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Entzifferung

Sinn und Ziel der immer wechselnden Erscheinungen sehen wir freilich auch nicht, da ja weder die Dinge noch unsere Sehkraft je vollkommen sein werden. Dahin reicht nicht einmal die Anschauung, nur gnadenhaft ihre übersinnliche Schwester Ahnung. Die Lücke des Unbekannten, das Problem der transzendent-immanenten Wirkung des Göttlichen bleibt. (Doch sagt, wer Zweifel erhebt: hat jedes andere Weltbild nicht tragischere Rätsel, ja den Tod jeder Frage von vornherein in sich?) Aus der Geheimstelle wirkt anziehend, Zeichen des Lebens, der Drang zur Erkenntnis, die immer enttäuschte, immer erneute Erwartung, daß uns das Gesicht bereitet sei. Felix Bovet, ein religiöser Denker sagt: »Hätte man mich gefragt, was ich in der Welt tue, meine Antwort wäre jene des dreijährigen Kindes gewesen: »Ich warte, daß es fertig ist.«

Ohne den Drang gäbe es keine Wissenschaft, durch ihn aber wird alle Wissenschaft über sich hinausgewiesen. Wie immer sie sich an der Schranke der Erkenntnis stößt, sie muß auch immer wieder an den Durchbruch denken, in das Dahinter.

*

Keine Schriftstelle der Welt greift tiefer in dieses Geheimnis als 1. Kor. 13, 9. 10. 12.

»Denn unser Wissen ist Stückwerk und unser Weissagen ist Stückwerk.«

»Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören.«

»Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ichs stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleich wie ich erkannt bin.«

Des tiefsten der Geheimnisse Offenbarung ist jedoch gebunden in einem Wort, welches unvermittelt aus einem ganz anderen Gedankenring herübergehoben scheint:

»Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.«

Die wundersame Stelle birgt die Hieroglyphe des neuen Testamentes; und den Schlüssel zur Frage all unseres Fragens.

Wie wenn mangelten ließe, schon in der Forschung Drang wirke das Auge der Liebe, nur durch den vom Zwiespalt gebrochenen Blick zerlenkt: Glaube, daß zum Schein ein Sinn sei; Hoffnung, dieser werde sich zeigen; Liebe, welche Glaube und Hoffnung, Schein im Sinn erfüllt?

Glaube wie Hoffnung sind Behelfe vom diesseits des Saumes, sie haben noch mit kreatürlichen Hemmnissen des νεικος zu tun, sind Stufen. φιλια jedoch, das Wesen der Einigung, schickt vom Ziel den zusammenführenden Strahl, bis es sich am Tage der Erleuchtung selber gibt.

Jene vier Briefverse verwahren für die aus ihrer begrifflichen Schranke getretene philosophische Wissenschaft das » Wort« der Erkenntnis. Wenn der irrtümlich zum Ganzen erhobene Gedanke dessen Teilsilbe wäre? Und die » Idee« das Ideogramm der Liebe? Und Weisheit deren Anschauung in der Erscheinung?

Welche Umwege hätten die Denker der Zeiten gemacht? Wenn der »allgemein zureichende Grund« überraschend durchhellt im Ziel gesichtet wäre?

*

Ja auch die Naturwissenschaft vermöchte die Gesetze ihres Bereiches (die scheinbar widerständigen einbeschlossen) als die Einigungsmittel des Zwiespältigen betrachten im Weltbild einer kosmischen Philochemie und Philogenese.

Die Chiffre des   x:

 

Stoff
Kausalien
  }   Formungsmittel
Idee       Gestaltmodell
Liebe       Gestaltung

 

Die hämisch zersprengten Wissenschaften des Geistes und der Natur durchflösse wieder das eine Blut des geist-stofflichen Lebens.

Da klärt sich ein rhapsodisches Epigramm des Hellsehers Novalis: »Theorie der Liebe ist die höchste Wissenschaft, die Naturwissenschaft.«

Kehrt den Satz um und er wird Offenbarung!

Schiller hat in den Xenien unter die »Naturforscher und Transzendental-Philosophen« ein Distichon geworfen:

»Feindschaft sei zwischen euch! Noch kommt das Bündnis zu frühe!

Wenn ihr im Suchen euch trennt, wird erst die Wahrheit erkannt.«

Jetzt ist des Bündnisses Zeit da. Im tief begriffenen Band der zwei Worte: φιλια της σοφιας – σοφια της φιλιας.

Die Liebe zur Weisheit wird die Weisheit der Liebe.

Und Aristoteles sagt vom Gott, er bewege die Welt »ὡς ἐρωμενον«, wie Geliebtes.


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