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Dreizehntes Kapitel.

Liudprand.

Ist Flodoard als Historiker durch die Objectivität und die urkundliche Begründung der Erzählung bedeutend, so sind es drei andre berühmte Geschichtschreiber dieser Epoche durch die eigenthümliche, mehr oder weniger subjective Behandlung der Zeitgeschichte in einer freieren Form als der der Annalen. In ihrer Subjectivität erscheinen sie aber, was nicht wenig das literarische Interesse an ihren Werken erhöht, als Vertreter der drei wichtigsten, die Geschichte des Abendlands damals bestimmenden Nationen: ich meine den Italiener Liudprand, den Sachsen Widukind und den Franzosen Richer.

Liudprand, Liudprandi episcopi Cremonensis opera omnia. In usum scholar. ex monum. German. historicis recusa. Ed. altera. Recogn. Dümmler. Hannover 1877 (Praef). – – Köpke, De vita et scriptis Liudprandi. Berlin 1842. – Dändliker und Müller, Liudprand von Cremona und seine Quellen. Leipzig 1871 (1. Bd. von Budingers Untersuchungen zur mittlern Geschichte). Vgl. dazu: Dümmler, Zu Liudprand von Cremona in: Histor. Zeitschr. Bd. 26, S. 273 ff. – Maurenbrecher a. a. O. S. 46 ff. – Wattenbach, Deutschl. Geschichtsquellen Bd. I, S. 391 ff. wie schon dieser Name bekundet, von langobardischer Herkunft, gehörte offenbar einer angesehenen Familie 415 Oberitaliens an: sein Vater wurde, wie Liudprand selbst erzählt, vom König Hugo im Jahr 927 an den Kaiser von Byzanz Romanos als Gesandter geschickt und von diesem mit hohen Ehren aufgenommen. Liudprand, von dessen Geburtsort und Jahr wir nichts bestimmtes wissen, war damals ein kleines Kind. Als der Vater kurz nach der Rückkehr starb, fand der verwaiste Knabe einen fürsorglichen Stiefvater in einem »sehr würdigen und weisen« Mann, der auch bei dem König im Ansehen stand, wie er denn von diesem auch mit einer Sendung nach Byzanz betraut wurde. So konnte der junge Liudprand leicht am Hofe von Pavia Aufnahme finden, zumal er durch seine schöne Stimme dem die Musik liebenden König Hugo sich besonders empfahl (931). Trotz dieser höfischen Erziehung, deren Einfluss Liudprand als Mensch wie als Schriftsteller nicht verleugnet, trat er in den geistlichen Stand ein und wurde Diacon der Kirche von Pavia. Die Schule, die er am Hofe durchgemacht, befähigte ihn aber zu der staatsmännischen und diplomatischen Laufbahn, die er unter Hugo's Nachfolger, Berengar begann. Er erhielt eine Stelle in der geheimen Kanzlei desselben und wurde im Jahre 949 als Gesandter nach Byzanz geschickt, wo er seine Kenntniss der griechischen Sprache sich aneignete, die er in seinen Werken so gern sehen lässt. Nach seiner Rückkehr zerfiel er aber mit seinem Herrn, man weiss nicht weshalb, und musste das Vaterland meiden.

So erscheint er 956 an dem Hofe Otto's des Grossen, wo er mit dem Gesandten Abderrahmans, dem Bischof von Elvira Recemund Freundschaft schloss, auf dessen Anregung er sein Hauptwerk, die Antapodosis, allerdings erst zwei Jahre später zu schreiben unternahm. Erst der siegreiche Römerzug Otto's 961 führte Liudprand nach Italien zurück, wo er durch die Gunst desselben das Bisthum Cremona empfing. Er leistete ihm auch wesentliche Dienste: so schon 963 als Gesandter an den Papst Johannes XII. wie als Dolmetscher auf der Synode von Rom. Auch in den folgenden Jahren wirkte er auf solchen Sendungen wie auf Synoden bei der Ordnung der kirchlichen Verhältnisse in Italien mit. S. die Einzelheiten in Dümmlers Praefatio pag. VII ff. Im Frühjahr 968 aber wurde er als Botschafter Otto's nach Konstantinopel geschickt, um bei dem Kaiser Nicephorus um die Hand der spätern Gemahlin Otto's II., 416 Theophanu zu werben, welche erfolglose Sendung er in seiner an die beiden Ottonen gerichteten Relatio beschrieben hat. Vielleicht wurde ihm noch die Genugthuung im Jahre 971 zugleich mit dem Erzbischof Gero von Köln die Braut Otto's II. von Byzanz abzuholen, nachdem nach dem Sturze des Nicephorus dessen Nachfolger Johannes die Einwilligung zu der Heirath gegeben. Im Anfang des folgenden Jahres scheint Liudprand gestorben zu sein. Die letzte sichere Nachricht von ihm ist aus dem Frühjahr 970.

