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Von mehr oder weniger volksmässiger lateinischer Profandichtung haben sich aus dieser Periode nur ein paar Gedichte erhalten. Eins ist ein Klagelied auf den Tod des Erzbischofs Fulco von Reims, Du Méril, Poésies popul. latines antér. au XIIe s. pag. 266 ff. – Dümmler N. A. S. 545. welcher Nachfolger Hincmars von Leuten des Grafen Balduin von Flandern, an deren Spitze einer Namens Winemar stand, im Jahre 900 ermordet wurde. S. Flodoard, Hist. eccles. Remens. l. IV, c. 10 und vgl. Dümmler, Gesch. des ostfränk. Reichs Bd. II, S. 516 f. Das Gedicht ist im Unterschied von den älteren Planctus Die in iambischen Trimetern acat. geschrieben sind. S. Bd. II, S. 326. – Dass unser Gedicht, das ohne Strophenabtheilung überliefert und so von Du Méril edirt ist, in vierzeiligen Strophen verfasst ist, kann keinem Zweifel unterliegen. Allerdings ist durch zwei interpolirte Verse die strophische Gliederung verdunkelt. im Ambrosianischen Rythmus verfasst und zählt 18 Strophen. Es ist mit einer Ausnahme durchaus in Reimpaaren geschrieben, nur dass mitunter zwei gleiche Reimpaare in derselben Strophe auf einander folgen. Das Lied ist offenbar bald nach der feierlichen Bestattung des Erzbischofs gedichtet: es schildert sie selbst ausführlich, nachdem es reiches Lob diesem allerdings bedeutenden und auch um die literarische Kultur, wie wir sahen, verdienten Pontifex gespendet und seine Ermordung erzählt hat. Am Schluss wird noch der Excommunication Sie wurde bald darauf von der Synode zu Reims erneuert. des Mörders und seiner Helfershelfer, die bei der Leichenfeier stattfand, gedacht. Der Verfasser war der Reimser Domherr Sigloard.
Ein andres Gedicht Du Méril a. a. O. pag. 268 f. – Dümmler, N. A. S. 559. hat zwar einen profaneren, obgleich weniger volksthümlichen Charakter, doch aber auch einen geistlichen Zug, und in ihm liegt hier gerade das volksthümliche Element. Es ist ein an die Wachen von Modena gerichtetes Lied, das sie zur Wachsamkeit auffordert zu einer Zeit, wo die in Italien eingebrochenen Ungarn die Stadt bedrohten, um 175 das Jahr 924 verfasst, Nach Muratori, Antiq. Ital. T. III, pag. 709. und zwar in iambischen acatal. Trimetern, die zu neun vierzeiligen durchweg gereimten Strophen verbunden sind. Und zwar ist der Reim in allen Strophen ausser der fünften allein a, in dieser findet sich ein anderes Reimpaar (is). In diesem Gedicht begegnen wir einer seltsamen Mischung antiker Reminiscenzen mit dem Ausdruck christlicher Frömmigkeit. »O du – beginnt es – der du mit den Waffen diese Mauern schützest, schlafe nicht, so ermahne ich, sondern wache. So lange Hector in Troja wachsam war, nahm das trügerische Griechenland die Stadt nicht ein.« Erst als Troja schlief, gelang die List des Sinon. Mit ihrer wachsamen Stimme vertrieb die Gans in Rom die Gallier, weshalb sie in Silber von den Römern wie eine Göttin verehrt wurde. Wir aber beten Christi Gottheit an, auf ihren Schutz vertrauen wir. Und damit wendet sich der Sänger dann an diese. Zum Schluss ruft er die tapfere Jugend zur Wachsamkeit auf. Eia vigila! töne das Echo längs der Mauern wieder. – Auch bei diesem Gedicht möchte man an einen Kleriker als Verfasser denken.
