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Zeitwende

Erst eingeschaltet in den religiösen Grund – erhalten Welt und Mensch ihre Bedeutung, werden vom πνευμα belebt. Alle ihre Fragen haften an der Urfrage. Darum kann die Religion auch niemals eine versachlichte Teilwissenschaft sein, der verstandesmäßigen Erörterung des Unendlichen durch den endlich gebundenen Geist ausgesetzt. Aber aus deren ehrfürchtiger Voraussetzung gewinnt alle Wissenschaft erst das Fundament einer wahren, sinnvollen Objektivität, einen Wertgrund.

Das geist-stoffliche, zwiefältige und einstrebige Schöpfungsbild (die Schöpfung bleibt indes ja darum immer Mysterium, Saumfrage, Hinzunehmendes) ist das objektivste der kosmischen Gesetzessysteme; dessen Gesetze und Widergesetze liegen natürlich eingeordnet darin. Ja auch die kausale Durchgliederung der Erscheinungen, damit die objektive Forschung, werden von ihm aus sinngebend ermöglicht

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Ablauf und geschlossener Prozeß eines naturwissenschaftlichen Versuches sind beendet, die Gesetze mathematisch-mechanisch bestimmt, das Maß ihrer gegenseitigen Einwirkung ist quantitativ und schematisch gemessen.

Doch der Versuch ist keineswegs ein autonomer (naiver) Vorgang des Naturgeschehens gewesen. Er wurde aus dem erregenden und begleitenden Parallelprozeß, aus dem metaphysisch angetriebenen Kopf des Beobachters, miterzeugt, aus dem Spiegel in die Verwirklichung projiziert. Ja auch die Ursachen sind wahlweise dorther eingesetzt, einprobiert aus der Gedächtniswissenschaft (welch ein reiches Magazin!) vom selbstgesetzlichen, synthetisch faszinierten Denkwesen.

Da jede erzielte Synthese, jede Wirkung schon auch Vorbereitung ist, kann der geglückte Versuch in jenem unstofflichen Darstellungsraum aufgehoben, beliebig wiederholt und zurückprojiziert, das heißt angewendet werden. Er ist beweglich geworden. Sein Geisteseigentümer vermag ihn als Ursachenkomplex zu einem anderen, höher gelagerten Versuch zu gebrauchen. Er wurde also ein Wert. Der kommende übergeordnete Versuch ist gewiß, vorläufig auch ein Metaphysikum, in jenem ideellen Raum planhaft vorgeformt, von dorther seine Verwirklichung begehrend.

Was der Forscher in strenger logisierter Zucht als stoff-kausalen Vorgang für das Primäre hielt, ist das Sekundäre, mindestens nur Teilprimäre. Denn die Idee, der paralle Denkvorgang hat ihn geschaffen, die Naturgesetze waren die allerdings mitbedingenden Mittel. Ist für den Experimentierenden der Augenblick des Prozeßschlusses nicht eine Quelle weihevollen Erlebnisses, eine geistige Freude, ein Anhauch höheren Lichtbereiches, eine Bestätigung seines sinnvollen Daseins? Schreibt er vor sich und der Welt seinen Fund dem Mechanos zu oder dem ihm selber innewohnenden Logos? Tritt auch diesem Glück des Ingeniums das asketische Kriterium der Exaktheit gegenüber?

Die gleichen Gesetze geben, wenn sie isoliert wirken, das gleiche Erzeugnis. Aber sie wirken in Wirklichkeit nie isoliert. Hier im Beispiel etwa hat die Willkür des ganz außenstehenden Menschen ihre Energie (Arbeitsleistung) dynamisch (strebkräftig) in Bewegung gesetzt, um den Versuch zu gestalten. Eine Macht, in keinem von beiden liegend, hat eingewirkt auf die Wirkung und Verwirklichung. Der Geist hat bildend in den Stoff gegriffen. Das Gebilde ist geist-stofflich. Die (platonisch-) aristotelische Entstehungsformel gilt schlüssig.

