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Vom Glauben der Liebe

Der Glaube an das lebendig gewordene Wort, das ist die Liebe, kann selber nichts anderes als lebendig, das ist liebend sein, auch wenn er institutionell an festes Bekenntnis gebunden, dogmatisch geformt ist. Durch einen Vergleich zu bedeuten: Er muß chemischer, organischer Natur sein, nicht mechanischer. Das rationale und das mystische Element, welche beide immer zu seiner Erscheinung gehören, müssen sich darin zeugend vermählen. Sein Gebilde vermag der formalen Teile, der intellektuellen Vorstellung so wenig zu entbehren, als der substanziellen Teile. Es begibt sich erhöht sinnbildlich etwas wie bei der Begattung εἰδοσ ὑλη. Es ist der metaphysische Liebesvorgang.

Die Formalie aber muß (wieder das aristotelische Prinzip) in die Substanz eingehen. Religiöse Vorstellung in religiösen Zustand. Dieser ist das Geheimnis des Glaubens, als Erlebnis des Einzelnen wie der Kirche. Nur in diesem Geheimnis darf man den Glauben der Liebe suchen, die Eingießung des Geistes. Er hat auch in den Urchristen jenes Wunder der absoluten Gefühlssonderung getan, der Auserwählung, der communio Sanctorum. Darum sprechen Evangelien und Apostelbriefe, besonders die des strahlgetroffenen Paulus, so kardinaliter vom Glauben, weil er Wesensglaube, eine Wesen verändernde Macht ist.

Beinahe etwas wie eine Stigmatisation erfuhr der neue Christ. Er wurde der Natur seines Grenzcharakters zwischen Leben und Tod enthoben und ganz dem Leben zubestimmt.

Dein Glaube hat dir geholfen! Die Sünderin war keine Sünderin mehr. Sogar die Genesungswunder geschahen daraus. Gläubig geworden erfuhr der Kranke seelische Heilung und einbeschlossen die leibliche.

*

Mit seiner Sola fides zielte Luther wohl auf diesen Binnenpunkt, machte aber dadurch, daß er die Formalie (den naturgesetzlichen Halbteil der Glaubensbildung) verwarf, einen einseitig mystischen Vorgang daraus, welchen es in der Welt der Gegenständlichkeit und Gemeinschaft, in der Ich-Du-Ding-Welt nicht geben kann. Er schuf unbewußt den Grund für die individualistische Lockerung und für die kirchliche Desorganisation. Der unheilvolle Abgrund tat sich zwischen Wittenberg und Rom auf in der Frage nach dem Primat, vielmehr nach der Alleinkraft des Glaubens gegenüber den Werken. Der Neuerer warf seine Antithese wider die »papistische Werkanbetung« und das mißbrauchte Bußinstitut weit über den Zweck hinaus. Heute wiederkommend würde er sehen, was inzwischen an dem A priori seiner Schöpfung geschehen ist. Die Sola fides zerfiel in Willkürglauben und der bezahlte Preis war die Auflösung der Auktorität, der Kirchenform, welche es wiederum in der Ich-Du-Ding-Welt ohne Formalie, das heißt ohne Objektivierung nicht gibt.

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Man kann (aus unseren Vordersätzen) mit einem Satze einfach antworten, welcher das Problem durchgreift und schlichtet: Der Glaube an die Liebe ist identisch mit dem Werk der Liebe. Eben weil er Zustand ist wie die Liebe Nichts nur Denkbares, sondern geistig substanziell Gewordenes. Dieses aber wirkt. Ohne die Werke ist der Glaube tot, nicht da, wie die Werke ohne ihn Gebärdentrug sind, ja Sünde wider den Geist. Die Werke erweisen den Glauben der Liebe.

In dieser schlichten Erkenntnis birgt sich die ganze Lehre des Meisters Eckart, zweihundert Jahre vor dem Reformator. Er, wie die nicht verderbte Grundlehre der alten Kirche wußten, daß Christglaube Christsein heiße, eben weil er nichts anderes sein kann als wesentlich, denn die Liebe durchblutet ihn.