Wohl noch dem Ende dieser Periode gehört ein längeres Gedicht an, das eine Vision zum Gegenstand hat, die in dem Kloster St. Remi in Reims einem fremden Mönch bei der Durchreise geworden war. Das Gedicht Du Méril a. a. O. pag. 200 ff. – – Histoire littér. T. VI, pag. 253. ist von dem Scholasticus des Klosters Fleury, Ansellus auf den Wunsch Odo's von Cluny, als dieser die Vision dort erzählen gehört, verfasst. Es zählt 522 achtsilbige Verse, die im rythmischen iambischen Dimeter verfasst, und meist gepaart gereimt, aber nicht zu Strophen verbunden sind. In der Regel ist der Reim volle Consonanz; mitunter finden sich auch drei Verse durch einen Reim gebunden. So finden wir hier schon das Muster des im Mittelalter in den Nationalsprachen für die leichte Verserzählung so beliebt gewordenen Metrums der achtsilbigen Reimpaare.
Nach einer Einleitung, worin der Dichter erzählt, wie in der von Remus, Romulus' Bruder, erbauten Stadt des heiligen Remigius an dem Feste des Heiligen auch ein fremder Mönch, um zu beten und seine Sünden zu beweinen, erschienen sei und in dem Kloster gastfreundlich aufgenommen, Nachts im Schlaf die Vision hatte, Sie wird hier geradezu als ein somnium bezeichnet. lässt er diese ihn selbst berichten. 176 Er träumte, dass er am Sonntag Palmarum auf dem Ambon der Kirche des Remigius das Amt des Diacon verrichtete: er las das Evangelium und schilderte die Passion. Nachdem er geendet, vom Ambon herabsteigend, dünkte es ihm das Bild Christi vom Kreuze herabkommen zu sehen, das Zeichen des Siegs in der Hand; und Christus frägt ihn, ob er auch glaube was er gelesen. Der Mönch bejaht, das Glaubensbekenntniss sagend. Christus befiehlt darauf, ihm unverweilt zu folgen. Wider des Mönchs Erwarten schreitet er zur Unterwelt hinab (v. 137). Die Fürsten der Hölle fliehen mit ihrem Gefolge, schwärzer als Russ, heulend und brüllend. Engel aber kommen dann Christus preisend entgegen, um die Seelen zu empfangen, die er jetzt aus der Hölle befreit und zum Himmel führt. Der Mönch will ihm auch dahin folgen. Christus aber befiehlt ihm zum Kloster zurückzukehren. Der Mönch ist entsetzt, den Weg durch die Hölle allein zurückzulegen. Da gibt ihm Christus den Lucifer selbst Er wird hier zwar nicht so genannt, wohl aber im folgenden klar genug als solcher bezeichnet; s. namentlich v. 448 f.: Dum putas Deo similis | Per superbiam fieri | Et de claro archangelo | Factus es niger Aethiops. zum Begleiter, dem er den Schutz des Mönches anbefiehlt. Vergeblich bedrohen ihn nun die bösen Geister mit ihrem wilden Geschrei, ihren Klauen und glühenden Haken (v. 247 ff.). Sein Führer schreckt sie, an Christus' Macht sie erinnernd. So gelangt der Mönch heil in das Kloster St. Remi zurück, legt in der Kirche den Ornat ab und eilt nach seiner Zelle; aber der Teufel folgt ihm bis dorthin. Er steht da an seinem Bette »mit den schwarzen Zähnen, dem aufgelösten Haar, den blutigen Augen, dem Bärenfuss, den Löwenklauen, das Fell gleich einer schwarzen Ziege« (v. 301 ff.); und verlangt, wie er des Mönches Führer war, auch sein Bettgenosse zu sein. Jener ist kühn genug, ihn aufzunehmen. So lagern sie zusammen und unterhalten sich. Der Mönch frägt, weshalb Christus in die Hölle käme, die sündigen Seelen den Teufeln zu entreissen. Der andre antwortet: daran seien die Priester, Mönche und Nonnen schuld, welche von Ostern bis zu Ostern für die verlorenen Seelen mit Messen Christus anflehen und Almosen spenden. So entführt solche Christus alle Ostern der Hölle (v. 377 ff.), nur ist er wenigstens so gerecht, die schlimmsten Sünder ihr zu lassen (v. 382 ff.). Der Mönch frägt 177 den Teufel noch, warum er nicht bereue, um durch Demuth die durch seinen Stolz verlorene Würde wieder zu erlangen (v. 400 ff.). Zornig erwidert jener, ihr, der Teufel, Erbe hätte ja die Menschheit bereits, und wer ihnen hätte dienen sollen, befehle ihnen. – So streiten Mönch und Teufel bis zur Matutine, da sucht dieser jenen zur Versäumung der Gebetszeit zu verführen: der Mönch verwünscht ihn – und erwacht.
