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Geh aus dem Weg, der Gottes spottet!
Zarathustra.
Das ganze geistige Universum wird
durch den Atheismus zersprengt in zahllose
quecksilberne Punkte von Ichs, welche
blinken, rinnen, irren, zusammen- und
auseinanderfliehn ohne Einheit und
Bestand. Niemand ist im All so sehr
allein als ein Gottesleugner – er trauert
mit einem verwaisten Herzen, das den
größten Vater verloren, neben dem unermeßlichen
Leichnam der Natur, den
kein Weltgeist bewegt und zusammenhält,
und der im Grabe wächst.
Jean Paul.
Es gilt, sich zu entscheiden zwischen zwei Weltanschauungen: der stofflichen, der geist-stofflichen. (Zwei andere fallen weg: die abstrakt-geistige [ideal-philosophische] schließt das Sein aus, welches nur geist-stofflich erfahrbar und denkbar ist. Die pantheistische mischt den Sinn in das Sein, das Bewegende ins Bewegte und ist trotz dem geistesvollen Spinoza ein Gallert.)
Die erste Anschauung muß Gott leugnen, die zweite muß ihn bekennen.
Bewußt wird in den Gelenkpunkten dieser Betrachtungen immer wieder die schon von der Urphilosophie gesehene geheimnisvolle Zwiefältigkeit alles Werdegangs genannt, das zwiepolige Gesetz des Lebens. Dieses weist an der Stelle der Verwirklichung auf ein Drittes hin, auf ein Verbindendes, welches den zeugenden Akt vollbringt, und also dessen ursächlicher und zweckhafter Träger sein muß. Das heißt wiederum die Entelechie, das Inziel, jene Kraft, welche allen Stoff durch die Naturgesetze in zweckbestimmte Form einführt und in raumzeitlich gemäße Bewegung setzt, das gestaltende x.
Es muß im Vorgang des Werdens und Vergehens ein Bestehendes, sich in der Zeugung nicht Mitverzehrendes, demnach Unzerstörbares sein. Gleichartiges, weil Gleichwirkendes, Allgemeines, weil in jeder Sonderung gegenwärtig, alle Sonderung bedingend.
Es ist das schmale Hinüber – Herüber, das alle Raum- und Zeiterscheinung erschaffend, erhaltend zusammenwebt, assoziativ im παντα ἐν πασιν aber auch metaphysisch im oὐδεν πατην.
Es ist allein das Continuum, während alles dadurch zur Bildung kommende schon wieder Zerteiltes wird.
Ist gleichsam des Rhythmus Welle, worin das Lebenswort auf immer unbegriffener Wirkungsebene dem Radio vergleichbar, durch Raum und Zeit und Stoff ausgeschickt ist, auf daß der eingreifende Takt deren Figuration vollbringe.
Nur darin liegt die Verwandtschaft der Dinge, welche sie jedoch stärker verwebt als die an sich tote stoffliche Einheit. Auch jene zu Buches Beginn gezeigte Bindung der Menschengemeinschaft im Stoff wird hier geknüpft. Es ist die rhythmisch wirkende Konstante des Weltbestandes, die jenen immer fließenden, unversieglichen kleinen Mehrquell des Lebens über den Tod leitet, der Liebe über den Haß, des Gutes über das Übel, des Aufbaus über den Zerfall.
Wieder liegt das immer nur keimende, nimmer sterbende Saatfeld der Einzelle als paralleles Zeugnis im Mikroskop.
*
Wieder steht indes auch die Frage da: Warum ist die das Geistesauge ins Vollkommene weisende Welt dem Sinnenauge unvollkommen? Warum kann nichts darin zu seiner Vollendung reifen, auch nicht der Mensch? Darf man sagen, das Stück fehle nur unserem Blick?
Alle Philosophen haben um die Frage fragmentarisch gerungen. Sie haben das Bruchstück im Ziel gesucht. Darum verneinten die Radikalen (das sind die Wurzelausreißer) das Absolute. Vermittler pfropften diesem widersinnig »ein Prinzip der Verneinung und Verkehrung« auf. Indes doch nur das Absolute ist ein und rein.
Darf man nicht vielmehr zu sagen wagen: Das Vollkommene habe, um sich wesentlich zu wahren, außerhalb seiner nichts gleich Vollkommenes schaffen können; keineswegs aus Ohnmacht, sondern um den Widerspruch in sich selbst zu meiden? Zweimal Vollkommenes gibt es nicht. Die Welt als Schöpfung mußte abständig unvollkommen und zwiegesetzlich neben dem Eingesetzlichen sein in Zeit und Raum, voll dauerndem Sterben und Gebären. Werden heißt: nicht fertig, nicht im Sein angelangt sein; und neben dem Ursein ist nur das Werden denkbar. Das Werden aber braucht ein Entwerden, den wandelbaren Stoff des ab- und aufbauenden Wechsels, der creatio continua, das ist immerwährende Schöpfung.