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Diese Grundansicht kann nicht nur konfessionelles, sondern christliches Gemeingut sein. Denn sie hat ihre rationale und mystische Begründung, entspricht der Bedingnis unseres geist-stofflichen Wesens.

Freilich ist der Schluß, daß das Christentum eigentlich keine Gesetze braucht, keine Ethik, keine Moral. Es ist selber das Ideogramm des Gesetzes, ist Ethos, moralisches Wesen. Lebendiger Glaube im lebendigen Werk, Liebesglaube.

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Der Streit in Luther ward durch Paulus entfacht; dem Reformator wird darum der Ehrenname des paulinischen Christen gegeben, wie überhaupt der Protestantismus seine grundsätzliche Haltung unter das Patronat dieses Apostels stellt, und zwar im Grund eben wegen jener Kontradiktion.

Diese indes erweist sich bei dem Erzchristen, sachlich betrachtet, als eine Erscheinung zeitbedingter psychologischer Art. Die rein metaphysische Wesenstrennung zwischen Glauben und Werk lag an sich nicht in seiner Absicht noch im Gedankensinn.

Die dualistische Scheidung vollzog dann wirklich erst der Protestantismus. Ursprünglich war die Streitlage so: Indem gewesenen »Israeliter« Paulus trat noch heftiger als in den Andern die Macht jener gewaltigen Ausscheidung des Christbewußtseins auf. Das Glaubenswunder brachte bei ihm die grundsätzlichste Front gegen das Alte. Wider dieses verlangte der neue Glaube nach pathetischer Überbetonung, nach autonomer Geltung. Die Front richtete sich naturgemäß gegen das, was im damaligen Judentum als überbetont erschien, gegen den pharisäischen Gesetzeszwang, den äußeren Werkdienst. Diesen meinte Paulus, wenn er die »Werke« befehdete und als durch die unverdiente Gnade des Glaubens überwunden zeigte. Keineswegs aber, was er selber leidenschaftlich predigte, das aus solcher Gnade stammende Neuwerk der Christengemeinde. Denn dies eben ist Eins mit dem Glauben.

»Nun aber sind wir vom Gesetz los und ihm abgestorben, das uns gefangen hielt, also daß wir dienen sollen dem neuen Wesen des Geistes, und nicht im alten Wesen des Buchstabens.«

Paulus kämpfte sich in sich selber aus dem Judentum heraus, er schabte dieses gleichsam von sich ab. Auch Jahwe, der Selbsteigene, wechselte um, seine Bedeutung wurde mit Christus so eng verknüpft, ja in ihm bedingt, daß alles Licht auf diesen sich sammelte, als die Liebe des Vaters. Die radikalste Folgerung der Entjudung zog später Marcion, den Erlösergott dem Schöpfergott gegenüberstellend. Die Überwindung des Gottes der Gerechtigkeit durch den Gott der Liebe wurde ihm Erlösung. Mit dieser Lehre gründete er eine eigene »paulinische Kirche«.

Und Paulus kämpfte sich so aus dem Judentum zum Apostel derer »mit der Vorhaut« durch. Zu diesem Zweck isolierte er in jener unübersteiglichen Weise das Reich des Geistes und der christlichen Freiheit. Κυριος Χριστος ward sein Inbegriff und sein Fanal, der HERR CHRISTUS.

Keine Schrift der Welt macht heute noch den Leser so zum inneren Teilhaber einer Seelenschlacht und eines Sieges. Man wird aufgewühlt, erschüttert, zerrissen, gefügt. Wiederum ist's wie ein Schiffbruch und eine Rettung auf neues Land. Grünte nicht damals um die geheiligte, enthobene Schar auch das Gras anders? Begnadigung nicht Verdienst, hat sie herausgestellt aus jüdischer und heidengötzischer Umwelt. Solchem Gefühlszustand entwuchsen die harten Scheidewände gegen die Nichterwählten, Gnadelosen. Kein Religionsprediger ist unduldsamerer Natur gewesen. (Und doch suchte der Liturg Christi die Draußengebliebenen auf in aller Welt, um sie in den Gnadenkreis zu bringen, suchte sie bis in den eigenen Blutzeugentod,) Die Vorform der Prädestination und der zwei Feindeswelten Geist-Fleisch war gebildet. Das ganze tiefe Schauspiel der Christwerdung erleben wir in der Überwindung des Saulus durch den Paulus, mit allen wesentlichen Antinomien, welche durch zweitausend Jahre das Christentum in sich auszutragen hatte. (Die Bezweifler der Geschichtlichkeit Jesu haben ihre Haut noch nie von dem Wort dieses Lebendigen anwehen lassen, sonst hätten sie den nahen vollen Atem Dessen verspürt, Dem er diente, und wären mit niedergestürzt zu Damaskus.)

