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Aussicht – Bescheidung

Das Wort »Liebe« nimmt unsere sonst so reiche deutsche Sprache in den Mund für vielerlei Äußerungen unseres Menschenwesens. Der Kreuzestod Christi und die sexuale Not der Gassendirne werden von seinem Laut umfaßt. Für seinen geistigsten wie körperlichsten Teil wird es geadelt und mißbraucht. Welch ein Rätsel?: das große Wort unseres Wesens und Heiles hat keine Form gefunden, woraus seine reine Magie zu uns redete; immer klebt zugleich Staub daran. Wie ein Mädchen aus der Fremde, welches noch keinen Namen hat, steht es unter uns. Und wer von ihm als einer Botschaft spricht, wird gleich einem weichen, mürben Schwärmer bemitleidet, zweitausend Jahre, nachdem es zu der großen, starken, heroischen Verkörperung und Verkündigung gekommen ist.

Unsere sachliche Zeit weiß nichts mit dem Wort anzufangen, es sei denn, daß sie es zum sentimentalen Vorwand ihrer Verhärtung mißbrauche. Und ist sie seltsam zugleich durch das Evangelium davon durchkeimt und reift seinem Zeichen zu.

Der Versuch dieses Buches war, dem Vieldeutigen, Ungeklärten wesenhafte Deutung zu geben, aus der Natur heraus wie aus dem Geist sein Gesetz zu finden, enthoben dem Nebel des Gefühlsmäßigen. Denn nur das als Gesetz Erkannte gibt Lebensform. Er wollte das Wort zum Zeichen der Weltanschauung machen, zum Merkmal unserer geistigen Erwählung vor der triebhaften Kreatur, zum Titel des Menschentums.

Er konnte das aus allen Vergleichsringen wundersam lückenlos begrifflich Gewordene nirgends anders einsetzen denn in den Schlußkreis der religiösen, christlichen Verkündigung. Und wechselwirkend erhält dieser selbst wieder eine erneuert sinnvolle Beleuchtung als das Gefäß des Gesetzes der Liebe.

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Wir wissen, daß der Gottesstaat im Menschenstaat nicht zu verwirklichen ist. Das Unbedingte erfüllt sich nicht im Bedingten, das Ganze nicht im Stückwerk, die Fülle nicht in der Notdurft. Bedingt, Stückwerk und Notdurft aber ist unser stofflich-natürliches Dasein. Das tausendjährige Reich ist ein Traum, ob es vom Kommunismus oder von apokalyptischen Visionären erwartet wird.

Aber wir wissen auch, daß unsere Schwäche und Unvollkommenheit unter dem Gleichnis höherer Ordnung stehen, befähigt, sich diesem anzugleichen. Durchtränken und durchklären läßt sich diese irdische Dingwelt aus der göttlichen Geistwelt. Vermag unser naturgesetzlicher Zwiespalt nicht in die Einheit aufzugehen, so darf er sich doch vertrauend zu ihr hinwenden, des Zieles der Einigung gläubig bewußt.

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Inhalt und Form dieses Glaubens ist die Liebe. Lieben kann nur der Gläubige, glauben nur der Liebende. Wer ihrer im Wesen teilhaftig geworden, lebt in dem Gesetz, welches alle Gesetze beschließt, im Evangelium und dessen Gemeinschaft.

Hat das Gesetz der Liebe weder Sinn noch Ziel in der Ordnung unseres irdischen Daseins, so wird doch diese in seinen Zweck eingereiht, erhält daraus ihren Sinn und ihr Ziel. Vermöchten wir etwa einmal eine Gemeinschaft des Erdengutes zu erreichen, so müßte deren Gefüge wieder zerfallen, wenn es nicht auf die religiös – ethische Gemeinschaft begründet, also vom Gesetz bestimmt wäre. Die zeitliche, das ist naturgesetzlich unbeständige Kommunikation der wandelbaren Güter setzt die zeitlose Communio im unwandelbaren Gut voraus. Aller physische Wert bestimmt sich durch seinen metaphysischen Wert, welcher nicht dem Gesetz des Zerfalls unterworfen ist.

