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Haben wir den Heiligen als den schwer kämpfenden historischen Formgeber der christlichen Kirche und des christlichen Glaubensgutes gesehen, sahen wir tief in die Schatten, woraus er in das Licht der Erleuchtung schritt, aus den Ängsten der Verdammnis in die Gewißheit des Heils, so dürfen wir hier im Rahmen unserer Betrachtung von dem »großen Theoretiker der christlichen Liebe« sprechen. Es ergibt sich daraus zugleich eine nachträgliche natürliche Begründung dessen, was auf die letzte Frage, ob das Gesetz der Liebe historisch versagt habe, geantwortet worden ist. Weiterhin spiegelt sich noch einmal im reinen Wort der gewonnene Begriffssinn dieses Buches. Die Zusammenfassung des Sehfeldes raubt vom Wesen nichts, ist keine Verengung, sondern führt ins Zentrum. Denn für Augustin war die Liebe und ihre Erkenntnis Sinn und Ziel all seiner geistigen Mühsal. Der Einblick geschehe durch einen Vergleich. Die berühmteste Stelle in den Schriften Platons ist die folgende aus dem »Gastmahl«. Diotima spricht zu Sokrates:
»Das ist eben der rechte Weg der Liebe, daß man von schönen Einzeldingen um höchsten Schönen willen immer weiterschreitet, als wenn man auf Stufen emporstiege, von einem schönen Leibe zu zweien, von zweien zu allen, darauf von den schönen Menschen zu den schönen Sitten, von den Sitten zu den schönen Erkenntnissen, endlich von den Erkenntnissen zu jener Erkenntnis, welche die Erkenntnis von nichts anderem, als von dem höchsten Schönen ist. Ist der Mensch hier angelangt im Leben, dann, wenn irgend jemals, kann er sagen, daß er im wahren Sinne lebe, weil er das Schöne schaut. Wenn du es einmal erblicken wirst, dann wirst du finden, es sei nicht von dem Schlage wie Gold oder schöne Gewande oder schöne Knaben oder Jünglinge. Wie sollen wir erst glauben, daß einem geschähe, wenn ihm gelänge, das Schöne selber zu erblicken, lauter, rein und ungemischt, nicht vermengt mit menschlichem Fleisch und Farben und vielem anderen sterblichen Tand, sondern wenn er das göttliche Schöne selber einartig, wie es ist, erblicken könnte? Glaubst du, das Leben eines Menschen wäre zu verachten, der nach jenem blickte und ewig jenes schaute und immer bei ihm wäre? Überlege dir nur, daß ihm einzig und allein dort, indem er das Schöne mit dem Organ sieht, mit dem man es sehen kann, daß ihm nur dort das Glück zuteil werden wird, nicht Abbilder der Tugend zu gebären – sintemal es kein Abbild ist, was er berührt –, sondern wahre Tugend, sintemal er die wahre Schönheit berührt. Hat er aber wahre Tugend geboren und auferzogen, dann hat ers errungen, ein Götterfreund und, wenn je irgend ein Mensch, unsterblich zu sein.«
Augustin, der junge Heide, schrieb seine erste Schrift auch über die Schönheit. Er war Platoniker und vieles von der klaren Helligkeit, der Durchsichtigkeit seiner Darstellung, ja des christlichen Inhalts stammt noch später aus dieser Schule.
Aber schon bei dem Hellenen ist die Schönheit kein Abstraktum, kein gedanklicher Begriff mehr, sie ist aus dem Körperhaften entwachsen, ist »kein Abbild mehr« und wahr. Sie wird nicht gesehen, sondern angeschaut, berührt, sie gebärt und auferzieht wahre Tugend. Schon in früherem Abschnitt wurde die Schulmeinung von der idealistischen Sterilität der platonischen Philosophie überprüft; die Ideen entschälten sich als Samenkapseln des Eros, also als wirksame Wesen, ja im »Sophistes« wurden sie lebendig, beseelt, im »Timaios« göttliche Kraftzellen. Am Ende wandelt sich auch die Schönheit ganz in das metaphysische Aktivum, das positive höchste Gut.
