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Drittes Kapitel.

Hrotsvith. Leben. Epik: Legenden.

Als der wahre poetische Repräsentant der Regierung Otto's des Grossen erscheint eine Dichterin, die älteste deutsche, von der wir Werke besitzen, Hrotsvith, *Die Werke der Hrotsvitha, herausgeg. von Barack. (Mit Einleitung.) Nürnberg 1858. – Hrotsvithae Gandershemensis Comoedias VI ad fid. cod. Emmeranensis typis expressas edid. Bendixen. Lübeck 1857. (Praef.). – Bartsch, Kritik von Baracks Ausg. in Pfeiffers Germania Bd. III, S. 375 ff. – – Freytag, De Hrosuitha poetria, adiecta est comoedia Abraham inscr. Breslau 1839. (Habilitationsschr.). – Köpke, Hrotsuit von Gandersheim. Zur Literaturgesch. des 10. Jahrh. Berlin 1869. (Zweiter Theil der Ottonischen Studien). – Magnin, Hrosvita. De la comédie au 10 e siècle. In: Rev. des deux Mond. Sér. 4, T. 20. die Nonne des sächsischen, mit dem neuen Königshause eng verbundenen Klosters Gandersheim. Dieses fruchtbare dichterische Talent, dem selbst nicht der Trieb und der Muth des Genies fehlte, ganz neue Bahnen einzuschlagen, bezeugt auch auf dem Felde der Kunst, wie der sächsische Stamm damals zu der Führung der deutschen Nation berufen war.

286 Hrotsvith, Den Namen übersetzt sie selbst in der Praef. des zweiten Buchs durch Clamor validus . sicher aus edlem Geschlecht, wohl im Anfang der dreissiger Jahre geboren, S. Köpke S. 33 f., der »etwa 932« annimmt. kam zur Zeit der Aebtissin Wendilgard (sie war es vom Ende der zwanziger bis zu dem der fünfziger Jahre) in das Kloster; ihre Lehrerinnen waren dort zuerst vornehmlich Riccardis, die sie selbst als sehr gelehrte und gütige magistra bezeichnet, dann Gerberg, die Nichte Otto's I., die Tochter Heinrichs, welche die Nachfolgerin der Wendilgard in der Regierung des Klosters wurde. Gerberg, jünger als Hrotsvith, aber in der Wissenschaft weiter fortgeschritten, lehrte, so erzählt die letztere, ihr das Verständniss »einiger Autoren«, das sie selbst von den Gelehrtesten erlernt hatte. S. die Praefatio des ersten Buchs. Ed. Barack p. 3. Unter diesen Auctores sind gewiss Poeten des Alterthums zu verstehen. So verdankte Hrotsvith Gerberg ihre höhere literarische Ausbildung, nachdem sie die eigentlichen Schuldisciplinen unter Riccardis' Leitung sich angeeignet; mit welchem Erfolg, zeigen Scenen ihrer Dramen, worin Fragen der Dialektik, Musik und Arithmetik schulmässig behandelt sich finden. Eine Frucht ihrer gelehrten Bildung sind ihre poetischen Werke, die aber keineswegs deshalb als Erzeugnisse der Schule zu betrachten sind. Sie erscheinen in drei Büchern von Hrotsvith gesammelt, von welchen ein jedes durch ein Vorwort eingeführt wird. Das erste enthält Legenden in leoninischen Hexametern und Distichen, das zweite Dramen in Prosa, das dritte historische Gedichte im heroischen Versmass. Diese Ordnung ist, und, wie es scheint, auch in Betreff der einzelnen Stücke, zugleich eine chronologische. In Bezug auf die poetische Gattung enthalten also das erste und letzte Buch epische, das zweite dramatische Werke.

Wir gehen sogleich zu einer Betrachtung der ersteren über, denn über das Leben der Dichterin sind wir, von ihrer schriftstellerischen Thätigkeit abgesehen, nicht weiter unterrichtet.

Das erste Buch enthält acht Erzählungen, von welchen die fünf ersten zunächst allein edirt und Gerberg als der Lehrerin, die sie verbessern möge, in sechs Distichen gewidmet sind, ihnen schlossen sich dann bei Herausgabe des ganzen Buchs die drei letzten an, welche eine kurze Zuschrift an Gerberg in 287 demselben Versmass als » neue Verschen« den vorausgehenden hinzugefügt, bezeichnet.         En tibi versiculos, Gerberg, fero, domna, novellos,
        Jungens praescriptis carmina carminulis.

Aus dem letzten Vers ergibt sich, dass sie nicht selbständig edirt worden sind.
Das ganze Buch wurde aber erst, nachdem Otto I. die Kaiserwürde erlangt, also nach 962, herausgegeben, denn die Dichterin bezeichnet Gerberg in dem Vorwort als kaiserliche Nichte. Letzteres, welches an die Güte »aller Gelehrten« appellirt, (woraus sich ergibt, dass das Werk aus dem engen Kreise des Klosters in alle Welt hinausgehen sollte), bittet um Nachsicht in inhaltlicher wie formeller Rücksicht, in ersterer insofern als nach der Meinung mancher apokryphische Stoffe darin sich behandelt fänden: die Verfasserin habe sie als solche beim Anfang ihrer Arbeit nicht erkannt; in formeller Beziehung aber führt sie zu ihrer Entschuldigung an, dass sie noch zu jung, ohne fremde Hülfe, heimlich und gleichsam verstohlen ihr Werk zu beginnen gewagt habe.

Die erste Entschuldigung galt offenbar zumeist, wenn nicht allein, den beiden ersten Erzählungen, die Christi Leben betreffend unter dem von uns gebrauchten Generalnenner »Legenden« nur in einem weiteren Sinne dieses Worts begriffen werden können. Die erste, Maria betitelt, erzählt, nach einem an die Jungfrau gerichteten Prolog von 16 Distichen, in 859 Hexametern die heilige Geschichte von der Erzeugung der Maria an bis zur Flucht nach Aegypten (einschliesslich), und zwar auf Grund der Historia de nativitate Mariae et de infantia Salvatoris , welche den ersten Theil des Evangelium Pseudo-Matthaei bildet und in manchen Handschriften dem heiligen Jacob, dem Bruder Christi, beigelegt wird. S. Evangelia apocrypha. Colleg. atque recens. Tischendorf. Ed. II. Leipzig 1876. (Hier ist zuerst auch der zweite Theil des Pseudo-Matthaeus publicirt). S. pag. 54 ff. und vgl. pag. IX, XXII ff. und LXXXVI. In dem Gedicht der Hrotsvith erscheint diese apokryphische Erzählung, die später in den Nationalliteraturen öfters wiederkehrt, zum ersten Male im Ganzen poetisch behandelt. Theilweise ja schon in Cynewulfs Christ, s. oben S. 45 f. Um so mehr verdient der Inhalt desselben im Umriss hier angezeigt zu werden, das in allen wesentlichen Zügen treu seiner Vorlage folgt.

