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Aus dem Werdegang, der zwischen den zwei Gegenkräften Gut und Übel vor sich geht, auf dem Boden des Unausgeglichenen tritt als Kundgebung des darin wirkenden Keimwillens der Kampf zu Tag. Und immer wiederum ist auch des Kampfes Grund das gegensätzliche Prinzip der Einzelung, welches sich aus der allgemeinen Bedingtheit nicht heben kann. Der Trieb des Grundes treibt zur Sicherung des »Ich«, läßt dieses sein Dasein als Selbstzweck, ja als Alleinzweck der Schöpfung fühlen, drängt es dazu, vom Übel möglichst viel von sich wegzuschieben, vom Gut sich möglichst viel anzuverleiben.
Der Hunger ist des Triebes gewaltige, unwiderstehliche Äußerung. Was sich und sein Zukünftiges erhalten will, muß verzehren. Der Fraß gehört zum Gesetz und darum ist er Antrieb, Lust. Mikrobe frißt Mikrobe, Pflanze frißt Pflanze, Tier frißt Pflanze, Tier frißt Tier, Mensch frißt Pflanze und Tier, der Tod frißt alle.
Des Menschen Leib selber ist Schlachtfeld feindlicher Bakterienheere.
Das Grauen unserer Augen frägt: Ist auch dieses aus dem Schoß Gottes? Aber das Leben frißt den Tod.
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Schrecken und Angst laufen unter des Hungers gewaltigem Maul über die Erde, fliegen durch die Luft, schwimmen im Wasser. Es ist eine gigantisch grausame Flucht des Geschöpfes vor dem Geschöpf. Angriff und Wehr stehen überall immer auf Lauer, der ewige Krieg haust in der Schöpfung.
Es gehört zu der schaurigen Auszeichnung des Menschen, daß er auch das anders wie das Tier wissend sieht. Sein Geist wird in die schwerste Prüfung gestellt, ob er noch an Zweck und Sinn der Schöpfung glauben dürfe.
Aber das Gesetz geht in Gleichung hindurch: Es muß mehr Aufbau als Zerfall sein, mehr Gut als Übel, mehr Leben als Tod, also auch mehr Nahrung als Fraß, mehr Sättigung als Hunger, mehr Friedfertigung als Kampf, mehr Liebe als Haß. Ja dieser ist nur die Zerbröckelung jener, das Zeichen des Zurückfalls in den neuen Stoff der Liebe.
Und der Krieg in der Natur geht ja, auch für den leidenden Teil, viel naiver, unproblematischer, sachgemäßer, intellektual schmerzloser vor sich, als wir tragisch Sehenden wahrnehmen.
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Die naturwissenschaftlich-empirisch gerichteten Philosophen sehen den Kampf als das Kräftespiel der »Auslese« und »Entwicklung«, der Arterhöhung und damit insgesamt der Kreaturerhöhung an. Irgendwie trifft diese Betrachtung in den Sinn, unwissend die Macht der φιλια anerkennend, wenn sie auch enggesichtig nur die stoffliche Ursache, nicht die metaphysische Frage anrührt, welche vor dem ruhelos fragenden Geist unbeantwortet groß stehen bleibt. Denn wie kann man von Auslese und Entwicklung, gar von Erhöhung nur von der Ursache her reden?
Auf dem Weg, jene Gleichung des Lebensgesetzes hinüber durchzuführen, gelangt man vielleicht in den Kreis der Ahnung.
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Wenn wir wandernd oder ruhend uns der Natur anvertrauen, tut uns ein gleichsam von dieser ausgehauchtes Gefühl wohl. Die Wage der Schöpfung hängt leicht, seligen Ausgleich suchend, und wir selber werden mit verglichen. Gewiß ist dieser Zustand das Spiegelspiel des Zustandes, worin die spendende Natur sich befindet.
Dazwischen allerdings, in anderen Stunden, steigt aus der Landschaft der Schauer auf und schaut uns an. Der Hauch der Erde wird kalt. Aber immer wieder werden wir rettend hinübergeleitet in die linde Luft und das gute Mutterlicht der Sonne.
