Felix Dahn
Stilicho
Felix Dahn

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VI.

Zu Aulon, in Epirus, in einer stattlichen römischen Villa saßen in dem von immergrünenden Büschen, von Lorbeer, Oleander, Myrten und Eiben umhegten Garten, dessen weit offene Doppeltür den Blick auf die Straße nach dem Hafen hin gewährte, auf halbkreisförmigen niedern Bänken von weißem Marmor ein blonder Mann und eine dunkelhaarige Frau. Zu deren Seite stand ein römisches, schön aus Zedernholz geschnitztes Kinderbett, gefüllt mit Pfühlen und Decken römischer Art, aber über ihnen und dem Bett lag ein langer germanischer Schild: der trug den Körper des Kleinen. Es war Sommer: doch die hohen und dichten Edelbäume und Edelbüsche hatten den ganzen Tag über die Glut der Sonne abgehalten und nun, da sie zu Rüste ging, wehte von der See her liebliche Kühle durch den hainähnlichen Garten.

Das Paar war mit einer lateinischen Dichtung beschäftigt, der Mann schien dabei der Lernende, die Frau die Lehrerin zu sein: sie las vor: emsig, gespannt horchte der Mann und unterbrach zuweilen mit einer Frage, wo er nicht rasch genug folgen konnte: dann hielt die schöne Meisterin geduldig an, wiederholte den Vers langsam und, wenn nötig, erklärte sie ihn in lateinischer Prosa, während der goldlockige Schüler mit dem starken Zeigefinger die Zeile verfolgte; aber oft neigte er dem Kinde zu, das der Mutter lachend die beiden Ärmchen entgegenreckte.

»Du mußt schon verzeihen,« entschuldigte der Gatte nach einer solchen Stockung, »kann ich nicht alles gleich verstehen. Habe zwar euer Latein gleichzeitig mit der Muttersprache gelernt und sprech' es und versteh' es ganz glatt: aber ›Prosa‹, wie du's nennst! Dies Geschreibsel jedoch von Stilichos vielgepriesenem Freund Claudian – das sind ›poemata‹, Verse. Ach, und was für lange! Unter sechs Hopsern in einer Reihe tut er's nie. Und es klingt ja auch gar schön, 's ist wahr . . .« – »Pompa sermonis Latini,« nickte die Frau und küßte ihren Knaben. »Wirst auch einmal so pompös reden, Theodosiuncule!« – »Wenn nur der liebe Poet nicht in wahrhaft teuflischer Weise . . .« – »Diabolice heißt es, nicht wahr, mein Söhnlein?« – »Immer alle Wörter auseinanderreißen wollte, die zusammengehören! Oft muß man ihnen um die Ecke der zweiten, ja bis in die dritte Zeile nachlaufen, um ein Adjektivum – nicht wahr, so sagt man?« – »Gut hast du gelernt!« – »Zu finden, das nach seinem schon lang wieder vergeßnen Objektivum, . . . nicht?« – »Nein, Subjektivum!« – »Subjektivum hinauf will. Zum Beispiel, hier . . .« – »Ja, Lieber, das weiß ich schon ziemlich lang. Das ist eben das Schöne.« – »So? Nun: ich sage lieber: ich liebe dich, Placidia, weil du so schön bist, als etwa: So weil ich Placidia bist dich schön liebe du.« – Sie lachte: »Ich höre beides gleich gern. Und versteh's. Haben wir uns doch auf Lateinisch und Gotisch gleich lieb, du pulcher-fagr: und das griechische ›καλός‹ kriegst du obenein mit diesem Kuß.« – »Du Holde! – Aber Griechisch lern' ich nicht auch noch!« – »Sollst nicht! Folge nur auf Lateinisch hübsch in allem, was ich dir sage. Omphale spielen ist süß mit einem solchen Herakles. Aber das versteht er nicht, mein Barbar! – Ach, Ataulf, wie ich dich liebe! Wie glücklich bin ich!« – »Auch ohne Diadem?« lächelte er. »Ich gab dir's zurück nach Pollentia. Wo ist es?« – »Ich warf's ins Meer nach unsrem Hochzeitstag. Dein sein, dein Weib, ist alles. Oh wie töricht war ich, als ich herrschen wollte statt lieben! – Aber du, mein Büblein, du mußtest noch hinzukommen« – sie wandte sich wieder dem Kinde zu –: »erst du hast den Kranz meines Glückes geschlossen: du, Alarich Theodosius! Ah, was der weise Stilicho seit vielen Jahren sich – recht vergeblich! – abmüht, zu erreichen, die ›Verschmelzung Roms und der Germanen‹, wie er's nennt, – wir zwei beide, wir haben's schön und mühelos und selig erreicht: da liegt es vor uns, strampfend, strotzend von Lebenskraft und Lebenslust.«

Eine bange Ahnung stieg dunkel auf in des Goten lichter Seele: – »Wird er uns bleiben, der Knabe?« Aber er schwieg und strich mit der Hand über die Stirn, wie um Gewölk zu verscheuchen.