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Das höchste Gut ist das Α Ω, der Inbegriff der augustinischen Welt, Ausgang, Ziel, Mittelpunkt, Beweger und Ruhebringer, Licht der Erscheinungen und Speculum maximum aller Betrachtung.
Der Weg geht nicht mehr wie bei Platon von den schönen Körpern zu der einen Schönheit, nicht von den Naturdingen aus, von unten nach oben, sondern von oben nach unten. Es ist jene gleiche Umkehrung, die das Evangelium in die Weltbetrachtung brachte; und ist wiederum gleichnishaft absolute religiöse Heliozentrik.
Vielleicht ahnt, welch eine Ahnung der Heilige von diesem höchsten Gut und seiner beseligenden Anschauung hatte, wer in den letzten Feiergesprächen liest, geführt mit seiner Mutter Monika. Nie wurde die mystische Berührung des Sterblichen mit dem Unaussprechlichen so beschrieben; und nie das Schweigen und Schwinden des irdischen Wesens.
Das tiefst Bildhafte auch, was Menschenschrift von der Gott suchenden Liebe aufbewahrt hat, ist diese Stelle aus den Bekenntnissen:
»Wenn ich meinen Gott liebe, was ist dieses? Ich frug die Erde, und sie sprach: ›Ich bin es nicht!‹ Und alles, was auf ihr ist, hat mir dasselbe bekannt. Das Meer frug ich und seine Gründe und all seine Lebewesen, und sie antworteten: ›Wir sind nicht Dein Gott, such ihn über uns!‹ Ich frug die wehenden Lüfte, und der Luftraum sprach mit allen seinen Bewohnern: ›Ich bin nicht Gott!' Den Himmel frug ich, die Sonne, den Mond und die Sterne, und ihre Rede war: ›Wir sind nicht Gott, den du suchst!‹ Da sprach ich zu allen, die sich darstellten meiner Augen Gesichtskreis: ›Wohl saget ihr mir, ihr wäret nicht mein Gott, was ist es, was ihr mir von ihm sagen könnt?‹ Und sie riefen zusammen alle mit großer Stimme: ›Er erschuf uns!‹ Und siehe, ihre Schönheit war ihre Antwort.«
Gewiß schrieb Augustinus den letzten Satz unbewußt des Vergleichs mit der platonischen Stelle. Wir aber sehen daraus den ganzen Weg, welcher von dort hierher führt. Fällt (auch nur vielleicht!) jener Begriff der Schönheit noch mit seinem Beiwesen in den Kreis dessen, was wir »Ästhetik« nennen, so ist der christlich umgewandelte nun ganz daraus enthoben und in den Innenkreis der religiösen »αἰϑεσις«, in die fühlende Anschauung eingegangen.
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Weil Gott die Welt erschuf, darum ist sie schön, das ist ihr Sinn und Wert. Darum dürfen wir uns ihrer genießend freuen. Nur darum. Tun wir es um der Welt selber willen, so ist das der Abfall, der Dienst nicht mehr am Gottesstaat, sondern am »Säculum«, dem Weltstaat. So heischt die Forderung der selbstlosen Liebe.
Augustinus, welcher der katholischen Kirche die dauernde institutionelle Form gab und ihren autoritären Sitz, als Christi Vermächtnis, über dem zerfallenden römischen Reich historisch begründend unterbaute, baute dazu die schematisch symbolischen Stufengebilde der Gemeinschaften des Geistes und Fleisches aus. Über dem irdischen, wandelbaren Sinnenreich erhob sich (andersartig aber einwirkend, transzendent-immanent) das kanonische Reich der gottbestimmten biblischen Ordnung. Daraus offenbart sich der ewige Wille und die ewige Liebe herein in die Menschenzeit. Deren Geschichte wurde unter die Vergleichsprobe des geschichtelosen reinen Spiegels gestellt, des »Wortes«, auf daß ihre Unruhe Ruhe werde, ihr Unfriede Friede, ihre Geschäftigkeit Feierabend im Sabbat Gottes.
