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Im vollen Einklang mit der Thatsache, dass die Angelsachsen die lateinische Weltliteratur nach einer langen Unterbrechung in den letzten Decennien des siebenten Jahrhunderts zu einem neuen Leben wieder erweckten, steht es, dass sie unter allen Völkern des Abendlands im Mittelalter dasjenige waren, bei welchem zuerst in nationaler Sprache eine Literatur im eigentlichen Sinne, ein Schriftthum sich entwickelt hat. Die eine literarische Thätigkeit regte zu der andern an. Denn das nationale Interesse war bei den Angelsachsen stark genug, um sie nicht in dem Bann des lateinischen Schriftthums verweilen zu lassen. Recht bezeichnend dafür ist die von König Aelfred überlieferte, durch Wilhelm von Malmesbury uns erhaltene Nachricht, dass der Vater der anglo-lateinischen Dichtung, der älteste Gelehrte dieser Nation, von dem wir Werke besitzen, Aldhelm, um der religiösen Gleichgültigkeit des geringen Volks entgegenzuwirken, auf einer Brücke ein von ihm in der Nationalsprache verfasstes Lied vorgetragen habe. Diese Mittheilung fand sich unter den Notizen des verlorenen Liber manualia Aelfreds; Wilhelm gibt sie in seiner Vita Aldhelmi (bald im Eingang des 1. Theils). Die Stelle beginnt: Denique commemorat Elfredus. carmen triviale, quod adhuc vulgo cantitatur, Aldhelmum fecisse. Und dass Aldhelm in der That der nationalen Dichtung nicht abhold war, ja sie wohl auch gepflegt haben kann, zeigen die von uns früher nachgewiesenen Einflüsse derselben auf seinen lateinischen Stil und seine rythmischen lateinischen Verse. S. Bd. I, S. 593 f.
12 Die älteste Nachricht, die wir von literarischen Erzeugnissen in angelsächsischer Sprache haben, theilt uns Beda in seiner Kirchengeschichte mit. Hist. eccles. l. IV, c. 24. Sie meldet denn auch von Dichtungen, die auf lateinischen Quellen beruhen, und dem Vorgange lateinischer Werke, versteht sich christlicher, folgen. Es sind dies poetische Bearbeitungen der Bibel.
Die christlich religiöse Begeisterung eines schlichten Mannes aus dem Volke gab dazu den Anstoss. Es war, wie uns Beda erzählt, ein Knecht des Klosters Streaneshealh in Nordhumbrien, Namens Caedmon. Er schämte sich, dass er im Kreise der Genossen, wenn beim Mahle die »Cither« herumging, nicht wie die andern ein Lied anstimmen konnte. Und so schlich er sich deshalb auch eines Tags vom Tische hinweg und legte sich in dem Stall, den er zu hüten hatte, zur Ruhe: da kam ihm denn in einem Traumgesicht der Befehl zu singen, und zwar den Anfang der Geschöpfe. Noch im Traum dichtete Cädmon einige Zeilen, worin er den ewigen Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde, pries; und nach seinem Erwachen vollendete er das Lied. Als dies kund geworden und er vor der Aebtissin Hild eine Probe seiner Begabung geliefert hatte, indem er ein Stück der biblischen Geschichte oder Lehre, das ihm erklärt wurde, in Verse übertrug, nahm sie ihn in ihr Mönchskloster auf und liess ihm die biblische Geschichte der Reihe nach lehren; worauf er alles, was er durch Hören lernen konnte, sich zurückrief, bei sich verarbeitete und in ein gar liebliches Gedicht umwandelte, das er in reizendem Gesange seinen Lehrern vortrug. Obgleich ich in dieser Erzählung überhaupt Beda möglichst wörtlich wiedergebe, so möge doch diese für den Charakter der Cädmon'schen Dichtung wichtige Stelle im Original hier mitgetheilt werden: at ipse cuncta, quae audiendo discere poterat, rememorando secum et quasi mundum animal ruminando in carmen dulcissimum convertebat suaviusque resonando doctores suos vicissim auditores sui faciebat. Dies entspricht der bei der Probe ihm gestellten Aufgabe, die darin bestand: quendam sacrae historiae sive doctrinae sermonem in modulationem carminis transferre. Man sieht, von welcher Bedeutung das musikalische Element bei diesen carmina Cädmons war, welches Wort man hier in der That durch Lieder am genauesten wiedergibt. So sang er von der Schöpfung der Welt, dem Ursprung des Menschengeschlechts und der ganzen Geschichte der Genesis, von dem Auszug Israels aus Aegypten 13 und seinem Einzug in das Land der Verheissung, von den meisten anderen Historien der heiligen Schrift, von der Geburt, dem Leiden, der Auferstehung und der Himmelfahrt des Herrn, von der Ankunft des heiligen Geistes und der Lehre der Apostel. Desgleichen machte er von dem Schrecken des jüngsten Gerichts und der Furchtbarkeit der Höllenstrafen wie von der Lieblichkeit des himmlischen Reichs viele carmina , aber auch manche andre von den Wohlthaten und Gerichten Gottes; in allen diesen Gedichten bemühte er sich, die Menschen von der Liebe zur Sünde abzuziehen und zu einem guten Leben anzuregen.
