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Paarung

Und da um der Einheit des Seins willen die Zweiheit sich zusammenfand, ward im gewissen Sinn deren Teilungszweck aufgehoben; sie wurde zum Paar, und dies keineswegs nur durch die physiologische Mischung, sondern durch das Band jener im Eidos verwobenen irrationalen Fäden.

Daher wird dem Erlebnis auch seine von keiner Einbildung ausschöpfbare Schicksalsmacht. Eidos hat nach vollzogener Formung den beauftragten Eros gleichsam wieder zeitweilig entlassen, das Kind, das Gebild des Vollzugs, in die Lücke des Kontinuums fügend. An den beiden Vereinten hat sich das Geschick der großen geschöpflichen Objektivierung vollzogen, sie haben ihre währende Bedeutung gefunden, sind erhoben auch als Vergängliche in das Reich der Ordnungen.

So ist es nicht zufällig, daß die Natur diesem symbolischen Zusammenschluß geschichtliche Form gegeben hat, die Ehe. Sie verhinderte den an sich gesetzlichen Zerfall der im erotischen Erlebnis Geeinten, hielt diese Einung soziologisch aufrecht als Institution. Ein an sich mehr als merkwürdiger Vorgang voll tiefer Hinweise, niemals aus Kausalien abzuleiten.

Und man stößt auf ein Urgebild. Denn der Mann und die Männin (wenngleich rechtens wohl zuerst umgekehrt) müssen von je Kristall der Gemeinschaft gewesen sein, die Masche des Gewebes der Menschengemeindung. Auf diesem Verbund gründeten die Ansätze von Geselligkeit. (Die vorgeschichtliche Forschung wird wohl die Hypothese der urzeitlichen Mischliebe noch wegräumen, wenigstens als allgemeiner Erscheinung. Finden sich ja schon unter den höheren Tieren monogame Vorformen.)

Demeter nicht Aphrodite ist symbolische Mutter des Gattungsgesetzes.

Es mag wiederum merkwürdig sein: das dem allgemeinsten Menschheitszweck dienende Ereignis führt zur engsten Sonderung, zum geschlossensten Individualbund. Und wäre diese Sonderung nicht, so geschähe unfehlbar das nicht minder Merkwürdige, daß der allgemeine Zweck chaotisch zerfiele.

Keineswegs darf man die »Paarung auf Dauer« rational nur als soziologisches Schutzmittel für das Kind ansehen. Darüber hinaus wirkt eben jener metaphysische Wert, welcher die Gepaarten herausnimmt und zur Persönlichkeit reift.

Und darin wiederum wächst die kulturelle Zelle, das apollinische Gesellschaftselement, das Charakterchromosom des Stammhaften, des Volkstums. Die historischen Zustände der Gattung werden geschaffen. Ehe ist Kardinalring der ideellen und reellen Sozietät. Ohne die Familienliebe, diese scheinbar selbstische, ist die Gemeinschaftsliebe nicht denkbar.

Auch selbst das Kind erhält daher, von dem geistig-sittlichen Bundeserwerb der elterlichen Zwiewesen einen wichtigen Teil seiner individuellen Einfärbung, gleichsam als zeitlichen Zuwachs des Keimerbes. (Man wird in diese Veräderung Einsicht gewinnen, wenn im späteren Verlauf die Rede vom »freien und unfreien Willen« gewesen ist.)

In diesem Kreis liegt die unvergleichliche Bedeutung der Einehe für den Nachwuchs. Jeder Angriff, auf die Monogamie gerichtet, wird da hineintretend zum Frevel.

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Man denke sich die Ehe aus unserem Zeitalter etwa ausgebrochen und getraue sich noch von einer nachfolgenden neuen Gesellschaftsbildung zu sprechen. (Auch Platon, der zuerst in seiner Politeia [notabene: nur] für die Oberklassen der Herrscher und Wächter seines Idealstaates, um der inneren Unabhängigkeit willen, Frauengemeinschaft, das ist Haushaltlosigkeit und Gütergemeinschaft vorschlug, hob nachher in den Nomoi solchen Vorschlag wieder auf.)

Das hat selbst Nietzsche, der sonstige Formfeind, gespürt, als er die Ehrfurcht forderte vor dem »Willen zu Zweien, das Eine zu schaffen, das mehr ist, als die es schufen«. Diese Forderung ist mit dem Akt der Begattung noch nicht erfüllt; wer hört den Aufruf der ganzen ungeheuren Verantwortung des berufenen Paares?

Nicht bloß der Samen, sondern die Luft und das Radium des Elternwesens bilden das Kind, die Mutter ist sein Schoß, die Familie seine Wiege, das Zusammenatmen sein Odem.

Der Begriff der Nation ist ohne den Begriff der auf die Ehe begründeten Familie nicht zu denken. Das aphroditisch-dionysische Volk würde sich degenerativ normalisieren. Das Zuchtmerkmal schwände. Das Minderwertige dränge vor.

Wo bliebe der Begriff Mutter? Mutterschaft? Dieser heiligste Grundbegriff. Diese Gewähr des Bestandes, dieses Lot des tieferen Zusammenhangs. Wenn das Weib nur noch gebären, nicht mehr hegen würde? Wenn unsere Enkel ohne das Pfund der (nur familienhaft wirkenden) Mutterliebe, ohne das Mutterbild ins Leben wüchsen? Was würde aus dem ja schon genug zerrütteten Wort »deutsches Wesen«?

