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Jener geistesvolle Engländer sagt in anderem Zusammenhang:
»Endlich, was das Seltsamste ist, meinem Geiste hatte sich ein unbestimmter und mächtiger Eindruck aufgedrängt, daß in gewisser Weise alles Gute ein Überbleibsel aus einer urweltlichen Katastrophe sei, das man hüten und heilig halten müsse. Der Mensch hatte sein Gutes gerettet wie Robinson Crusoe seine Güter. Dieser hatte sie aus einem Schiffbruch errettet.«
Der Aphorismus schließt:
»Und in dieser ganzen Zeit hatte ich (noch) nicht mit einem einzigen Gedanken an die christliche Religion gedacht.«
*
Das Evangelium hat die Menschheit aus dem Schiffbruch gerettet. Seine Arche hat die verschwemmte über neuem Land auf neuem Ararat gelandet.
Mit dem Menschen erfuhr auch die Welt und die Erde frische Beleuchtung.
Jene ungeheure eschatologische Versetzung, jene Abwertung des irdischen Daseins, ist wohl die große Erstlingswirkung gewesen, von langer Haltkraft und nie verwischbar. Allein darunter und dahinter hat dieses Dasein doch wieder einen, auch neuen, Kern gefunden, eine neue Objektivität.
Man überblicke nur, welch positive diesseitige Gestaltung aus dem christlichen Zeitalter erwuchs.
Als den abgeschlossensten Kulturkreis spüren wir heute noch das durch Reformation und Klassik abgeschnürte katholische Mittelalter. Von einer saftigen Dinglichkeit und unmittelbaren Anschauungskraft, von einer Blutfülle und Werkfreude, von einem Zusammenwuchs all dieser Elemente wie nirgend sonst: man stellt sich auf einen alten Marktplatz, in eine Bildergalerie, in ein Münster und spürt den Odem.
Das Irdische hatte darin wieder seine Figuration zurückgewonnen in einer von jenseits beschienenen Form. Das Evangelium hatte sich eutropisch eingesetzt ins unausrottbar Menschliche, ja Allzumenschliche. Die Weltflucht wurde frommes Reservat der Mönche, das apodiktische Gebot der strengen Nachfolge schuf die wunderbaren Erscheinungen der Heiligen. Für die minderbeflügelte Masse wirkten die kirchlichen Gnadenmittel und die Heilsgemeinschaft als Schutzgürtel, um nicht zurückzusinken in die sündige Hyle. Trotz ihrer scheinbaren ständischen Scheidewände war die Gesamtsozietät der ungeteilten damaligen Christenheit die engst verbundene aller Zeiten, wirklich ein auf die Erde gekommenes Reich, mit tiefster Durchtränkung und Durchäderung des Wesens. Wer schüfe aus diesem Gesichtswinkel einmal ein Bild der Kreuzzüge, die Geschichte eines Dombaus? Ja wer vermöchte den ungemein metaphysischen und tragischen Ernst noch in den Kämpfen der Glaubensspaltung zu zeigen? Wie mußte zusammengewurzelt sein, was unter solchen Katastrophen (o nur zeitweilig!) zerbarst?
Das Individuum war eingegliedert und geborgen; nie war eins vom andern äußerlich wie innerlich so bedingt und ermöglicht zugleich. Die Ständeform, das Gildgewand gab dem Einzelnen Art und Würde. Alle Stände wie Gilden beugten sich gemeinsam dem Kreuz. Ja bei den schweren sozialen Auseinandersetzungen, wie im Bauernkrieg, geschahen diese unter dem Zeichen des Evangeliums; und die symbolische Überdeckung war nicht nur Vorwand, sondern blutiger Ernst.