So weit Beda, der noch im Eingang des Kapitels berichtet, dass Cädmons gute Absicht Erfolg hatte, und dass auch andre im Volke der Angelsachsen nach ihm »religiöse Gedichte« zu machen versuchten, keiner ihm aber gleichkommen konnte. In der moralischen Wirkung, wie aus dem folgenden hervorgeht. Ihm, fährt nämlich Beda fort, war die Gabe des Gesanges vom Himmel verliehen, so konnte er nur was wahrhaft fromm war, dichten.
Diese älteste sichere Nachricht von der angelsächsischen Nationalpoesie ist in allen ihren Einzelheiten so wichtig, dass sie eine so ausführliche Mittheilung verdiente. An ihrer Wahrheit zu zweifeln, liegt gar kein Grund vor, vielmehr spricht alles für dieselbe. Beda zeichnet sich überhaupt durch seine Treue als Historiker aus; hier die Unwahrheit zu berichten, konnte er aber gar keinen Grund haben. Er konnte aber zugleich auch genau unterrichtet sein, da er zeitlich wie örtlich den von ihm erzählten Dingen nahe stand. Er war in seiner Kindheit vielleicht noch ein Zeitgenosse des Cädmon Die Aebtissin Hilde starb nämlich 680 und Beda wurde 672 geboren. und sein Kloster von dem des letzteren nur etwa 10 Meilen entfernt. Man sieht, dass nur ein ganz gedanken- und kritikloses Verfahren den Bericht des Beda zu einer »Sage« machen und auf eine Linie mit der Erzählung über den Verfasser des Heliand stellen konnte.
Aus der Nachricht ergibt sich aber, was für die angelsächsische Dichtung sogleich höchst bezeichnend ist und folgenreich war, dass die erste Behandlung unnationaler literarischer Stoffe, d. h. in Büchern überlieferter, welche zu einer Kunstpoesie führen musste, eine ganz volksmässige war, wodurch denn die Assimilation des fremden Materials sehr wesentlich erleichtert wurde. Cädmon erhielt den Stoff mündlich mitgetheilt, wie die Volkssänger auch aus mündlicher Ueberlieferung 14 schöpften, und bearbeitete ihn zum Gesange, wie er sein Gedicht auch im Gesange vortrug. Seine Carmina, wie sie Beda nennt, waren hymnusartige Gedichte, wie nicht bloss aus der Erzählung Beda's, sondern auch aus der freien Uebersetzung, die er von dem ersten Versuche Cädmons gibt, Nunc laudare debemus auctorem regni caelestis, potentiam creatoris et consilium illius, facta patris gloriae; quomodo ille, cum sit aeternus deus, omnium miraculorum auctor extitit, qui primo filiis hominum caelum pro culmine tecti, dehinc terram, custos humani generis omnipotens creavit. – Das Original scheint uns auf der letzten Seite einer Cambridger Handschrift der Kirchengeschichte des Beda aus dem 8. Jahrh. erhalten. S. namentlich Zupitza, Ueber den Hymnus Cädmons, in: Zeitschr. f. deutsches Alterth. N. F. Bd. 10, S. 210 ff. mit voller Sicherheit hervorgeht. Vgl. hier meinen weiter unten citirten Aufsatz über die Genesis, S. 131 ff. Wie viele von ihnen ausser diesem aufgezeichnet wurden, wissen wir nicht. Sie sind nicht überliefert. Cädmon selbst hat sie gewiss nicht niedergeschrieben, da von einer gelehrten Bildung, die ihn dazu befähigt hätte, nirgends die Rede ist, und um so weniger, als er, wie Beda ausdrücklich bemerkt, schon in vorgeschrittenem Alter war, da er ein Sänger und Mönch wurde.
Cädmon ist nur durch das Beispiel, das er damit gab, dass er christlich-religiöse Stoffe in der Nationalsprache volksmässig behandelte, von literarhistorischer Bedeutung; denn er fand, wie uns Beda lehrt, bald hierin Nachfolger. Es wurde damit der angelsächsischen Dichtung eine ganz neue Richtung gegeben, die zu einer literarischen Production in der Nationalsprache, jedoch in alt überkommenen volksmässigen poetischen Formen, führte, zu einer sogleich schriftlich aufgezeichneten, zum Lesen bestimmten Dichtung, die zunächst dieselben Stoffe, die Cädmon behandelt hatte, die der biblischen Geschichte zum Gegenstand hat, und diese jetzt auch episch verarbeitet; ja, sie erscheint zum Theil nur als eine poetische, im angelsächsischen Nationalgeist verfasste Paraphrase des biblischen Textes. Dies sind die Dichtungen, die man ebenso kühn als unüberlegt Cädmon selbst beigelegt hat.