Ist dies Gedicht auch in der Ausführung unbedeutend, obgleich es der Scholasticus mit ein paar Reminiscenzen aus Virgil und Horaz geschmückt hat, so ist es doch inhaltlich, wie man sieht, durch manche eigenthümliche Züge recht beachtenswerth.
Noch sei hier schliesslich aus dieser Periode ein Gedicht erwähnt, das zwar keinen volksmässigen, aber auch, obgleich es an Gott gerichtet, keinen kirchlichen Charakter hat. Es ist eine panegyrische Ode auf den Bischof
Adelhard von Verona,
Gesta Berengarii ed. Dümmler (s. oben
S. 138, Anm. 4) im Anhang S. 134 ff. Vgl. S. 61 ff. um dessen Erhaltung der Dichter Gott anfleht zu einer Zeit, wo Verona so viele Verluste und namentlich noch zuletzt den seines, es beschützenden Grafen Walfred zu beweinen hat. Walfred starb 896, und so ist die Ode wohl kurz danach gedichtet. Sie ist in zwanzig sapphischen Strophen verfasst. Die geschickte Behandlung dieses Metrums zeigt recht die grammatische Bildung des Autors, der gewiss ein Italiener und wohl ein Mönch
Dafür scheint Strophe 6 zu sprechen, wo von dem Klerus allein der Mönche gedacht wird. von Verona war. Vornehmlich werden die Frömmigkeit des Bischofs, seine Unterstützung der Armen, seine Einfachheit
Absit ut tanto placeant patrono
Aureus fulgor lapidumque vigor,
Purpurae pallor variusque color
Ludificantes. v. 53 ff. – eine damals beim hohen italienischen Klerus nicht gewöhnliche Tugend – gerühmt.
Die volksthümliche Lyrik dieser Periode ist noch durch zwei Lieder in zwei Nationalsprachen vertreten, welche zugleich die einzigen uns aus diesem Zeitraum erhaltenen Dichtungen derselben sind, das eine ein deutsches, das andre ein 178 nordfranzösisches, das älteste literarische Werk überhaupt, das in dieser Sprache überliefert ist. Das deutsche Lied schliesst sich recht an die volksthümlichen lateinischen Rythmen dieser und der vorigen Periode an, welche wichtige Tagesereignisse besingen, um sie nicht sowohl der Nachwelt als den Zeitgenossen selbst kundzuthun, und dieser Theilnahme zu erregen, wie dies z. B. von der Elegie auf Fulco's Tod gilt. Ich stimme in der Auffassung dieser Dichtungen mit Scherer, Geschichte der deutschen Literatur S. 60 überein. Eine noch nähere Verwandtschaft zeigt das »Ludwigslied«, so hat man dies deutsche episch-lyrische Gedicht genannt, mit dem ältesten uns erhaltenen Werk dieser Gattung, dem Triumphlied auf den Sieg Pippins über die Avaren. S. Bd. II, S. 86 f.
