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Wie der Hunger, sein Geschwister, erzeugt auch Eros im menschlichen Einwesen ein Ungenüge (das aber seltsam im Diapositiv ein Überfluß ist). Das »Gastmahl« zeigt ihn schön als das Kind des Gottes »Weg« (zum Eidos) und der »Armut«, des Mangels. Es wirkt wieder das Grundgesetz.
Die geheimen Gründe, woraus der Mensch herkam, ziehen an ihm, setzen ihn in das Bedürfnis, sich im polarisiert veranlagten, das ist andersgeschlechtlichen Einwesen zu ergänzen. Diese zweite gesuchte »Hälfte«, welche sie aber nie ganz werden kann, ist jenseitig vom gleichen Zug gelenkt.
Die Copula wirkt sich unter äußerster Steigerung des Eigengefühls. Niemand als dem Faszinierten, scheint es, sei je das gleiche Entzücken widerfahren. Und sie löst sich zugleich in des Selbstseins äußerstem Schwund. Der Vorgang ist ein Augenblick gegenseitiger Speisung und Verzehrnis. Das Positivum des kreatürlichen Sensoriums, die Lust, dieses rätselhafte, stofflich-unstoffliche Werkzeug des Reizes, reagiert in Hochspannung ab, als wäre es des Ablaufs Zündbogen. Aber der Punkt der Einung ist schon auch der Punkt der Indifferenz, welcher die Gegensätze wieder entläßt. Die Zusammengezogenen fallen auseinander bis zum taedium animale. Kein Pendel hat gleichen Ausschlag und gleiche Erregung.
Indes sind sie fortan durch eine geheimnisvolle metaphysische Copula aneinander geknüpft. Eins hat vom andern ein unsichtbares Stigma des verbundenen Wesens empfangen. Das »Erlebnis« ist es in entscheidender Bedeutung. Ganz abgesehen von dem großen Geschehnis:
Aus den Zwei birgt der weibliche Schoß ein Drittes, den Inbegriff der Gepaarten und durch sie deren beider Ahnenreihen. Das zeitenhaft Gespaltene ist in neuem Einwesen bewahrt, keimend als Teil zu späterer zeitenhafter Paarung. Die geometrische Reihe wäre angezettelt, das Infinitum, stände nicht der Tod dabei als Unterbrecher und – Erhalter der Kette.
Eros, der Dämon des Überflusses und der Verschwendung würde die Welt mit Leben überschwemmen.
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Was geschah? Ein physiologischer Vorgang? Sonst nichts? Und wieder steht die Frage da: Von woher bestimmte sich das Ereignis? Um wessen Willen spielte es sich ab? Des Einwesens wegen, des Paares, der Ahnenreihe, des neuen Einwesens, der künftigen Reihe? Man wird von Anhängern der Entwicklungslehre den Bescheid erhalten: Zur Erhaltung und Auslese der Gattung. Wiederum aber würde der so Antwortende kläglich Verwahrung einlegen, einen teleologischen Gedanken ausgesprochen, sich also zum geistig bestimmten Weltbild bekannt zu haben.
Indes anders klänge die Antwort an: Das Ereignis sei aller jener Teile, sogar der Lust, des Mehrquells halber geschehen, in einer Fügung, welche wunderbarer Weise den Teil zum Ganzen flicht und das Ganze zum Teil entfaltet, das Besondere im Allgemeinen und das Allgemeine im Besonderen erscheinen macht.
So wäre auch jene Verzauberung, als widerfahre jeweils dem geschlechtlich Verbundenen eigentümliches Zeichen, keine Täuschung. Denn er erlebt mystisch eingegliedert und stellvertretend wirklich das große Wunder der Gattung. Nicht nur ein Mensch, sondern der Mensch wird in den Feuerkern des Schöpfungsherdes gezogen.
Alles sonst mag er (ach, auch nur scheinbar!) für sich tun, essen, trinken, schlafen, singen, wandern: im Schoß der »Mütter« eingeführt vollbringt er schicksalhaften Dienst.
Die Vorfahren suchen in dem Begebnis ihre Erfüllung und Erlösung, die Kommenden die zaubervolle Möglichkeit des Menschenseins.
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Da liegen wieder die untersten Gründe der menschlichen Gemeinschaft. Das Ich wird zu deren Gleichnis, zum Gefäß ihrer Entelechie und Darstellung, zum Körper ihres Eidos.