Eine Sammlung solcher poetischer Werke ist uns in einem Oxforder Codex des zehnten Jahrhunderts erhalten, von welchen die drei ersten und ältesten noch diesem Zeitraum zuzuweisen 15 sind. Sie behandeln alttestamentliche Stoffe. Caedmon's Metrical paraphrase of parts of the holy Scriptures in Anglo-Saxon, with an english translation, notes etc. by Thorpe. London 1832. – Caedmon's des Angelsachsen biblische Dichtungen, herausgeg. v. Bouterwek. 1854. – Grein, Bibliothek der angelsächs. Poesie in kritisch bearbeiteten Texten. Göttingen 1857. Bd. I. – Grein, Dichtungen der Angelsachsen stabreimend übersetzt. Cassel 1863. Bd. I. Dem ersten Werke liegt das erste Buch Mose bis Kap. 22, V. 13, zu Grunde, indem es mit der Erzählung von dem Opfer Abrahams abschliesst: man hat es daher nicht mit Unrecht Genesis Ebert, Zur angelsächs. Genesis in: Anglia Bd. V, S. 124 ff. – Hönncher, Ueber die Quellen der angelsächs. Genesis in: Anglia Bd. VIII, S. 41 ff. – Wülker, Grundriss S. 120 ff. betitelt. So wie und so weit es in der Handschrift erhalten ist, denn es fehlen in ihr ganze Blätter, zählt es 2935 Langzeilen. Aber das Werk, wie es vorliegt, ist durchaus kein homogenes Ganze. Vor allem ist ein Abschnitt von über 600 Langzeilen, V. 235 bis 851, auszuscheiden, der an Stelle des ursprünglichen Textes aus einer denselben Gegenstand, die Versuchung und den Fall der Erzeltern, behandelnden spätern Dichtung, die man die jüngere Genesis betitelt hat, eingeschaltet ist. Auf diese werden wir erst weiter unten im folgenden Buche zurückkommen. – Aber auch der der Interpolation vorausgehende und der ihr folgende Theil der Dichtung scheinen kaum einem und demselben Verfasser anzugehören. Betrachten wir hier diese beiden Theile.
Das Werk beginnt nicht, wie man erwarten sollte, mit der Weltschöpfung, sondern mit deren Motivirung, die in dem Falle der Engel lag. Sie bildet die Einleitung (v. 1–102), eine Darstellung, die ganz unabhängig von dem biblischen Buche, auf kirchliche Lehren sich gründet, wie sie namentlich Gregor der Grosse in seinen Moralia und in seiner Bibelexegese entwickelt hat. S. hierüber Bouterwek a. a. O. CXLI ff. »Unsere Pflicht ist es,« so hebt der Dichter an, »der Himmel Wart, der Völker Glorienkönig mit Worten zu preisen wie im Herzen zu lieben«, den allmächtigen Herrn, der ohne Anfang und ohne Ende. Dieser Anfang der Dichtung erinnert an den Hymnus Cädmons, als wenn durch ihn der Autor zu seinem Werke angeregt worden wäre. Er hielt fest und stark die Himmelbusen, welche weit und breit den Kindern der Herrlichkeit, den Hütern der Geister (den Engeln) gesetzt waren. Jubel, 16 Freude und Friede war im Himmel, ehe der oberste der Engel aus Hochmuth sich empörte: er und die seinen prahlten, dass sie mit dem Herrn das Reich theilen wollten, er wollte im Norden ein eigenes Heim und einen Hochsitz des Himmelreichs besitzen. Dieser Stelle liegt offenbar Jesaias XIV, v. 13 zu Grunde, wo Lucifer sagt: In caelum conscendam, super astra Dei exaltabo solium meum, sedebo in monte testamenti, in lateribus Aquilonis. Da schuf Gott zornig dem Lügner ein furchtbares Heim in der Hölle und schleuderte ihn und die seinigen dorthin. Nun war Liebe und Friede in den Himmel zurückgekehrt, aber die Sitze der gefallenen Engel standen dort leer: sie wieder zu besetzen mit besserem Volke, beschliesst Gott die Schöpfung der Welt und des Menschen.
Hier endet die Einleitung, und nunmehr (v. 103) geht erst der Verfasser des ersten Theils zur Bearbeitung des biblischen Buches über, diese reicht aber hier nur bis Kap. II, v. 14, wo die Flüsse des Paradieses genannt werden. Nach einer kleinen Lücke von ein paar Zeilen folgt dann die Interpolation. In diesem ersten Theil findet sich aber einerseits die grösste Lücke, indem die Schöpfungsgeschichte im dritten Tage abbricht und die der andern fehlt, andererseits aber ist aus dem folgenden (Kap. II, v. 18, 21 ff.) die Erschaffung der Eva vorausgenommen, indem diese Stelle der Bibel mit Kap. I, v. 28 ff. combinirt ist. Mehr noch als in der Einleitung zeigt in der paraphrasirenden Bearbeitung des biblischen Textes der Verfasser des ersten Theils seine poetische Natur, namentlich in einzelnen grossen Zügen, so wenn er Gott vor der Schöpfung auf die freudenlose Stätte des von schwarzem Gewölk in ewige Nacht gehüllten Abgrunds »mit seinen Augen« blicken lässt (v. 106 ff.), oder wenn er schildert, wie der erste Abend und die erste Nacht kam (v. 133 ff.), und wie der helle Morgen kommt eilig über die Erde zu schreiten (v. 154 f.).
Auch in dem der Interpolation folgenden Theile, der von der Begegnung Gottes mit den Erzeltern (Kap. III, v. 8) nach deren Falle bis zu Abrahams Opfer sich erstreckt, finden sich manche Lücken der Handschrift. In diesem grössten Theile des Werks, der über 2000 Langzeilen umfasst, ist die Behandlung der biblischen Vorlage eine weniger rhetorisch glänzende und auch weniger freie als in dem ersten. Aber sie ist in ihrer 17 Art darum nicht weniger zu loben. Der Verfasser hat einmal mit verständiger Ueberlegung überall sich bemüht, den alttestamentlichen Stoff dem nationalen und christlichen Bewusstsein seines Volkes anzupassen, und so ihm sympathisch und auch im einzelnen verständlich zu machen. So hat er solche Stellen weggelassen, die auch in der Bearbeitung angelsächsischen Lesern unverständlich bleiben mussten, wie die Erklärung von Namen, oder die das christliche Bewusstsein verletzten, oder welche, wie blosse Namenangaben, ganz uninteressant erschienen. Dagegen macht er Zusätze zur Erklärung wie zur Motivirung des Erzählten. S. hier und im folgenden Beispiele und Belege in meinem Aufsatz.