Und wo bliebe das innere Erbgut der Ahnenschaft? Die Tradition, welche ja jetzt von den Neuerern als das elementare Hemmnis ihrer Heilsbotschaft zuerst untergraben wird. Wo blieben die Baustoffe der Persönlichkeit, der Individualität? Und in diesen die Wertgestalten der Gemeinschaft.

In unserer Zeit der Massentypisierung und Summierung mag (bis das religiöse Bewußtsein wieder wirkt) die Einehe wohl noch das einzige Sicherheitsmittel der lebendigen Gliederung sein. Denn ist auch das erotische Ereignis etwa nach bolschewistischem Muster »versachlicht« und zum libidinösen oder tonischen Gebrauch erniedrigt, dann hat Eros als Eidophoros ausgespielt und Hyle wuchert, die Pest.

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Gleichsam die währende geistige Zeugung geschieht in der Ehe an dem Kind. Die Vermählung des Triebes mit dem Geist wird sein Erlebnis. (Es handelt sich wieder um den freien Willen.) Und der durch den Geist gegangene Eros darf sich die Liebe nennen.

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Hier liegt auch das natürliche Gesetz der Untrennbarkeit. Letzten Schlusses so betrachtet: Der Punkt, wo das Absolute in zwei Wesen greift, sie zusammen mischend, bleibt irgendwie deren Mittelpunkt. Er läßt sich nicht wegrücken, auch wenn die Polarisierten wieder auseinanderlaufen, das heißt einen Bruch begehen.

Das »Geheimnis des Lebens«, sobald es in seinem ganzen tiefen Sinn geteilt ist, läßt sich nicht zurücknehmen. Für wen die geschlechtliche »Hochzeit« keine Entscheidung brachte, hat sie nicht erfahren in ihrem Kern. Er hat ein Surrogat, eine keimlose Droge genossen.

(Neuerdings wird das erotische Erlebnis an sich zum Individualwert gemacht, zum Motiv der geistig persönlichen Bereicherung und Selbsterlösung. Es erscheint emanzipiert vom »rückständigen, muffigen« Bezug auf die Gattung als freies, frei zu gebrauchendes Anrecht, als Kernstück der neuen Ethik. Städtische Buchläden hängen Stichproben aus, worin dem jungen Mann der möglichst vielfältige Mädchengenuß empfohlen wird zur Bereitschaft für die Ehe. Und das keusche Mädchen hinwiderum wurde etwas wie eine lächerliche Figur. Allein wer hat nicht schon die Beobachtung gemacht, daß der geschlechtliche Libertiner nahezu immer ein Hohlkopf, ein ungeistiger Bursche sei? Das erotische Erlebnis kennt keine Scheidemünze, es entscheidet über den Menschen und seinen Wert. Es animalisiert oder vergeistigt.)

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Freilich ist die Ehe ein Nest argen Mißbrauchs und böser Entartung geworden. Und selbst die rein gepflegte, bewußte wird der tragischen Spannungen in Zukunft weniger als je ledig sein, muß ein Leidensbund bleiben. Denn das Zwiegesetz bleibt, es läßt auch die innerst (von der Gnade) Gepaarten nicht zu der allem Geschöpf verwehrten Einung kommen. Diese unlösliche Spannung aber birgt eben jenen Reiz, jenen Schatz der Lebensschöpfung und gegenseitigen Formung. Aus dem tragischen Zustand ihres vereinten Zwiecharakters sind große und verehrungswürdige Menschen entstiegen. Es braucht manchmal lang, bis durch die individuellen Widerstände hindurch die wohltätige Fülle des gemeinsamen Lebens sichtbar wird. Alternd erkennt man erst, wie man zusammengehört, was man einander an Opfer und Schenkung verdankt. Wiederum kommt die Gegenvorstellung: das Band der Institution aufgelöst, dann die aus dem »freien« Zustand entwachsenen Gebilde Mann und Frau. Wie sähen diese aus? Was hätten sie als Individualität und als Gemeinwesen gewonnen? Oder verloren?

Vielleicht sah auch noch niemand in den Grund der Vielen, welche das Leben einsam läßt, zumal die übrig gebliebenen Mädchen. Was diese vor dem inneren Zerfall bewahrt, ist gewiß nur das Bluterbe, die Gefühlszehrnis aus der Familienstube, die Mutterwärme, welche das sonst dorrende Geschöpf anhalten und nähren. Das andere ist die Phantasie, die nie schwindende Einbildung eigener Ehe. Die Armen beglänzt der Abschein des Glückes, das vorübergegangen. Sie leben ein »Als ob« voll wundersamer Möglichkeiten, wie sie die Wirklichkeit nicht zu geben hat. Und wird daraus der große geistige Verzicht, dann reihen sie sich ein in jene Besitzerinnen des nach innen verwandelten Gutes.

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Man tritt in den Ring, wo man von der symbolischen Wesenheit reden muß und von der religiösen Natur der Ehe. Sie ist in ihrer tief begriffenen Form das Sinnbild für den gnadenhaften Zusammenhang des Menschen mit dem Göttlichen. Man denke sich das erhabene Geschehnis eines Familiengebets. Nur wer sie bis da hinein setzt, hat ihre ganze Fülle begriffen, und der allein greift auf die so viel erörterte Frage der »Reform«. Nicht wie man die Bande lockere, sei deren Vordersatz, sondern wie man sie wieder anknüpfe an ihre metaphysischen Ursprünge, zum Sakrament zurückbilde, zum geheiligten Schutzzeichen der Menschwerdung und des Menschengeschlechts.


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