Tiefste Betrachtungen gehen um den Sinn von Dauer und Zeit, um die Relativität des Vergänglichen gegenüber dem Ewigen, um die Zeit als Schöpfung des Zeitlosen, um die zeitlose Metaphysik, worunter alle Geschichte geschieht. In schwerer Not der Fragenlast betet der Denker:
»Laß mich hinein in meiner Sehnsucht Land, daß ichs durchdringe und durchleuchte! … Gib, was ich liebe, denn ich liebe, und das auch hast du mir gegeben! … Gib, denn nun hab ichs doch auf mich genommen, dies zu erforschen, doch nur Mühe steht vor mir, bis du mir öffnest!«
Man spürt, auch hinter den Auseinandersetzungen der Begriffe steht ängstigend und treibend das arge Geheimnis der manichäischen zwei Welten; es sind Rettungsläufe aus dem Reich der Finsternis ins Reich des Lichtes.
Alle Gedankenwege des Teleologen und Theologen zielen auf einen Eingang zu, auf die Einung in der Liebe. Darum ist jeglich Irdisches abhängig, herabgestuft, vom höchsten Gut.
»Es gäbe keine wandelbaren Güter, gäbe es nicht ein wandelloses Gut.«
»Das ist gewiß: nur Gutes kannst du lieben. (Verlockend poetisch werden die guten Dinge der Erde, des Himmels, des Menschenlebens und der Menschenliebe aufgezählt.) Was alles noch! Gut ist dies und gut ist das. Dies und das aber nimm hinweg und sieh, wenn du kannst, auf das wahre Gut. Alsdann siehst du Gott, gut nicht durch ein anderes Gut, sondern alles Guten Gut.«
»Denn in der Seele liegt ein Drang nach einem Gut, das sie mit keinem Urteilsspruch mehr überfliegen, nur in Liebe noch umfangen kann: und was ist dies, wenn nicht Gott?«
Wie Gott, ist die Liebe das Einzige, was keinem Urteil mehr unterliegt. Und in dieser Liebe erscheinen die Dinge gesegnet:
»Sind gleich die erschaffenen Dinge nicht das Höchste, weil Gott ein höher Gut als sie, so sind sie herrlich doch, diese wandelbaren Gutwesen, weil ihnen, daß sie selig werden, eine Kraft verliehen, anzuhangen dem unwandelbaren Gut.«
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Das summum bonum aber ist das bonum commune, Höchstes Gut – Gut Aller, welche guten Willens sind.
»Es gibt zwei Arten Liebe – heilig ist die eine, unheilig die andere. Die eine ist auf die Gemeinschaft gerichtet, die andere auf das Ich beschränkt.«
»Die Größe und Breite des göttlichen Wortes wird erfüllt in unserer Liebe zu Gott und dem Nächsten … Ohne die Liebe, das süße köstliche Band der Seele, ist der Reiche arm, den Armen aber macht sie reich … Also hat der Mensch keinen anderen Weg zum Seligsein als das Gutsein.«
»Nimm das Elend hinweg – auch die Werke der Barmherzigkeit hören auf. Die Werke der Barmherzigkeit hören auf – wird aber auch die Flamme der Liebe erlöschen? … Bedenket Eure Gleichheit: wie ihr alle seid unter dem Einen, dem keiner was zu geben hat.«
»Das wahre Opfer ist die Barmherzigkeit … ist Opfer nur als Werk um Gottes Willen.«
Caritas et gratia testamenti novi. Unitas caritatis.
Liebe und Gnade des Neuen Testaments. Die Einheit in der Liebe.
Unter den Einfällen der Vandalen, auf nordafrikanischem Boden, in währendem Kampf mit Sektierern, inmitten moralischer Zersetzung formte der Bischof von Hippo das Formgesetz der christlichen Liebe im Bau der Kirche.
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Und nun müssen wir unser Auge, gleich auf einen sichtbaren Stern der Verwirklichung auf jenen Heiligen wenden, welcher als das Inbild dieser Liebe auf Erden ging.