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Augustinus, hier seine lichte Blickhälfte, hat eine einfache schöne Grundregel dieser äußeren Christengemeinschaft gegeben:
»Kindlich das Kind, kernhaft den Mann, ruhmvoll den Greis – so ziehst und lehrst du, Mutter Kirche, jeden, wie's den Lebensaltern nach Leib und Seele angemessen ist. Du machst die Frauen in keuschem, treuen Gehorsam Untertan ihren Männern zur Fortpflanzung des Geschlechtes und zum Erhalt des Familienverbandes. Du setzest die Männer über die Ehefrauen, nicht zum Spott für das schwächere Geschlecht, sondern kraft der gesetzlichen Ordnung lauterer Liebe. Du kettest die Kinder an die Eltern durch eine Art von freier Dienstbarkeit, du setzest die Eltern über die Kinder für ein Walten in liebender Gewalt. Du knüpfest Brüder an Brüder durch das Band der Religion, das fester und enger bindet als das Blut. Du schließest, ohne Sympathien des Blutes und Willens anzutasten, in Sippe und Familie den Naturzusammenhang noch fester durch die höhere Liebe von Seele zu Seele. Du lehrst den Knecht, wie er seinem Herrn nicht so sehr unterm Druck des Standes als in der Freudigkeit der Pflichterfüllung anzuhangen habe. Du machst die Herren mild gegen ihre Knechte und stimmst sie mehr zum Betreuen als zum Züchtigen, wenn du sie auf Gott den Höchsten schauen heißest, unser aller Herrn. Du bindest Bürger und Bürger, Volk und Volk, Mensch und Mensch enger als nur zum Ganzen der Gesellschaft: zu einer Art von Brüderschaft. Du lehrst die Könige sorgen für die Völker, du mahnst die Völker Untertan sein den Königen. Wem man Ehre schuldig sei, wem Herzlichkeit, wem Verehrung, wem Zurechtweisung, wem Strafrede, wem Züchtigung, über alles gibt Bescheid deine Lehre, deren Inbegriff es ist, daß wir nicht allen alles schuldig sind, allen aber Liebe und nicht einem Unrecht.
Wenn in solcher Menschenliebe das Gemüt, das an deinen Brüsten liegt, genährt und gekräftigt ist, ist es zur Nachfolge Christi fähig geworden …«
Diese ehrwürdige Stelle ist gleichsam ein Katechismus der mittelalterlichen Ethik. Unter der Ordnung Gottes bildet sich symbolisch parallel der Menschenstaat. Sein Leben ist wohl geformt, gemäßigt, voll milden Ernstes. Sogar die Strafe verliert den Stachel. Schon war der Weg gemacht von den absoluten Forderungen des: »Willst du mein Jünger sein …« zur freundlichen Segnung des Besitzes und der Familie, welche zu verlassen Jesus den Seinen gebot. (Allerdings Augustinus selber lebte in mönchischer Armut, hatte das Weib von sich getrennt, und mit seiner Mutter Monika verband ihn die geistigste Freundschaft.)
Das Christentum hatte sich aus den eschatologischen Gewittern auf der Menschenerde eingesetzt, hatte den Dingen des Lebens seinen Abglanz gegeben, sie schmiegsam dienstbar gemacht im Gleichnis, daß dies unser Dasein eine Pilgerfahrt sei und ein Sinnspiel des künftigen. Die Kirche nannte sich Mutter. Erwartung war in Zeitigung gewandelt.
In welchem philosophischen System, in welchem politischen Programm ist gleich schlicht und gleich tief, im Grund verpflichtend ein soziales Schema aufgestellt? Welches Programm, welches System, das irgend einmal wirksam werden möchte, muß nicht irgendwie darauf zurückgreifen, in seinen Grund?
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Auch das Evangelium selber hat an sich einen geradezu legendären märchenhaften Erdglanz, eine wundersam objektive Bildhaftigkeit. Das Wort: »Ihr seid zum Reich berufen, zur Glückseligkeit!« mußte auch der biblischen Landschaft von ihrem magischen Schein abgeben, sie unter Gnade stellen. Daß der »Sohn« selber Fleisch geworden, mußte den Menschenleib weihen, und die Sonne des »Vaters« beschien auch den Segen des Ackers, das Korn. Man spürt in welch freundlich sinnlicher Vertrautheit Jesus durch Galiläa und Samaria ging, wie selbstverständlich verwandt er in den Häusern der Freunde saß, wie er Speise und Trank genoß (vielleicht konnte kein Mensch so wissend genießen), wie er sich als Gast bedienen und von Frauenhand mit kostbarem Balsam die Füße salben ließ, wie er sein heiligstes Vermächtnis in irdischer Speise barg, in Brot und Wein.