Der Krieg zwischen Glaube und Werk ging also in dem Apostel um Anderes als in der späteren Lehre von der Rechtfertigung, deren nicht gelungene (und doch an sich schlichte) Klärung so viele Kräfte christlichen Denkens verzehrt hat.

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In die Bewertung der apostolischen Kraftelemente kam einseitiges Gewicht. Der wundersam wesenhafte Brief des Jakobus wurde in ein Nebenfach gesteckt, verachtet. Man ward um ihn verlegen, weil er scheinbar den Paulusbriefen widersprach. Nur scheinbar, denn der Widerspruch ergab sich erst in der lutherischen Deutung. Vielmehr ist dieses Schreiben das ergänzende Stück, wenn man in die Gemeine der ersten Christen Einblick erhalten will.

»Seid aber Täter des Worts und nicht Hörer allein, dadurch ihr euch selbst betrüget. Denn so jemand ist ein Hörer des Worts und nicht ein Täter, der ist gleich einem Menschen, der sein leiblich Angesicht im Spiegel beschauet … Denn nachdem er sich beschauet hat, gehet er davon und vergisset von Stund an, wie er gestaltet war.«

Das Gleichnis erhellt das Problem; und löst sich sichtbar, greifbar in dem Satz:

»Denn gleichwie der Leib ohne Geist tot ist, also auch der Glaube ohne Werke ist tot.«

*

Oder warum ging man um Johannes herum, in welchem die metaphysische Fülle des Evangeliums quillt, mit dem wir alle gleich dem Jünger an die Brust des Herrn gelegt werden. Auch die historische Kritik hat, vielleicht ob seiner geistigen Sublimierung, seine Gestalt mit den meisten Fragezeichen umstellt. Der Weg wurde auch hier eingeschlagen, ihn dadurch zu zersetzen, daß man ihm außerchristliche »mythologie-geschichtliche« Zuflüsse einmischte. Allein es gilt gleichfalls da: Die Begleitzeichen sind keineswegs Gegenzeichen, jedes große geistige Geschehnis wird gleichnishaft umwittert. Oder man schreibt dem Evangelisten die Übernahme späthellenischer Elemente zu, insbesondere ob seines ersten Kapitels: »Licht« und »Leben«. Wenn die religiöse und philosophische Umwelt mit den Begriffen schwanger ging, so wurden diese in seiner Deutung erst geboren, und derart wesenhaft, daß man das Wesen des Christentums ohne sie nicht mehr denken kann.

Und der »Logos« wurde schlechthin das Mysterium, der geistige Leib der christlichen Kirche. Ihr sinnhafter Sinn. Er gibt ihr die sakrale, mythische Luft, nicht etwa nur ein kryptognostisches Schmuggelstück.

Denn die johanneischen Schriften haben den Logos in sich und etwas wie das Verklärungselement der Erscheinung Christi, die Durchleuchtungslampe für dessen Verbindung mit dem »Vater«. Die Abschiedsreden Jesu sind das unausdenkbar schönste Gefäß der Liebesverkündung, und Johannes, der Epistelschreiber, hat die Stelle Matthäus 22 in ihren inwendigen Zusammenhang gesetzt, ihr das innerste Motiv gegeben:

»Und das ist die Verkündigung, die wir von Ihm gehört haben und euch verkündigen, daß Gott Licht ist, und in Ihm ist keine Finsternis.«

»So wir im Licht wandeln, wie er im Licht ist, so haben wir Gemeinschaft untereinander, und das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, machet uns rein von aller Sünde.«