Nicht um die Gleichheit und das Wohlbehagen des animal sociale geht die Frage, sondern um die anima. Kein Mittelein wird geboten, es den Menschen untereinander bequem zu machen, kein Plan, eine Feldbereinigung ihres durcheinandergeschobenen Besitzes zu erzielen. Das Gesetz hat nichts mit Almosen zu tun, noch mit Enteignung, ist keine Stillung des Bettlers, keine Bereicherung der Armut. Solche sind nur sein selbstverständliches Ergebnis.

Es ist das Gebot, für den Bruder im Namen des Geistes sich zu geben und zu opfern, das Reich der Menschenseele in der Gnade zu vereinen, das heißt Christ zu sein.

Amor Dei in hominibus, homines in amore Dei. Die Liebe Gottes in den Menschen, die Menschen in der Liebe Gottes. Die Liebe wird das Weltgesetz.

»Kein Mensch ist so hoch gefürstet, daß er ein anderes Gewissen in sich weben könnte, als welches die Gemeinschaft ihm webt.«

Nicht mit dem dinghaft verweslichen Faden webt, sondern aus dem Weberschifflein unseres geistig1 bewußten Schicksalbundes. Unser Gewissen sei unser Gemeingut.

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An sich ist die Liebe anarchisches Prinzip, soweit Gesetzlichkeit als etwas von außen Bestimmendes gilt. Denn Liebe heißt Hingabe, Inbegriff der Freiwilligkeit. Sie braucht kein Gesetz, doch alles Gesetz braucht sie, sie ist das Gesetz der Gesetze. (Siehe wieder Römer 13, 9.)

Vermöchte die Liebe sich in der Menschheit durchzusetzen, müßte es etwa in bezug auf das Eigentum soweit kommen von innen her, daß von außen auch nichts mehr unrecht geteilt bliebe. Denn der Geist vollzöge die Teilung, der nicht vom Stoff bedingte. Und seltsam, der Wert des Eigentums würde erhöht, wie tief er auf der anderen Seite entwertet würde.

Denn nichts gehört mir so, als was ich hingebe. O wie geschieht das! Wo ich warm gebe, entbinde ich mir Wärme; wo ich jemandes Seele locke, blüht meine Seele hervor; wo ich ein Herz schmücke, ziert mich kostbarster Schmuck, der Glanz zweier Augen; wen ich reinige, wird mir klares Wasser; wem ich leuchte, dessen Aura wecke ich mir; wem ich Luft schaffe, gibt mir vom Hauch seines Pneuma, seiner Anima; wen ich aus dem Niederen führe, mit dem bin ich in die Höhe gekommen.

Wunder der Wunder: Was ich schenke, habe ich siebenfach mir geschenkt; wohin ich ein Korn von mir werfe, wächst die hundertfältige Ähre in mir. Wessen ich mich liebend entäußere, dessen werde ich ewigher berechtigter Besitzer.

Denn erst das, worüber ich geistig Herr bin, ist mein Eigentum. Das folgerichtige Ergebnis ist die geistige Armut.

Ich sehe das Landhaus eines reich gewordenen Mannes von außen an. Gehört es ihm? Mir? Habe ich nicht die Kraft der Phantasie, es mir reicher, edler gewählt ausgestattet zu denken, als der Mann es mit seinem roh erworbenen Geld und rohem Geist auszustatten vermochte?

Ich gehe in einen Park, gehört er nicht mir? Diese Blume, die ich jetzt so unsäglich schön sehe, ist eine Schwester von vielen; ich aber sehe sie in diesem Augenblick gnadenreich von der Hand Gottes mir zum Blühen gebracht. Ein Anderer wird sie vielleicht pflücken, sie wird welken. Doch ich werde sie wieder und wieder in den Blicken der erinnernden Betrachtung haben, unverblüht.