Das bedeutendste seiner Werke ist die Antapodosis, in welcher er gemäss der Aufforderung des Recemund petitionem tuam, qua totius Europae me imperatorum regumque facta sicut is, qui non auditu dubius, sed visione certus, ponere compellebas. l. l, c. 1. Dass die Geschichte der Gegenwart das Ziel ist, zeigt der Satz sicut is etc. zur Genüge an. es unternimmt, die Geschichte Europa's, und zwar vom Jahre 888 an bis auf die Gegenwart zu erzählen. Er hat aber das Werk nicht vollendet, welches mitten im sechsten Buche in der Erzählung von den eignen Erlebnissen bei seiner ersten byzantinischen Gesandtschaftsreise im Jahre 950 abbricht. In seiner Zuschrift an Recemund im Eingang des dritten Buchs erklärt er den, wie er selbst bemerkt, wunderlichen Titel, welchen er lateinisch durch retributio wiedergibt. Das Werk soll nämlich seinen Feinden, namentlich Berengar und dessen Gemahlin Willa, einer zweiten Jesabel, und ebenso seinen Freunden das, was sie ihm erwiesen haben, vergelten. Aber es hat ihn doch viel mehr noch als diese persönliche Absicht, die er auch nur in den letzten Büchern verfolgen konnte, eine höhere geleitet, welche er bereits im ersten Kapitel des ersten Buchs anzeigt: es ist die Vergeltung Gottes, der Gedanke, dass die Weltgeschichte das Weltgericht ist, die strafende und belohnende Gerechtigkeit des Allmächtigen, welche er nachweisen will. Um klar zu zeigen was er meint, Ut autem evidens ex innumeris subdatur exemplum, me tacente loquetur opidum vocabulo Fraxinetum etc. erzählt er dort als Beispiel die Eroberung von Fraxinetum im Jahre 888 durch eine Handvoll Sarazenen, welche nur in Folge der aus gegenseitigem Neid entsprungenen Zwietracht der Landeseinwohner, die sogar diese Sarazenen, ihren Nächsten zu verderben, zu Hülfe nahmen, sich dort festsetzen konnten. Das Unheil, das 417 sie dann über das Land brachten, erscheint also als eine gerechte Strafe für dessen Bewohner. In einer solchen Betrachtung der Geschichte suchte Liudprand einen Trost, als er sein Werk in dem Exil unternahm, das er um so schwerer ertrug, je grösser die Hoffnungen gewesen sein mussten, die der glänzende Anfang seiner staatsmännischen Laufbahn in dem Vaterlande in ihm erweckt haben mochte. Er verglich sich offenbar mit Boëtius, an dessen Werk, die Consolatio philosophiae, das seinige formell so oft erinnert und das er auch sogleich in den ersten Zeilen erwähnt; Liudprands Trost war auch die Philosophie, aber die der Geschichte. Dass die Welt nicht durch Zufall geführt, sondern durch Gott gelenkt werde: das ist ja auch der erste Trost, auf den die Philosophie selbst Boëtius hinweist. S. oben Bd. I, S. 467, cf. De consol. philos. l. l, pr. 6. Liudprand kann den seinigen wohl hier geschöpft haben. Eine solche geschichtsphilosophische Betrachtung entsprach auch der universalhistorischen Aufgabe, die ihm sein Freund Recemund gestellt hatte, welche freilich von ihm nur unvollständig ausgeführt wurde. Wie er sich selbst wohl bewusst war, wenn er in dem dem Werke vorangesetzten Titel statt totius Europae sagt: partis Europae; der Titel zeigt auch noch eine kleine Abweichung von der oben S. 416, Anmerk. 2, gegebenen Form, er lautet: liber antapodoseos, retributionis, regum atque principum partis Europae. Die im Eingang des dritten Buchs von ihm angezeigte persönliche Genugthuung, die er sich dabei versprach, ist doch als eine der höheren Absicht untergeordnete Tendenz zu betrachten, die sich bei einer subjectiven Ausführung jener von selbst ergab. Sie lag in jener von vornherein möchte man sagen latent enthalten, aber sie war es als solche doch nicht – mochte Liudprand auch den Titel des Werks später, so wie er that, erklären – die ihn zur Abfassung desselben direct bestimmt hatte. Um seine Feinde an den Pranger zu stellen, hätte er nicht auch die Geschichte eines halben Jahrhunderts vor ihrer Zeit erzählt.