Aber auch hier hat Geist – Natur im Spielraum gewirkt, in jenem relativen Gesetz, das eben der notwendigen Unvollkommenheit wegen, um des Werdens willen nichts Gleiches entstehen läßt, immer nur Ähnliches. So ist das Individuum da, das wunderbar Einzige, Einmalige, der mit nichts zu bestimmende mysteriöse Selbstwert, welcher auch an sich unwiederholbare Geltung haben muß im allgemeinsten Verbund. Es trägt mit jener Entelechie des Geschlechtes seltsam vereint und seltsam gesondert seine eigene, eigentümliche Entelechie in sich. So ist das Phänomen der Persönlichkeit da. Die atemkurze Gegenwart wird zentral bedeutend, dem ewigen Zusammenhang als erznotwendiger Ring eingeknüpft, wie die versunkene Gegenwart der Geschwundenen und die aufsteigende der Künftigen.
Auch birgt sich darin, insbesonders, inmitte das Spiegelzeichen der Unsterblichkeit. Denn nicht das Fleisch bindet in die Dauer des Wesens. Es verwest. Sondern das tut der Geist, welcher durch Eros gestaltend in ihm zu Geist, einmalig Form geworden, und eben, da des Geistes, für immer wesentlich geformt ist.
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Weil das geschlechtliche Wunder in der Glühzone des Grenzmysteriums geschieht, eben in der Stelle, wo Geist und Stoff zum Amalgam werden, weil diese Stelle das Schmelzbecken der nach einander verlangenden Widersacher ist, darum wirkt dort auch das ganze Dämonium der zur Vereinigung bestimmten Gegenkräfte. Keine Erscheinung der menschlichen Wesenheit äußert sich in gleicher Spannweite nach der einen und nach der anderen Seite. Wenn es noch eines Beweises bedürfte, woraus das Mischgebilde Mensch zusammengesetzt sei, so möchte sich der Blick wechselweis von den Gewichten zu den Flügeln wenden, welch beide ihm durch Eros anhaften aus den Erbgaben der Hyle und des Eidos.
Das Geschlecht ist der wahre, historische, tragische und erhabene Schauplatz aller Auseinandersetzung unserer innewohnenden Elemente. Die Doppelherkunft wird darauf zu Schicksal und Entscheidung.
Der Geistkeim und der Fleischkeim haben sich darin vermählt, aber das Grundgesetz läßt im Geschöpf keine Identifizierung zu. Alle Einung behält den Rückdrang nach der Spaltung. Jene beiden Keime, in engster Symbiose gegattet, müssen irgendwie feindselig bleiben. Denn immer wieder: zur Vollkommenheit, zum Sein kann selbst im erwähltesten Einweisen allhier nichts gedeihen.
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Nicht von ungefähr laufen auch alle sittlichen Probleme in dieses Gewebe ein. Darin zettelt (zwettelt) sich zu tiefst, was wir nominalistisch gut und bös, rein und unrein, edel und minderwertig, gesund und verderbt nennen. Ja die Begriffe von Schuld und Unschuld fanden da ihre innere Scheidewand. Die Lebensform des Mannes, noch mehr der Frau kristallisiert sich für die öffentliche Meinung um die erotische Grundhaltung. Tugend gibt kühlen Wohlgeruch und Laster stinkt am Weg. Hier liegt insgemein das Meßinstrument für den jeweilig inwendigen Zustand der Zeitalter und Nationen. Wollte man etwa den Untergang des Abendlandes wirklich glaubhaft ankündigen, müßte man die untrüglichen Zeichen der Maschenlösung an Aphrodites Webstuhl suchen. Manches Merkmal wohl würde sich jetzt finden.
An solchen Spiegelungen ist zu erkennen, wie zentral das geschlechtliche Ferment sitzt. Eine neuzeitliche Wissenschaft »Psychoanalyse« bläht allerdings auf, wenn sie nichts mehr noch weniger als das ganze Binnenbecken des Unterbewußtseins mit verstauten sexuellen Regungen angefüllt zeigt, hergeholt bis zurück aus den embryonalen ja spermatischen Vorformen unseres Daseins. Sie stellt das Menschenwesen als prädestiniert dem Geschlechtstrieb versklavt dar und macht sich mitschuldig an der (besonders im Literaturmarkt bemerkbaren) stofflichen Erotisierung der Gedankenwelt und Gesellschaft.
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Auch im Sanktuarium der alten Religionen steht Eros. Man kann etwa die vorklassische und klassische Kultgeschichte des Hellenentums deuten als einen dauernden (immer wieder von Asien her gespeisten) Besitzstreit um ihn, ausgetragen zwischen Hyle und Eidos, zwischen Zeugungsschlamm und Zeugungslicht, Verstofflichung und Vergeistigung.