Kind und Greis haben die Luft der heiligen Stätten im Geruch, der Nigger und der Eskimo sehen deren Berge, Täler und Seen gleich als ihrige. Man schaue eine deutsche mittelalterliche Malerei an. Wie umgefärbt und doch im sublimsten Sinn wahr ist sie! (Des Buches Schreiber war jüngst einmal in einer Galerie allein. Da kam ein Mädchen vom Land, ging staunend, den rechten Daumen an den Lippen, umher. Im letzten Saal erblickte es eine »Geburt« von Zeitblom. Und die Unschuld kniete sich vor dem Bild nieder zum Gebet. Durchschämt von meinem eigenen ästhetischen Schaugang lief ich still hinaus.)
Alle evangelischen Gleichnisse sind zereal, bürgerlich, bäuerlich, handwerklich, fischerzünftig, schäferhaft. Nicht nur weil der Herr unter Bauern, Handwerkern, Fischern, Schäfern ging. O nein, weil in den Gleichnissen die reine Natur sich ausspricht, die unverderbt und unverderbbar anschauliche, die mit dauerndem Heimweh nach der Reinheit behaftete.
Warum hat im Auge unseres Gefühls die Lilie einen solchen Glanz? Weil sie auf dem Feld der schönsten Parabel blüht, weil die reinste Hand uns die reine gezeigt hat. Die Erde ist uns durch das Evangelium nicht schwer, sondern leicht geworden, und klar. Wie seltsam ist's auch, daß eben das irdische Sinnbild die Lieblingsrede Jesu war. Wir dürfen darin wiederum das geist-stoffliche Zwiegesetz vertrauensvoll erkennen.
Wir wagen nicht zu fragen, ob Er sich heut wissenschaftlich, kantianisch etwa, oder technisch äußern würde? Die Frage zeigt schon den Widersinn des Gedankens.
Das Einfache, Unmittelbare des Wortes ist das Große, die Offenbarung. Wenn nur zwei, drei Gleichnisse geblieben wären, nur ein Satz der Bergpredigt, nur die Forderung der Feindesliebe, so wäre die Gestalt Christi unverletzt bewahrt … und nur die eine Deutung: Gott ist der Vater.
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Wer den Einbruch des Christentums als die geistige Durchleuchtung unseres Lebens sieht, muß auch die Dinge dieses Lebens, die zeitliche Form als mit durchleuchtet sehen. Sie werden mit dem Wunder wunderbar, tief sinnbildlich lebenswert.
Ihre natürliche Bedeutung im Gesetz des Werdens wird mit ins Ewige gehoben.
Der Katastrophenschatten des Gerichtes und die Kluft Ahriman-Ormuzd ist von ihnen gewichen.
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Wenn Gott die Liebe ist, dann muß diese Liebe unser Erdensein umfassen.
Nichts kann den lebenden Menschen aus Zeit und Raum heben. Die Erlösung vermag ihn nicht zu umgehen, sie ist gezwungen, sich an seiner objektiven Existenz auszuwirken.
Die Gleichsetzung Liebe: Gott schließt jenen auch in das historische Christentum eingeschlichenen Dualismus zwischen dem absolut Guten und absolut Bösen aus.
Wenn die Menschheit wesenhaft zur Kindschaft im Vater berufen ist, kann die Zeit seiner irdischen Erscheinung nicht verflucht sein.
Begriff der Erlösung zeigt uns rational das (geiststofflich) im »Ich« durch »Du« und »Ding« gegangene, geführte Geistwesen. Das Zwiespältige eingegangen, eingeführt in die Einung.