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Zufällig sehe ich auf meine Uhr. Sie geht in ihrem mathematisch-mechanischen, stofflichen Räderwerk. Scheinbar von sich aus und in sich. Aber der Uhrmacher hat sie gemacht und ich ziehe sie auf. Ihr fremde, vorursächliche Gesetze schufen die feine Tickdose, nicht nur aus Stoff, sondern aus jener geistig bewahrten Gedächtniswissenschaft, hier genannt Handwerkskunst, aus dem Ideemodell »Uhr«. Gedankliche Nebengesetze der Erfahrung (ich) halten sie in Gang. Wenn sie nicht ginge, könnte ich ein Stück Eisen gleichwertig daneben legen. Und das Laufding wurde gemacht und wird bewegt zu einem Zweck, imaginärste Fiktion Zeit zu fixieren. Wenn ich jetzt auf das Zifferblatt sehe, sage ich, es sei der 1. Oktober 1926 11 Uhr 54 Minuten vormittags mitteleuropäischer Rechnung. Alle Menschen, unter dem gleichen Schema lebend und auf ihre Uhr sehend sagen für sich dasselbe. Was, wer hat mich mit den Ungezählten (wieder Beispiel der schicksäligen Verknotung) in solche Einheit gebracht durch ein »mathematisch-mechanisches, stoffliches Räderwerk«? Doch die Frage löst im Wort den Sinn: meine Uhr ist ein – Werk, Geist geht in ihr.

Es saß beim Schreiber dieses Buches einmal ein Ingenieur. Der sagte plötzlich, er habe eine neue Maschine im Kopf. Ich erschrak vor dem Wort, das ganz unpathetisch und sachlich gemeint war. Ich sah die Maschine wirklich hinter den Augen in seinem Kopf. Er baute nachher in der Fabrik, was er dort geformt herumgetragen hatte.

Oder ich höre im Rundfunk ein wiedergegebenes Grammophonstück, auf die Schallplatte vorher von einem Sänger gesungen und von einem Orchester gespielt (auch mit Instrumenten), von Mozart komponiert. Ei ja: »die gleichen Gesetze geben, wenn sie isoliert wirken, immer das gleiche Erzeugnis.« Könnte Wolfgang Amadeus das Stück aus dem Rundfunktrichter mit anhören!

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Darf man nicht weiterschließen?: Jedes Naturgeschehen tritt auf demselben Weg des Doppelvorgangs in Erscheinung. Keines ohne die Naturgesetze, aber auch keines ohne eine Einwirkung, welche nicht in diesen wirkt; nur daß statt des Menschen ein Analogon, das Unbestimmbare, eintritt. Besteht für den Wissenschaftler eine Hemmung zu gestatten, daß solch eine andersher kommende, dem Meßwerkzeug überhobene Kraft bei aller Ding- und Lebensgestaltung beteiligt ist? Die Kantische Erkenntnislehre in asketischster Umschränkung verbietet diese Hypothese nicht; und Alles im kosmisch alldurchmischten Naturgeschehen weist auf sie hin. Daß gleiche Gesetze in gleichem Schema Gleiches ergeben, sagt nichts von dem Grund aus, woher sie zueinander in zeugende Bewegung kommen. Denn Ursache ist kein Grund.

Wer das Perpetuum mobile erfände, hätte gegen die Hypothese den ersten mathematisch-mechanischen Prozeß abgeschlossen … Daß jeder Forscher (auch der Phantasietechniker im Irrenhaus) von ihm aus angezogen wird, darüber besteht kein Zweifel. Die materialistische Weltanschauung muß sein irdisches Gelingen versprechen, für den Gläubigen geht es unerfunden von Anbeginn.

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Wohl läßt sich hier ein Zwischenblick einwerfen: Ding hat Umgebung, Ursache Nachbarursachen, Prozeß Milieuprozesse. Niemand kann sagen, wie diese auf den Einzelvorgang einwirken. Nicht nach dem billigen Spruch vom »Produkt des Milieus«, sondern eben durch jene unmeßbaren Zusammenhänge. Ich sehe einen Baum: weil er ein Baum ist? Oder weil er sich abhebt vom Boden, von der Wiese, vom Himmel? Sein Bild ergreift mich: weil Holz und Blatt sind? Weil Wind durch ihn weht? Vogel in ihm singt? Weil …?