Thomas von Aquin, Leibniz und auch Herder sahen diese Welt als die möglichst vollkommene, nur kamen sie mit ihrem Einblick nicht auf den Grund.
Die Unvollkommenheit ist kein Beweis gegen die Schöpfung, sondern vielleicht der gewichtigste Beweis dafür. Denn nur Geschaffenes, Vergleichbares kann Mängel, das heißt Unbefriedigung haben; das in sich Gewordene, Unvergleichbare ist makellos. Die etwa stoff-ursächlich entstandene Welt vermöchte in ihrem Gesetzablauf nichts anderes zu sein als vollkommen, kein Ziel mehr habend. Der Mensch darin nähme an dieser Eigenschaft teil und hätte hiermit gleichfalls keine Fähigkeit, Unvollkommenes zu erfahren. Der problemlose, naturkausale Ablauf brauchte nicht einmal den Gedanken und ergäbe keine Möglichkeit zu einer Frage.
Umgekehrt schließt die Tatsache der Schöpfung logisch die darin wirkenden antinomischen Gesetze ein, auch das abgeleitete dialektische Denkgesetz, damit die Fülle des Denkens. Von deren Zwiespiel aus sollte schon der Naturforscher, nicht erst der Philosoph die Selbstexistenz, das heißt Eigengesetzlichkeit der Welt ablehnen.
Darum muß die monistische Weltanschauung Gott leugnen, weil ihr vorgestelltes Weltbild vollkommen sein müßte. (Auch Pantheos und Theopan wären makellos.) Darum muß die geist-stoffliche ihn bekennen, weil ihr Weltbild unvollkommen, werdend ist und ein Vollkommenes, Seiendes über sich erfordert.
Ideal (Gestaltmodell), welches unerforschlich des Stoffes Formung bewirkt, darf dabei sein »an sich« unwirkliches Selbst nie erreichen, ja es muß neben diesem, dem Gleichnis, immer den abständigen Gegensatz bewahren, die Möglichkeit des Vergleiches. Das Gestaltmodell ist kein Model, darum gibt es nichts Gleiches in der Schöpfung. Darum kann kein Ding wesentlich gemessen, in seinem Sinn gedacht, rein erfahren werden. Angleichung ist in der Vielfalt der Erscheinungen die Grenze, wie in der Gesamtheit die Unvollkommenheit. Darum kann sich auch die Erkenntnis nur an die Dinge annähern, ihr Mittel ist über die quantitative Besichtigung hinaus die qualitative Anschauung, welche alles Phänomen in innerem Bezug und äußerer Umgebung sieht, ihm das dem Blick Unlösbare, sein Geheimnis wissend inneläßt, ja in diesem ein Zeichen der Wesenheit ehrt.
Schillers bedeutungsvollstes Gedicht, seiner eigenen Gestalt poetisches Bild: »Das Ideal und das Leben« spricht diese Trennung edel pathetisch aus. Aber Goethe, welcher gleich Aristoteles die Idee sich erst im werdenden Ding regen sieht, sie nicht aus der Abstraktion in dieses hineindeutet, sondern im Gegebenen ihre wechselnde Gewahrwerdung sucht, kommt solchen Weges zur tieferen Fassung des transzendent-immanenten Vorgangs. Denn unsere Anschauung kann als solche nicht ins Metaphysische greifen, wie sie anderseits nicht im Physischen der Mechanik haften darf. Sie vermag konstruktiv von der Idee des Dinges nichts Bestimmendes auszusagen, ohne phantastisch zu werden. Leugnet sie dagegen die eine, tötet sie das andere. Sie muß das Typische suchen, das Mittel zwischen Symbol und Erscheinung. Sie darf der empirisch-kritischen Sonderung nicht entsagen, das heißt sie muß ihrer schicksalhaften Unvollkommenheit bewußt bleiben. Doch das Vollkommene scheint darein und macht das Stückwerk über den Erfahrungskreis hinaus der Anschauung wert.