Der Gang der Erzählung, die Gliederung des Stoffes ist nun die folgende. Nach der Einleitung, zu der, wie oben bemerkt, die Erzählung von der Eroberung von Fraxinetum durch die Sarazenen noch gehört, beginnt der Verfasser seine europäische Geschichte c. 5 mit der Aufführung der Herrscher von Byzanz, des deutschen Reichs und von Italien zu eben 418 derselben Zeit, also im Jahre 888: es sind Leo Porphyrogenitus, Arnolf und die um die Krone Italiens kämpfenden Berengar und Wido. »Was unter einem jeden von diesen geschehen ist«, will nun Liudprand möglichst in der Kürze erzählen. Dieser Erzählung ist denn das erste Buch gewidmet, das bis 899 – dem Tod Arnolfs – geht. Der Verfasser berichtet aber immer nur einzelne Begebenheiten in einzelnen Kapiteln: von einer umfassenden, Vollständigkeit selbst nur beabsichtigenden, in ununterbrochenem Zusammenhang sich bewegenden Geschichte ist nicht die Rede: nicht bloss die Schranken seines Interesses, sondern auch seiner Kenntniss der Begebenheiten erlaubten eine solche dem Autor nicht. So wird hier Westfrancien fast durchaus ignorirt; dagegen tritt Italien ganz in den Vordergrund, denn auch die Geschichte Arnolfs, soweit sie Liudprand erzählt, bewegt sich grösstentheils auf seinem Boden – sein Römerzug – oder hat zu ihm eine wenn nicht directe, so doch indirecte Beziehung. Letzteres ist z. B. der Fall (c. 13) bei der Erzählung von dem Bündniss Arnolfs mit den Ungarn gegen Centebald von Mähren, zu welchem Zweck Arnolf die »Klausen«, welche sie einschlossen, interpositiones, quas clusas nominat vulgus. c. 5. zerstört und so diese Plage Europa's, die ja auch Italien traf, losgelassen habe. Ueber sie weiss Liudprand nicht genug zu klagen; den entsetzlichen Tod Arnolfs, so wie er ihn beschreibt, stellt er als eine Strafe des Himmels dafür hin (c. 36).

Das zweite Buch beginnt mit der Thronbesteigung des Sohnes Arnolfs, Ludwig; seine Kämpfe mit den Ungarn und seine Niederlage, sowie (c. 7 ff.) der in der That schon früher erfolgte Einfall derselben in Italien und ihr Sieg an der Brenta (899) werden hier zunächst erzählt – ein Sieg, der das Werk Gottes war, zur Bestrafung der Sünden der Christen. Nachdem dann der Wahl Konrads zum deutschen König und andeutungsweise seines Kampfs mit den Vasallen gedacht ist, berichtet der Verfasser ausführlich, wie Konrad sterbend Heinrich zu seinem Nachfolger empfiehlt (c. 20); dann in eigenthümlicher Art die Aussöhnung Heinrichs mit Arnolf von Baiern; worauf alsbald der Sieg bei Merseburg (933) über die Ungarn mit allem Aufwand von Beredsamkeit erzählt und dabei Heinrich mit seinem Sachsenvolke verherrlicht wird. Danach geht mit c. 32 419 Liudprand auf Italien über, um auch dessen Geschichte vom Jahre 900 an zu behandeln, die er hier bis 924 fortführt: die Erhebung des Burgunders Ludwig gegen König Berengar, ihre Kämpfe, Einfälle der Ungarn und Sarazenen, Berufung Rudolfs als Gegenkönig, sein Sieg über Berengar und zuletzt dessen Ermordung im Jahre 924 bilden die Hauptgegenstände. – So zerfällt dies Buch in zwei Abtheilungen, von denen die eine fast allein der deutschen, die andre der italienischen Geschichte gewidmet ist.