Vielleicht erscheinen im magischen Tausch der Eindrücke die mechanischen Bewegungen der Natur auch als eine Art dialektischer Zwiesprache, aus These und Antithese die Synthese suchend? Ob bei den Komplexvorgängen das nicht stoffkausale Prinzip des Wertes mitspielt, eine wechselwirkende Geselligkeit, allerdings schöpfungsgesetzlich auf φιλια und νεικος begründet? Eine allgemeine, nicht nur gruppenweise Symbiose, erweitert etwas vom viel mißdeuteten Artgesetz der Auslese, der paradoxen Hilfeleistung im natürlichen Kampf, welches so weit ginge, daß das Feindselige einander braucht? Gleichsam eine Durchtarierung der Erscheinungswelt, so daß diese wirklich ein Reich der zwar nicht erreichbaren, nur vergleichbaren Werte versinnbildete, ein durchhin teleologisches Weltbild. Auch die neue Lehre von der Relativität hätte da ihren zwischenbeweglichen Platz: den Rest, welcher im nie vollkommenen, also nie zum Ausgleich kommenden Kosmos bleibt, zugleich jenes Perpetuum mobile ist, von keiner Ursache und keinem Grund getrieben, sondern von der Ur-Sache im Ur-Grund.

Ist nicht jeder Organismus so im anderen mitwerdend, mitentwerdend eingefügt, nein eingewogen bis in den Allorganismus? Das Atommodell offenbart sich als elliptisch-dynamisches Planetarium.

Warum läuft es, warum laufen die Gestirne in der Kurve? Warum bewegen sich Licht, Schall Elektrizität in Vibration, Schwingung, Welle? Warum springt der Zündfunke im Bogen über? Das mechanische Weltbild liefe in der Geraden, oder liefe nicht.

Die Phantasie trägt die Gedankengänge nahe an die Vorstellung eines Musikariums, in die Nähe des Himmelsharmonikers Johann Kepler. Ja kühn gemacht möchte man der Natur etwas wie einen geist-stofflichen Spieltrieb, einen relativen Gleitraum der Dinge zudenken. Denn ist dieser Trieb nicht ein wesentliches Beobachtungselement der Erscheinungen? Nicht Hart auf Hart, Stoß und Prall, denn alles zerspränge, sondern das Elastikum, die Schmiegsamkeit, das Ausweichen. Erdkern soll ein heißer, steifer Metallteig sein, mit elektrischem Grundschatz der Werdeschwingung geladen, und außen hat sich die Erde ein Luftpolster umgelegt, in dessen Schutz und Atem die Rinde mit der rätselhaften Augenweide des Lebens prangt, bewahrt vor kosmischer Übergewalt, gemilderte Kräfte darausziehend. Es gibt ein in die mechanischen Kausalien auch nicht einreihbares, »Eutropie« genanntes Gesetz, wonach jedes Element, vergleichend auch das Ding sein ihm gemäßes Plätzlein sucht, seine Ausgleichstätte. Da überall Umgebung ist, demnach Gegensuche, müssen die Erscheinungen etwas wie Paßform annehmen (Vorstufe der Ästhetik?). Man könnte als sachgeworden aus dem Spiel und Widerspiel die fluktuierende Variante, die niemalig selbe Wiederholung, die Spielart ableiten, das immer Unvollkommene, immer Vergleichbare. Der Stoff wäre etwas wie ein Kosmoplastelin. Alles im Weltall ist dauernd ineinander, miteinander, durcheinander auf solch einer eutropischen Reise begriffen. Alles findet Platz. Keines aber den Ruheplatz.