Das Ludwigslied Elnonensia. Monuments de la langue romane et de la langue tudesque du IX. siècle, découverts par Hoffmann de Fallersleben et publiés avec une traduction et remarques par Willems. 2 e éd. Gand. 1845. Müllenhoff und Scherer, Denkmäler N. XI; Braune, Lesebuch No. XXXVI. ist in demselben Versmass wie die Samariterin geschrieben, indem zugleich, wie dort, neben zweizeiligen Strophen dreizeilige sich finden, und zählt 59 Langzeilen. Es feiert den Sieg des jungen westfränkischen Königs Ludwig III., des Sohnes Ludwigs des Stammlers, über die Normannen bei Saucourt im Jahre 881, und ist noch bei Lebzeiten des Königs, der 882 starb, verfasst. Der Dichter war offenbar ein Kleriker, Das Gedicht ist im Kloster St. Amand aufgefunden, und Hucbald als Schreiber und Verfasser desselben vermuthet worden, doch ohne ausreichenden Grund; wohl aber mag immerhin an einen Mönch dieses Klosters, das zu dem Reiche Ludwigs III. gehörte, als Verfasser zunächst zu denken sein. wie denn das Lied einen ausgesprochen geistlichen Charakter hat, in noch höherem Grade als das oben erwähnte Pippinslied.
Der König, heisst es im Eingang, als Kind vaterlos – er war beim Tode des Vaters in der That etwa 15 Jahre alt – fand einen Ersatz im »Herrn« selbst, der sein Erzieher ward: er machte ihn tüchtig, gab ihm herrliche Gefolgschaft und den Thron im Frankenland, den Ludwig mit seinem Bruder Karlmann theilte. Danach aber wollte ihn Gott prüfen: so liess er die Heiden über das Meer kommen, das Frankenvolk an seine Sünden zu mahnen. Manche thaten Busse und besserten 179 sich, manche gingen zu Grunde. Dem König, der entfernt war, S. in der Beziehung wie überhaupt über die hier in Betracht kommenden historischen Verhältnisse Dümmlers Mittheilungen in Müllenhoff und Scherer's Ausg. S. 301 f. befiehlt Gott selbst, seinem Volke zu Hülfe zu kommen. Ludwig gehorcht alsbald und tröstet die Kriegsgefährten, die auf ihn geharrt haben: Gott selbst habe ihn gesendet; alle Gott Getreuen sollen ihm folgen. Den Tapferen verheisst er Lohn. Dann zieht er, ein frommes Lied anstimmend, gegen den Feind. – Der Kampf wird kurz aber mit kräftigen Strichen gezeichnet, indem der Dichter die Schilderung mit den Worten beendet: Der König schenkte seinen Feinden bittern Meth ein. Wehe ihrem Leben! Gelobt sei Gottes Kraft und allen Heiligen Dank. Es lebe Ludwig, der siegreiche König! Der Herr sei ihm ferner gnädig!
So wird der Sieg Ludwigs durchaus als ein Werk Gottes hingestellt, das dem von ihm begnadeten König zu Theil wird. In manchen einzelnen Zügen gleicht dies Gedicht dem Pippinslied. Auch dort finden wir die directe Einwirkung Gottes, der den heiligen Petrus Pippin zu Hülfe schickt, auch Pippin ist mit der Kraft Gottes ausgerüstet;
Das
Rex accinctus Dei virtute str. 5 v. 1 entspricht dem Gab her imo dugidi v. 5. auch dort verleiht Gott den Sieg über die Heiden,
victoriam donavit (sc. Deus) de paganis gentibus str. 13, v. 3. und mit einem
Vivat, vivat rex Pippinus schliesst es, dem das Wolar abur Hludvig Kuning wîgsâlig entspricht. In beiden Liedern zeigt sich durch eingestreute Reden die dramatische Lebendigkeit der späteren Romanze. Bemerkenswerth ist, wie in der kurzen prächtigen Kampfschilderung der deutsche Dichter des Ludwigslieds die Kutte abwirft, und als ächter Germane den Ton des wahren Volkslieds anstimmt.
Das wahrhaft schöne Züge zeigt, so der Beginn der Schilderung:
Sang was gisungan, Wîg was bigunnan,
Bluot skein in wangôn: Spilôdon ther Vrankôn.