Dann aber malt er weiter aus, und hierbei verleugnet er seine Nationalität nicht, denn er bearbeitet die Bibel nicht nur in angelsächsischer Sprache, sondern auch im angelsächsischen Geiste. Er lässt die von ihm erzählten Handlungen gleichsam in seinem Volke vor sich gehen, indem er die Einrichtungen, Sitten und Gebräuche, Tugenden und Fehler desselben, ja selbst die Natur seines Landes, so weit dies möglich ist, in die Zeit und Scene der biblischen Erzählung überträgt. Ganz ebenso wie dies in den Werken der bildenden Kunst damals geschah, so in den Illustrationen der Handschrift unserer Dichtung selbst, publicirt in der Archaeologia Vol. XXIV. S. über dieselben: Springer, Die Genesisbilder in der Kunst des frühen Mittelalters. Leipzig 1884. (Aus dem IX. Bd. der Abhandlungen der k. sächs. Gesellsch. d. Wissensch.). So finden wir die Namen der angelsächsischen Würden und Aemter an der Stelle der biblischen Ausdrücke, so besteht der Reichthum in Ringen und gewundenem Gold, so sind die Krieger wie die der Angelsachsen gewappnet, und selbst das von diesen so geliebte Meer erscheint in Landschaftsbildern, die der Autor entwirft. Als wahren und zugleich recht nationalen Dichter zeigt er sich namentlich in einzelnen fein ausgeführten Gemälden, zu denen die biblische Erzählung ihm Anlass bot, so in der Schilderung der Sündfluth V. 1295 ff., wo auch ein apokrypher Zug erscheint, der im poetischen Interesse wohl benutzt ist; der Rabe kehrt nicht zurück, weil er eine Leiche zum Frasse findet. Demselben Motiv begegnen wir auch in Avitus' Dichtung l. IV, v. 566. S. Bd. I, S. 383. – Die Liebe und Kenntniss des Meers und der Schifffahrt gibt sich übrigens in dieser Schilderung ächt angelsächsisch kund. und der Schlacht, welche der König von Sodom dem der Elamiter liefert (v. 1982 ff.). Das letztere 18 Gemälde ist ganz frei entworfen – ein lebendiges Bild aus den Kriegen der eigenen Nation – da die Bibel hier (c. 14, v. 9 ff.) nur der Localitäten und des Resultats gedenkt. – Auch der subjective Ausdruck eines gemüthvollen Antheils von Seiten des Dichters an dem Erzählten, der sich gerade in diesem Theile der Genesis hier und da findet, ist ein ächt nationaler Zug.
Einen ganz andern Charakter als die Genesis hat das zweite Stück des Oxforder Codex, der Exodus. Wülker, Grundriss S. 130, 133, 513. Es ist eine freie dichterische Schöpfung auf Grund fast nur eines Kapitels des biblischen Buchs, des vierzehnten, indem allein der Auszug der Juden aus Aegypten und der Durchzug derselben durch das rothe Meer sammt dem Untergange des Pharao und seines Heeres den Gegenstand der Dichtung bildet, also der »Exodus« im engsten Sinne des Worts. Sie umfasst auch nur 589 Langzeilen. Ihre Selbständigkeit zeigt sich sogleich in der Einheit ihrer Composition, indem der Dichter Moses zum Helden gemacht hat. So wird sein Lob im Eingang wie im letzten Abschnitt gesungen, obschon er freilich im Geiste der Bibel nur ein Werkzeug Gottes ist, der der eigentliche Sieger. So beginnt der Dichter damit, den weisen Gesetzgeber der Welt, welchen Gott der Wunder viele vollbringen liess, zu rühmen; er ist aber zugleich ein kluger Heerführer, ein frommer Volksherzog. »Ihm gab Gott der Waffen Gewalt gegen der Feinde Schrecken.« Gott unterstützte sein Unternehmen, indem er die Erstgeborenen Aegyptens schlug: nun wurde die Erlaubniss zum Abzug vom Pharao gegeben. (Der andern Plagen wird hier nicht gedacht).
Es folgt die Fahrt nach dem rothen Meer, deren Schilderung manches eigenthümliche bietet. So gelangen die Juden auf derselben bis zu den Schwarzen, deren Land mit einem Lufthelm bedeckt ist und einen Moorgrund hat. Die Wüste stellte sich wohl dem Angelsachsen als unfruchtbares Moorland wie als Heide dar. Gegen die brennende Sonne schützt die Juden die Wolke, welche sie leitet: wie ein Segel ist sie über ihnen ausgespannt. Das Segel zeigt ihnen den Weg: »die Seeleute fuhren auf dem Fluthwege nach« (v. 105). Des Abends aber begab sich ein neues Wunder: nach dem Untergang der 19 Sonne begann eine brennende Säule mit ihrer Flamme zu leuchten – die Schildränder blinkten, die Schatten schwanden – dass nicht mit »Wüstengraus« die graue Heide das Heer ängstigte. Aber der »Vorausgänger«, die leuchtende Säule, droht auch mit den feurigen Locken Häfde foregenga fŷrene loccas etc. v. 120. dem Heere, wenn es Moses nicht gehorchen will. – Unter solcher Führung sind die Juden bis zur Meeresküste gelangt, wo sie ermüdet ihre Zelte aufschlagen (v. 134).