Wäre einmal etwas unbewegt, ausgeglichen, zerspränge das Universum. Darum dauerndes Werden, kein Sein. Es bleibt immer Ziel. Alle Wirklichkeit ist Möglichkeit. Wie belebte solch eine Lockerung das geist-stoffliche Panorama: Blieb etwa auch zwischen den Verkörperungen etwas von jener Lücke, welche Michel Angelo zwischen dem Finger des Herrn und des Menschen ließ? Es wäre wiederum das Irrationale, das Unbekannte.

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Das unübersehbare Theatrum mundi durch alle seine Wandelgestaltung hindurch in (ach wie notdürftiger) Spiegelung synthetisch betrachtend, wer getraute sich nicht leichter in solche »spekulativen« Bahnen als zurück in jenen engsten Stoffring der vom regulativen Wert zum Selbstwert umgemünzten Kausalität? Zu jener groben Lehre, »welche so redet, als ob die physische Verknüpfung zweier seltsamer Dinge sie auch philosophisch verknüpfte, welche meint, weil ein unbegreifliches Ding ständig auf ein anderes unbegreifliches Ding folgt, so machten die zwei irgend ein begreifliches Ding aus. Zwei schwarze Rätsel machten eine weiße Antwort.«

Diese letztere Art der gebundenen Weltbeschau ging aus den Stuben der ihr verhafteten Forschung auf die Gasse der Popularisierung. Zeitung, Zeitschrift und »Bildungs«-literatur bringen sie für das laienhafte Verständnis vergröbert in die Masse. Jetzt ist wohl die breiteste Bedeckung erzielt und das alte im Glauben heimische Bild aus dem abendländischen Bewußtsein verdrängt. Vielleicht kommt die Naturwissenschaft allgemach darauf, daß hier ein aus anderen Zwecken stammender Mißbrauch mit ihrer strengen Arbeit getrieben und Verheerung angerichtet wurde.

Da liest man etwa in einem Bilderblatt einen Aufsatz von den planetarisch und sphärischen Wirkungen auf den Menschen. Die Physik hat im letzten Jahrzehnt üppig viele Theorien der Kosmographie hervorgebracht. Dem Erdkern drang man mit Hypothesen ins Innere, als hätte man eine Röntgenkamera für den Riesenball der Sphinx erfunden. Allerdings zeigen dann die Platten der und jener Durchleuchtung – verschiedene Bilder! Die Schwerkraft ist vom Erdmassiv auch hypothetisch losgelöst und in die Kraftfelder des Alls verlegt worden, unser Planet also weiterhin entindividualisiert und tiefer entthront. Zugleich geht damit ein Erzstück der seitherigen Gesetzesschätze, ohne welches kein Auskommen schien, in Vergasung auf. Ja Zweiflerhände haben die Ekliptik des Kopernikus gelockert, das Sonnensystem schraubt sich jetzt in die Sternwelt hinein. Ein Problematikum ist aufgebrochen von ungeahnter Bedeutung. Und aus allen diesen phantastisch großen Verschiebungen spinnt sich ein neues Stromnetz universaler Einflüsse auch um den Menschen, seinen Leib und seine Seele. Er wurde zu einem Empfangskörper noch ungedeuteter verschiedenartiger Strahlungen der Sternwelt; sein Wesen wie sein Leben erfahren von dorther mit ihre Bestimmung.

Solchen Weges etwa sieht sich von solchem Aufsatz die Einbildungskraft des Lesers aufgeschlossen und hochgeführt. Doch an der Grenze, da irgend ein Blick metaphysischen Lichtes einfallen könnte, wird die Beleuchtung abgedreht und die erregte Neugier niedergeschlagen: »Alles Geschehen ist kausal bedingt, das heißt es hat seine ganz bestimmten Ursachen, aus denen heraus es fließt. Alles ist vorausbestimmt, determiniert … Mit Wundern hat das nichts zu tun – die Wirkungen unseres Wohnplaneten wie der anderen Sterne auf uns sind durchaus physikalisch-biologische Vorgänge.«

Das ist nicht mehr wissenschaftliche Askese. Das ist Taschenspiel. Man bläht kühnste Kombinationen auf und garnt sie in einen grauen Knäuel wieder ein. Aus der »Naturwissenschaft« solcher Art schwand die Ehrfurcht, Goethes Zeichen des Menschentums und des Forschers.