Mit dem dritten Buch hebt Liudprand gleichsam von neuem an, indem er die oben von mir angezogene Einleitung, die über den Titel des Werks sich verbreitet, als erstes Kapitel voraussendet, wie denn auch dies Buch an einem andern Orte als die frühern, verfasst ist. Auf der Insel Paxos (bei Corcyra), während das Werk begonnen in Frankfurt war, wie er selbst hier c. 1 Ende sagt. Berücksichtigt man dazu aber, dass der Verfasser hier vier Kapitel des ersten Buchs, ohne directen Verweis auf sie, Ein indirecter liegt freilich in dem in c. 30 vorausgehenden Satze: sed in domo quae Porphyra, ut superius scripsimus, natum apello; wenn dies ut superius scripsimus nicht später eingeschoben ist, wie dies von dem iterum und quemadmodum etc. im folgenden feststeht. wörtlich wiederholt, Es sind capp. 7–10, die im dritten Buch als capp. 31–34 wiederkehren, sie behandeln den Titel Porphyrogenitus und die Geschichte des Kaisers Basilius. Auch im Inhaltsverzeichnisse des dritten Buchs finden sich diese Kapitel, sodass an eine Interpolation um so weniger zu denken ist. Diese Inhaltsverzeichnisse, die jedem Buche vorausgehen, sind aber gewiss aus der Feder des Autors selbst geflossen. so möchte man beinahe annehmen, dass er ein neues Werk im Sinne gehabt hätte mit Ausschluss der beiden ersten Bücher, oder die folgenden Bücher gleichsam als einen zweiten Theil betrachtet hätte.

Das dritte Buch handelt nun fast allein von italienischen Dingen, indem die deutsche Geschichte nur wo sie in die italienische eingreift, sich berücksichtigt findet. Ausserdem wird nur noch die byzantinische in einem längern Abstecher (c. 22 bis 38) berührt, zu dem die Gesandtschaftsreise des Vaters Liudprands den Anlass und das Material lieferte. Die Geschichte Italiens hebt hier von Berengars Tod, der König Rudolf zum unbestrittenen Herrn machte, an, erzählt den Sturz des letztern, Hugo's Erhebung auf den Thron und seine Befestigung auf 420 demselben, nachdem auch der Einfall Arnolfs von Baiern missglückt war. Es ist der Zeitraum von 924 bis 935.

Das vierte Buch beginnt mit der Bemerkung, dass der Verfasser von jetzt an als »einer der dabei war« berichten werde, während er bis dahin erzählt habe, was er von sehr gewichtigen Augenzeugen gehört. Zu dieser Zeit habe er die Gunst des Königs Hugo durch seine schöne Stimme gewonnen. Er erzählt dann die Geschichte Hugo's weiter bis zu der Vermählung desselben mit der Wittwe König Rudolfs 937, um dann mit Kap. 15 auf die deutsche Geschichte überzugehen, welcher das übrige Buch gewidmet ist. Hier handelt er von dem Tode König Heinrichs, der Thronbesteigung Otto's und der Empörung seines Bruders Heinrich und der Bundesgenossen desselben im Jahre 939, die Otto nach Anordnung Gottes trotz aller Gefahren besiegt. So umfasst dieses Buch einen Zeitraum von ungefähr fünf Jahren. Denn nur als Nachwort ist das letzte Kapitel, worin die Unterwerfung Heinrichs im Jahre 941 berichtet wird, zu betrachten; wie denn auch die Erzählung des folgenden Buchs mit dem Jahre 939 wieder anfängt.

Im fünften Buch steht wieder Italien ganz im Vordergrund, die deutsche Geschichte wird kaum berührt, dagegen ist eine Reihe von Kapiteln Byzanz gewidmet (c. 14 f. und c. 20–25), indem König Hugo eine seiner illegitimen Töchter dem zukünftigen Herrscher desselben, Constantin, dem nachgelassenen Sohn Leo's, vermählt 942, aus welchem Anlass die Sendung des Stiefvaters Liudprands nach Constantinopel erfolgte. Wie dieser Constantin durch eine merkwürdige Palastrevolution auf den Thron gelangte (945), wird hier ausführlich erzählt. Den Hauptinhalt des Buchs aber bildet die Fortführung der Geschichte der Regierung Hugo's bis zu deren Ende, namentlich seine Kämpfe mit Anscar von Spoleto, dem Bruder Berengars II., die Verfolgung des letztern, der nach Deutschland flüchtet und vergeblich durch Hugo von Otto reclamirt wird, die Rückkehr desselben, Hugo's Abdankung, Flucht und Tod (947).