Da vernehmen sie die Kunde, dass die Aegypter sie verfolgend heranziehen. Schrecken ergreift sie; schon sehen sie das Heer des Pharao, seine Schilde leuchten, seine Fahnen flattern; die Trompeten blasen zum Kampf. Die Kriegsvögel schreien, die Wölfe singen ihr schrecklich Abendlied in der Hoffnung auf Aetzung. An der Spitze des Heeres reitet der Siegkönig selbst. – Aber ein mächtiger Engel tritt zwischen die entsetzten Juden und den Feind, Vgl. Exod. c. 14, v. 20. so dass sie einander nicht sehen konnten Der Wolkensäule, die dies eigentlich bewirkte, wird hier nicht gedacht. (v. 207).
Unter den Waffen erwarten die Juden den Tag, ohne Hoffnung, die Heimath wiederzusehen: denn zwischen den beiden Feinden, den Aegyptern und dem Meer, ist ein Entrinnen nicht möglich. Beim Grauen des Morgens lässt Moses zum Aufbruch blasen: eiligst brechen sie die Zelte ab. Der Eintheilung des Heeres wird hier gedacht: 12 Heerhaufen, ein jeder von 50 Rotten zu 1000 Mann, im ganzen also 600 000. Da erhob vor den Männern der Kampfherold, der kühne Prophet – Moses – den Schild, gebot Stille, und hält eine ermuthigende Anrede: er verweist ihnen ihren Kleinmuth, der ewige Gott Abrahams werde sie schirmen mit seiner starken Hand. Dann aber vollbringt er das rettende Wunder, das der Dichter ganz dramatisch Moses selbst in seinem Monologe schildern lässt (v. 278 ff.): »Traun, ihr schaut nun mit euern Augen, der Völker liebstes! ein unerwartetes Wunder, wie ich selbst und diese Rechte mit einem grünen Zweig des Oceans Tiefe schlug; auffährt die Woge, in Eile macht sie das Wasser zur Mauerfeste. Trocken sind die Wege, die grauen Heerstrassen, die alten Stätten, auf welchen niemand je wandelte, die Schaumfelder, welche bislang ewige 20 Wogen bedeckten.« – – Der Durchzug beginnt: voran Juda's Heerhaufe, dessen Banner ein goldener Löwe ist; Im Hinblick auf Genes. c. 49, v. 9, wo Jacob zu Juda sagt: Catulus leonis Juda: ad praedam, fili mi, ascendisti: requiescens accubuisti ut leo, et quasi leaena, quis suscitabit eum? nach ihm der des Ruben, die Seeleute, Vikinge; Ob so genannt, weil Jacob (a. a. O. v. 3) zu Ruben sagt: Effusus es sicut aqua? Ist dem Dichter hierdurch der Gedanke gekommen? dann Simeons Schaaren: Thau hängt an ihren Lanzenschäften. Das Rauschen des Tages geht über den Ocean hin, der herrlich glänzende Morgen. Das Heer zog fort, eine Volksmenge nach der andern, Stamm nach Stamm, Einer führte die Gewappneten, der dadurch berühmt ward – Moses. Ein jeder wusste der Magschaften Besitzrecht, die Heimath Indem ich für æđelo (Adel) æ̂đel = eđel lese. S. meinen Aufsatz: Zum Exodus, Anglia Bd. V, S. 409. der Edlen (Kanaan), wie sie ihnen Moses verkündete. Einen einzigen Stammvater hatten sie: der liebe Volksfürst empfing einst das Recht auf das Land. Von ihm stammt Israels Geschlecht, wie dies die klugen Alten erzählen. – Nun folgt (v. 362) diese Erzählung Die, wie ich in dem eben angeführten Aufsatz zeigte, keineswegs als eine Interpolation zu betrachten ist, vielmehr die im folgenden oben angegebene Bedeutung hat.: Noah bevölkert die Welt von neuem, der neunte nach ihm war Abrahams Vater; dem Abraham aber ward, da er seine Treue gegen Gott bewies durch Isaaks Opfer, welches hier der Dichter ausführlich (v. 397 ff.) erzählt, der Segen des Herrn: dass seines Geschlechtes Zahl nicht sagen können die Erdenbewohner, wenn sie nicht die Sterne am Himmel, die Steine auf Erden, der Seeberge Sand und die salzigen Wogen zu zählen vermögen; und dass seine Nachkommen besitzen sollen das Land der Kananäer (v. 445). Gen. c. 22, v. 17: possidebit semen tuum portas inimicorum suorum. So erklärt der Dichter die Menge des Heers der Juden und zeigt zugleich das Ziel ihrer Fahrt.