»Sehet welch eine Liebe hat uns der Vater erzeiget, daß wir Gottes Kinder sind.«

»Wir wissen, daß wir aus dem Tode ins Leben kommen sind, denn wir lieben die Brüder. Wer den Bruder nicht liebet, der bleibet im Tode.«

»Ihr Lieben lasset uns untereinander lieb haben, denn die Liebe ist von Gott.«

»Darin ist erschienen die Liebe Gottes gegen uns, daß Gott seinen eingeborenen Sohn gesandt hat, daß wir durch ihn leben sollen.«

»Ihr Lieben, hat uns Gott also geliebet, so sollen wir uns auch untereinander lieben.«

Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott und Gott in ihm.«

»Lasset uns ihn lieben, denn er hat uns erst geliebt.«

»Und dies Gebot haben wir von ihm, daß wer Gott liebet, daß er auch seinen Bruder liebe.«

Die christliche Grundformel steht gefügt: Gott ist die Liebe: darum, darin und daraus ist die Liebe des Nächsten. Dieser ist in der Kindschaft der Gottesliebe nun Bruder geworden. Also Verwandter in der Gemeinschaft des Geistes, in der Erlösung und Heiligung.

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Empfände man nicht das ehrfürchtige Bedürfnis, die gnadenhafte Einheit des paulinischen und johanneischen Christentums zu betonen, so getraute man sich zu sagen, dieses sei die spendende, die lebendig gewordene Hälfte.

Allein auch Paulus überzweigt seine Zwiespälte mit den gleichen Früchten. In der Synthese, ihm wie dem Andern ist die Liebe der Glaube und das Werk.

»Seid niemand nichts schuldig, denn daß ihr euch untereinander liebet, denn wer den andern liebet, hat das Gesetz erfüllet … Denn das da gesagt ist: ›Du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsches Zeugnis geben; dich soll nichts gelüsten‹; und so ein anderes Gebot mehr ist, das wird in diesem Wort zusammengefasset: ›Du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst.‹ … Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung

»Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, die Liebe aber ist die größte unter ihnen.«

Jetzt tritt der Glaube zurück, geborgen in der Liebe.

»Und hätte allen Glauben, also daß ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts.«

Die transzendente Liebe ist immanent geworden. Das Wunder des tiefsten Widerspruchs haben wir hinzunehmen. Die Hinnahme gibt uns das Vertrauen des Christenglaubens. Die Überwindung des an sich unlösbaren Paradoxons führt uns in das Mysterium der Lösung.

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(Wir haben versucht, in der Natur den Widerspruch aus dem Drang nach Einung zu erkennen, ein panerotisches Grundgesetz des Kosmos; wir haben im natürlichen Menschenwesen den Zug zum Selbstsein und den Zug zur Gemeinschaft gesehen und entdeckt, daß in einer übergeordneten Bindung jeder zu seiner und beide miteinander zu ihrer Befriedigung kommen. Wir haben gefunden, daß das Mittel der Bindung in der Natur wie im natürlichen Menschenwesen ein geistiges sein müsse im geist-stofflichen Prozeß. Wir haben demütig den Schluß gewagt, daß die Formgesetze der Welt von geistiger Ur-Sache ausgehen und auf geistiges Ziel eingestellt sein müssen, daß es die Schöpfung eines geistigen Wesens sei. Wir sind von dem panerotischen Grundgesetz aus an Hand der analogia entis auf ein geist-erotisches Gesetz geführt worden, dies ist jenes immanente Verhältnis des transzendenten Schöpfers zum Geschöpf, welches wir Liebe nennen, welches uns als Einwesen in das Gemeinwesen bindet und mit diesem zusammen dem Geistwesen anknüpft. Und da das Gesetz sich für den Glauben in der Religio als Liebe geoffenbart, ist der Kreis unserer inneren und äußeren Weltgestaltung geschlossen. Er ist lückenlos.)