Wenn es eine Philosophie des »Als ob«, der Fiktion gibt, dann gilt sie dem Begriff des irdischen Besitzes.

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Wer hingegen zeiht die wahre Lehre von dessen Relativität, und das ist die christliche Lehre, der Schwäche? Darf nicht der, welcher sie erfahren hat, erst recht, als Aristokrat, Ja sagen zu den Dingen und seiner Bedingtheit in ihnen. Wiederum Nietzsche, der Totschläger des Christentums, kann das Bekenntnis nicht unterdrücken, den »vollkommenen Christen als die vornehmste Form Mensch« zu bezeichnen.

Christus, der Verkünder, war der männlichste Mann, der Herr des Lebens in jedem Betracht.

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Freilich, was werden wir sein, was getan haben, wenn wir im Gedankenspiel uns dem Zwang des Besitzes entzogen haben? Franz von Assisi ist ein Heiliger und Jesus wurde im Stall geboren, hatte nicht, was die Füchse haben, eine Höhle, noch einen Stein, worauf er sein Haupt legte.

Uns gilt ja der Wille für die Tat. Das ist das Gnadenreiche des Christentums, welches zum geborenen Sünder spricht. Es ist mild, verlangt nur unsere Bereitschaft, die Erdendinge nicht aus ihrer Dienstbarkeit zum Selbstzweck zu erheben.

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Was hinwiederum würde geschehen, wenn das Gesetz der Liebe unter uns waltete, die chemia amoris, die sympathia caritatis, die telepathia universitatis? Wenn die Liebe unserem Menschendasein Grundfarbe und Grundwärme gäbe, wenn sie die Feindschaft unserer geistigen wie stofflichen Bakterienheere aufhöbe und philogenetisch einte? Wenn all unsere innere wie äußere Habe ein gemeinsam hervorgebrachtes gegenseitiges Geschenk wäre? Unser Erwerb Hilfsgut?

Geheime ungekannte Kräfte kämen hervor: Ein herrlicher, lustvoller Wetteifer der Arbeit, welche nun zum Schaffen würde, gewürdigt in geringster Dienstleistung. Der Wandel bliese allem Atem ein. An unserer Sprache geschähe Wunder, sie käme neu auf uns zu, wir entdeckten in ihr den zauberhaft verbindenden Zellenstaat unseres Gedankenreiches und unserer Vorstellungswelt Diese würde frisch dinglich und bildhaft. Das Alphabet erhielte Leuchtkraft, das Wort Insinn, und die Rede Herzenston. Kunst fände entdunstete Farbe und Gestalt; wir alle malten an einem imaginären Bild und bauten, fromm, groß an einer Kirche. Synthese und Symphonie würden Maßwerk der Zeit. Denn das höchste Gut ist die höchste Schönheit. Augustin und Platon finden sich. Der Richter würde Verwalter der Satzung. Die geistgemeindete Bürgerschaft fügte sich nicht seinem Entscheid, sondern seinem Schlichtspruch. Sie trüge im Festgewand die Steuer zum Schatzmeister. Die Reinsten und Lautersten wüchsen zu den Stühlen der Gesetzgeber auf. »Die Weisen wären die Herrscher, die Herrscher die Weisen.« Der Adel Christi stünde am Altar der Una sancta und feierte an allen Orten der Welt für alle Sterblichen das Opfer der unsterblichen Liebe. Wir erkannten uns am Brotbrechen.

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Die Nationen füllten sich mit neuen metaphysischen Kräften, dem einzigen Gegengift gegen ihre Verderbnis. Den Generationen reinigte die reine Luft und die gütige Sonne des Zustandes das Blut, mehrte ihre gesunden Erbstoffe, ihre Willensmasse, ihre Freudenkraft. Eugenetische Lebensmacht wirkte darin. Geistes Verwandtschaft lichtete den gegen einander und gegen oben offenen Geist. Das Dasein empfange eine noch viel klarere Objektivität.