Das französische Lied, Elnonensia s. oben S. 178, Anm. 3. – Altromanische Sprachdenkmale, berichtigt und erklärt von Diez. Bonn 1846. – Les plus anciens monuments de la langue française, herausgeg. von Koschwitz. 3. Ausg. Heilbronn 1884. – Photographie im Album der Société des anciens textes français. Pl. 2. Paris 1875. – – Bartsch, Die latein. Sequenzen u. s. w. S. 166 ff. – Suchier, Zur Metrik der Eulalia-Sequenz im Jahrbuch für roman. und engl. Literatur Bd. XIII. das von derselben Hand 180 geschrieben, in derselben Handschrift sich findet, hat einen andern, nämlich rein geistlichen Charakter. Es ist eine zu Ehren der heiligen Eulalia verfasste Sequenz, deren Form allerdings nicht überall die Notkersche Correctheit zeigt, d. h. ein paar Mal gegen den Grundsatz Iso's verstösst, dass jeder Note nur eine Silbe entsprechen dürfe; liessen doch auch die Sequenzen des Antiphonarium von Jumièges, die Notker das erste Muster lieferten, offenbar in der Beziehung zu wünschen übrig. S. oben S. 146. Dies ist immer bei der Beurtheilung der metrischen Form des Gedichts zu wenig beachtet worden. Die Eulalia-Sequenz besteht aus 14 Doppelversikeln, deren Dimension zwischen 10 und 13 Silben sich bewegt, und einem Schluss aus einer Kurzzeile. Die Doppelversikel sind sämmtlich durch männlichen Reim, der aber in der Regel blosse Assonanz ist, gebunden. Ferner findet sich in der Regel in den Doppelversikeln eine rythmische Correspondenz des Verses; in der musikalischen Composition kann sie natürlich nirgends gefehlt haben. Beides gilt namentlich auch von den Schlüssen.
Der Inhalt ist, in oft wörtlichem Anschluss an das Original, dieser: Ein gutes Mädchen war Eulalia, von schönem Körper, von noch schönerer Seele. Die Feinde Gottes wollten sie besiegen, wollten sie dem Teufel dienen machen. Sie hörte nicht auf die bösen Rathgeber, Gott zu verleugnen, der oben im Himmel wohnt, weder um Gold, noch um Silber, noch um Schmuck, oder um Drohung, Liebkosung Ich folge Diez in der Auffassung des regiel, indem ich die von Suchier und Stengel nicht theilen kann. und Bitten willen. Nichts konnte sie jemals beugen, das Mädchen blieb dem Dienste Gottes treu. Und darum wurde sie vor Maximian geführt, der damals König war über die Heiden. Er ermahnt sie – worum sie nimmer sich kümmert – dem Namen Christ zu entsagen. Sie schöpft gerade daraus ihre Stärke: lieber würde sie jede Pein ertragen, als ihre Jungfräulichkeit zu opfern; darum starb sie in grosser Ehrbarkeit. In das Feuer warfen sie sie, als ob sie sogleich verbrennte. Sie hatte keine Schuld, darum verbrannte sie sich nicht. Das wollte der Heidenkönig nicht glauben; mit einem Schwert befahl er, ihr den Kopf abzuhauen. Das Mädchen widersprach dem nicht, sie wollte die Welt verlassen, wenn Christus es befiehlt. In Gestalt einer Taube flog sie zum Himmel. Beten wir alle, dass sie für uns bitten wolle, 181 dass Christus sich unsrer nach dem Tode erbarme und uns zu ihm kommen lasse, durch seine Milde.
