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Ich und Du

Das aufzuschließende große Geheimnis, worin sie alle Geheimnisse beschlossen glaubt, ist der Philosophie das Denkindividuum, das als Träger der Erkenntnis in den Mittelpunkt wechselnder Vorstellungen gestellte Einwesen.

So entsteht neben der Absonderung vom Ding eine zweite Loslösung, ein zweiter Spalt. Das fingierte Wesen ist auch menschbezüglich kaltgestellt und sterilisiert.

Vielleicht aber kommt der unwirklich gemachte transzendentale Gedanke, in der Retorte seiner Kategorien das unwirkliche »Ding an sich« schaffend, einmal auf die Frage: »Wie schafft sich im benachbarten Gedankenraum das Ding?«

Er wird auf die Frage kommen, wenn er noch nicht so weit entstiegen ist, daß er glaubt, in ihm habe sich das principium individuationis, das Gesetz der Einzelung personifiziert und beschlossen. Hat er sie gestellt, wird es vielleicht der lichte Schrecken einer Offenbarung sein: Der Gedanke »Ich« steht vor dem Gedanken »Du«. Er ist aus seinem Raum der Vereinsamung in die Türe getreten und sieht Auge in Auge ein zweites andersfarbiges und doch ähnliches »Ich«.

Der Augenblick kann, wenn paulinisches Wunder wirkt, das kunstreiche Fundament seines Gefängnisses erschüttern: Ist das »Ich«, selbst in der absoluten Fiktion, befugt oder fähig, Vorstellungen begrifflich zu umgrenzen? (Auch die Mathematiker täuschen sich meinend, die Eins sei eine Größe ohne die Zwei. Allein wäre sie das All.)

Aus der einen Frage springt die andere: »Ich sehe im Auge des ›Du‹ das meiner Pupille angemaßte Ding. Also ist es doch außer mir in einem andern Spiegel der Erkenntnis? Da es in zwei Spiegeln ist, ist es ein Drittes, ein für sich Seiendes, Reales außerhalb dem ›Ich‹ und dem ›Du‹? Und doch in beiden?«

Ich sehe im andersfarbigen und ähnlichen Auge auch das Ding andersfarbig und ähnlich. Das im einen Auge des »Ich« erstarrte, logisierte ist etwas Bewegliches geworden, das Motiv kam hinein, die Fiber der Verlebendigung. (Doch keineswegs das »Als ob«.)

Das Ding hat für den Gedanken seine Wiedergeburt erfahren durch den begegnenden Gedanken. Der Geist hat ihm die Luft zurückgegeben, das Wunder seiner Existenz, hat es in die atmende Wesenheit gesetzt und in lebenwebenden Zusammenhang, hat ihm gleichsam seinen Mythos wieder umgetan. Denn das »Ich« und »Du« sehen das Ding nicht mehr flach, sondern rundum und in Umwelt. Sie schauen es an. Das ist die Grenze, da nicht nur der Weise, sondern auch der Dichter und der Heilige es betrachten und lieben dürfen. Es ist ein Wert geworden.

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Des Empedokles Satz von »φιλια ϰαι νειϰος«, Liebe und Haß, Anziehung- und Flucht, Kristall und Zerfall hat durch die Offenbarung der Naturgesetze Bestätigung gefunden, durch alle Ebenen hindurch, vom Stoff über die Erscheinung in die Idee.

Die Philosophie wird morgen auch im Geistesorganon jenes Parallelgesetz der Polarisierung finden, welches das »Ich« und »Du« voraussetzt als die Inkraft aller Sinngestaltung, gleichend dem Gesetz der Elektrone, der chemischen Wahlverwandtschaft, das Spaltung bedingt in der Einigung und Einigung in der Spaltung, vorausgesetzt als der Formgrund des Geschaffenen. Sogar das Geheimnis unseres Blutes ist zwiegemischt, rot und weiß. Ja der Hermaphrodit, das Doppelgeschlecht liegt nicht ganz entmischt im Mann wie im Weib, den Menschen eben zu dem seltsamen Gefäß seiner Wesensströmungen machend. Geschlecht selber mag die im Trieb naturalisierte Uridee der Spaltung sein, welche in der Einung sich erfüllen will.

In diesem Spiel und Widerspiel sind auch das »Ich« und »Du« in einer Weise verbunden, daß sie sich weiterdenkend gegenseitig brauchen. Der Gedanke wird sich nicht mehr in seine mathematisch-kritisch umzirkte Erkenntnisschranke, in seine glänzende Isolierung zurückziehen, ohne wieder angelockt hervorzukommen.