Wiederum Goethe notierte:
»Empirie: Unbegrenzte Vermehrung derselben. Hoffnung der Hilfe daher. Verzweiflung an Vollständigkeit.«
Niemand hat Drang und Grenze der Forschung tragisch klarer erkannt. Doch benachbart dem Sysiphuszeichen stehen die gestillten Sätze:
»Wir leben in einer Zeit, wo wir uns täglich mehr angeregt fühlen, die beiden Welten, denen wir angehören, die obere und die untere, als verbunden zu betrachten, das Ideelle im Reellen anzuerkennen und unser jeweiliges Mißbehagen mit dem Endlichen durch Erhebung ins Unendliche zu beschwichtigen … Wir gewöhnen uns die Idee in der Erfahrung aufzusuchen, überzeugt, daß die Natur nach Ideen verfahre, ingleichen daß der Mensch in allem, was er beginnt, eine Idee verfolge … Hier aber werden wir vor allen Dingen bekennen und aussprechen, daß wir mit Bewußtsein uns in der Region befinden, wo Metaphysik und Naturgeschichte ineinandergreifen, also da, wo der ernste treue Forscher am liebsten verweilt.«
Und gleichgerichtet heißt es:
»Wie Sokrates den sittlichen Menschen zu sich berief, so Plato und Aristoteles gleichfalls als befugte Individuen vor die Natur: Der eine mit Geist und Gemüt, sich ihr anzueignen, der andere mit Forscherblick und Methode, sie für sich zu gewinnen. Und so ist denn auch jede Annäherung, die sich uns im ganzen und einzelnen an die Dreie möglich macht, das Ereignis, was wir am freudigsten begrüßen und was unsere Bildung zu befördern sich jederzeit kräftig erweist … Man muß sich immer die Frage vorlegen: Wie würde sich Plato gegen die Natur, wie sie uns jetzt in ihrer größeren Mannigfaltigkeit und gründlicheren Einheit erscheinen mag, benommen haben? Denn wir glauben überzeugt zu sein, daß wir auf demselben Weg bis zu den letzten Verzweigungen der Erkenntnis organisch gelangen und von diesem Grund aus die Gipfel eines jeden Wissens uns nach und nach aufbauen und befestigen können.«
Man hat sich gewöhnt, das größte deutsche Menschenphänomen für allerlei weltanschauliche Spielarten als Zeuge anzurufen. Das Eine aber ist gewiß: der ausgereifte, in den Kreis der Anschauung getretene Goethe war Vordenker geworden für das geist-stoffliche Weltbild, nicht mehr in pantheistischer Vermischung, sondern in klarer Durchsichtung der zwiegewebten Einheit. Er ist der Doppelkronzeuge gegen das vergeistigte (verflüchtigte) und gegen das verstofflichte (erstarrte) Mißbild, steht da als der subjektiv-objektiv versöhnte, platonisch-aristotelische Mensch, die Persönlichkeit.
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Trotzdem all unser Gesicht aus dem Vielfalt zum Einfalt, gleichsam aus einem zerstückt über die Welt zerstreuten Paradies den Garten Eden sucht, finden wir hier das Gesuchte nicht. Dem Irrtum, die Übereinstimmung des Sinnbildes und des Dinges, die Aufhebung des Zwiespaltes, die Ergänzung des Unerfüllten seien zeitlich möglich, entfließt alle Tragik unseres Geschlechtes. Es ist der Aberglaube.
Die Wage der Harmonie wird nie zu uns herunterhängen mit ihren gleichgerichteten Schalen. Es wird immer nur deren eine wechselnd die Erde berühren.
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Die tiefsten und letzten Paradoxe kreuzen sich in den Gedankengängen: Die unlösbare Frage der Spannung zwischen Gott und Welt. Der Vorgang Schöpfung und ihr Grund, die notwendige Transzendenz und zugleich notwendige Immanenz, das Außenbleibende und doch Einfließende des schaffenden Geistes, sind die Endschwelle der uns gewährten Erkenntnisfläche. Kein irdischer Gedanke, dualistisch veranlagt, wird die Schwelle überschreiten, denn jenseits muß reine Einheit ohne Synthese sein. Wiederum weil die Spannung ist, müssen zwei Enden sein; jene beiden Welt und Gott, sind auch die Widersprüche im analytischen, synthetische Bindung suchenden Denken.
Bleibt das Wie offen in der Lücke, so liegt dies in der Voraussetzung der Frage, im »heilig offenbaren Geheimnis«.
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Das Absolute, Ungeteilte gab (seinem Wesen entsprechend) in das Zweigesetz den Rückdrang zum Eingesetz, aus verhängter Trennung zur Vereinung, sentimental gesagt: Heimweh, das Ungenüge, welches beweist, daß ein Genug sein muß.
Damit hielt es, gleich ein Magnet in der Distanz des Magnetfeldes, das von sich Gegebene an sich. Eben an jener Stelle, in jenem Punkt der immerwährenden Zeugung, welcher als übergeordnetes Drittes wirkt. So ist die Welt dauernd von ihm besämt und beschwingt, ins schöpferische, nie vollendete Werden gesetzt
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Wir sehen alle Individuation und Gemeinschaft von der Ebene ihrer raumzeitlichen Erscheinung aus auf diese Einheit, die Ursache der Ursachen, den Zweck der Zwecke, das Ziel der Ziele, den Sinn des Seins hindeuten.
Das Hinstreben auf das Unerreichbare Eine ist ihre trianguläre Einung.
Wir finden in uns und Natur getrennte Teile gleicher Rundung. Wir versuchen sie zusammenzusetzen. Ein Stück fehlt noch, aber wir sehen den Kreis, den Umkreis.
Und wir wissen, daß ein Mittelpunkt ist, des Kosmos Spille.
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