Das Axiom des Weltvertrauens: »Nichts ist zwecklos«, darf zwanglos helfen.
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Johannes Kepler, wie Einer von den Riesenkriegen der Sternwelten wissend, hat das Weltall als Harmonion gesehen und sphärische Musik darin gehört. »Auf der Sonne wohnt der Νους, der, wer er auch sei, die Quelle aller Harmonie ist.« Man darf immer wieder auf den parallel mechanisch-kausalen Grund zurückgehen. Das Ding ist Widerstand, Hindernis. Die Welt ist voller Widerstände, daher der »Raum« und voller Bewegung, Reibung, daher die »Zeit«. Druck gibt (räumlich) Prall, Welle(zeit-räumlich) Gegen-Welle. Die Hindernisse machen einander möglich; und bewegt, sich reibend, verhindern sie gegenseitiges Übermaß. In Mitte, im Punkt der Berührung erneut und erhält sich das Leben.
Der Himmelskundige hat auch auf Erden recht. Planetarium, das Uhrwerk Gottes hat sein Spiegelbild hienieden.
So vermessen sich's vernimmt. Durch νειϰος-Streit fügt φιλια-Liebe im Νους-Geist die Dingkomplexe zum Σφαιρος-Weltrund. Dessen Spille klingt. Rhythmus, im Takt tönend gemacht, singt durch die Schöpfung als Αἰων, deren Gezeiten.
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Die Menschen haben viel des Triebes aus ihrer animalischen Bedingtheit herübergenommen in ihre Sonderung. Sie sind nicht mehr nur unschuldige, sondern auch bewußte, das heißt schuldhaft gewordene Hauptteilhaber an dem allgemeinen Fraß; und darüber hinaus tragen sie aus ihrer Urgeschichte durch die Geschichte herauf als Grundwerkzeug ihrer gesellschaftlichen Auseinandersetzung die Waffe. Aus dem einzelpersönlichen Dienst schied diese inzwischen nur das gemein verteidigende, gemein verbindende Gesetz.
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Kain erschlug den Abel.
Sechs Millionen haben im großen Krieg 1914-1918 die teilnehmenden Völker untereinander erschlagen.
Das Steinbeil ist zur Gasgranate geworden.
Kain war ein Ackermann, Abel ein Schäfer, die Sinnbilder der zwei Urstände des Menschen. Sie tauschten miteinander, teilten den Ertrag ihres Gewerbes, halfen sich. Sie liebten vielleicht miteinander dieselbe Schwester. Dann gerieten sie in Streit, um des Opfers willen. Nicht der Stoff, nicht das Weib, sondern die Idee zündete Groll unter ihnen an. Da Gott sein Opfer nicht ansah, erschlug der Bruder den Bruder. (Numinose Dinge waren im Anfang die Urdinge.)
Die Stände hatten sich entzweit. Hoffart hatte sich dazwischen erhoben. Die Früchte des Feldes und die Erstlinge der Herde kamen auf die Wage des Wertes, des »Übergewichts« und des »Untergewichts«. Das Erzeugnis der Erde war in teilender Menschenhand mit Blut befleckt und einander fluchhaft entfremdet, gleich den Menschen. Die paar Legendenzeilen der Genesis geben tiefen, zeichenhaften Einblick in den Menschenmythos.
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In Rechtssysteme formierten sie den Kampf ein. »Im Kampfe sollst du dein Recht finden!« So setzt geradezu der Jurist Ihering seine Schulthese gegen die Lehre Savignys. Das Zwangsmittel der Beraubung wurde als Schutzmittel sanktioniert, das Schwert Insignie des Gesetzes. Die Christenheit zierte seinen Griff mit dem Kreuz. Seine Träger nannten sich Adel und herrschten.
Die Weltgeschichte offenbarte sich im Kampf. Die Nationen und Völker stellten ihre Kraft und Tugenden darin dar, ja der Kampf erhielt ihnen diese. Auslese geschah. In der Stunde der Sättigung entarteten die Völker.
