelstunde von Haus und der Weg wurde unangenehm schlüpfrig, da der Nebel allmälich in Regen umgeschlagen war. Vorsichtig mit dem Griff seiner Peitsche vor sich herfühlend, stieg er die Anhöhe hinan und gelangte glücklich an die Thür. Er klopfte laut und freute sich bei dem Gedanken, wie der alte Mann bei dem plötzlichen Geräusch erschrecken würde. Keine Antwort, nichts rührte sich, in der Hütte war alles still. War der Weber schon zu Bett? Und wenn das, warum ließ er Licht brennen? Für einen Geizhals eine merkwürdige Vergeßlichkeit. Dunstan klopfte noch einmal und lauter an und steckte, ohne eine Antwort abzuwarten, seine Finger durch das Loch unter der Klinke, um die Thür zu schütteln und mit der Klinke zu klappern, indem er nicht zweifelte, die Thür sei von innen verriegelt. Aber zu seiner Ueberraschung ging die Thür bei dieser Bewegung auf und er fand sich vor einem hellen Feuer, welches jeden Winkel in der Hütte erleuchtete – das Bett, den Webstuhl, die drei Stühle und den Tisch und – nur den Bewohner selbst nicht, denn Marner war nicht da.
Einladenderes hätte es in dem Augenblick kaum für Dunsey geben können, als das helle Feuer auf dem Heerde; er trat ein und ließ sich sofort dabei nieder. Vor dem Feuer hing etwas, was für seinen Hunger ebenso einladend gewesen wäre, wenn es einen weitern Grad der Zubereitung erreicht gehabt hätte; es war ein kleines Stück Schweinefleisch, welches von dem Kesselhaken an einer langen Schnur herunterhing, die sich durch eine einfache Vorrichtung hin und her drehte. Aber die Schnur war am äußersten Ende des Hakens befestigt, augenscheinlich, damit das Fleisch während der Abwesenheit des Eigenthümers nicht zu rasch briete. Der alte Einfaltspinsel mit den starren Augen hatte also warmes Fleisch zum Abendbrod, dachte Dun [45]stan verwundert, und da sagten die Leute immer, er lebe von verschimmeltem Brod, um sich den Appetit zu vertreiben. Aber wo konnte er um diese Zeit sein, an solchem dunkeln Abend, während sein Abendessen erst kochte und die Thür unverschlossen war? Die Schwierigkeit, die Dunsey eben gehabt hatte, die Hütte zu erreichen, brachte ihn auf den Gedanken, der Weber sei vielleicht hinausgegangen, um sich Holz oder sonst etwas in der Nähe zu holen, und sei dabei in die Steingrube gefallen. Ein aufregender, folgenschwerer Gedanke! Wenn der Weber todt war, wer hatte dann ein Recht auf sein Geld? Wer wußte dann, wo das Geld lag? Wer erfuhr jemals, daß es einer weggenommen habe? Weiter ging er nicht ins Einzelne ein; die drängende Frage, wo das Geld sei, nahm ihn jetzt so vollständig in Anspruch, daß er ganz vergaß, der Tod des Webers sei noch keine Gewißheit. Er hatte immer nur drei Versteckplätze nennen hören, wo die Bauern ihre Schätze verbärgen: das Strohdach, das Bett und ein Loch im Fußboden. Marner's Hütte hatte kein Strohdach, und nach der ersten Ueberlegung, welche seine hastige Begierde außergewöhnlich beschleunigte, war das erste, was er that, ans Bett zu gehen, aber während der paar Schritte überflogen seine Augen zugleich eifrig den Fußboden, wo die Ziegelsteine in dem hellen Feuerschein unter dem Streusand deutlich hervortraten. Aber nicht überall waren sie sichtbar; eine Stelle, nur eine einzige, war ganz mit Sand bedeckt, und dieser Sand trug die Spuren von Fingern, die augenscheinlich bemüht gewesen waren, ihn gleichmäßig zu vertheilen. Die Stelle war unmittelbar neben den Tritten des Webstuhls. In einem Augenblick schoß Dunstan darauf zu, strich den Sand mit seiner Peitsche bei Seite, steckte das dünne Ende des Peitschengriffs zwischen die Steine und fühlte, sie seien lose. Eilig hob er zwei Steine auf – da lag vor ihm was er suchte; denn was konnte in den beiden ledernen Beuteln anders sein als Gold? Und nach ihrem Gewicht mußten sie voll Gold sein. Dunstan tastete in dem Loche herum, ob nicht noch mehr drin liege; dann fügte er die Steine wieder ein und breitete den [46] Sand darüber. Kaum mehr als fünf Minuten waren vergangen, seit er die Hütte betreten hatte, aber es schien ihm wie eine Ewigkeit, und obschon er sich gar nicht die Möglichkeit klar dachte, Marner könne am Leben sein und jeden Augenblick wieder in die Hütte treten, fühlte er doch eine unbeschreibliche Angst auf sich lasten, als er mit den Beuteln in der Hand sich erhob. Er wollte hinauseilen in die Dunkelheit und sich da überlegen, was er mit den Beuteln machen solle. Rasch schloß er die Thür hinter sich, um den Lichtschein zu verdecken; in wenigen Schritten dachte er weit genug zu sein, daß man ihn bei dem matten Schimmer, der durch die Ladenritzen fiel, nicht mehr entdecken könne. Der Regen und die Dunkelheit hatten zugenommen, und er freute sich dessen, so unbequem es sich mit vollen Händen ging, und obschon er kaum die Peitsche mit dem einen Beutel zusammen halten konnte. Aber wenn er erst ein paar Schritte weiter sei, dachte er, dann könne er sich Zeit nehmen. So schritt er hinaus in Nacht und Dunkel.