Nach v. 445 sind eine Anzahl Langzeilen ausgefallen (jedoch gewiss nicht viele), in welchen die Verfolgung der Aegypter geschildert wurde. Sogleich wird hier nämlich (v. 446 ff.) ihr Untergang erzählt. Sie haben sich bereits zur Flucht gewandt, denn schon droht das Meer mit dem Tode. Schrecklich wälzen die Wogen sich ihnen entgegen: da wo eben noch Wege waren, greift jetzt muthig das Meer an; der Sturm fliegt hoch zum 21 Himmel, das lauteste der Kriegsgeschreie. Die Schildburgen der Kämpfer werden durchbrochen, sie sinken in den Tod, gefesselt vom Meeresstrom. Es wichen die Wassermauern, es schmolzen die Meerthürme – die den Juden eine Strasse gemacht. Pharao erkannte zu spät, mit welchem mächtigen Wart der Meeresfluth er kämpfte. Kein einziger seines Heeres entrann, um die schlimmste der Kunden in die Städte zu bringen, den Fall der Hausherren ihren Weibern.
Diese Schilderung hat manche grosse Einzelzüge, von denen ich einige wiedergab, wie sie denn aus der lebendigen Anschauung eines Kenners des Meeres erwachsen ist: aber es fehlt der hin- und herwogenden Darstellung alle Ordnung.
Der Dichter preist dann (v. 515 ff.) Moses als Propheten, als Verkünder der zehn Gebote, indem er aber auf das Evangelium als etwas höheres hinweist, auf das Evangelium, das die Unsterblichkeit verheisst, das Paradies den Guten, die Hölle den Bösen zum Lohn. Moses verkündet dann den Juden, dass Gott jetzt was er ihnen schon lange gelobt, gewähren wolle, den Besitz von Kanaan, wenn sie seine heilige Lehre hielten. Das Volk jubelt, die Siegesposaunen singen, die Feldzeichen flattern lustig. Männer und Weiber stimmen dem Herrn ein Loblied an. Dann bemächtigen sie sich der im Meere schwimmenden Beute, indem sie Kleinode, Gewandung und Schilde mit Netzen herausfischen. Die Feinde aber lagen auf der Todesstätte, die grösste der Völkerschaaren.
So endet die Dichtung mit einem Zusatz im Geiste der angelsächsischen Nationalität, die sich auch sonst in der Darstellung des Feldzugs nirgends verleugnet.
Das dritte Stück desselben Codex, welches 765 Langzeilen zählt, ist eine poetische Bearbeitung des Buches Daniel, die, soweit sie uns erhalten ist, bis Kap. 5, v. 23 geht, indem der Schluss dieses Kapitels, der gerade die Deutung der geheimnissvollen Inschrift gibt, fehlt. Hiernach ist diese Dichtung in jedem Fall unvollständig überliefert.
Sie hebt mit einer selbständigen Einleitung an, worin der Dichter die Unterjochung der Juden durch Nebucadnezar mit ihrer Entsittlichung motivirt. Sie lebten glücklich, sagt er, unter einem angestammten Königthum und waren siegreich gegen ihre Feinde, so lange sie Gott die Treue bewahrten. 22 Aber sie wurden übermüthig, indem sie der Zechlust sich ergaben – ein ächt national angelsächsischer Zug S. Bd. 1, S. 613. – und geriethen so in Irrthum und Sünde. Vergeblich sandte Gott dann seine Propheten sie zu bekehren. – Da wies er zornig fremden Helden den Weg zu ihrer hohen Burg (v. 35): Nebucadnezar erobert Jerusalem, plündert den Tempel, und führt die Juden nach Babylon.
Von hier an folgt nun der Verfasser dem biblischen Buche, theils kürzend, theils weiter ausführend, auch erlaubt er sich einzelne kleine Aenderungen und Zusätze. So gibt er den ersten Traum des Nebucadnezar und seine Auslegung durch Daniel (c. 2, v. 28 ff.) gar nicht, deutet dagegen den Inhalt des Traums in den dem Eingang des Kap. 2 entsprechenden Langzeilen an, was in der Bibel hier nicht geschieht.
v. 110 ff.:
– – swefnes wôma,
hû woruld wære wundrum geteód
ungelîc yldum ôđ edsceafte.
Wearđ him on slæpe sôđ gecŷđed,
þätte rîces gehwäs rêđe sceolde gelimpan. Auch v. 13–27 desselben Kapitels ist nicht wiedergegeben: Daniel erscheint
unaufgefordert vor dem König, ihm den Traum zu sagen. Die Weigerung der drei israelitischen Jünglinge, den neu errichteten Götzen Nebucadnezars zu verehren (c. 3, v. 12), wird dagegen weiter ausgeführt und damit nachdrucksvoller hervorgehoben (v. 196 ff.). Mit Recht, denn so wird der Glanzpunkt dieser Erzählung, der auch den Christen am meisten interessiren musste, das Wunder vom feurigen Ofen, vorbereitet. Die Schilderung desselben ist sehr ausführlich, mit lebhaften Farben gemalt (v. 244 ff.): die Gluth des eisernen Ofens und wie sie durch die Erscheinung des vom Himmel gesandten Engels in eine wonnige Luft sich wandelt, dem Wetter gleich, wenn im Sommer ein warmer Regenschauer am Tage gefallen ist (v. 346 ff.).
Vgl. c. 3, v. 50 des biblischen Buchs:
et fecit medium fornacis quasi ventum roris flantem. Dass der Engel aber dem Sohne Gottes gleicht, wird hier nirgends angeführt.