Der gröbste Mißbrauch wird, ausgerechnet vom Atheismus, mit dem Gesetz der Metamorphose und Entwicklung getrieben, welches doch in den inneren Besitz der teleologischen Weltanschauung gehört. In dessen Rahmen suchen etwa ganze Spezialistenschulen dem Menschen das Affenschwänzlein zurück, um ihm dafür seine geistige Sonderung zu nehmen. Aber diese bestände erst recht dezidiert, wenn je jenes gefunden würde.

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Auf dem Naturforscher- und Ärztetag 1926 sagte der Heidelberger Pathologe Paul Ernst:

»Der Organismus ist kein Mechanismus, vielleicht hat er einen Mechanismus oder bedient sich eines solchen, wie ja auch die Physiologie die einzelnen Funktionen der Organismen durch den mechanischen Zusammenhang ihrer Teile untereinander und mit der Umgebung begreifen mag, aber dabei immer wieder die Eigenart der organisierten Materie und ihrer Reaktionsfähigkeit in Rechnung ziehen muß. Der Organismus ist und bleibt das Wunder in der Welt der Mechanik.«

Und der Psychologe Erich Jaensch schreibt den Satz:

»Diejenigen allgemeinen Wirklichkeitsstrukturen, die der für die Philosophie des Wirklichen bisher am meisten bestimmenden Physik nicht sichtbar wurden, zeigen höchste und stärkste Ausprägung jedenfalls in der seelischen Wirklichkeit.«

Das ist neuer Ton. Und brauchts weiten Schritt in das alle Zweifel schlichtende Gesicht?: Daß auch die Mechanik Wunder sei, daß in ihr die Naturgesetze sich um des Ergebnisses willen wirkend gruppieren, daß dessen Formgesetz sie anwendend bewegt, im denkend umzirkten Einzelfall des Laboratoriums, im unausdenkbaren Vielfalt der immerwährenden Schöpfung.

Vielleicht stört den dem Zeitbegriff verhafteten Wissenschaftler, daß eine Folge den Vorgang bestimmen soll. Aber sehen wir das zeitliche Schema, ein menschlich gesetztes Relativum, richtig? Ist es nicht wie mit dem umgekehrten Bild in der Kamera? Kann nicht wirklich die Idee, das Eingesetz vor den Teilgesetzen sein, vor den Kausalien? Ist es nicht natürlichere Vorstellung, das kosmische Werden angezogen statt geschoben zu sehen? Erfährt man nicht auch in jedem elementaren Naturvorgang zuerst die Kontraktion, den zum Effekt des Vorgangs führenden Zusammentrieb und dann die Rückspaltung? Der Einigung Drang ist das Aktivum. Sein Zweck die Ursache. Die mechanische Betrachtung sah den Ablauf im Trugschluß.

Überall muß im äußeren Zustand der Dinge ein innerer Zustand wirken, sonst würde jener nicht zustande kommen. Die Entelechie ist die Ur-Sache der Ursache. Ohne sie wären keine Naturgesetze. Der Geist der Gestaltung erweist sich als einziger Feind der Atomisierung, weil durch ihn in den νεικος die φιλια kommt, welche den Mehrquell hat, das in den Kausalien nicht auffindbare, von keiner Wissenschaft kontrollierbare   x.

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Vermutlich ist die Stunde nicht weit, daß aus den Versuchsstuben der Naturwissenschaft der Ruf der Erleuchtung schallt. Leidenschaft und Heroismus der Forscher, welche wir bewundern, welchen wir danken werden an diesem Tag für ihre versehrende Hingabe belohnt. Sie sehen wohl plötzlich einmal von dem Objekt des Versuches auf und ein in die Kammer des eigenen Geistes, in das dort unbegreiflich parallel spielende Drama der ideellen Gestaltung. Der Vorgang seiner Forschung wird Spiegel der geist-stofflichen Schöpfung, darum das Objekt sehend stehen sie vor der Erkenntnis, die beiden Ebenen der Wirklichkeiten breiten sich ihnen dar. Sie schauen an.