Joachim, aus dem königlichen Stamme Davids, ist schon 288 zwanzig Jahre mit Anna vermählt, ohne dass die Ehe eine Frucht getragen. Deshalb wird er eines Tags im Tempel von dem Opfer zurückgewiesen; beschämt eilt er (ohne nach Hause sich zu wenden) zu seinen Herden und zieht mit ihnen in ein fernes Land. Fünf Monate vergehen und Anna hat von ihm keine Kunde, verzweifelnd sucht sie Trost im Gebet; da sieht sie aufblickend in den Zweigen eines Lorbeerbaumes ein Nest voll junger Vögel, welche die Alten beschirmen, Hier ist die Vorlage poetisch ausgeführt; während diese mit einem vidit nidum passerum sich begnügt, heisst es hier v. 122 f.:
        (cernit) In ramis lauri resonantes murmure dulci
        Pullos plumigeris volucres circumdare pennis.
und sie fleht Gott um ein Kind an, des Glücks, das selbst die Thiere haben, sich zu erfreuen. Es soll seinem Dienst im Tempel geweiht sein. Darauf verkündet ihr ein Engel, dass Gott ihr Gebet erhöre. Jener erscheint auch alsbald mit gleicher Nachricht Joachim, um ihn zur Rückkehr aufzufordern. Freudig wird dieser von seinem Weib empfangen, die neun Monate später ein Kind gebiert. Es ist Maria, der, wie die Dichterin, aber nicht ihre Vorlage, erzählt, durch eine Stimme dieser Name vom Himmel gegeben wird, welcher im lateinischen Stella maris bedeute (v. 274 ff.). Im dritten Jahr wird sie dem Tempel übergeben, dessen fünfzehn Stufen sie allein hinaufeilt, ohne nach den Eltern zurückzublicken.

Nach einer Charakterschilderung der heranwachsenden Jungfrau folgt dann ihre Verlobung im vierzehnten Jahre mit dem alten verwittweten Josef, der ihr von den unverheiratheten Männern des Stammes Juda durch das Loos mit den Ruthen zufällt, indem aus der seinigen eine Taube zum Himmel auffliegt. Josef will sich aber nicht mit Maria vermählen, sondern sie für einen seiner Söhne aufbewahren. Es wird dann die Verkündigung in der Kürze berichtet, in Betreff des Kummers des Josef aber über Maria's Schwangerschaft und seiner Tröstung von Hrotsvith nur auf »die evangelischen Bücher« verwiesen, während ihre Vorlage im Gegentheil hier recht ausführlich ist (c. 10 ff.). Noch weniger geht die züchtige Nonne auf die dort c. 12 erzählte Untersuchung ein, welche gegen das dem Anschein nach schuldige Paar von dem Oberpriester eingeleitet wird, da vor einem bestimmten Zeitraum die Vermählung nicht 289 vollzogen werden durfte. S. Hist. de nativ. c. 8 am Ende. Das Gedicht schreitet vielmehr sogleich zu der Geburt Christi fort (v. 543 ff.), die hier in einer Höhle erfolgt, wobei denn auch der Hebammen Zelemi und Salome gedacht wird, durch welche die »jungfräuliche Geburt« bezeugt wird. Die Hebammen, von Josef geholt, erscheinen erst nach der Geburt. Zelemi untersucht zuerst Maria und glaubt an ihre Jungfräulichkeit, Salome aber zweifelt, und als sie darauf die Jungfrau berührt, welkt ihr unter Schmerzen die Hand, die aber durch Berührung der Windeln des Kindes wieder geheilt wird. Vgl. Hist. de nativ. c. 13. Dann wird der Begrüssung durch die Magier gedacht (635 ff.), worauf der merkwürdige, nur einem der Codices des Pseudoevangelium eigenthümliche, Dem Cod. D s. ed. l. p. 82, Anmerk. Köpke hat irrthümlich den Zusatz Hrotsvith zugeschrieben. S. 46. Zusatz sich findet, dass Herodes vor der Kinderverfolgung auf den Befehl des Augustus als des Majestätsverbrechens verdächtig – mit Recht, sagt die Dichterin, weil er dem Sohn des himmlischen Königs nachstellte – nach Rom gefordert und dort zwei Jahre festgehalten wird. Es geschah dies, wie die Dichterin hinzufügt, nach göttlicher Fügung, damit alle mandamina legis durch Herodes' Entfernung voller erfüllt werden konnten. v. 670 f. Indessen findet die Darbringung des Kindes im Tempel statt.

Nun folgt die Flucht nach Aegypten (v. 696 ff.), indem Herodes nach seiner Rückkehr die Verfolgung unternimmt. Schlangen und Löwen verehren auf der Reise das Christkind. Auf seinen Befehl neigt eine Palme ihre Zweige, um Maria ihre Früchte darzubieten, und ihrer Wurzel entspringt ein Quell, um den Durst des Josef zu stillen. Sie gelangen dann in wunderbarer Schnelle nach der grossen ägyptischen Stadt Sonites (in der Vorlage Sotines), wo, als sie den Tempel betreten, alle Götzenbilder desselben zu Boden stürzen, und der Herzog Afrodisius darauf Christus anbetet. Damit schliesst die Vorlage Hrotsviths, der erste Theil des Pseudoevangelium, und auch die Erzählung ihres Gedichtes, das selbst aber erst ein Epilog von 30 Versen zum Lobe Christi, welcher der Menschheit wegen solche Kindesgestalt annahm, beendet.

Das zweite Gedicht, De ascensione Domini (150 Hexameter), ist, wie der Titel ferner anzeigt, auf Grund einer griechischen von einem Bischof Johannes ins lateinische übertragenen Schrift 290 verfasst; es besteht fast zur Hälfte aus langen Reden, die Christus beim Scheiden an seine Jünger und Maria richtet, worin die betreffenden Bibelstellen weit ausgeführt werden. In der Erzählung von der Auffahrt selbst wird Christus durch die Hymnen eines Chors von Engeln begrüsst, Vgl. oben S. 47 Cynewulfs Christ. denen auch die alten Propheten sich zugesellen, in deren Mitte David zur Cither singt. Zuletzt begrüsst Gott Vater selbst den zurückkehrenden Christus. In den Schlussversen nennt die Dichterin ihren Namen, indem sie den Leser nm ein Gebet für sie bittet.

Die folgenden sechs Legenden bieten fast alle interessante Stoffe aus dem Leben der Heiligen, und es zeichnet sie eine reiche Mannichfaltigkeit aus, sodass dieses Werk Hrotsviths für das Kloster eine anziehende Unterhaltungslectüre bilden musste, zumal manche der Stoffe nur wenig bekannt sein konnten.