Wir kommen auf höherer Ebene zurück zum Ausgang unserer Betrachtung.
Des Durchgangs Geleite gibt Liebe: die übernatürliche Bestätigung des natürlichen Dranges nach jener Einung. Die Einheit selber hat die Bestätigung offenbarend erteilt.
Undenkbar, daß der Weg, das Mittel zum Ziel, das ist das menschliche Leben unbegnadet bleibe. Jene eschatologische Abwertung der Sinnenwelt trifft also nicht den Sinn. Sie erweist sich als gespensterhafte Abstraktion, zum Nihilismus führend. Der Leerlauf buddhistischer Religion entspricht ihr, nicht der Heilbrunn des Christentums. Denn Liebe ist Ja und liebt kein Nein. Ist nicht Tod sondern Leben, nicht Auflösung vielmehr Erfüllung.
Christ spendete zum Vermächtnis seines Wesens Nahrung. Er vermählte des Leibes Hunger und Durst mit dem Durst und Hunger der Seele.
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Die Tatsache des Bösen entspricht metaphysisch der Tatsache des Übels, die Sünde dem Tod. Der Paare Erscheinung ist einander verkoppelt. Wüßten wir vom immanenten Zwilling nichts, so wäre uns auch der transzendente unbekannt, gleich dem Tier.
Übel wie Tod sind naturhafte Gegenkräfte im Dienst der immerwährenden Schöpfung, des Werdens. Aber sie bleiben verbannt an der Schwelle des (einzelgeschöpflich nie erreichbaren) Seins, vor dem Kontinuum des Werdens. Da können sie als das Unzulängliche nicht mit hinein. Sie verzehren sich selber in der wechselnden Erscheinung. Und sind so eigentlich kein Substanzielles. (Hier würde etwas wie das Gesicht eines Anti-Schopenhauer hervorblicken.)
Parallel geschiehts dem Bösen, der Sünde an der Schwelle, wo das Zwiespältige vom Einen aufgenommen wird. Sie bleiben das Abspältige, Verbannte, Verstoßene. (So läßt sich schier auch das schwierigste der mystischen Probleme wenigstens andeutungsweise versinnbilden.) Und man darf vergleichend schließen, daß weder Sünde noch Böses etwas transzendent Substanzielles sind, weniger noch als die stofflichen Geschwister. Denn wiederum: das absolut Gute kann kein absolut Böses neben sich haben.
Vom Streit der Kirchenväter mit dem zerrütteten Heidentum, von dem Gigantenkampf Augustins mit dem »Säculum«, dem Weltstaat blieb jene schwarze Phantasie im überlieferten Glaubensgut liegen. Und das Kreaturgefühl, auf der einen Seite mächtig hingezogen an das christliche Sursum, anderseits wieder um so mächtiger nach unten distanziert, hat in der historischen Wirksamkeit der Kirche eine übermäßige Frontstellung gegen das Böse gebracht. Die Heilslehre artete zeitweilig zum seelischen Schrecksystem aus, während sie doch vorwiegend und zuerst die Lehre der Tröstung ist, das Heilsgut.
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Freilich schuf das metaphysische Erlebnis das Christentum, und was uns das Leben gibt ist Erwartung; verglichen wiederum dem Grundgesetz der aus eigenem Geschöpfeswesen nie erreichbaren Vollkommenheit. Das heilige, selige Warten: »Es wird einmal fertig sein!«
Der Kerngedanke der Erlösung, daß diese selber Gnade sei, das ist vom Menschen nicht allein zu bewirkende Einigung mit dem Vollkommenen, dies tiefinnerste Verbundstück der Religio findet sich also auch mit ein auf der Parallelebene über den Naturgesetzen. Er hat wie Alles zeichenhafte irdische Bezüge. Darin, wenn gleich im Unbewußten, fußt das unbegreiflich natürliche Vertrauen, welches uns der noch unbegreiflicheren göttlichen Einwirkung entgegenführt. Es ist der helle Binnenfleck des Seelengrundes, die religiöse Anlage.