Das sechste Buch Liudprand hat es vielleicht (wegen des besonderen Proömium) etwas später als die vorausgehenden, und im Hinblick auf das Bibelcitat des ersten Satzes wohl unmittelbar vor dem Aufbruch Otto's nach Italien August 961 begonnen, keinesfalls aber erst nach der Kaiserkrönung Otto's I. (Febr. 962), wie Dümmler (Praef. pag. VI) annimmt auf Grund einer Stelle des vierten Kapitels » domini nostri, tunc regis, nunc imperatoris«. Einer solchen Annahme widerspricht durchaus der Inhalt des Proömium, der ja klar zeigt, dass sich der Verfasser noch immer in trauriger Lage befand und von der Hoffnung lebte. Liudprand war ja aber schon vor Otto's Kaiserkrönung im Januar 962 Bischof von Cremona (s. Dümmlers Otto der Grosse, S. 327, Anm. 6). Es ist demnach das tunc regis, nunc imperatoris ein späterer Zusatz des Autors. hat wieder ein besonderes »Prooemium«, worin der Verfasser das mannichfache Ungemach 421 beklagt, das er, seit er die Heimath verlassen musste, erdulde. Indem er jetzt die Zeit zu schildern hat, welche es herbeiführte, müsste er eher zum Tragödiendichter als zum Historiker geeignet sein. Er könnte es nicht, wenn nicht der Herr »vor ihm einen Tisch gegen seine Feinde bereite« (Psalm 22, v. 5). Dies hält ihn aufrecht und lässt ihn endlich auf einen Umschwung seines Geschicks hoffen. – Das Buch enthält ausserdem nur neun Kapitel noch, welche allein Liudprands Sendung nach Constantinopel durch Berengar (949–950) behandeln; mitten in diesem Gesandtschaftsbericht, in welchem der Autor lebendige Schilderungen von den Wundern des Palastes, in dem er empfangen ward, der Hoftafel und der Palmsonntagsfestlichkeit entwirft, bricht das Buch und damit das ganze Werk ab: Liudprand ist nicht dazu gekommen, die gewünschte Genugthuung vollkommen sich zu nehmen und den Sturz seines Feindes Berengar zu erzählen.

Werfen wir einen Blick auf den von uns skizzirten Hauptinhalt In dem natürlich die eingestreuten Anekdoten, die auch zur Charakteristik historischer Persönlichkeiten von Bedeutung dienen, nicht angezeigt werden konnten, noch auch sollten: so erzählt er z. B. solche von dem Kaiser Leo l. I, c. 11 f., von Romanos l. III, c. 25, von den beiden Willa l. IV, c. 12, V, c. 32: so theilt er sogar eine Fabel nach dem Griechischen mit l. III, c. 41. der Antapodosis zurück, so finden wir, wie bereits in der Auswahl und Gliederung des Stoffs dieses Werks, das eine Geschichte von »ganz Europa« nach dem Wunsche Recemunds werden sollte, die Subjectivität des Autors in hohem Grade sich geltend macht. Nur die Länder, zu denen er persönliche Beziehungen hatte, kommen überhaupt in Betracht, und die einzelnen wieder je nach dem Grade derselben: so steht Italien ganz in dem Vordergrund, dann folgt Deutschland, zuletzt Byzanz. Von Frankreich ist wie im Anfang, so auch später fast gar nicht die Rede: dies gilt namentlich auch von den Beziehungen Otto's zu diesem Reiche; noch weniger wird etwa der 422 Geschichte Spaniens oder Englands gedacht. – Besonders fallen aber in der angezeigten Hinsicht noch die Beziehungen des Verfassers zu den Herrschern ins Gewicht, zu Hugo, Berengar und Otto. Die Geschichte Deutschlands ist, wo sie nicht mit Rücksicht auf Italien behandelt wird, fast allein von diesem persönlichen Standpunkt dargestellt, d. h. zur Verherrlichung des sächsischen Hauses und seines grossen Königs: so wird ausführlich die Erhebung Heinrichs auf den Thron, die auch eine göttliche Bestimmung war, S. l. II, c. 23: Neque enim in huius electione totius populi posset esse animus unus, si a trinitate summa, quae deus unus est, ante mundi constitutionem non esset electus. und sein Sieg über die Ungarn, und ebenso die rein deutsche innere Geschichte des Kampfs Otto's mit den aufrührerischen Vasallen weitläufiger und zusammenhängender, als dies sonst Liudprands Weise ist, erzählt. Hier widmet er sogar ein ganzes langes Kapitel (l. IV, c. 26) der Betrachtung, dass der überraschende Sieg Otto's bei Birten kein Werk des Zufalls, sondern der göttlichen Fügung gewesen sei. Gott wollte den Zweiflern zeigen, dass der fromme König durch sein Gebet auch mit wenigen siegen könne, und wie sehr er ihn liebe, kundthun. Otto ist Liudprand der Kämpfer Gottes ( athleta dei ); er vergleicht ihn mit David. Allerdings zeigte sich die Grösse des Charakters wie der Befähigung Otto's niemals bedeutender als in der Unterdrückung dieses gefährlichen Aufstands: sie erschien als ein sicheres Unterpfand für das, was er in Zukunft zu leisten vermochte, und was Liudprand für Italien und für sich selbst von ihm auch nach der Zeit, wo er dies Buch schrieb, noch erwartete.