Die erste dieser Legenden ist die Passio des heiligen Gongolf, welche, abweichend von den andern, in Distichen verfasst ist und mit Einschluss eines an Gott gerichteten Prologs, worin die Dichterin um seinen Beistand bittet, Sie nennt dabei ihren Namen v. 12. 582 Verse zählt. Auch diese Erzählung ist auf Grund einer lateinischen Vita verfasst. Eine solche findet sich in den Acta S. S. Mai, Tom. II, p. 644. Nach ein paar auffallend übereinstimmenden Zügen, so namentlich das Beispiel Hiobs v. 61 und Vita § 2 fin., sollte man denken, dass diese Redaction der Dichterin vorgelegen hätte. Ist dies aber der Fall gewesen, so hat sie die Vorlage schlecht benutzt, denn sie hat ganz wesentliches zum Verständniss der Handlung weggelassen, das ich in der Inhaltsangabe in Klammern ergänzt habe. Unwesentliches ist von mir nicht beigefügt, denn es fehlt noch manches andre. Da die Behandlung der Vorlagen sonst bei Hrotsvith durchaus nicht eine so freie ist, denn es finden sich hier auch Zusätze ihrerseits, und mannichfache Abweichungen, so glaube ich doch eher, dass sie eine andere Redaction benutzt hat.

Gongolf, welchen Hrotsvith als Märtyrer bezeichnet, ist dies nur in einem ganz eigenthümlichen Sinne: er ist ein Märtyrer in Folge der ehelichen Untreue. Er war ein burgundscher Grosser (zu Varennes), zur Zeit König Pippins, des Vaters Karls des Grossen. Fromm auferzogen, erfreute er sich seiner besondern Gunst, doch blieb er demüthig, nach himmlischem 291 Lohn strebend, freigebig gegen Arme und Kranke. Bei aller seiner Frömmigkeit aber war er auch in menschlichen Dingen den ersten unter den Feudalherren gleich, als Jäger wie als Krieger. Noch zur Zeit der Abfassung der Vita (s. l. l. § 4) war in der ihm zu Varennes geweihten Kirche seine Rüstung zu sehen, die von seiner Stärke und Waffentüchtigkeit Zeugniss ablegte. Gott gab durch verschiedene Zeichen zu erkennen, wie er ihn liebte. Eins will die Dichterin erzählen. Einst kehrte Gongolf von einem glücklichen Kriegszug zurück. Unterwegs (es war in der Champagne) sieht er eine blumige Wiese mit einer klaren Quelle. (Er war erschöpft und seine Pferde hungrig und durstig.) Er kauft die Quelle von dem geringen Mann, dem sie gehörte, um den hohen Preis von 100 Solidi. (Dieser verspottet ihn deshalb in seinem Inneren, da sich doch die Quelle nicht forttragen liesse und also ihm selbst immer noch zur Benutzung bliebe). In der Heimath angelangt, wird Gongolf wegen des theuern Kaufes getadelt von den Genossen, (in der Vita weit besser von seinem ihm bereits untreu gewordenen Weibe), und mit um so mehr Recht, als ein dorthin gesandter Bote berichtet, dass die Quelle versiegt sei. Gongolf aber in der Umgebung seines Hauses spazierend, stösst seinen Stock in den Boden, und siehe da, des andern Morgens tritt hier die gekaufte Quelle hervor, der dann auf Gongolfs Gebet Gott heilende Eigenschaften ertheilt. Sie wird so ein Zielpunkt der Kranken, die auch von weither dorthin ziehen.

Aber die Quelle soll auch dazu dienen, die Treue seines Weibes zu erproben. Auf Bitten seiner Vasallen (v. 339 ff.) hat sich Gongolf vermählt, um sein Geschlecht ihnen zu erhalten. Doch der böse Feind verlockt die Gattin, sie lässt sich von einem Kleriker verführen. Gongolf, noch zweifelnd an ihrer Schuld, legt ihr als Unschuldsprobe auf, ihre Hand in die Quelle zu tauchen. Verbrannt zieht sie dieselbe heraus: der fromme Mann begnügt sich damit, den Verführer zu verbannen. Dieser aber kehrt zurück und tödtet im Einverständniss mit dem Weibe Gongolf, dessen Seele in den Himmel aufgenommen wird. Die Verbrecher entfliehen. Indessen begeben sich wunderbare Kuren an Gongolfs Grabe, die seine Heiligkeit bezeugen. Als sie seiner Frau hinterbracht werden, da spottet dieselbe ungläubig: Gongolf vollbringe keine andern Wunder, als ihre Kehrseite. 292 Diesem Spott folgt aber die Strafe auf dem Fusse, indem jene bei jedem Wort, welches das Weib redet, das ganze Lehen hindurch sich vernehmen lässt, und es so zum allgemeinen Gelächter wird.

Die Abfassung der Vita scheint erst dem Ende des neunten Jahrhunderts anzugehören, und zwar erfolgte sie auf Grund mündlicher Ueberlieferung. Eine ältere Vita war wohl in den Stürmen der Zeit zu Grunde gegangen, wie auch der Verfasser der erhaltenen meint. Von dem kulturgeschichtlichen Interesse der Erzählung abgesehen, verdient die Auffindung der heissen Quelle besondere Beachtung, und man kann wohl noch den thatsächlichen Zusammenhang des Wunders durchschauen trotz des Schleiers, den die fromme Tradition über ihn gebreitet.

Wenn unsere Dichterin schon in dieser Erzählung eine verhältnissmässig neue Geschichte, die sich kaum 200 Jahre zuvor begeben, behandelte, so hatte diesen Reiz der Neuheit noch in einem viel höheren Grade die folgende Legende, deren Held fast noch ein Zeitgenosse der Dichterin war, wie sie auch selbst im Titel anzeigt. Ich meine die Passio S. Pelagii, pretiosissimi martyris, qui nostris temporibus in Corduba martyrio est coronatus (in 414 Hexametern). Der Held ist ein spanischer Knabe, der, dreizehn bis vierzehn Jahre alt, im Jahre 925 das Martyrium in Cordoba erlitt. Zwischen dem ersten und dem zweiten Buch findet sich eine Notiz der Dichterin, worin sie bemerkt, dass sie die Stoffe ihrer Legenden wie ihrer Dramen aus alten Büchern entnommen mit Ausnahme dieser Passio, welche ein Eingeborner Cordoba's ihr erzählt habe, der »den schönsten der Männer« selbst gesehen und Augenzeuge gewesen sei. Er ist ihr Gewährsmann. Dieser indigena Cordoba's war offenbar ein Mitglied einer der beiden Gesandtschaften, die Abderrahman III. an Otto in den Jahren 950 und 955 schickte. Die Gesandten waren christliche Bischöfe, der zweite war Bischof von Elvira. Dass in Gandersheim, welches gleichsam zu den Hofresidenzen gehörte, Hrotsvith leicht eine solche Bekanntschaft machen konnte, ist selbstverständlich, zumal die erste Gesandtschaft drei Jahre lang in Deutschland zurückgehalten wurde.