In dem Gebete des Azarias und dem der drei Jünglinge
Diese Gebete finden sich mit der darauf folgenden Bibelerzählung bis zum Austritt der drei Männer aus dem Feuer, in einer andern Redaction, auch im Exeter Codex. Sie stimmt mit der Oxforder bis in den Eingang des zweiten Gebets (Oxf. v. 365 u. Exet. v. 75) grösstentheils wörtlich überein, dann aber weicht sie viel mehr, ja oft ganz ab, indem namentlich auch längere Zusätze in ihr sich finden, weitläufige Ausführungen von Andeutungen der Bibel, wie v. 80 ff. Der Verfasser der Exeter Redaction hat auch die Bibel direct vor Augen gehabt, es findet sich sogar ein lateinisches Citat (v. 100); hier und da schliesst er sich enger, an andern Stellen wieder weniger eng an die Bibel an, als der Oxforder Text. Der erzählende Schluss ist im Ausdruck ganz unabhängig von diesem. – Die Exeter Redaction findet sich auch in Greins Bibliothek Bd. I, S. 115 ff. erhebt sich die Sprache des Dichters, die in der Erzählung oft
23 eine selbst dürftige Einfachheit zeigt, von der Poesie des biblischen Buches fortgerissen, zu einem schönen andachtsvollen Schwung, ohne in Schwulst zu verfallen – ein bei seinen Landsleuten so gewöhnlicher Fehler. Bemerkenswerth ist die Naivetät des Dichters, den Azarias in seinem Gebet das spätere Schicksal der Juden nach der Zerstörung von Jerusalem anticipiren zu lassen, indem Azarias klagt, wie sie über die weite Erde zerstreut wären, ihr Leben in vielen Landen verachtet und bei manchem der Völker berüchtigt sei.
Siendon we tôwrecene geond vîdne grund
heápum tôhworfene hylde lease:
is ûser lîf geond landa fela
fracođ and gefræge folca manegum. v. 301 ff. – Auch im weiteren Verlauf der Erzählung von Nebucadnezar finden sich einzelne kleine Abweichungen von der Bibel: so wird der irrsinnig gewordene Herrscher nicht mit einem Ochs, sondern poetischer mit einem Hirsche verglichen (v. 574), so ist die Ankündigung seines Schicksals durch eine Stimme vom Himmel (c. 4, v. 28 ff.) hier weggelassen, so erzählt Nebucadnezar seinen Leuten seine lange Wanderung mit dem Wild (v. 649 f.).
Mit der Behandlung des 5. Kapitels fängt ein neuer Abschnitt an, der auch einen selbständigen Eingang hat (v. 672–695). Es wird so der in der Bibel fehlende Uebergang von der Geschichte des Nebucadnezar zu der des Baltassar ergänzt. Unerschüttert blieb die Herrschaft der Nachkommen des ersteren bis zur dritten (sic) Generation, sagt unser Dichter, bis Baltassar herrschte und in hässlichen Uebermuth verfiel; da war das Ende des Königthums der Chaldäer, das der Schöpfer den Medern und Persern verlieh. Die grösste und herrlichste aller Burgen, Babylon fiel, da Baltassar durch feindselige Prahlerei Gott versuchte. Schon naht das Heer der Feinde, während er 24 beim Mahle sitzt. Er rühmt sich, dass seine Götzen mächtiger sind als der Gott Israels. – Während so einzelnes der biblischen Erzählung zugesetzt ist, findet sich dagegen in dem noch Folgenden manches weggelassen.
So verfährt also der Dichter des Daniel freier mit dem Texte der heiligen Schrift als der des letzten Theils der Genesis; er strebt zugleich durch Zusätze eine gewisse Vollständigkeit und Pragmatik der Erzählung an, eine weitere Motivirung des Geschehenen; aber zu einer selbständigen einheitlichen poetischen Composition schreitet er nicht, wie der Dichter des Exodus, fort; von den lyrischen Partien abgesehen, ist das Kolorit seiner Darstellung viel farbloser und damit zugleich findet sich hier auch weit weniger ein nationales Kostüm., nicht bloss als das jener Dichtung, sondern auch als das des erwähnten Genesisabschnitts. Das dem angelsächsischen poetischen Stil so eigenthümliche rhetorische Element verschwindet hier in der Erzählung ganz, wie auch von den Reden der Bibel sehr wenige wiedergegeben sind. Der Wortschatz ist ein geringer, dieselben Ausdrücke kehren oft unmittelbar hintereinander mehrfach wieder. Der angelsächsische Gebrauch der Apposition, namentlich der schmückenden, ist hier weit seltener.
Noch einen alttestamentlichen Stoff finden wir in derselben Periode poetisch behandelt: es ist die Geschichte der Judith, auf Grund des nach ihr genannten biblischen Buches. Grein, Bibliothek der angelsächs. Poesie Bd. I, S. 120 f. – Rieger, Alt- und Angelsächsisches Lesebuch, Giessen 1861. S. 97 ff. – – Wülker, Grundriss S. 140 ff. So hat man denn auch die uns in dem Beowulf-Codex, freilich nur als Torso (350 Langzeilen), erhaltene angelsächsische Dichtung betitelt. Der Anfang fehlt: es beginnt der Torso sogleich mit der Einleitung der Katastrophe, dem Gastmahl des Holofernes, Schluss des Kap. 12 der Bibel, nachdem vorher nur in wenigen Versen das unerschütterliche Vertrauen der Heldin in Gottes Schutz vom Dichter geschildert ist. Wenn nicht in der Handschrift die erhaltene Partie der Dichtung nach den ersten 14 Reimzeilen in 3 Abschnitte eingetheilt, und diese mit den Ziffern X, XI, XII versehen wären, so möchte man kaum glauben, dass viel von ihr verloren gegangen sein könnte, in Anbetracht der Art, wie der Verfasser in dem uns Erhaltenen die biblische Vorlage behandelt.