Natur, Symbolik, Kult und Mythologie von der pelasgischen Vorstufe ab schieben sich um den Streit her, scheiden sich daran, schließen Kompromisse, verderben endlich an ihm. Das erdhaftmütterliche und das sonnenhaft-väterliche Prinzip. Nacht und Tag, Welt und Überwelt führen den offenen und geheimen Götterkrieg. Der weibliche Urkult kommt aus Demeters Schoß. Die Fruchtbarkeit ist seiner Fülle Symbol. Das zeugende Haupt des Zeus erhebt sich als das spiritualisierte Widerspiel, die Parthenogenese. Aphrodite steht gegen Pallas Athene. Dionysos gegen Apollon. Die Heroen, Halbgötter fechten in Zwischendramen mit. Es geht um Wandlung der Naturreligion in die Erlösungsreligion. Den volkstümlichen Mysterien bleibt Dionysos Herrscher, erfährt aber selber eine apollinische Umfärbung, welche das geistig gerichtete, um seine Geltung ringende delphische Priestertum betrieb. Der erdhafte Elementargeist, der vegetative Dämon macht eine tragische Katharsis durch und den Tod, kommt jedoch aus dem Hades wieder ins Leben, als der vom uranischen Strahl getroffene und gereinigte Gott. Seine orgiastische Gefolgschaft, Frauen und weiblich gekleidete Männer, nannten ihn Σορηρ, Erlöser. Der stofflichste, aus dem Stoff gestiegene Unsterbliche machte auch die Geweihten unsterblich. Ja an das Gebot des erotischen Dienstes knüpfte sich der übersinnliche Lohn. Φαλλος und ϰτεισ werden Kultzeichen; die Symbole der ehrwürdigen, zuchtvollen demetrischen Religion, Brot und Ähre, Honig und Milch weichen der Traube, dem Wein. Dithyrambus, des apollinischen Päans Gegenmusik schallt zu schwelgendem Tanz aus berauschtem Mänadenschwarm. Fett schwehlt im Feuer, Fackeln beleuchten das nächtige Kultspiel der Besessenen. Faunischer Bocksfuß stampft. Die Somnambule redet in Zungen. Mimus, der phallische Urkomödiant und Erzvater der Schaubühne feixt, äfft, zotet. Ein Stier, der Gott, von den Dithyrambuschören im Preissingen gewonnen, wird zerrissen und aufgezehrt. Im Kneuel stimulierter Leiber rast Wollust.
Hyle fraß den Eidos. Die Entartung war nicht aufzuhalten. Die olympischen Götter Griechenlands waren im späten Rom vollends zu Allegorien geworden.
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Auch das soziologische Verhältnis der Geschlechter war von Anbeginn in dem Grundstreit einbezogen. Über die vorgeschichtlichen Mischungen hat man nur lückenhafte Kunde, wird der Eintritt des Menschen ja von kühnen Paläontologen hundertmillionenjährig bis in die Steinkohlenzeit zurückverlegt und ihm schon damals metaphysischer Wesenstrieb zugeteilt. Die Frage eines allgemein hetärischen Zeitalters wird triftig umstritten. Sippenbegattung zeigt sich da und dort. Breithin aber erscheint auf der pelasgischen Stufe wohl als Grundform der Menschengemeinschaft die Mutterfamilie, die Mutterherrschaft, religiös entsprechend dem Erzzustand des demetrischen Kultes, entwachsen auf ackerbaulichem Grund, der selber unter seiner nutzbaren Erscheinung geweihte Bedeutung hatte. Die Zerealien waren heilig. Im Leben wie im Tod gehörten alle der Gottmutter, welche »ihre Frucht essen«.
Das Recht bildete sich auf demselben Weg mit vom erdstofflichen (doch auch religiös gebundenen) jus naturale der ursprünglichen Sachgemeinschaft durch das Matriarchat zum intellektual formalisierten römischen jus virile.
So siegte institutionell wohl das apollinische Prinzip. Aber im Grund hatte Dionysos (durch die Frauen) seine Macht epidemisch erweitert und zu einem untergründigen Weltreich ausgebaut, aus dessen endlicher Verderbnis Zersetzung tragend in das stolze Imperium. Stoffliche Erotisierung verzehrt die religiöse Substanz der Nationen und Rassen. Die edel nüchterne Stoa versuchte umsonst zu immunisieren. Vom Christentum her kam dann der entscheidende Kampf: »Im Anfang war das Wort«.
Eben jenes ausgegrabene Werk Johann Jakob Bachofens stellte die archäologische und religionsgeschichtliche Wissenschaft problematisch in die Urgeschichte hinein; wie elementare Irrtümer es bergen mag, steigt doch daraus ein Bild der Zeiten, da Physis und Metaphysis noch verwirkt waren, so auch das Grunderlebnis des Geschlechtes als Natursymbol tiefster mystischer Fülle galt. Das Drama des dionysisch – erotischen Kultes konnte nur auf ältestem erbreligiösen Boden unter sakrosankter Decke sich abspielen. Die »Romantiker« werden in der weit aufgeworfenen Streitfrage gegen die Rationalisten Recht behalten.