Ferner hing aber die Auswahl des Stoffs wesentlich von den Quellen, aus denen Liudprand schöpfte, ab; diese bestanden, von seinen eigenen Erfahrungen natürlich abgesehen, ganz vorzugsweise in mündlicher Ueberlieferung. Daraus erklären sich auch leicht die mannichfachen Irrthümer in den ersten Büchern. Er gedenkt ja dieser auch im Eingang des vierten Buchs, doch hat er keineswegs bloss Mittheilungen gewichtiger Augenzeugen benutzt, sondern nicht minder auch die Volkstradition, für die er offenbar eine gewisse Neigung hatte.

Mit dieser Art der Stoffquellen, die in den mehr oder weniger zerstreuten Mittheilungen einzelner Personen entsprangen, 423 hängt denn auch die ganze Ausführung des Werks zusammen, sein, wie man bemerkt hat, memoirenartiger Charakter, die Zertheilung in eine Menge Einzelgeschichten in einzelnen Kapiteln, die oft nur lose oder auch gar nicht zusammenhängen, und unter denen manche blosse Anekdoten sind, die aber ebenso ausführlich, wenn nicht ausführlicher, als die wichtigsten Thatsachen erzählt werden, weil ihre Quelle reichlich geflossen und ihre Mittheilung dem Geschmack des Autors behagt. Da finden sich denn auch einzelne obscöne Geschichten. Durch solche Anekdoten aber seine Darstellung zu würzen, war von vornherein die Absicht Liudprands, sein Buch sollte auch amüsiren, zur Erholung von gewichtigerer Lectüre dienen, wie er sogleich im ersten Kapitel erklärt den Missgünstigen gegenüber, die zu hohe Anforderungen stellen möchten. Quod si perplexa faceti Tullii lectione fatigantur, talibus saltem neniis animentur.

Für die Unterhaltung suchte er dann auch durch einen Wechsel der Darstellung zu sorgen, indem er nach dem Vorbild der Consolatio philosophiae Gedichte einmischte, auch in verschiedenen Metren, die er demselben Muster entlehnte: Wie dies schon Köpke im einzelnen nachwies, s. a. a. O. S. 139 ff. Gedichte sehr verschiedener Art auch dem Inhalt nach. Im Unterschied von seinem Vorbild aber treten die Gedichte gewöhnlich geradezu an die Stelle der Prosa, sodass sie die Erzählung fortführen; so wird in einem (l. II, c. 65) die Schlacht von Florentiola beschrieben, in einem andern (l. II, c. 71) die Ermordung Berengars I. erzählt, in einem dritten (l. III, c. 2) der Brand von Pavia; oder es sind Reden der handelnden Personen in Versen, statt in Prosa, wie Arnolfs Anfeuerung seiner Soldaten zum Sturme auf Rom (l. I, c. 26), oder die Anrede König Heinrichs an seine Sachsen, um sie zum Kampf gegen die Ungarn zu entflammen (l. II, c. 26), oder die beleidigende Rede des Knechts an Willa in der schmutzigen Erzählung von der Auffindung des von ihr verborgenen Gürtels (l. IV, c. 12). Nur einige der Gedichte sind bloss eingeschaltete Ergüsse der Liebe oder des Hasses des Autors, so das Lobgedicht auf Heinrich I. und seinen Sohn Otto (l. IV, c. 16), wie andrerseits die Invectiven des Dichters, gegen Marozia (l. III, c. 44), gegen Heinrich, den Bruder Otto's, als er sich gegen diesen empörte, und den 424 Teufel, der ihn verführt hatte, (l. IV, c. 19), oder die an den »Vogelsberg« (den kleinen Bernhard) gerichtete, weil dieser selbst mitten im Winter dem Berengar den Uebergang gestattete (l. V, c. 11) – ein Gedicht, worin der Zorn den Verfasser in der That auch poetisch beredt macht.

Einen andern, weniger eigenthümlichen Reiz gab Liudprand seiner Erzählung, indem er nicht selten auch durch Reden in Prosa und Gespräche die Darstellung dramatisch belebt, von denen die meisten offenbar ohne alle historische Grundlage sind; Vgl. über die Reden Dändliker a. a. O. S. 171 ff. und 224 ff. er folgte hierin nur, wie manche andre seiner Zeitgenossen, dem Vorbild der antiken Historiographie.