Diese Legende unterscheidet sich ganz wesentlich von der der heiligen Eulalia von Merida, die Prudentius besungen, S. Bd. I, S. 254. und nicht weniger von der der gleichnamigen Heiligen von Barcelona, deren Legende mit der ersteren fast identisch ist: in diesen beiden Legenden stellt sich die Heilige aus freien Stücken vor das Tribunal des Richters, indem sie deshalb heimlich dem Elternhause entflieht, da sie nach dem Martyrium verlangt; in der obigen Darstellung aber geht die Initiative des Märtyrthums nicht von der Heiligen aus, sie wird vorgeführt und nicht vor einen Richter, sondern vor den Kaiser Maximian selbst, als Schauplatz erscheint also Rom, auch stirbt sie nicht den Flammentod, wie die Eulalia der beiden andern Legenden, Allerdings erfolgt derselbe bei ihnen alsbald, worauf die Flammen erlöschen. da das Feuer sie nicht verbrennt, sondern sie wird enthauptet. Der eine poetische Zug, dass die Seele der Heiligen in Gestalt einer Taube zum Himmel fliegt, findet sich auch in den beiden andern Legenden; dagegen fehlt in der unsrigen der andre, dass Gott es schneien lässt, um die keuschen Glieder der Heiligen zu verhüllen.
Dass die Darstellung des Martyriums in unserer Sequenz auf einer besondern legendarischen Version beruht und nicht das Werk der Phantasie des Verfassers ist, kann keinem Zweifel unterliegen; denn einmal hat das Gedicht schon als Sequenz einen ganz liturgischen Charakter, welcher dergleichen Freiheiten nimmer erlaubte, dann aber findet sich auch bereits in Beda's Martyrologium die Angabe der Hinrichtung durch das Schwert; Unter dem 10. Dec, dem Todestag der Eulalia v. Merida, die Beda aber hier zur Eulalia v. Barcelona macht, die er an ihrem Natale (12. Febr.) nicht erwähnt. S. Beda, Opp. ed. Giles Tom. IV, pag. 164. auch nennen einige Martyrologien eine ebenso in Rom hingerichtete Eulalia (unter dem 11. December). Nicht minder unzweifelhaft aber scheint mir, dass die legendarische Version unsrer Sequenz auf die Legende der heiligen Eulalia von Merida und insbesondere auf die Dichtung des Prudentius zurückgeht. So kann der Vers 111 des Hymnus des Prudentius: Non movet aurea pompa tori die Anregung zu Vers 7 ff. der Sequenz: ne por or etc. gegeben haben, nicht minder aber auch zu v. 17: qu'elle perdesse sa virginitet; doch braucht damit keine directe Einwirkung des Hymnus angenommen zu werden, vielmehr vermittelt durch die Quelle, aus der der Sequenzendichter schöpfte, die selbst diese Einwirkung erfahren hatte. Dass aber Eulalia nicht verbrennt – was dann das Motiv der Hinrichtung durch das Schwert ist – hat wohl seinen Grund in der Darstellung der Akten der Eulalia von Barcelona, wo es heisst: Praeses autem fremens cum ira iussit militibus faculas ardentes lateribus eius applicare etc. Tunc illa laeta cum exultatione magna voce psalmum Domino dicebat: Ecce Deus adiuvat me etc. Et coepit flamma in ministros converti. Quod videns S. Eulalia – – oravit: – – iube me iam suscipi inter electos tuos etc. Completa vero oratione sua, mox extinctae sunt faculae etc. S. España sagrada. Madrid 1775. Tom. XXIX, p. 373 f. Es konnte hiernach zweifelhaft erscheinen, ob die Heilige überhaupt brannte, und noch mehr, ob sie in Folge davon ihren Geist aufgab.
182 In derselben Handschrift, aber von einer andern Hand geschrieben, geht der französischen Sequenz eine lateinische voraus, die auch eine heilige Eulalia, aber die von Merida besingt im Anschluss an Prudentius, aus dessen Hymne sogar zwei Verse entlehnt sind. v. 164 f. bilden den achten Doppelversikel. Wie dieser Doppelversikel, haben auch ein paar im Eingang und am Ende denselben Rythmus als die dactylischen hypercatal. Trimeter der Hymne. Diese lateinische Sequenz ist offenbar in Bezug auf die musikalische Composition das Vorbild der französischen gewesen, die ihm aber mit Freiheit folgt, so dass die Composition keineswegs überall dieselbe ist. Wie dies Suchier a. a O. durch manche künstliche Annahmen nachzuweisen versucht hat.