Dann wird fortan auf ihrem Emailtisch ein Licht sein, welches ihn vom großen Magisterium, dem Stein der Weisen aus mit durchhellt. Das gefundene Atommodell, jene Sternwelt im Mikrokosmos, und eben in diese Niederschrift hereinkommend die Nachricht, ein paar deutsche Physiker hätten aus zwei Wasserstoffatomen ein Heliumatom, aus den leichteren das schwerere gebildet, und also die erste Stufe des vom Endzerfall rückstrebenden Aufbaues erreicht, beide Entdeckungen senden einen Strahl voraus. Die dynamische, darum zielbergende, kosmoorganische Welt zeigt sich im Spektrum an. Tagelang ist der solch eine Mitteilung Lesende geistig davon bewegt. Rhythmus und Periode, als Schwingen des Lebens erkannt, tragen die Funde sinnvoll mit in den Sinnkreis.

Das Unerwartete, das Absurde geschieht: am wissenschaftlichen Material werden Physik und Chemie den »wissenschaftlichen« Materialismus töten, woraus sie scheinbar wuchsen Beide, Chemie und Physik, werden durch diese Einkehr auch im Zeitauge edle Wandlung erfahren, nimmer zur Gebrauchswissenschaft erniedrigt zuerst am Pegel des Kurszettels erscheinen. Ihr Siegeszug brachte ein großes Ereignis ums andere in die Blicke der Menschheit, der ehrfürchtigen Geisteserregung wert, er legte einen ungeahnten Schaufalt von Wundern aus und zeigte zugleich vereinfachend den Drang nach Einheit in allem Naturgeschehen, leuchtete in dessen elementare Staatsordnungen. Der fromme Gläubige muß ihnen tief danken. »Denn«, sagt Goethe, »je mehr sich das Wissen ausbreitet, desto mehr Probleme kommen zum Vorschein«.

Für die Menschheit war es ein Zug der Ernüchterung. Das Ungeahnteste wurde selbstverständlich, als Pflichtgabe gleichsam, hingenommen und unbestaunt in das grobe Fachwerk der weltwirtschaftlichen Nutzbarkeit eingereiht. Es war wieder ein Stück Natur »dienstbar« gemacht.

Die Naturwissenschaft selber trägt wesentliche Mitschuld an dieser erschreckenden Schrumpfung ihrer Früchte. Es wurde gleichsam ein Ehrbegriff und eine Standesschranke für sie, exakt zu bleiben. Ihre Triumphe rechtfertigen sachlich die Askese. Aber die Selbstwehr vor aller nicht materialisierbarer Fragestellung hat sie teils bewußt, teils unbewußt zur Wegebahnerin der materialistischen Weltanschauung gemacht. Die Guillotine der Kantischen Erkenntnislehre köpfte auch ihre Ergebnisse dort ab, wo der Sinn aus dem Befund hervorgehen sollte. Da sie sich selber vor der Sinndeutung sträuben zu müssen glaubte, konnte sie auch den Menschen davon nichts zeigen. Was die unermüdliche von sich gab, ging schon erkaltet aus ihrer Hand, und erloschenen Glanzes. So dachte denn zwangsläufig mit ihr die Masse »als mechanisch, was höherer Art ist«. Wieder zeigt sich einer der großen Widersprüche: Diese Zeit der reichsten, geistig gezeugten Güter brachte das Gut des Geistes zum Verarmen.

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Würde die Forschung morgen wissentlich von dem Schein ihrer ideellen Wesenshälfte mitbeschienen, gäbe sie ihre Gaben fortan vom erhöhten Gelände aus unter die Menschen, so würden Entdeckung und Erfindung anstatt der »Aufklärung« wieder Offenbarung bringen. Die von der Wissenschaft als geistbestimmt erklärte Welt erhielte ein neues Antlitz; einer verjüngten Weltanschauung wäre der Boden bereitet; die mechanisierte Zeit lockerte sich in organische Freiheit; die Zeitseele erführe chemische Läuterung; die Menschheit bekäme das Weltvertrauen, sicherer begründet, zurück, die Macht des sinnbewußten Seins und Schaffens; des Lebens Schauplatz wäre gleichsam in ein höheres reines Klima emporgeführt.