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Der Glaube an die Liebe trägt keine Verwischung der gott-geschöpflichen Grenze in sich. Er hegt vielleicht eine tiefere Demut und Ehrfurcht vor der Majestät der begnadenden Gottheit, als der Glaube an den unnahbaren ganz Anderen. Daß wir in der abgründigen Verschiedenheit unseres Zeitwesens doch eine Gleichungsstelle mit dem ewigen Wesen haben, welche in uns Unruhige dessen Ruhe einfließen läßt, das macht die Gottheit keineswegs schrumpfen, sondern füllt mit einem herrlicheren Geheimnis, als der absolut leere Raum der metaphysischen Sterilität. Die Klarheit der zeitlosen Metaphysik ist darum nicht vergänglich durchdunstet, weil sie das Vergängliche durchscheint, das heißt wiederum zur Liebe wird.

Nur das Reine kommt ins Eine, nur das Geklärte in die Klarheit. Was seine innere Gleichung gefunden hat, kann sich dem Ausgeglichenen angleichen.

Das Gesetz der Liebe ist zugleich das Gesetz der Reinheit. Es wird sich im stofflich bedingten Sein nicht ganz erfüllen, so wenig wie jenes. Denn es wäre die irdisch unmögliche Harmonisierung. Wir sind Sünder von Natur, das heißt wiederum in Gesetzparallele: mit dem Zerfallstoff des Geschöpfwesens Belastete. Der Apostel hat recht:

»So finde ich mir nun ein Gesetz, der ich will das Gute tun, daß mir das Böse anhanget … Denn ich habe Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen. … Ich sehe aber ein ander Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüte, und nimmt mich gefangen in der Sünde Gesetz, welches ist in meinen Gliedern.«

Auch der begnadete Mensch bleibt geist-stofflich. Und die Erbsünde ist Aller Teil. Daß der Christ durch die Taufe, die Waschung, in die Gemeinschaft aufgenommen wird, erscheint wahrhaft als geweihtes Natursymbol.

Allein Sünde wird erst metaphysisch wirklich, in der wissentlichen Scheidung, unterm Baum der »Erkenntnis«, im freien Halbteil des Willens. Und Pauli Tiefsinn lotet bis zum Grund, daß »Gesetz und Sünde ineinander bedingt sind«.

Er strebt, noch unklaren Wortes, den innersten Rätseln zu. Wie der Glaube ein Zustand sein muß, weil er der Glaube an die Liebe ist, so muß auch die Reinheit ein Zustand sein, weil sie der Boden für die Liebe ist, für die Einung.

Wir finden so auch aus dem Negativen Anschluß an den positiven Pol.

Die zuständliche Reinheit des Wesens ist demnach auch Voraussetzung für die Reinheit des Werkes.