Wir gelangen in unserer Betrachtung wieder zurück zu jener vorgeschichtlich abgeleiteten Annahme, daß es menschliche Uranlage sein. Und noch einmal sehen wir die Wende der Naturreligion, welche durch das Evangelium geschehen ist, jene Umschiebung des Von-unten-hinauf in das Von-oben-herab.
(Man denke beispielhaft an das Licht in Rembrandts sakralen Bildern. Es bricht herein.)
Kommt dadurch in die zeitlichen Dinge kein Glanz, welchen ihr rein natürlicher Zustand nicht geben kann? Werden sie nicht in höherer Art poetisch, mitbegnadet und sinnvoll, märchenhaft, ja erst recht wesenhaft? Aus den Mumienbinden der stofflichen Kausalität gehoben. Sind nicht die Märchen an sich Kapseln eines Urglaubens der Erlösung? Wer möchte sie einmal auf diese Frage hin theoretisch nachprüfen? Die Erwartung der geistigen Deutung steckt darin, wie in den Dingen selber.
Schiller schrieb auf einer Vorstufe dieser Gedankengänge:
»Jeder Zustand der menschlichen Seele hat irgendeine Parabel in der physischen Schöpfung, wodurch er bezeichnet wird, und nicht allein Künstler und Dichter, auch selbst die abstraktesten Denker haben aus diesem reichen Magazine geschöpft. Lebhafte Tätigkeit nennen wir Feuer, die Zeit ist ein Strom, der reißend von hinnen rollt; die Ewigkeit ist ein Zirkel; ein Geheimnis hüllt sich in Mitternacht, und die Wahrheit wohnt in der Sonne. Ja, ich fange an zu glauben, daß sogar das künftige Schicksal des menschlichen Geistes im dunkeln Orakel der körperlichen Schöpfung vorherverkündigt liegt. Jeder kommende Frühling, der die Sprößlinge der Pflanzen aus dem Schoße der Erde treibt, gibt mir Erläuterung über das bange Rätsel des Todes und widerlegt meine ängstliche Besorgnis eines ewigen Schlafs. Die Schwalbe, die wir im Winter erstarrt finden und im Lenze wieder aufleben sehen, die tote Raupe, die sich als Schmetterling neu verjüngt in die Luft erhebt, reichen uns ein treffendes Sinnbild unserer Unsterblichkeit.
Wie merkwürdig wird mir nun alles! – Jetzt, Raphael, ist alles bevölkert um mich herum. Es gibt für mich keine Einöde in der ganzen Natur mehr. Wo ich einen Körper entdecke, da ahne ich einen Geist. – Wo ich Bewegung merke, da rate ich auf einen Gedanken.«
Es fehlt nur noch ein Lidschlag, um des Dichters Auge ganz zu erhellen. Wenn Schiller das religiöse Wunder christlich erfahren hätte, welch ein Verkünder wäre er gewesen!
Ja auch die Naturwissenschaften finden hier den Schlüssel.
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Gewinnt nicht der Feldweg, die Wiese, der See unserer Landschaft von jenem zerealen Schein der Evangelienlandschaft? In der Kindheit von der erzählenden Mutter darübergelegt Wird sie uns dadurch nicht vertraut, gut, gütig, Heimat? Und Kraft der frommen Phantasie liegt in dem Wort »gelobtes Land«. Die Gläubigen sind so alle etwas wie ungegürtete Kreuzfahrer.
O die Erde, welche wir bewohnen, ist gesegnet! Und schönes stilles Wissen ward uns geschenkt, es sei wohlgetan, daß wir auf Erden sind. Weil wir Kunde haben vom »Reich, das nicht von dieser Welt«, wird uns das Reich der Zeitigung voll Fülle.