Hrotsvith ist offenbar durch seine Erzählung von dem Muth und der Standhaftigkeit des unschuldigen, bildschönen, »kaum zum Jüngling herangereiften« Spaniers wahrhaft begeistert worden. Dies beweist die Dichtung durch ihren schwungvolleren 293 Ausdruck, und sogleich im Eingang, indem sie mit einer Apostrophirung des Märtyrers selbst anhebt, den die Dichterin, wie sie sagt, mit dem Geiste verehrt, mit dem Herzen besingt – ein echt weiblicher Zug. Die Erzählung selbst aber beginnt mit einer glanzvollen Schilderung Cordoba's – damals in der That die grösste Stadt des Abendlandes – dieser herrlichen Zierde des Westens, die berühmt durch ihre Ergötzlichkeiten, prächtig in allen Dingen, voll von dem siebenfachen Strome der Weisheit, auch durch beständige Triumphe (der Märtyrer) immer hervorleuchte. Einst Christus unterthan, kam sie in die Gewalt der treulosen Sarazenen. Doch ihre früheren Herrscher beobachteten noch eine gewisse Toleranz gegen die Christen, nur war diesen bei Todesstrafe verboten, die von Gold gemachten Götter derselben zu blasphemiren. v. 57. Auch hier begegnen wir wieder der Identification des Islam mit dem Heidenthum, wie noch später in den Dichtungen der Karlsage, wo denn auch Mohammed selbst, wie im Rolandslied, als einer der Götter der Sarazenen bezeichnet wird. Sie kann natürlich nur auf Rechnung der Dichterin, nicht ihres Gewährsmanns gesetzt werden und entspricht offenbar der allgemeinen Meinung des christlichen Abendlands. Strenger aber verfuhr Dies war im allgemeinen durchaus nicht der Fall. der ausschweifende, prachtliebende, herrschsüchtige Abderrahman III. Er will alle Völker seinem Scepter unterwerfen. Da er hört, dass im fernen Galicien noch ein freies christliches Volk weilt, so beschliesst er, glühend von dem Zorne des Teufels, es zu bekriegen. Er siegt und nimmt den Fürsten mit zwölf Grafen gefangen. Diese lösen sich sogleich aus, aber der Preis für den Fürsten ist zu hoch, als dass er ihn alsbald erlegen könnte: da erbietet sich sein Sohn Pelagius, als Bürge für ihn in die Gefangenschaft zu wandern. Seinen dringenden Bitten gibt der Vater endlich nach. Pelagius wird dann in einen finstern Kerker Cordoba's geworfen (v. 191).

Dort sehen ihn eines Tags angesehene Männer, und entzückt von seiner Schönheit und Beredsamkeit, empfehlen sie ihn dem der Sodomie ergebenen König. Dieser lässt Pelagius rufen, um ihn zum miles im Palaste zu machen, aber der miles Christi wehrt trotz aller Versprechungen mit Spott die Liebkosungen des Königs ab, ja als dieser dennoch ihn zu küssen versucht, so schlägt er mit der Faust ihn auf den Mund (v. 273). Nun befiehlt der ergrimmte Fürst, Pelagius in einer 294 Kriegswurfmaschine über die Mauern an das felsige Ufer des Flusses zu schleudern, aber der Märtyrer bleibt unverletzt. Er wird darauf enthauptet und sein Körper in den Fluss geworfen, während seine Seele, in den Himmel aufgenommen, den Lorbeer der Jungfräulichkeit davon trägt. Fischer finden indess den Leib und den Kopf, und verkaufen die Reliquien an ein Kloster. An dem Grabe des Heiligen begeben sich aber alsbald wunderbare Heilungen; da man jedoch zweifelt, ob er in der That sie auch bewirkt habe, wird eine seltsame Heiligkeitsprobe unternommen: der Kopf wird dem Feuer eines Ofens eine volle Stunde ausgesetzt, und siehe, er bleibt unverletzt!

In dieser Erzählung Hrotsviths erscheinen in Folge der mündlichen, zum Theil wohl von ihr missverstandenen, Ueberlieferung einzelne Thatsachen entstellt, wie uns namentlich eine gleichzeitige spanische Vita des Pelagius lehrt. Sie wird einem Presbyter Raguel beigelegt, und ist vor der Uebertragung der Reliquien des Heiligen nach Leon, die im Jahre 967 erfolgte, verfasst. S. diese Vita Acta S. S. Juni, Tom. V und Florez, España sagrada, Tomo XXIII, pag. 230 ff. und vgl. ebenda pag. 105 ff. Nach dieser wird derselbe nicht der Bürge eines princeps oder dux , d. h. eines weltlichen Fürsten, sondern eines Bischofs, Hermogius von Tuy in Galicien, S. über ihn Florez a. a. O. Tom. XXII, pag. 41 ff. dessen Neffe er ist. Er ist 10 Jahr alt, als er als Geisel nach Cordoba kommt, 13 bis 14 Jahr zur Zeit seines Märtyrerthums. Die Dauer seiner Gefangenschaft ist bei Hrotsvith nicht berücksichtigt: so erscheint er bei ihr schon von Anfang in dem letzteren Alter. In seiner Passion werden nach der Vita die einzelnen Glieder des Leibes durch das Schwert abgetrennt. Denselben Zweck sollte bei Hrotsvith Sie hatte vielleicht von ihrem Gewährsmann zunächst nur gehört, dass der Chalif befohlen, den Märtyrer zerstückelt in den Fluss zu werfen. In der Vita heisst es § 9: rex jussit eum membratim gladio scindi et in flumine proici, bei Hrotsvith dagegen v. 278 ff. rex – – iussit Pelagium – – trans muros proici, iactum funda machinali – – nobilis ut testis, fluvii collisus arenis, – – membratim creperet raptim fractusque feriret. offenbar der Wurf aus dem Schleudergeschoss erreichen. In der Vita wird der Märtyrer bei der Zerstückelung selbst schon enthauptet. In wie weit die fernere Ausschmückung auf Rechnung der Dichterin, in wie weit auf die ihres Gewährsmanns zu setzen ist, muss ich dahingestellt sein lassen.

Die Schlacht, in welcher Hermogius gefangen wurde, ist 295 die von Junquera, unfern Pamplona, im Jahre 921, in dem Kriege, welchen Abderrahman gegen Navarra und das mit ihm verbundene Leon führte; wenn aber Hrotsvith und mit ihr in auffallender Uebereinstimmung die Vita Abderrahman gegen Galicien ins Feld ziehen lassen, so erklärt sich das nur aus dem Umstand, dass Hermogius und sein Neffe aus diesem Lande waren, das ja dem Könige von Leon unterthan war, weshalb Hermogius als sein Vasall an dem Kriege theilnahm.