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(Hier sitzt gewiß das Motiv für die katholische Form der Buße. Sie sucht immer gleichsam wieder das Gottesgesetz des inwendigen [geistigen] Menschen hervor aus dem Schutt des stofflichen Gliedermenschen, des Sündengesetzes. Die Restitutio in integrum ist wahrhaft ihr Sinn, die Rückversetzung in den Zustand der Reinheit, worin der Weg zur Einung offen ist, auch die Rückversetzung in den lebendigen Glauben, die lebendige Liebe und das lebendige Werk, welche identisch sind. Nur auf dem Weg »corruptio optimi pessima«, daß Verderbnis des Besten schlimmste Verderbnis sei, hat afterklerikaler Mißbrauch des Beichtbetriebes den tiefen Sinn an die Oberfläche geschwemmt, auf welcher er Luther und dem Protestantismus zum Erzärgernis wurde. An sich aber ist gerade dieses Sakrament Symbol reinst spiritualen Vorgangs, nämlich: das Gegenwesentliche in der Seele auszuschalten und dem Wesentlichen Platz zu machen. Der höchste innere Akt des Bußgeschehnisses ist die Erweckung der vollkommenen Reue, welche bedeutet nicht etwa das Bedauern, daß der Sünde die Strafe folge, sondern daß das höchste Gut beleidigt, die göttliche Liebesordnung gestört sei. Also der äußerst selbstlose Akt, der an sich schon über Sündenvergebung und Erlösung hinausgeht in die restlose Hingabe, das religiöse Destillat. Es ist das, was ganz eigentlich den Begriff des katholischen »Heiligen« webt und wirkt. Auch sonst geht die landläufige Beschuldigung fehl, der Katholizismus verstoffliche, verirdische die religiösen Prinzipien; im Gegenteil er drängt nach einer grenzgefährlichen, nahezu mit dem sacrificium intellectus belastenden Spiritualisation, wie etwa an der dogmatischen Entsinnlichung Mariens zu ersehen ist, oder an der Metaphysik des eucharistischen Geheimnisses, oder am nizänischen Glaubenssatz von der gottmenschlichen Zwienatur Christi, welcher ja doch nur aus der begründeten Sorge sich ergab, das Gotteswesen werde pantheistisch oder monistisch [um mit heutigem Begriff zu reden] aus seiner Aseität, seinem Selbstsein herabgezogen, anthropomorph eingemischt, seiner Transzendenz beraubt. Die römische Kirche krankt eher an einer Überidealisierung als an einer Verstofflichung. Ja selbst ihr kultischer und liturgischer sogenannter »Prunk« ist keineswegs Augen bindender Stimmungszauber, sondern der [an sich allerdings menschliche] Drang, dem höchsten esotherischen Ereignis das kostbarste Gleichnis zu unterstellen. Die Drei aus dem Morgenland brachten Gold, Weihrauch und Myrrhe in den Stall zu Bethlehem und Jesus ließ sich die Füße salben mit teurer Salbe, deren Erlös nach seiner Versucher Meinung den Armen gehören sollte. Aus der ärmsten Bauerngemeinde wird der goldene Kelch emporgehoben. [Solche Einflechtungen haben keineswegs konfessionell apologetischen Zweck, denn mancherlei dieses Buches wird anderseits Widerstände von starrkatholischer Observanz aus finden. Sie sollen, o, so notwendigen Dienst ökumenischen Verständnisses tun und festgehocktes Vorurteil lockern: die römische Kirche für eine verweltlichte, werkgesetzliche »Anstalt« zu halten, deren Existenz und Geltung ihr selber das Mittel- und Hauptstück der ganzen Erlösungslehre sei. Freilich darf hinwiederum nicht verschwiegen werden, daß das teilweis im römischen Priestertum mitherrschende institutionelle Selbstbewußtsein eine dauernde Gefahr für die innere Reinheit des eigenen Wesens bildet, und für die Brücken zur Weltkirche; wie daraus auch vielfach der Zug nach jener negativen Sündenbewertung kommt anstatt nach der positiven Gnadenbetonung. Allein diese magische Kirche, welche scheinbar die meisten, schärfsten Paradoxe in ihrer naturgemäß transzendent-immanenten Gestalt beherbergt, leitet schließlich alles durcheinander laufende Geäder unbegreifbar in einen Körper, in ihren Inbegriff des Leibes Christi. Ihr so zeitlich sich zeigendes Bild steht in seiner subjektiv-objektiven Substanz doch letzthin ganz kanonisch unter der Klarheit der reinen zeitlosen Metaphysik, welcher etwas anderes ist als die historische des protestantischen Gesichtskreises. Es ist das schwerste und das einfachste christliche Lebensproblem, Katholik zu sein.] Zu der Kritik der Ohrenbeichte sei beiläufig bemerkbar, daß diese in neuer Zeit verweltlicht durch die Psychoanalyse ausgeübt wird, von Ärzten und Halbärzten an Stelle des priesterlichen Beichtvaters. In solcher Überleitung findet die öffentliche Meinung nichts Bedenkliches, selbst wenn der Eingriff noch tiefer bis in die labile Welt des Unterbewußten geht, wo ein Fehlgriff alles verderben kann, und obgleich die Bewegung teilweise jene leibseelische Einheit im monistischen Sinn ihren an sich ernsten Methoden unterlegt.)

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Das Christentum als Erlebnis erzeugt gleichsam einen ethischen Monismus, welcher auf die wesentliche Bereitschaft, Offenheit, Ausräumung gegenüber der evangelischen Gnade hinzielt. Das ist wiederum: es bewirkt den Zustand der Reinheit.

Was an Einzelgebot und Verbot innerhalb der Gemeinschaft nötig ist, hat eben nur den Sinn eines Mittels, diesen Zustand zu erhalten und zu verwesentlichen, ihn zum selbstverständlichen Grund zu machen. Sie müssen freilich um die Werke gehen, um den Ausdruck des Wesens, sind gleichsam die sinnhaften Probiersteine und Reagenzien, der äußere Pegel des Inneren. Sind letzthin Formalien; und das christliche Sittengesetz darf weniger als ein anderes Selbstzweck haben.