25 Das Gastmahl wird hier von Holofernes seinen ältesten Degen gegeben. Es wird von dem Dichter in der Kürze auf das lebendigste geschildert, offenbar nach den Zechgelagen seiner Landsleute, die sich ja auf dergleichen verstanden. Krüge, Humpen und Becher werden kredenzt. Holofernes lacht, schreit, tobt und lärmt, dass man es weithin hören konnte. Und doch war er mit seinen Degen schon dem Tode geweiht, was der mächtige furchtbare Männerherr nicht ahnte! – ein Zug, der den wahren Dichter zeigt. Betrunken bis zum Tode liegen mit der Nacht Anbruch die Genossen da. Nun begibt sich der Fürst zu seinem Schlafgemach und lässt seine Diener die herrliche Magd herbeiführen. Aber trunken vom Weine fällt er mitten auf die Ruhestätte, ohne Bewusstsein. Jetzt folgt die Erzählung der Bibel: nur wird die Ermordung des Holofernes ausführlich geschildert, wie Judith ihm zuerst den Nacken nur halb durchschneidet, dann mit einem zweiten Streiche das Haupt abhaut – worauf sein Geist in die Hölle hinabfährt, um dort, in dem finstern Drachensaale, ewige Qualen zu leiden.
Die Handlung schreitet dann (v. 122) viel rascher als in der Bibel vorwärts, wenn auch der angelsächsische Epiker, wie er musste, die Flucht der Heldin nach Bethulien und ihre Ankunft dort beschreibend ausführt. Aber die Rede der Judith, wodurch sie ihren Sieg verkündet, ist kurz und die Reden der Juden, sowie die Scene mit Achior sind ganz weggelassen (c. 13, v. 21 bis zu Ende). Judith fordert vielmehr alsbald ihr Volk zum Kampf auf, mit Tagesanbruch die Assyrier zu überfallen (c. 14, v. 1 ff.). Dieser Ueberfall wird sehr anschaulich geschildert – ein lebendiges Bild eines angelsächsischen Angriffs, nicht ohne den Schmuck volksthümlicher Epik. Bei dem Dröhnen der Schilde der ausziehenden Krieger (v. 204 ff.) frohlockt der dürre Wolf in dem Walde und der schwarze Rabe, der leichengierige Vogel, sie wussten beide, dass die Volksmannen die todgeweihten Feinde niederzustrecken dachten: ihnen flog nach der federbethaute Aar, der horngeschnäbelte sang das Kampflied. Den Helm auf dem Haupt, mit dem gewölbten Lindenschilde bedeckt, schreiten die Helden, die Fahnen entfaltet, 26 dahin. Nun folgt der Angriff. Zuerst aus der Ferne; einen Schauer von Pfeilen, den Kampfnattern, lassen sie von den Hornbogen fliegen; dann stürmen sie laut heran, die Speere entsendend; endlich schon mitten im Handgemenge schwingen sie die aus den Scheiden gezogenen Schwerter, die glänzend gezeichneten, schneideerprobten.
Indem dann der Dichter nach c. 14, v. 8 ff. darstellt, wie die Assyrier aus Ehrfurcht zögern, den Holofernes zu wecken, weiss er geschickt die Spannung des Lesers zu steigern, indem er die siegreichen Hebräer immer näher herandrängen lässt (v. 261). Die Niederlage der fliehenden Feinde, die Menge des blutigen »Heerraubs«, der Rüstungen wie Kostbarkeiten, wird mit angelsächsischer Siegesfreudigkeit lebhaft geschildert; seltsamerweise erhält auch Judith einen Theil der Beute zum Lohn: das Schwert des Holofernes, seinen blutigen Helm und seine mit rothem Gold geschmückte Brünne. Die Heldin preist den Herrn, der ihr Ruhm verlieh, weil sie so festen Glauben auf ihn hatte: So endet der Torso mit dem Lohn des von Judith in Gott gesetzten Vertrauens, dessen im Eingang des Torso zuerst gedacht wird. Dies ist wohl beachtenswerth: vielleicht fehlt hiernach weniger, als man sonst annehmen möchte. mit seinem Lob schliesst der Dichter selbst.
Dies ist ohne Zweifel das gelungenste der uns aus dieser Periode erhaltenen angelsächsischen Gedichte, welche alttestamentliche Stoffe behandeln. Wie überhaupt. Der Ansicht Kluge's (Paul u. Braune's Beiträge Bd. 9), das Gedicht ins Ende des 10. Jahrh. zu setzen, kann ich nicht beipflichten. Der epische Stil wird hier weder durch ein Uebermass der Rhetorik, noch durch Ueberfülle malerischer Schilderung beeinträchtigt und verdunkelt, der klare Fluss der Erzählung schreitet ungehemmt, wenn auch episch verweilend, vorwärts; der Ausdruck, von Schwulst und Weitschweifigkeit frei, hat eine subjective religiöse Wärme durch die innige Theilnahme des Dichters an seinem Gegenstand: erscheinen doch auch hier die Juden als die Altvordern der Christen, Judith als eine christliche Heldin, welche selbst die Dreieinigkeit anruft (v. 86). Um so eher rechtfertigt sich das angelsächsische Kostüm, das, wie ich angezeigt habe, auch hier nicht fehlt. 27