Ein ganz anderes Interesse als diese Legende bietet die folgende Erzählung, die zwar nicht historisch, aber wohl literargeschichtlich von Bedeutung ist. Lapsus et conversio Theophili vicedomini ist ihr Titel. Sie ist die älteste poetische Bearbeitung der später auch in den Nationalliteraturen so verbreiteten mittelalterlichen Faustsage, welche selbst die älteste der Legenden eines Teufelsbündnisses ist. S. Sommer, De Theophili cum diabolo foedere. Habilitationsschrift von Halle vom Jahre 1844. Das Grundwerk der Theophiluslegende ist im sechsten Jahrhundert griechisch verfasst von einem Autor, der sich Eutychianos nennt, als Kleriker bezeichnet und behauptet, in dem Hause des Theophilus aufgewachsen zu sein, ja was er erzähle, selbst gesehen oder aus dem Munde seines Helden gehört zu haben. Seine Erzählung wurde von einem Diacon der Kirche Neapels, Paulus ins lateinische übertragen und einem König Karl gewidmet, unter welchem wohl am wahrscheinlichsten Karl III. (gewöhnlich der Dicke genannt) zu verstehen ist. Nach Köpke's Urtheil, s. a. a. O. S. 50. Jedenfalls ist diese Uebersetzung im neunten Jahrhundert verfasst. Sie findet sich in den Acta S. S. Februar, Tom. I, pag. 480 ff., das griechische Original aber in Jubinals Ausgabe der Oeuvres de Rutebeuf, Tom. II, Paris 1839, pag. 332 ff. Sie ist die Vorlage des Gedichts Hrotsviths gewesen, welches 455 Hexameter zählt.

Der Inhalt desselben ist dieser. Theophilus, von edlem Geschlecht, wird schon als Kind für die Kirche bestimmt und einem gelehrten Priester, einem Verwandten, zur Unterweisung in den sieben freien Künsten übergeben. (Von alledem berichtet die Vorlage nichts). Auch das griechische Original bietet von dieser Vorgeschichte nichts, die von Hrotsvith offenbar bloss deshalb hinzugefügt ist, um dem Helden eine grössere Folie zu geben. Nachdem der fromme Knabe eine 296 solche Ausbildung erhalten, gelangt Theophilus allmählich zu dem Amte eines Vicedominus (der Kirche von Adana in Cilicien). Bei unserer Dichterin, welche die Stadt nicht nennt, ist Cilicia zu Sicilia geworden (v. 2). – Griechisch ist der Titel des Theophilus οἰκονόμος. Beliebt beim Volke wie beim Klerus, wird er, als der Bischof stirbt, zum Nachfolger erwählt. Theophilus aber weigert sich hartnäckig der Annahme und erklärt dem Metropoliten, dass er unwürdig dieses Amtes sei. So wird denn ein andrer zum Bischof ernannt, welcher alsbald auf Anstiften einiger Kleriker Theophilus seiner Stelle entsetzt, die er, wie Hrotsvith hinzufügt, viele Jahre bekleidet hatte. Wie sie ferner ausführt (v. 62 ff.), nimmt er zunächst ruhig diese Kränkung hin, ja er freut sich sogar, nun um so freier dem Dienste Christi sich widmen zu können. Die Vorlage (§ 3) hat hier nur: Quo facto (d. h. nach seiner Absetzung) suae tantum domus is qui a priori recesserat officio, agebat curam. Nunmehr aber versucht ihn der Feind des Menschengeschlechts, Satan, indem er ihn mit bösen Gedanken erfüllt, die Macht, die Theophilus einst besass, ihm zurückruft und das schwere Loos der ihm jetzt gewordenen Verachtung. Theophilus erliegt dieser Verführung. Er sucht einen verderbten Hebräer auf, der auf magische Künste sich versteht, und erfleht seinen Beistand. Dieser fordert ihn auf, an seinen Meister sich zu wenden, der ihm helfen könne; und führt ihn die nächste Nacht vor die Stadt an einen Ort (den Circus nach Paulus), der von Gespensterhaftem voll war ( multo phantasmate plenum ), wo die Bewohner der Unterwelt in weissem Gewande, Lichter in den Händen, standen und in ihrer Mitte der Höllenfürst selbst sass (v. 99 ff.). Der Teufel erklärt sich bereit, Theophilus zu helfen, er will ihn durch seine Kraft wieder erheben, sodass alle ihn verehren werden, wenn er der Seinige sein und schriftlich Christus und dessen jungfräuliche Mutter verleugnen will. Theophilus stellt die Urkunde aus. In der Vita S. 4 versieht er sie auch mit seinem Siegel. Dort ist die Scene viel dramatischer ausgeführt, indem der Teufel mit dem Hebräer, dieser wieder mit Theophilus redet. Da bildet jener wirklich den Vermittler. Und den andern Morgen schon erfüllt sich das Wort des Teufels (v. 126). Der Bischof versammelt die ersten des Klerus und der Gemeinde, und nachdem Theophilus herbeigeführt, erklärt er unter Thränen, sich an dem frommen Mann versündigt zu haben, und gibt ihm nach 297 der Vita – was aber Hrotsvith kaum andeutet Ja, es scheint fast, als wenn vor v. 138 ein paar Verse ausgefallen wären. Denn wenn es dort heisst: Ast hic e subitis tanti laetatus honoris donis, so ist von solchen dona vorher gar nicht die Rede. – sein Amt mit erhöhter Bedeutung zurück. Theophilus aber beträgt sich darauf übermüthig gegen die ihm untergebenen, findet nur an irdischem Pomp Freude und dankt dem Satan.