Aber doch vertieft sich das Problem. Da Sünde wie gute Handlung Kinder des freien Willensentscheides sind, tragen sie dennoch die eine ihre Verantwortung, die andere (das Wort sei gewagt!) ihr Verdienst in sich. Ein schon bei der Betrachtung eben des freien Willens ausgesprochener Gedanke muß hier wiederholt werden. Unsere Werke machen unseren angeborenen Charakter zum erworbenen Charakter. Dieser ist nicht nur Schößling sondern auch Zögling, macht einen Werdegang mit, nimmt teil an der creatio continua unseres Individuums. Die physische und metaphysische Summe der Taten färbt unsere Grundmasse nach und nach ein, sie sinkt ins Unbewußte und bestimmt dieses mit.

So hat die christliche Ethik an sich nur normativen, in sich aber mitbildenden Wert für das christliche Ethos, um welches allein das »Gesetz« als Mittel zum Zweck rechtens besteht. Und der Zweck heiligt wirklich das Mittel. Nicht Jesus noch seine Jünger haben die Mosestafeln zertrümmert und die zehn Gebote aufgehoben, sondern haben diese im übergeordneten Gebot der Liebe erfüllend geeint.

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Aus reinem christlichen Wesen wächst die reine Tugend, das ist die Frucht des Glaubens: die Darbietung des Menschen an die Liebe. Diese kann auch nur lebendig, als Werk erscheinen, während sie selber gleichfalls Zustand bedeutet.

Die reine Tugend wirkt gemäß dem Wort Eckarts »sunder Warumbe«, ohne die Frage nach dem Wozu? Sie ist selbstlos, dient aber darum erst ganz dem Selbst. Sie möchte beispielhaft zu vergleichen sein mit dem, was man humanistische Bildung heißt, worein alles Wissen ohne Eigenwert eingeht, um eben den humanistischen Menschen zu bilden.

»Das Höchste, wozu der Geist es bringen kann in diesem Leibe, ist, daß er wohne in einem Zustande oberhalb aller Notdurft der Tugenden, wo der Seele alle Güte so zur Natur geworden ist, daß Tugenden, wenn auch ungeübt, im voraus aus ihr leuchten: wo die Tugend zu ihrem Wesen gehört. Dann erst ist die Seele hindurchgegangen und hinausgegangen über alle Tugenden und ist hingelangt zu ihrem Ziele: zur Eingießung des heiligen Geistes.«

In diesem Satz äußert sich nicht der »Mystiker«, wie man den Meister des geistlichen Wortes keineswegs richtig benennt, sondern der metaphysische Durchdenker der Zusammenhänge. Man könnte, um von anderer Seite zu beleuchten, dies Tugendbild auch das benediktinische Ideal nennen, welches das stille Gedeihen des Guten hegt und die Liebe Gottes als das ruhig Waltende betrachtet.

Diese reine Tugend suchte weiterhin der ganze philosophische Gedankenweg des Sokrates. Allein dieser nicht pneumatisch noch charismatisch Bewegte kam nur an die Schwelle, denn er umlief noch ihr »Warumbe«, ihre Zwecke und Gründe. Er mühte sich, sie luzid, durchsichtig zu machen von ihrem eigenen Licht, φρονησος und λογος werden die Ideogramme, Wissen und Weisheit natürliche Mütter. Wer das Schöne und Gute erlernt, geistig erfahren hat, weiß, tut Schönes und Gutes, weil er seinen Wert kennt. Die Weisen, bei denen das Wissen Wesen geworden, tun beides von selber. Es ist nur noch ein Tritt in unseren Bereich. Und Platon war des Sokrates Mund. Der reif gewordene Schüler sieht dann im »Theaitetos« die reine Tugend als Angleichung an Gott. Der Tritt ist getan.