Die Dialektik selbst, das Instrumentenpaar des Denkvorgangs setzt dem These setzenden »Ich« das Antithese setzende »Du« entgegen. Man kann sich wohl vorstellen, dieses sei immanent historischgereiftes, prälogisches Geisteswesen, das widerwirkend den einigenden Beschluß erzielt. Und glaubt man nicht manchmal in plötzlichem Gesicht die zwei Menschen in sich zu sehen?

Auch die Sprache, wunderbarstes Gewebe aus Zettel und Einschlag …

Hier sitzt wohl ein tieferes Geheimnis, als unserem noch verhangenen Blick heraufscheint, vielleicht der goldene Schlüssel, von Platon und Aristoteles verloren.

Analyse (νειϰος) und Synthese (φιλια) kreuzen sich, den Lichtbogen der Erkenntnis zeugend.

Wir sind mit dem Erzgesetz der Natur in den Wirkungskreis des Gesetzsinnes getreten. Es wird der Antritt in die metaphysische Stufung; und wir wissen, daß diese Stufung ist.

Gerade Kant in der Höchstzüchtung des Denksubjektes wäre fast zu einem Durchstoß der blattdünn geriebenen Trennungsschicht gekommen. Nur das »Hepheta!« fehlte noch.

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Auch die Idee, welche sich darstellend das Individuum wohl erschafft, ist diesem nicht leibeigen, denn sie west gleichfalls in der immerwährenden Zeugungskette des Zerfalles und Aufbaus, im immerwirkenden Zeugungspunkt, in der Copula. In dieser ist sie geisthaft einwirkend an dem geist-stofflich-dualistischen Prozeß teilhaftig. Das Einwesen wäre ohne die verbindende Idee nicht Wesen, das heißt also auch rein denkbegrifflich nicht ohne das »Du«. Vielleicht liefert ihm dieses erst seinen Selbstbeweis: Weil das »Du« ist bin »ich«.

Das Individuum muß sich heterogen und heteronom denken können, um sich zu bestimmen. Denn es ist von Natur unvollkommen und des Vergleiches bedürftig, welcher das übergeordnete Sinnbild zeigt, des höheren Maßes Gestalt.

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Nicht nur die Paarung, die Reihung tritt ins Gesicht. Das »Ding an sich« figuriert nimmer in dem vorgestellten »Ich an sich«, sondern durch das »Ich« und »Du« hindurch in der ineinander denkenden unbeschränkten Vielzahl, deren jeder Teil andersfarbigen und ähnlichen Auges ist. (Wir vernehmen, für den Weg dieser Betrachtungen etwas frühzeitig, das Wort Prisma.)

Darum entsteht auch keine Summierung, sondern gemeinschaftet die in der Idee verbundene Sozietät der Intellekte. Deren Fülle, Vorstufe der Erfüllung, wird der Philosophie den Gedanken und das Ding neu schenken, das Subjekt und das Objekt, das dem selbstgesetzlich vereinsamten Geist abgestorbene Sein.

Ei, dieses, nicht der Begriff, ist doch der Denkfrage Ursache und Zweck!

Auch das »Ich« steht heller im Abglanz als im eigenen Licht. Je weiter es hineinsteigt ins Allgemeine und Insgemeine des Menschlichen, je eigener und in sich geeinigter findet es sich. Wer erschreckt nicht manchmal vor Erstaunen, wenn er einen Menschen sieht? So tiefer es durch seine Abbilder geht, so vertieft ist es schließlich vor sein Bild geführt im Speculum magnum, in dem großen Spiegel der Erkennung, der Erkenntnis. Die Persönlichkeit steigt auf im »höchsten Glück der Erdenkinder«.

Die Schwelle der Demut beugt die Stirnen der Geistesmeister zu sich herab: »παντα ἐν πασιν«. Die autonome Philosophie entäußert sich zum Dienst, und siehe, ihre Würde wächst.

Das Plasma des platonischen Eros wirkt. Der Schein der Liebe fällt auf den Weg der Erkennenden und Erkannten. Von Angesicht zu Angesicht.

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Das Ich steht im Gesetz, im Sein. Einwesen – gemeinschaftet – bedingt. Wer hat ihm glauben gemacht, es stehe im Mittelpunkt, wo die ewige Spille schwingt? Freilich hat es durch das Gesetz jetzt erst rechten Teil am Zentrum. Denn es läuft im Kreis, im Umkreis.

Und zeigt das Parallelogrammgesetz des Vergleiches an, die Analogia entis.


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