Indessen nimmt sich seiner endlich das göttliche Erbarmen, das niemals den Untergang der Schuldigen will, an und erschüttert sein Inneres. Theophilus gedenkt mit Entsetzen in einem längeren Monolog (v. 163 ff.) der Höllenstrafen, die seiner warten, und setzt allein noch seine Hoffnung auf die Jungfrau. Vierzig Tage fleht er sie fastend in ihrer Kirche an. Da erscheint sie ihm im Traum und erklärt, dass sie selbst zwar ihm verzeihen wolle, aber bei der Grösse seines Vergehens bei Christus keine Fürsprache einlegen könne. Theophilus erkennt seine Schuld in vollem Masse an, aber er verweist auf andre grosse Sünder, wie die Niniviten, David, den Mörder des Urias, Petrus, der Christus verleugnete, denen doch auch von Christus vergeben worden sei. So lässt sich Maria schliesslich erweichen und sagt ihre Fürsprache zu. Drei Tage später kündigt sie ihm die Verzeihung Christi an (v. 347). Aber Theophilus kann sich dabei noch nicht beruhigen, er verlangt auch seine Verschreibung zurück, damit sie der Teufel nicht beim jüngsten Gericht producire. Auch diese Bitte wird ihm gewährt: nach drei Tagen findet er beim Erwachen die Urkunde auf seiner Brust. Theophilus bekennt dann öffentlich in der Kirche seine Schuld und erzählt, wie er gerettet worden, worauf der Bischof zum Preise der Jungfrau auffordert und die Verschreibung verbrennt. Die Messe schliesst sich daran. Nach ihrer Feier leuchtet das Gesicht des Theophilus von wunderbarem Glanze, welcher, wie unsere Dichterin hinzufügt, die blendende Reinheit ( candor) seiner Seele bezeugen sollte. Drei Tage später aber stirbt er in der Kirche der Jungfrau und wird dort bestattet, während sein Geist zum Himmel sich erhebt. Mit einem Preis des Erbarmens Christi und einem Amen schliesst Hrotsvith diese Dichtung, welche die letzte der ersten Gruppe der Legenden ist, die zuerst allein herauskamen. So erklärt sich, dass gerade ihr noch acht Hexameter hinzugefügt sich finden, 298 die einen Tischsegen enthalten: dieses versificirte Tischgebet, das keinerlei Beziehung zu der Theophilusdichtung hat, sollte offenbar nach dem Vortrag jeder der Legenden des Buchs gesprochen werden können, indem dieselben, wie sich hieraus ergibt, zu der in den Klöstern während der Tafel vorgeschriebenen Lectüre bestimmt waren.

Was das Verhältniss der zuletzt betrachteten Dichtung zu ihrer Vorlage betrifft, so folgt sie ihr zwar im allgemeinen so getreu, dass selbst manche Ausdrücke derselben bei Hrotsvith wiederkehren, aber es finden sich auch, wie schon in der Analyse angedeutet, in ihr einzelne bemerkenswerthe Ausführungen und Zusätze, welche das Streben der Dichterin nach tieferer, namentlich auch psychologischer, Begründung erkennen lassen. Beachtenswerth ist auch, dass Hrotsvith die heilige Jungfrau dem Theophilus in somnis (s. v. 207) erscheinen lässt, während die Vorlage nur media nocte hat. – Durchaus übergangen hat Hrotsvith die Bestrafung des Hebräers, welche in der Vorlage allerdings nur ganz beiläufig in aller Kürze erwähnt wird (§ 6).

Die Natur dieses Stoffes scheint Hrotsvith besonders angezogen zu haben, denn die erste Erzählung in der neuen Gruppe der Legenden behandelt einen ganz verwandten Gegenstand. Es ist: »Die Bekehrung eines Sklaven des Proterius durch den heiligen Basilius« (von Caesarea), Der Titel lautet in der Handschrift: Conversio cuiusdam iuvenis desperati per S. Basilium episcopum. Er ist aber erst von einer Hand des fünfzehnten Jahrhunderts hinzugefügt. Der erste Herausg. Celtes gab der Erzählung den unrichtigen Titel Proterius. welcher Erzählung eine Episode aus dem apokryphen Leben dieses Heiligen, das dem heiligen Amphilochius zugeschrieben wurde, zu Grunde liegt. Die Dichterin hat auch hier selbstverständlich eine lateinische Uebersetzung benutzt, wie denn eine solche schon im neunten Jahrhundert verfasst wurde. Von dem römischen Subdiacon Ursus.

Im Eingang der Dichtung, welche 259 Hexameter umfasst, wird die Erzählung als ein Beispiel des göttlichen Erbarmens von Hrotsvith zur Lesung empfohlen, obgleich sie von einem schwachen Weibe verfasst sei. Ihr Inhalt ist dieser: Proterius, ein angesehener Mann in Caesarea (nach der Vita ein Senator), hat eine einzige Tochter, die er für das Kloster bestimmt hat. Diese fromme Absicht ärgert den Teufel, er entzündet in dem Herzen eines Sklaven des Proterius Liebe zu dem Mädchen. 299 Derselbe fühlt sich um so unglücklicher, als er nicht wagen darf, sein Leid zu entdecken und selbst sich einer solchen Verbindung unwürdig erkennt. Auch er wendet sich, wie Theophilus, an einen Magier um Beistand, der ihn, auch wie dort, an seinen Meister, den Fürsten der ewigen Finsterniss, verweist. Der Magier stellt ihm einen Empfehlungsbrief an diesen aus; mit dem Brief begibt sich der Sklave des Nachts auf das Grab eines Heiden und ruft die Hülfe des Teufels an. Nach der Vita § 44 hebt er dabei das Schreiben in die Luft. Alsbald erscheinen die Diener des letzteren und führen höchlich erfreut den Sklaven zu ihrem Herrn und Fürsten, der, umgeben von seinem Gefolge, (auf hohem Throne) So sagt die Vita ib. dasitzt. Er verlangt vor allem von dem Bittsteller schriftlich die Verleugnung Christi, indem er zornig erklärt, dass die Christen ihm nicht treu zu bleiben pflegten, sondern, sobald sie seine Geschenke erhalten, zu Christus zurückkehrten, auf dessen Erbarmen sicher vertrauend. Der Sklave vollzieht darauf die Urkunde. Nun entsendet der Teufel seine Diener, um der Jungfrau Sinn mit unkeuscher Liebe zu ihrem eignen Sklaven zu erfüllen. Sie fordert alsbald von dem Vater die Ehe mit diesem. Ja, sie droht mit einem Selbstmord: so willigt der Vater in seiner Verzweiflung ein (v. 137).

Doch Christus rüstet sich schon mitleidsvoll, Satan seine Beute zu entreissen. Nicht lange nach der Vermählung nämlich hört die Frau, dass ihr Mann kein guter Christ sei, die Schwelle des Tempels nicht betrete. Zur Rede gesetzt, gesteht er seinen Pact mit dem Teufel ein. Darauf eilt der unglückliche zu dem heiligen Basil, um seine Hülfe zu erflehen. Dieser ist zum Beistand bereit: er schliesst zur Busse den reuigen Sünder ein, der nun von den bösen Geistern furchtbar zu leiden hat, die ihm dabei vorwerfen, dass er sich ja freiwillig in ihre Macht begeben. Allmählich aber überwindet er diese Heimsuchung durch die Busse und hofft auf seine Rettung. Nunmehr unternimmt es der Bischof selbst, in die Kirche ihn zu führen; während der Sklave aber, an der Rechten von dem Bischof gehalten, die Schwelle überschreiten will, ist auch der Teufel schon zugegen und ergreift seine Linke, um ihn mit aller Macht emporzuziehen (v. 233 ff.). Zwischen dem Heiligen und dem Teufel 300 kommt es zu einem heftigen Wortwechsel. Mehr in der Vita § 48 als bei Hrotsvith. Satan besteht auf seinem Schein, er werde ihn am jüngsten Gericht geltend machen. Doch auch diese Hoffnung wird dem betrognen Teufel zu Schanden, denn auf das Gebet der frommen Gemeinde kommt der Himmel dem Heiligen zu Hülfe und von oben fällt die Verschreibung vor seine Füsse nieder. Ein Lob Christi bildet den Schluss der Erzählung.