In einem Buch »Große Politik« liest man den Satz:

Das höchste und umfassendste Ziel, das sich ein Staat setzen kann, ist, sich oder andere Staaten mit einer Religion zu durchsetzen. Jede andere Politik, damit verglichen, ist unsittlich, schon deswegen, weil sie oberflächlich ist.«

Aus nüchternstem Mund kommt das Wort und ist darum ernst. Es ist positiv das gleiche, was die Pessimisten sagen, wenn sie den Schwund der Religion mit dem Zerfall der Nationen zusammen nennen.

Doch welche Religion wäre dafür zu suchen, wenn nicht die, welche das Gesetz der Liebe in sich schließt?

Wir brauchten um keinen Frieden mehr zu kämpfen. Die Masse der Mühseligen wandelte sich aus einer Summe des Elendes und des Fluches in eine freudig ernste Gemeinde des Werkes. Den Reichen fiele der Sack ihrer goldenen Täuschung und schaurigen Zeitschuld vom Rücken. In den Menschen schwänden die sauren Säfte und Salze, ihr Körper atmete Wohlgeruch, ihre Haut würde klar. Das Harte fiele aus den Augen. Jeder trüge sein Licht um sich und gute Wärme. Ja Heilkräfte kämen hervor, und in einer suggestio sympathica vermöchten wir einander gesund zu machen. Der Sterbenden Auge schlösse Eu-Thanatos, der mild gewordene Bruder des Eros.

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Und vielleicht vermöchten wir …

Eckermann erzählte einmal Goethe von zwei entflogenen Zaunkönigen, welche er dann in einem Rotkehlchennest wiederfand, von der Rotkehlchenmutter zusammen mit ihrer Brut geäst. Goethe antwortete:

»Das ist, was ich die Allgegenwart Gottes nenne! Schon in der Tierwelt deutet sich überall an, was in edleren Menschen zur Blüte kommt. Wenn diese gegenseitige Hilfe alles Lebendigen sich als ein allgemein Gesetzliches nachweisen ließe, so wäre manches Rätsel gelöst.«

Traf unserer Betrachtung Gang nicht nahe auf den Schlüssel der Lösung?

Ja, vielleicht: wir vermöchten am Ende das Geheimnis der Natur zu lösen. Diese spräche uns ihr sinniges Wort, die Bestätigung des Gesetzes der Liebe. Es wäre offenbar, daß Gott wirklich die Welt bewegt »ὡς ἐρωμενον«, wie Geliebtes.

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Utopie …! Ach wir stehen tief in der Welt des Übels, des Leidens, des Kampfes und unterm Gesetz der Glieder. Heil dem, der in unserer Zeitgemeinschaft nur den Tag erlebte, daß Keiner mehr die Lebenskraft des Andern ausbeutet, daß durch jede Arbeit des Verrichtenden Notdurft gestillt wird und eine Freude übrig bleibt für die Muße des freien Menschen. Wenn irgendwie das Sklavengesetz Mammons gebrochen oder nur gelockert, das Spiel der Kräfte in den Bann des brüderlichen Gewissens gerückt ist, der kalte Haß der bisher Bedrückten sich erwärmt hat, dann wäre unserem blöden Auge diesseits genug geschehen.

Wenn die Christenheit ihr Geistesauge aufschlägt und ihr Gebot erkennt, welches nichts ist als das Gesetz der Liebe, so kann es nicht fehlen, daß wenigstens von dieser umgrenzten Hoffnung sich ein beschränkter Teil verwirkliche. Lasset uns nüchtern sein und dienen!

Es tut not, dem Geschlecht Licht in die Pupille zu setzen; wird diese auch nicht erhellt, so verdunkelt sie doch nicht ganz. Mag sein, der da spricht, ist ein irrgeflogener Vogel und sein Ölzweig findet keine Hand, nach diesem sich streckend.

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Aber das »Gesetz der Liebe« ist kanonisch. Seien wir getrost: Es wirkt.


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