Die Klarheit der zeitlosen Metaphysik durchscheint die Zeit. Glaubend erfahren wir, was die gedankliche Erkenntnis vorbereitet hat: Nur in einem Wort kann die Spannung zwischen Schöpfer und Geschöpf aufgehoben werden, in der Liebe. Diese muß das Wesen Dessen sein, Welchen wir Gott nennen, zugleich, wenn menschlicher Vergleich kein Frevel ist, seine einzige Eigenschaft. Lichtkern und Strahl, jener in sich ruhend, dieser bewegt, das primum mobile. Strahl der sichtbar wird, wird Entfaltung: die Welt der Erscheinung.
Die Liebe ist der Vorgang, woraus das Leben ausgeht und in sich zurückkehrt. Das x des überzeitlichen Seins im zeitlichen Werden.
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Weichen wir aus, färben wir die tragischen Probleme eudämonistisch um, verfallen wir »pelagianischer Plattheit«, wenn wir, dem Evangelium folgend, diese Erde und uns darauf aus dem strengen Schattenbann der Sündhaftigkeit hinüberrücken in die Sonne der verkündeten Gnade?
Nicht zuerst unter das Wort: Gott der Richter, sondern Gott der Vater.
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Zwischenfrage: Die ersten heroischen Männer fliegen in diesen Monaten hin und her über den Ozean. Hat ihrer Einer vor dem Aufstieg an Gebet oder auch nur religiöse Anmutung gedacht? Die Frage ist Zeichen. Die Flieger sind Typ. Wie einem Vacuum ist der Gedanke an die höheren Mächte ihrem Gefühlsbereich entzogen. Man denke etwa auch an den Sport, der unsere Jugend darstellt. Hängt noch ein frommer Hauch in seinem an sich so schönen Ungestüm, welches nun die deutschen Sonntage füllt? Ist auch nur etwas daran aus dem hellenischen Stadion und dem olympischen Spiel, das zeremoniös unterm Antlitz der Götter verlief und im ernsten Verein der Weisen des Geistes?
Vielleicht ist das stoffliche Weltwesen teilweise so weit aus dem religiösen Gesichtskreis des historischen Christentums herausgequollen, weil dessen Lehre es einseitig hart und finster umschloß. Darf man hoffen, das Entwichene wieder einzubringen, dann muß die Verkündigung sich klar darüber sein, daß dieses nur geschieht durch ein Wunder der Offenbarung oder durch eine Umstellung des allzu eschatologischen Kirchengeistes? Denn das Weltwesen ist die offensichtliche Macht geworden. Das von der Philosophie ausgeschaltete Ding und das von der Religion verfehmte »Fleisch« haben sich gerächt. Man kann die Aufgabe nicht schwer genug einschätzen, die nach außen gekehrte Zeitseele wieder einwärts zu wenden, die verstofflichte wieder zu durchgeisten. Mit den Realien und der Objektivität des gewordenen Zustandes ist dabei zu rechten. Wenn wir nicht wollen, daß diese Menschenwelt sich vollends selber vergottet, dann muß sie ins göttliche Sinnbild verwandelt werden und so ihren Wert wieder neu entdecken.
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Wir saßen in einer Karfreitagspredigt. Der Mund auf der Kanzel begann mit einer hellen Schilderung des Frühlings und seines holden Wesens. Die Morgensonne schien in die Kirche auf das Kreuz. Die armen vom Leben gedrückten Arbeitsmenschen leuchteten von den Worten und dem Lichtschein auf. Doch plötzlich schlug die Stimme droben um und wischte mit ein paar harten Sätzen jener jüngsten Tag-Dialektik den freundlichen Gotteszauber aus. Sie hatte ihn nur gebraucht, um den folgenden Bußruf schwarz und grausig abzusetzen. Zwar blieb die Sonne, doch das Licht auf den Gesichtern erlosch. In dem Gedankenwerk der Hörer war etwas gebrochen, ihr primelhaft gekeimtes Gefühl erfror, indes auch das herabgeschworene große Schuldgefühl blieb aus. Der Frühling war tot, Christus hing nachher allein am Kreuz.
Aber: »Die völlige Liebe treibt die Furcht aus«.
(Nicht die Ehrfurcht.)