Die folgende Erzählung, die Passio S. Dionysii (266 Hexameter), ist für uns von viel geringerem Interesse, da sie eine Bearbeitung der von Hilduin verfassten Vita ist, die wir im Bd. II, S. 348 f. behandelt haben. Indem ich hierauf in Betreff des Inhalts im allgemeinen verweise, hebe ich nur einige Eigenthümlichkeiten der Darstellung Hrotsviths, die ihre Vorlage übrigens bedeutend gekürzt hat, hervor. Mit richtigem ästhetischen Tact führt sie uns sogleich den Helden selbst vor, wie er als Astrolog in Aegypten aus der unerwarteten Sonnenfinsterniss beim Tode Christi den Schluss zieht, dass ein bisher unbekannter Gott der Welt sich bekundet habe. Vita c. 5, das dort vorausgehende, über Athen und Paulus gesagte, wird hier übergangen. Dionysius ist es auch – wie Hrotsvith hinzufügt, – der demselben nach seiner Rückkehr nach Athen den Altar errichten lässt (v. 20 ff.). – Die schriftstellerische Thätigkeit des Dionys, die in der Quelle einen so breiten Raum einnimmt, kann als solche selbstverständlich keine poetische Behandlung finden; dagegen entnimmt die Dichterin dem Briefe des Heiligen an Demophilus (Vita c. 15) eine Lebenserinnerung des ersteren, die sich zu solcher Darstellung eignete und zugleich ihren Helden charakterisirte. Auf einer Reise in Creta kehrt derselbe bei dem heiligen Carpus ein (v. 45 ff.). Diesen findet er in hohem Grade erbittert über einen Heiden, der einen Christen zum Abfall brachte. Dionys sucht ihn zu beruhigen und räth ihm, die Gnade Gottes für beide zu erflehen, sodass mit des Heilands Hülfe der eine bekehrt, der andre zu Christus zurückgeführt würde. Carpus aber beharrt in seinem Zorn, ja er wünscht jenen beiden den Tod (in der Vita Wo die Darstellung hier wie auch in der Schilderung der Vision im Detail reicher und lebendiger ist. bittet er sogar Gott darum). Im Schlaf aber hat er eine Vision: über sich sieht er den Himmel in Flammen 301 und Christus, von Engelscharen umgeben, als Richter, unter sich aber den schrecklichen Abgrund der Hölle, auf dessen schlüpfrigem Rande mit ausgleitenden Füssen jene Unglücklichen weinend hingen, während herauskriechende Schlangen sie mit sich in den tiefen Schlund zu ziehen versuchten. Da wünscht Carpus, dass die beiden Schuldigen hinabstürzen, indem er sie verflucht. Jesus aber (der in der Vita den beiden Sündern die rettende Hand reicht) hält Carpus die verdiente Strafpredigt. – Noch sei erwähnt, dass in der Erzählung der Passion des Heiligen (v. 164 ff.) die Dichterin keine Schilderung aller der Foltern, welche derselbe in der Vita erleidet, gegeben hat, sondern sogleich ihn enthaupten lässt. Natürlich krönt auch bei ihr das Ganze der wunderbare Marsch des Heiligen, der den eignen Kopf in den Händen nach dem zwei Meilen entfernten Grab zieht.

Der Gegenstand der letzten Legende, der Passio der heiligen Agnes (459 Hexameter), musste unsere Dichterin besonders anziehen und begeistern. Die Heilige ist eine der berühmtesten und ältesten Märtyrerinnen der Keuschheit, Sie wird schon von dem Papst Damasus und nach seinem Vorgang von Prudentius besungen, dessen Darstellung der Legende aber eine wesentlich andre, viel einfachere, als die hier vorliegende ist. S. oben Bd. I, S. 123 und 258. Auch Ambrosius ( De virginibus l. I, c. 2), Augustin (Sermo 273) und Hieronymus (ep. 130 ad Demetr.) stellen sie als Muster der Keuschheit hin. Ihre Passion scheint während der Diocletianischen Verfolgung stattgefunden zu haben. in welcher gleichsam das wichtigste Gelübde der Nonnen gekrönt wurde. So beginnt denn auch diese Dichtung mit einem nicht ohne Schwung geschriebenen Prolog (v. 1–24), worin gewissermassen die Moral der folgenden Erzählung im voraus gegeben wird, indem die Christus verlobten Jungfrauen ermahnt werden, ihre Jungfräulichkeit zu bewahren und dem himmlischen Bräutigam treu zu bleiben: wofür einst fromme Mädchen selbst ihr Leben hingaben, unter denen ein Muster Agnes ist.

Den Stoff ihrer Erzählung hat Hrotsvith aus einer dem heiligen Ambrosius fälschlich beigelegten, an Nonnen gerichteten Epistolae ex Ambrosianarum numero segregatae. I. S. Ambrosü Opera. Venedig 1782. 4°. Tom. VIII, pag. 194 ff. Epistel geschöpft. Der Darstellung der darin gegebenen Vita, welche für das Mittelalter massgebend war, ist sie im allgemeinen treu gefolgt.