Auf tausendjährigem Weg der Analysierung ist der kosmische Mythus in einen kosmischen Gesetzesbau verwandelt worden, großartig und bewundernswert wie jener. Aber wer auch davor stehe, spürt Kälte davon ausgehen, als läge ein Leichnam darin. Die Wissenschaft, welche die Wandlung brachte, spreche jetzt auch das Wort der Erweckung! Sie setze die Menschheit unter den Rundfunk neuer Botschaft!

Novalis frug schon vor über hundert Jahren:

»Unser Denken war bisher entweder bloß mechanisch, atomistisch oder intuitiv, dynamisch. Ist jetzt etwa die Zeit der Vereinigung gekommen?«

In seinem Tagebuch von 1812 gibt Goethe gleichsam zustimmende Antwort:

»Es wird so weit kommen, daß die mechanische und atomistische Vorstellungsart in guten Köpfen ganz verdrängt und alle Phänomene als dynamisch und chemisch erscheinen und so das göttliche Leben der Natur immer mehr bestätigen werden.«

Ja, das geist-stoffliche Weltbild schält sich aus der Kruste aus. Der im vernüchterten Schnellbetrieb der Epoche verloren gegangene, morphologe Blick öffnet sich frisch, füllt den »gesetzlichen Ablauf« und den »geschlossenen Prozeß« der Dingwerdung zur Erscheinung, zum Phänomen, zur Gestalt an, hebt sie in die Wirklichkeit.

Wir erfahren wieder: man kann die Welt nicht sehen, aber anschauen. Der Gedanke ordnet sich der Anschauung ein, diese der Ahnung. Logik dem Logos. Der Naturforscher wird Künstler, das heißt organisch Beobachtender, darum keineswegs Dichter. (Das exakte Gewissen ängstige sich nicht!) Sein Versuch Gebilde, sein Ergebnis Wert. Kausalität wird mit verwesentlicht. Ja sie geht ein in das Reich der Symbole. Welch eine Bedeutung wäre ihren Gesetzen gegeben, welches Klärungslicht!

»Wer will was Lebendiges erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist herauszutreiben,
Dann hat er die Teile in seiner Hand,
Fehlt leider! nur das geistige Band.
Enchairesin naturae nennts die Chemie,
Spottet ihrer selbst und weiß nicht wie.«

Faust 2.

Jetzt dämmerts, die »Nachtansicht« lichtet sich in die »Tagansicht«. Geist-Natur entzieht sich vor den Augen des Experimentatoren aus der mathematisch mechanischen »Handhabung«. Des Lebens Fluid beginnt das nicht mehr zusammengefügte, sondern zusammenwachsende Stückwerk wieder zu durchtränken. Geist und Natur traten aus dem Blendschirm der Versuchswissenschaft, der Zwilling unter den Schein des DRITTEN.

Wiederum nach des Weimaraners Forderung wird Natur als göttliches Organ anerkannt.

Mag sich der Rückzug auf den Grund verschämt durch das Schutzfarbwort »Paraphysik« decken. Metaphysik hat ihre Vokabel auch aus dem alten Griechischen, und der Ernste braucht sich ihres Gebrauches nicht mehr zu schämen.

*

Vom Kanon, dem ewig vollen Becken des Vollkommenen aus wird das nie füllbare Zeitgefäß des Lebens im Rhythmus durchrieselt; Einlaufpunkt und Rücklaufpunkt beim Rand schneiden im Takt die Erscheinung aus, die geist-stoffliche Berührung.

Durch jenen Grenzraum, an jenem Saum des Noumenon quillt die Spende von jenseits über, dort quillt sie zurück. Naturwissenschaft selber füllt das Vakuum, welches sie durch Aushöhlung der Religion geschaffen hat, wieder mit der Luft der geist-stofflichen Vermählung.

Die Zeitwende ist da!

*


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