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Das Evangelium macht die Welt sinnvoll, das Leben lebenswürdig und die Dinge schön. Wir dürfen im Schein der Vollendung die nie vollendbaren lieben. Denn sie sind uns von der vollendeten Liebe gegeben. Zur Formung und Gestaltung bestimmt werden sie unser Werk.
Das Evangelium macht uns erträglich, daß dieses Stückwerk bleibt und entwertet trotzdem ihrer keines.
Das Evangelium macht uns demütig, ernst und froh des Unzulänglichen, des Gleichnisses bewußt, gläubig, daß beides ist, um einst Ereignis zu werden.
Das Evangelium macht das Kleine herrlich, den Tau zum Lichtgefäß der Sonne, die Erde zum Raum immerwährenden Staunens.
Das Evangelium macht kundig des Wunders, welches in den Gesetzen der Erscheinungen wirkt. Es ist die Innewerdung der Welt, der Fund ihrer Ur-Sache, ihres Wechsels bleibende Begründung.
Das Evangelium macht das Vergängliche beständig, die Planke zum Fahrzeug, die Töne zum Kanon.
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Wiegen die wandelbaren Güter leicht und gering gegenüber dem wandellosen Gut, so werden sie zusammen mit diesem gewogen doch viel schwerer und teurer, als hätten wir sie allein.
Das Evangelium zieht uns Leibliche nicht von der Welt, denn es will, daß wir uns darin erfüllen. In diesem zerbrechlichen Gefäß des Leibes, welcher anmit Heiligtum wird.
(Ist es nicht bedeutungsvoll, daß die kirchliche Lehre auch die verklärte Auferstehung des Fleisches aufnahm, dies scheinbare Absurdum der Er-lösung? Es war die entschiedenste, kühnste Gegenthese gegen die manichäischen Einflüsse, die sonst manchen Riß für ihr Rinnsal im Lehrgebäude fanden. Und ist's kein schöner Brauch im katholischen Kirchenjahr, daß man die Frucht und Speise weiht?)
Was ist das etwa für eine kostbare Gabe, das vor mir liegende Brot, welches ich nachher essen darf? Ich hebe das duftige auf dem weißen Teller empor gleich als Dankopfer. Und mein Leib wird es genießend verzehren. Ich empfinde diesen Leib als auserwähltes Gefäß des Genusses. Ich bin entzückt, daß mir der Sinn der Lust gegeben ist, jeden Bissen wonnig zu spüren. Wie ein Geheimnis wird die Speisung. Leben zeugt sich daraus in mir, daß ich an diesem Buch weiterschreiben kann, welches den Spender preisen soll.
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Es geschieht vergleichsweise etwas wie mit dem durch lichteten principium individuationis. Wie das »Ich« sich seines isolierten Selbstbewußtseins entäußernd, seine Bedingtheit erkennend, in den Zusammenhängen erst sein Wesen findet, also gewinnen die Dinge auf ähnlichem Weg Substanz, Wert in der Ordnung der Dinge. Der Mensch, welcher sie unter jener zeitlosen Klärung sieht, hat gleichsam ihre Wiederentdeckung gemacht. Und ihre Ordnung wird entsprechend ein neues Wohlgefüge der sonst zufällig erschienenen, chaotischen. An ihnen geschieht das Zeichen der inneren Bezüge zueinander und zum Menschen. Dieser hat als bewußtes Geschwister der Ordnung zugleich die geistige Freiheit über ihren stofflichen Zwang erlangt, über die Bindung im Stoff. Der Zwang kann ihn nimmer herunterziehen als das Böse, weil die Dinge (auch die Leid bringenden) Mittel der Erhebung ins Gute geworden sind.
Dieses ist der pragmatische Sinn der »Weltüberwindung«. Die Welt wird darin keineswegs »nichtig« und »eitel«. Es ist zugleich der Sieg über das »Fleisch«.
Das Erdengesetz steht unter der Lex aeterna.
Hier greift jene spirituelle christliche These herein, wonach Sünde schuldhafte, widerständige Fernhaltung von Gott sei, der (durch concupiscentia-Stoffgier oder superbia-Geisthoffahrt) unterbrochene Zug zur Einung, das »Klaffen« des Meisters Eckart.