Noch sind uns aus diesem Zeitraum, und wohl aus dem Ende des neunten Jahrhunderts, von einer andern romanischen Sprache wenigstens ein paar Verse als Refrain eines lateinischen geistlichen Liedes Die älteste Alba, von J. Schmidt, in: Zeitschr. f. deutsche Philol. Bd. XII, S. 333 ff. – Laistner, Zur ältesten Alba, in: Germania Bd. XXVI, S. 415 ff. erhalten, sie bilden das älteste Denkmal der provenzalischen Literatur und erscheinen als merkwürdige Vorläufer einer besondern Art ihrer höfischen Dichtung, der Alba. Die lateinische Hymne ist ein Morgenlied, Genauer wohl Ad Galli cantum . sie beginnt mit der Strophe: »Während Phöbus' heller Glanz noch nicht aufgegangen, bringt die Morgenröthe schwaches Licht den Ländern; der »Späher« ( spiculator) ruft den Trägen zu: stehet 183 auf.« – Hieran schliesst sich der provenzalische Refrain: Der Morgenschein ( l'alba) zieht sich über das feuchte Meer, bald folgt die Sonne, das Dunkel schwindet sogleich.
Das Lied warnt dann vor den Nachstellungen der Feinde die Sorglosen, vom Schlafe befangenen, welche der »Herold« (praeco, scil. diei) zum Aufstehen ermahnt; es schliesst, so wie es vorliegt, mit einer dritten Strophe, welche schildert, wie der Wind sich erhebt, der Sterne Strahlen schwinden. Der provenzalische Refrain kehrt nach jeder Strophe wieder.
Wie schon Laistner richtig zeigte, hat das lateinische Gedicht einen ganz geistlichen Charakter; Das lateinische Gedicht für einen gelehrten Versuch zu halten, ein wirkliches provenzalisches Tagelied frei ins lateinische zu übertragen (s. Zeitschr. f. roman. Philol. IX, S. 407), verdient für Kenner der mittelalterlichen Literatur gar keine Widerlegung. unter dem Späher wie dem Herold ist gewiss der Hahn zu verstehen, wie letzteres in dem Morgenlied des Ambrosius; S. Bd. I, S. 176. An diesen berühmten Hymnus ( Aeterne rerum conditor) erinnern auch andre Stellen des Gedichtes; nicht minder an Prudentius' Hymne Ales diei nuntius, selbst im Ausdruck. die Feinde sind Satan und seine Schar. Es sind die » vagantes daemonas« bei Prud. l. l. v. 37. Vgl. Bd. I, S. 247. Aber eine liturgische Bestimmung hatte schon der lateinische Text selbst offenbar nicht; er ist dafür zu gelehrt kunstmässig abgefasst, wie namentlich die Ausführung der dritten Strophe zeigt. Um so mehr muss man annehmen, dass der provenzalische Refrain nicht das Werk des lateinischen Poeten, sondern aus einem Volkslied geschöpft ist.
Was das Metrum anlangt, so sind die lateinischen Verse rythmische trochäische catalect. Trimeter, Wie wir ihnen in der profanen rythmischen Dichtung begegnet sind, so in dem Spottlied auf den Abt von Angers (s. Bd. II, S. 324), nur dass da diese Verse zu vierzeiligen Strophen verbunden sind. Aber auch sie schliessen mit einem Refrain. die zu dreizeiligen einreimigen Strophen verbunden sind. Die Gliederung des provenzalischen Refrains erscheint zweifelhaft, doch ist Reim sicher anzunehmen. Entweder zwei Verse, von denen der erstere bis poypas, oder drei Verse, von welchen der zweite bis atras ginge, denn diese Lesart Laistners adoptire ich. 184