Nur da, wo der Kampf aus dem Stoffring hinaussteigt, wird er wertgültig und erhaben. Die Dichtung, die Kunst erhoben sich darin. Die Göttersagen, die Edda, die Ilias, die Nibelungen klingen von Schild und Speer. Aber sie klingen sinnbildlich. Schild und Speer sind Gleichnisse. Licht und Dunkel, Gut und Übel, Leben und Tod streiten darin. Gott und Satan. Weihung und Feihung, Segnung und Bann wirken aus Oberwelt und Unterwelt auf die Menschenwaffe. Das Schwert entscheidet sie.
Der Kampf ging um Ideen, um Rache, um die Ehre, um Glauben und Weltbild. Das Gottesgebot wurde herabgeholt, ihn zu entfachen.
Und um das Heilige der Nationen zogen die Jünglinge aus. Der Kampfestod erhob sich zur Würde des Opfers, wandelte sich im Zirkel aller Widersprüche zum Ruhmesmal der Liebe. Die Gemeinschaft, das Vaterland, zeichnete die Namen derer, die sich »hingaben für ihre Brüder«, in Erz und Stein.
So viel Kriege geführt wurden, alle Gegner standen im Namen des »Rechtes« gegeneinander, im Namen eines je und je getrennten, doch wieder paradox gemeinschaftlichen Zieles. Auch freventliche Angreifer waren überzeugt und fasziniert von einem vorgestellten schicksalhaften Auftrag. Man verbarg schamhaft den stofflichen Anlaß vor sich selber, schob ihn vor der Welt dem Gegner zu. Die auf jeder Seite Kämpfenden dienten aufrichtig dem geschlossenen Verband ihres Lagers mit Blut und Tod. Sogar die Söldner glaubten an die innerrechtliche Hingabe ihres Wesens, wenn sie morgen beim Feind ihrer heutigen Herren standen.
Die Schulter des »Helden« hob sich über die Köpfe der Menschen. Das Licht sammelte sich im Kleinod seines Schildes. Er wurde Idol. Mythe wuchs um ihn.
Im Augenblick der höchsten Individuation, der bewußten Sammlung des geschlossenen Ich zum auflösenden Tod, löst sich dieses herrlich in die Gemeinschaft. Es erfüllt sich.
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Durch alle Realisationen hindurch behielt der Kampf das metaphysische Siegel. Denn sein Preis war immer das Ganze, das Leben; und der Hintergrund des Seins. Ja vielleicht entfachte und bestimmte ihn allzuletzt dessen Magie. Der Heldentod wäre so »Geburt«.
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Sechs Millionen Menschen haben die Völker der Erde im großen Krieg 1914-1918 untereinander erschlagen.
Wie ist das traurig seltsam: Ihrer keiner haßte vom Ich zum Du den andern!
Jeder starb der Idee seiner Gemeinschaft. Unausdenkbare Summe heroischen Opfers, das ideengesetzlich nicht umsonst gebracht sein kann. Vielleicht um endlich den katastrophal tragischen Widerspruch zum Vergleich zu bringen, welcher eben in dem Wort »Kampf« sitzt, und aus des Vergleiches Türe den Frieden in die aufgegangenen Augen der Menschheit zu führen.
Denn in deren Sonderung liegt gewiß die Sendung, der Ideendrang der Einung. Buddha hat den Weg aus dem Sansara ins Nirwana geführt, zum Selbstverschwinden; er glaubt, nur darin schweige der mit der Welt geborene, mit ihr schwindende Kampf. Christus trug sie auf den Berg der Seligkeiten. Weil er den Frieden, die erwanderte Gemeinschaft der Liebe nicht aussterbend denken konnte, geleitete er sie ins Reich des Vaters.
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Aber noch stehen die apokalyptischen Reiter im Horizont. Das Abendland hat das Morgenland, Asien und Afrika, aufgeweckt, es mit dem Gleiß seiner Zivilisation betörend und gegen seine Vorherrschaft reizend. Auch die Auseinandersetzung um Mammons Weltthron steht noch aus.