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Der Dämon steckt also nicht im Ding. Wir entehren den Schöpfer, wenn wir seine Schöpfung, die unvollkommene satanisch nennen, und lästern erst recht den Logos, welcher uns Welt als Weg nach der Vollkommenheit gegeben hat. Es ist der Kirche keineswegs schwer, diese schuldlose Welt aus dem Fluch der historischen Abwertung zu heben und als objektive Schwelle unserer übersinnlichen Bestimmung zu zeigen.
Freilich erfährt durch solche grundsätzliche Entwirrung die christliche Lehre eine Vereinfachung ihrer fremdmythisch durchknoteten Problematik. Indes es ist nichts weniger als Eingriff in die mysteriösen Gründe ihres reinen Wesens, wenn die grobsinnlichen Scheuel der volkstümlichen Bußphantasie eine Ätherisierung durchmachen. Auch braucht man keine Bangnis zu hegen, der Wert der Gnadenmittel sinke damit. Der Widerspruch Bös und Gut vertieft sich viel mehr, denn daß er sich aufhebt, nur vollzieht sich seine Auseinandersetzung auf anderem Grund; er erfährt Vergeistigung nicht Verflüchtigung.
Und das Evangelium wird kein Idyll, die Nachfolge kein Spaziergang. Geist und Stoff harmonisieren sich gegenseitig nie. Auch nicht durch die christliche Sinngebung. Das »Malum« behält sein Leidenshaupt, das Gewissen seinen strengen Blick.
Aber wiederum bestätigt die Offenbarung uns Fragenden wunderbar: Es ist mehr Gutes als Übel, auch im Menschen. Das x des Eros-Logos, welches metaphysisch zugleich das Ideogramm der Gnade wird.
Das Gute ist die Entelechie unserer zeitlichen Erscheinung, der reine Lebenstrieb, und fällt zusammen mit dem Einungsdrang der Zweinatur. (Dieser begegnet uns durchläufig bei jeder Gedankenkehre unserer Betrachtungen. Man könnte ihn das Grundgesetz der analogia entis nennen, wie ja auch immer das Element der Vergleichung darin steckt.)
Wir sind keine Geschöpfe der Verzweiflung, sondern der Hoffnung.
Solche Einsicht, jene geistige Freiheit über die Dinge bringend, bringt uns auch Freiheit über unser Menschenwesen. Sie gibt Sicht über Kräfte, Triebe, Ziel unserer Natur und damit die Freiheit des Willens. Diese findet erst hier ihre Begründung. Nur wer das principium individuationis religiös durchschaut hat, das ist aus erhöhtem Vergleich, wird zum Bildner seiner selbst. Unsere Anlage ist nicht vorbestimmt, aber vorgeformt. Das Wissen um die Form hat den Meißel in Hand. Wenn im vorigen der Wille Suchtrieb nach unserer Idee, nach unserem Gestaltmodell geheißen wurde, so steht nun dieses vor uns, von der Klarheit der zeitlosen Metaphysik durchschienen auch in seiner zeitlichen Figur.
Der Vorgang der Begnadung hebt sich so aus seinem mystischen Grund in die sublimierte rationale Begründung. Wir sind erkennende Mitgestalter unseres Schicksals. Das ist die »Freiheit des Christenmenschen«.
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(Heute wird [auch in einem Teil der eben zur Jugenderziehung mit antretenden Psychoanalyse] wieder vom monistischen Standpunkt der leibseelischen Einheit aus der Mensch zum bedingten Triebwesen gemacht. So ist geist-stoffliche Scheidung erst recht in den Vordergrund zu schieben. Denn das mystische Element des religiösen Erlebnisses birgt an sich die Gefahr, eben in die unbewußte unkontrollierbare Mischung der niederen »Komplexe« zu geraten. Ihm ist die Lampe des Bewußtseins mindestes an die Seite zu stellen, die geistige Analyse der Religio.)