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Freilich (noch einmal gesagt) muß auch diese reine Tugend sichtbar werden und sich selber in ihrer Äußerung erhalten. Sie bedarf der Pflege und des Widerwirkens gegen die fleischgesetzlich bedingte Abbröckelung, die Sünde, welche unserer Natur innewohnt. Sie ist kein Zustand der Trägheit, wiederum weil sie der Liebe ist.

Und freilich (wiederholt) braucht sie hinwieder die hereinkommende Gnade, weil sie eben nichts ist als eine wesentlich gewordene Bereitschaft, aus sich die tugendhafte Handlung zu erwarten, zur Weckung in sich keimhaft zu machen. Darum kann ja die abstrakte Philosophie (und selbst die materialistische und positivistische Philosophie ist abstrakt) keine ethische Lehre verwirklichen, sondern dies kann nur die Religion. Allerdings vollzieht auch der »alleinwirkende Gott« der protestantischen Auffassung nicht das Wunder des Werkes, sondern der Mensch muß sich jene Bereitschaft mit erwerben, was wiederum im Zirkel der lebendigen Handlung geschieht. Gott und Mensch müssen in der subjektivobjektiven Welt zusammenwirken. Die platonische, schon wesenschristliche Angleichung des Geschöpfes an den Schöpfer löst das Rätsel des bipolaren Vorgangs.

Die Einsicht darein gibt uns das Gefühl der tiefst gebeugten Demut, das Wunderbegebnis des Widerspruchs, daß der unübersteigbare Abstand zwischen jenen beiden zugleich der magnetische Kraftraum der alles überwirkenden Liebe ist.

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Nur das Eine kommt ins Reine, nur das Geklärte in die Klarheit. Aus diesem Grundsatz ist die indische Lehre der Wiederverkörperung sinnvoll abzuleiten. Doch besteht der Unterschied, der Gläubige Buddhas reinigt und klärt sich in die Erlöschung, der Gläubige Christi in das Innesein, in die Erlösung.

Die pessimistische Lehre wurde in der Kirche zu der hoffnunggebenden des Purgatoriums, in dessen Schicksal noch das Gebet der Lebenden eingreifen kann. Wer wagt (den Innenzusammenhang dieser und der Toten durchdenkend) zu sagen, das sei Aberglaube? Die Reformation hat sich durch nahezu restlose Tilgung auch dieser Vorstellung ein tiefmagisches Stück der christlichen Gemeinschaft ausgebrochen. Und welch ein Pfund der frommen Pietät schwand damit?

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Und die Hoffnung ist nicht ganz erloschen. Man wagt es, ohne den Zorn aller Gerichts-Gerechten zu wecken, kaum zu sagen: Am Ende der Enden wird die reine Liebe walten und Alles rein sein durch deren Gnade? In der katholischen Kosmologie steckt scheinbar nebensächlich die mysteriöse Ankündigung der ἀπoϰαταστασις παντων, der Wiederherstellung aller Dinge. Vermöchte nicht einmal eine gütig, zum Gottesherzen gewendete auctoritative Auslegung dieses furchtbar fehlende Schlußstück der vollkommenen Liebeslehre in den harrenden Blick der Gläubigen vorschieben? Und damit das grausam umschattete Bild des heiligen Augustin ganz in das Licht rücken, welches sein Herz so leidenschaftlich und hoch suchte? (Der Seelenmacht der christlichen Ethik wäre nichts genommen, sondern auch das letzte der Fülle gegeben. Die Verantwortung des Sünders wüchse.)

Christus liebte die Sünder und starb zwischen zwei Schachern. Das ist Zeichen. Und sein Gebot erging:

»Liebet eure Feinde, tuet Gutes denen, die euch hassen!«

Die Liebe saugt die Feindschaft gleichsam auf und den Haß. Beide sind nicht für sie da, weil sie kein Zwiespalt mehr ist, sondern die Einheit.

»Vater vergib ihnen!«

Das ist sein letzter Wille.

Denn im Reich, beim Vater wird Harmonie. Die Polarität der geist-stofflichen Unzulänglichkeit hebt sich auf im Geist der Liebe.

Der Tod erhält in diesem Schein sein Gesicht. Das Gesetz des Zerfalls waltet nicht mehr. Darum schwindet auch das Leid.

»Gott wird sein alles in allem.«


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