302 Agnes, von vornehmer römischer Herkunft und grosser Schönheit, hatte schon als Kind sich Christus verlobt. Da sieht die dreizehnjährige der Sohn des Stadtpräfecten Simphronius und verliebt sich sterblich in sie. Mit grossen Geschenken hält er um ihre Hand an. Aber umsonst. Die Jungfrau Christi weist ihn schnöde ab, stolz ihren himmlischen Liebhaber preisend, in einer langen Rede, die in ihrer sinnlichen Färbung an das hohe Lied erinnert. Doch folgt auch hier Hrotsvith nur dem Beispiel der Vorlage, die darin selbst noch weiter geht. Der Liebende erkrankt deshalb. Der Vater, besorgt um den Sohn, forscht nun nach dem Geliebten der Jungfrau und erfährt, dass es Christus ist. Vergeblich versucht er durch Bitten und Drohungen Agnes zur Verbindung mit seinem Sohn, zur Entsagung Christi zu bestimmen. Wenn nicht, soll sie wenigstens dem Dienste der Vesta sich weihen. Hierauf antwortet sie mit einer Beschimpfung der Götter. Nunmehr befiehlt der erzürnte Präfect sie entkleidet einem Lupanar zu übergeben. Agnes aber vertraut auf den Beistand Christi. Er fehlt ihr nicht: alsbald wachsen ihr die Haare so lang und dicht, dass sie die nackte vom Scheitel bis zu den Füssen umhüllen; in dem Lupanar aber empfängt sie ein Engel, der sie mit einem blendenden Lichtgewand umgibt, sodass keiner der Jünglinge, der sie versuchen will, ihr zu nahen wagt, sondern ein jeder von ihnen ihr zu Füssen fällt und sie verehrt. Nur des Simphronius Sohn eilt, von seiner Leidenschaft fortgerissen, auf sie zu. Aber ehe er sie berührte, stürzt er todt zusammen (v. 269). Auf die Klagen des Vaters aber, der die Heilige der Zauberei bezichtigt, bittet sie Gott, den Sohn in das Leben zurückzurufen. Dieser bekehrt sich dann zugleich mit dem Präfecten zum Christenthum. So heisst es vom Vater, v. 337: Atque Deum verum clamans dixit fore Christum. Davon ist in der Vita c. 12 nicht die Rede; er erstaunt nur über das Wunder und ist traurig, Agnes nicht retten zu können. Aber die heidnischen Priester empören das Volk gegen die »Zauberin«. Simphronius wagt nicht, sie zu beschützen, er überlässt das Richteramt seinem Vicar, der sie dann zum Feuertode verurtheilt, aber Agnes bleibt unverletzt, wogegen die Flammen die Henker und die umstehenden Heiden ergreifen (v. 365 ff.). Vgl. oben S. 53. Die Heilige dankt Gott, sehnt sich aber nach 303 einem baldigen Ende. Ihr Wunsch wird sogleich erfüllt, der über das Wunder erbitterte Richter haut ihr selbst das Haupt ab. In der Vita c. 14 geschieht es nur auf seinen Befehl. Engel nehmen ihre Seele auf und führen sie unter Hymnengesang in den himmlischen Palast. Den Leib aber bestatten ehrenvoll die Eltern, Nach der Vita l. l. an der via Nomentana. Ueber dem Grab steht noch heute – in unmittelbarer Nähe der nach Agnes benannten Katakomben – die ihr geweihte Kirche. welchen die Heilige, als sie am Grabe wachen, erscheint: in einer Schar von herrlich geschmückten Jungfrauen zieht sie, ihr zur Rechten ein Lamm, das glänzender als Schnee ist, an ihnen vorüber, und versichert sie ihres Glücks, da sie mit dem jetzt verbunden sei, den sie auf Erden immer treu geliebt. Hiermit schliesst Hrotsviths Dichtung, die weder des Märtyrertods der Emerentiana, noch der Bekehrung der Constantia, welche die Vita c. 15 und c. 17 f. erzählt, hier gedenkt.

Werfen wir einen Blick zurück auf diese Sammlung poetischer Erzählungen, so wird sich nicht leugnen lassen, dass die Stoffe mit Ausnahme des zweiten Gedichts, das in den Rahmen der Sammlung kaum passt und nur den bekannten biblischen Bericht mit geringer Ausschmückung paraphrasirt, interessant sind, auch nicht der dichterischen Reize entbehren. Zeigt sich also in der Auswahl der Stoffe die schriftstellerische Begabung Hrotsviths, so nicht minder darin ihre weibliche Natur und zugleich ihr Stand als Nonne. Für den letztern ist recht bezeichnend, dass das Buch mit der Geschichte der heiligen Jungfrau anhebt und mit der Passion der heiligen Agnes schliesst: beide werden schon frühe (zugleich mit der heiligen Thekla) als die Muster der bewahrten Jungfräulichkeit von den Kirchenvätern hingestellt, sie sind die besondern Vorbilder der Nonnen. In Pelagius aber wird gleichsam die männliche Virginität gefeiert. Die Dichterin sagt es geradezu Pelag. v. 311:
        Qua bene servata fulget pro virginitate
        Adiunctus turmis, coelesti sede receptus
etc.
Alle drei Dichtungen sind auch offenbar mit besonderm persönlichen Antheil an dem Stoffe, mit einer höheren Begeisterung von Hrotsvith verfasst, wie sie auch allein durch einen Prolog ausgezeichnet sind, der schon davon Kunde gibt. Die Stoffe des »Theophilus« und »Basilius«, sowie der Erzählung von dem heiligen Carpus, welche den eigentlichen 304 poetischen Kern des »Dionysius« bildet, zogen aber das Frauenherz deshalb an, weil sie das unbegrenzte Erbarmen Christi mit dem reuigen Sünder verherrlichen. Auch der Charakter des Gongolf musste durch seine Milde, die ihm so schlecht belohnt ward, der Jungfrau sympathisch sein.

Was ferner die Behandlung der Stoffe anlangt, so zeigt sich mindestens in der der Marienlegende die weibliche Züchtigkeit des Autors an einzelnen Stellen, ganz im Gegensatz zu seiner Quelle, wie oben schon angezeigt worden. Auch das erscheint als ein weiblicher Zug, dass Hrotsvith sich nicht in der Schilderung grausamer Foltern der Märtyrer ergeht, wie sie sonst gerade das Mittelalter liebte, und wozu doch die Legenden des Dionysius und Pelagius die günstige Gelegenheit boten. Obwohl die Dichterin im allgemeinen ihren Vorlagen, soweit wir dieselben kennen, getreu zu folgen pflegt, indem sie selbst nicht verschmäht, einzelne Ausdrücke derselben zu reproduciren, so erscheint sie doch von ihnen, wie wir sahen, keineswegs sklavisch abhängig. Sie kürzt und führt aus, und fügt selbst hinzu, folgernd oder motivirend. Ihrer Darstellung fehlt es durchaus nicht an Leichtigkeit, eine gewisse der Frau eigenthümliche Beredsamkeit gibt sich zu erkennen, auch in dem flüssigen Verse, in dessen rascher und freier Bewegung sie manche männliche Poeten jener Zeiten übertrifft. Den Reim liebt sie so, dass sie bestrebt war nur leoninische Hexameter und Distichen zu schreiben, und nur ganz ausnahmsweise bei ihren Versen einmal der Reim sich nicht einstellt. Mitunter sind sogar die Hexameter zugleich caudati, s. Köpke a. a. O. S. 150. Vgl. Bartsch's Artikel über Baracks Ausg. in Pfeiffers Germania Jahrg. III, S. 379 f. und Freitag a. a. O. S. 11 ff. Auch die Sprache hat ein recht individuelles Gepräge, namentlich in dem gar häufigen Gebrauch von Deminutiven, der zugleich ihr ein weibliches Kolorit gibt; Zum Theil wendet sie aber diese Formen offenbar auch der metrischen Bequemlichkeit wegen an. Eigenthümlich sind ihr noch die alterthümlichen Pronominalformen mis, tis, sicher aus demselben Grunde gebraucht. aber der Ausdruck leidet an einer gewissen Einförmigkeit, insofern ihr poetischer Wortschatz ein eingeschränkter ist. 305

 


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