So wirkt auch die Art der Darstellung mit den Tendenzen, die er in seiner Geschichte verfolgte, zusammen, um dieser eine sehr subjective Färbung zu geben, die so recht hervortritt, wo er dem lang verhaltenen Groll gegen Berengar und dessen Gattin Luft macht. Auch durch eigenthümliche Züge seines Stils wird diese Färbung noch vermehrt. Sie bestehen vornehmlich in der so auffallenden Einmischung griechischer Worte, denen er dann allemal eine lateinische Uebertragung folgen lässt, Er motivirt die Einmischung des Griechischen einmal, indem er sagt (l. II, c. 34): et quia sonorius est, grece illud dicamus. und in dem nicht seltenen Gebrauch von aus lateinischen Klassikern, insonderheit Dichtern, entlehnten Phrasen, womit er, wie mit Sentenzen, vornehmlich seine fingirten Reden gern schmückt. Virgils Werke, Horaz, Juvenal und Terenz werden da sowie Cicero benutzt.

Wenn durch den ganzen subjectiven Charakter, der sich auch in der Sorglosigkeit des Autors in Betreff der Chronologie abspiegelt, als Geschichtsquelle das Werk hinter manchen trockenen Annalen zurücksteht, so sind andrerseits im Gegensatz zu solchen auch nicht geringe Vorzüge hervorzuheben, welche namentlich in einer Motivirung der Thatsachen, einer im grossen und ganzen richtigen Beurtheilung der politischen Verhältnisse und episodisch in dem Reichthum anschaulichen Details, das die Vergangenheit lebendig vergegenwärtigt, bestehen.

Als literarische Schöpfung aber allein betrachtet, ist diese Zeitgeschichte wohl das originellste und bedeutendste 425 Prosawerk dieser Periode durch eine seltene Mannichfaltigkeit der Darstellung, die in der That den Zweck die Leser zu unterhalten erreichen musste, indem der Autor bald in einfacher Geschichtserzählung, bald in ausgeführten Schilderungen, bald in pikanten Anekdoten, bald in Betrachtungen oder Discussionen Wie über die Frage von dem Uebergang von einem Episcopat zu einem andern l. IV, c. 6 f. sich ergeht, oder auch Reden und Gedichte einflicht. Hier erhebt sich der Ausdruck schwungvoll, dort spitzt er sich geistreich zu, oder sprüht von Galle, oder kleidet sich in Ironie: allerdings in dieser Buntheit ist die Sprache nichts weniger als klassisch, trägt aber das lebendigste individuellste Gepräge, das dem Werke die Dauer verbürgt.

Eine gewisse Ergänzung zu dem unvollendeten grössern Werk bilden zwei kleinere historische Schriften unsers Autors, von denen die ältere, im Jahre 964 verfasst, der Liber de rebus gestis Ottonis magni imperatoris ist: doch sind hier nur gewisse res gestae gemeint, die Otto in Italien in den Jahren 963 und 964 vollbrachte. Liudprand erzählt hier nämlich die Geschichte der Absetzung des Papstes Johannes XII., ihre Ursachen und nächsten Folgen. Er berichtet zunächst kurz, wie auf Johannes' Bitte der Kaiser 961 nach Italien zog, um der Herrschaft des Berengar und Adelbert ein Ende zu machen, und dann von demselben Papst (Febr. 962) als Kaiser gekrönt ward, worauf Johannes ihm eidlich gelobte, Berengar und Adelbert nie zu Hülfe rufen zu wollen (c. 1–3). Diesen Eid bricht aber der Papst, indem er mit Adelbert in Verbindung tritt. Otto, durch Kundschafter dessen versichert, zieht von Pavia, wo er residirte, zunächst gegen Berengar, den er in der Felsenburg St. Leo, wohin dieser geflüchtet war, belagert. Der Papst schickt darauf an den Kaiser Gesandte, welche über ihn selbst Beschwerden erheben. Otto erwiedert die Sendung, indem er, um sich zu rechtfertigen, den Bischof Lantward von Minden und Liudprand selbst an ihn schickt. Der Papst aber verschmäht die Rechtfertigung des Kaisers und nimmt Adelbert in Rom auf (c. 7). Nun eilt Otto, sobald die Sommerhitze vorüber war, mit einem Heere nach Rom, von dem grössten Theil der Optimaten eingeladen. Der Papst und Adelbert fliehen. Drei Tage nach dem Einzug des Kaisers findet eine grosse Synode in der 426 Peterskirche statt, deren Zusammensetzung und ganzen Verlauf Liudprand aktenmässig genau schildert (c. 9 ff.): nahm er doch keinen geringen Theil an ihr, indem er selbst die deutsche Rede des Kaisers ins lateinische übertrug (c. 11). Die Synode endete bekanntlich mit der Absetzung Johanns und der Wahl Leo's VIII. (c. 15). Der Verfasser erzählt dann noch den Aufstand der Römer gegen Otto bald danach, der rasch niedergeschlagen wurde, und die neue Empörung nach des Kaisers Abzug, durch welche Johannes zurückgeführt und Leo zur Flucht genöthigt ward. Endlich folgt noch die Ermordung des Johannes, die Wahl des Gegenpapstes Benedict, die Wiedereinsetzung Leo's durch Otto und die Bestrafung des päpstlichen Usurpators, in deren Erzählung die Schrift, sowie sie überliefert ist, abbricht.

Der Vortrag in diesem Buche hat im Gegensatz zur Antapodosis einen ganz objectiven Charakter, spricht doch Liudprand hier von sich selbst nur in der dritten Person: die Schrift, die auch stilistisch gefeilter erscheint und von der wunderlichen Verzierung mit griechischen Worten verschont geblieben ist, macht ganz den Eindruck eines auf Anregung des Kaisers verfassten Staatsmemoire, welches das gegen Johann XII. eingeschlagene Verfahren bei Mit- und Nachwelt rechtfertigen soll.

Durchaus verschiedener Natur von dieser ist die andre Schrift Liudprands, welche besonders die in der Antapodosis gegebenen Schilderungen des Hofes von Byzanz ergänzt, die Relatio de legatione Constantinopolitana , auf die ich schon in seiner Lebensskizze oben hingewiesen. Sie ist ganz in dem Stile des grossen Werks verfasst und durchaus beherrscht von jener persönlichen Tendenz, für mannichfach erlittene Unbill sich zu rächen, die in diesem Stück von Denkwürdigkeiten uneingeschränkt sich äussern konnte. Denn selbst die Rücksicht auf die Kaiser, die beiden Otto, für welche dieser Gesandtschaftsbericht zunächst bestimmt war, legte der Satire des Autors um so weniger Fesseln an, als ja die Unbill demselben als ihrem Gesandten widerfahren war und er der Karrikatur, die er von dem Kaiser des Ostens entwirft, das idealische Bild seiner erhabenen Herren schmeichelnd gegenüberstellt, sodass jene gleichsam als die Folie von diesem erscheint (c. 3), Vgl. dazu c. 40. wie 427 er denn auch dem Hochmuth des Byzantiners mit dem Stolz des Abendländers, Nicht aber des Römers, die Liudprand vielmehr verachtet. S. c. 12. insbesondere des Langobarden begegnet.

Mit all der Lebhaftigkeit des Südländers schildert Liudprand hier die diplomatischen Verhandlungen, die er theils mit dem Kaiser selbst, theils mit dem Logotheten, seinem Bruder, führte, bei welchen er mit witziger Schlagfertigkeit die in beleidigender Form vorgebrachten Beschwerden zurückzuweisen wusste, aber freilich Spott mit Hohn vergeltend, die ihm gewordene Aufgabe um so weniger lösen konnte. Auf den Kaiser Nicephorus concentrirt sich gleichsam sein ganzer Groll über die absichtliche Zurücksetzung und Missachtung, womit man ihm begegnete und ihn wie einen Gefangenen Monate lang hinhielt: sein Aeusseres wie sein Charakter sind die Zielscheibe seines Sarkasmus. Trotz aller Uebertreibungen bietet dieser Bericht ein kulturgeschichtlich sehr interessantes Bild des oströmischen Hofes, das uns auch tiefere Blicke in die ganze Weltbetrachtung der gebildeten Kreise von Byzanz vergönnt. Hervorgehoben sei noch die Episode von den politischen Prophezeiungen des sicilischen Bischofs Hippolytus c. 40 ff. Auch die Erzählung von der Rückreise des Autors, die bis Lepanto grösstentheils zu Land unter mannichfachen Mühseligkeiten stattfand (c. 58 ff.), liest man mit Interesse. Der Bericht geht aber nur bis zur Abreise Liudprands von Corfu (Jan. 969): da bricht er ab. – Trotz der Schwächen seines Charakters fesselt uns auch in dieser Schrift die energische und geistvolle Persönlichkeit des Autors, der in manchen Zügen So erinnern seine schlüpfrigen Anekdoten an die Facetiae, und seine satirischen Gedichte, die er mitunter Invectivae nennt, an die ebenso genannte literarische Gattung der Humanisten durch die Persönlichkeit und die rücksichtslose Schärfe der Satire, wenn auch die Werke dieser Gattung in Prosa geschrieben sind. an die späteren Humanisten Italiens uns erinnert, eine in seiner Zeit höchst originelle und dabei echt national-italienische Erscheinung. 428

 


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