»Nun aber, mein Herr und Schüler und Gemahl, mußt du belohnt werden für das trockne Lernen. Ich weiß: dies ist deine durstige Stunde: – die Sonne sinkt – oder besser: deine durstigste, o schönster der viel trinkenden Germanen. Ich will rufen . . .: aber schau, dein treuer Hailswinth, der kennt dich noch besser, weil länger, als Placidia. Da kommt er schon aus dem Hause mit dem Mischkrug. Der erste, der treuste deiner ›Gefolgen‹. Ich hab' es verstehen gelernt, weshalb gerade der dein Mundschenk ward: bei uns sind's Sklaven, – bei euch ist's das wichtigste aller Hausämter, – fast ein Staatsamt.«

Der mächtige Mann in gotischer Gewandung und Gewaffnung brachte aus dem Wohnhaus über die Porphyrstufen in den Garten herab einen kleinen Krug Weines, einen breiten Mischkrug und zwei silberne Becher: er stellte sie auf den runden Marmortisch vor den Gatten, neigte sich und wollte wieder gehen. Aber Ataulf winkte ihm zu bleiben: »Die Herrin, – die meine wie die deine! – schalt so schlimm über unser Trinken! Sie soll wenigstens wissen, warum,« lachte er. »Von morgen ab den Wein in den dicken, das Wasser in den dünnen Krug.«

Er schenkte einen der Becher aus dem Weinkrug voll, und reichte ihn dem Mann: »Da trink, herzhaft: – gotischen Schluck! Schau her, Kaiserkind, siehst du da über Stirn und Wange die tiefe Narbe ziehn? – blutrot? Der Hieb galt mir in jener Mordnacht an der Adda; der Treue fing ihn auf – für mich! – und stieß zugleich den Hunnen vom Gaul.« – »Ja, jene Nacht, die Flammennacht!« Die Miene des Gefolgen verdüsterte sich: er stellte dankend den leeren Becher auf den Tisch und wandte sich dem Gartentore zu.

Plötzlich blieb er – wie angewurzelt – stehn und reckte sprachlos beide Arme gen Himmel: »Ah, Himmelvater! Sie . . . sie ist's! Nur viel schöner. Ihre Seele! Hailiko!«

Das Ehepaar erhob sich erstaunt: in der offenen Gartentür stand auf der Schwelle ein Mädchen von etwa fünfzehn Jahren in weißem Wollgewand: das blonde Haar flutete gelöst auf die Schultern: sie trug einen Stab in der Hand. Zögernd blieb sie eine Weile stehn: dann rief sie jauchzend: »Vater! Vater!« – »Du bist's! Du selbst!« Sie ließ den Stab fallen und eilte auf Hailswinth zu, der sie stürmisch in die Arme schloß.

Placidia war nun heran: »Ist das . . .? Ja, ja, gewiß! Deine Tochter, die du verbrannt geglaubt in jener Nacht.« – »Ja, sie ist's!« rief der Vater, sie loslassend, um in ihr Antlitz zu schauen. »Nur größer . . . schöner: wie ein Engel des Herrn.«

Nun ward in der Türe ihr Begleiter sichtbar: scheu hielt er sich zurück: aber Ataulf ging auf ihn zu: »Gehört der zu dir?« fragte er Hailiko. – »Ja, freilich, freilich! Der gehört zu mir! Komm, Freund!« Und sie zog ihn an der Hand herzu: »Vater, der da . . .: der hat dein Kind gerettet . . . – mehr als einmal. Will sagen: durch ihn der Himmelsherr. Aber die Mutter? Die Geschwister? Wo . . . wo sind sie?« – Mit tiefernstem Blick nach oben hob der Vater die Hand: »Dort!« – »Oh, die Mutter! Die Schwestern? Das Brüderlein?« – »Alle! – Ich kehrte, nachdem ich den Herrn geborgen gesehn, nochmal zu den Zelten zurück und suchte – ich sah kaum aus den Augen vor Blut – und fand sie endlich – erschlagen. Alle sechs! Die Mutter hielt den Säugling noch im Arm. Nur du fehltest. Ich rief dich – ich schrie deinen Namen –: keine Antwort und keine Spur von dir in dem Schutt, der Asche der Zelte. Da floh ich und weinte um euch alle.«

»Aber nun erzählt ihr beiden!« mahnte Ataulf. »Doch erst labt euch! Trinkt. Hier setzt euch – alle drei – zu uns.«

Und nun berichteten die Kinder, in Wechselrede sich ablösend und ergänzend, ihr Zusammentreffen auf dem Schlachtfeld und ihren Aufbruch. »Und vom Grabe meines Ahns hinweg verfolgten wir die Spur des Gotenheeres. Wohl war sie leicht zu finden: aber überall kamen wir zu spät. Denn nur gar langsam kamen wir vorwärts.« – »Betteln wollten wir nicht: so mußten wir arbeiten, unsere Wegzehrung zu verdienen.« – »Arbeiten?« lachte Placidia, beide Becher wieder vollschenkend. »Ihr Kinder, was könnt ihr denn?« – »O viel, schöne Herrin,« erwiderte das Mädchen, »man kann viel, wenn man nur muß: die Not ist scharfe Lehrerin. Ich hütete Geflügel, auch Schafe und Ziegen auf den Villen am Wege . . .« – »Und ich die Pferde. Nachdem ich fünfmal heruntergekugelt,« lachte der Knabe, »konnt' ich reiten. Und Hailiko konnte so zierlich spinnen und weben . . .« – »Die liebe Mutter hatte mich's früh gelehrt. Aber mein Freund hier, – gar viel hielten auf ihn als Gärtner die Reichen in den Villen: er verstand die Weinberge und die Blumen so gut zu pflegen . . .« – »Ei, das hatte ich dem Ahn abgesehn. Hatten wir so wieder ein par Dreilinge beisammen, so ging es weiter.« – »Und es gibt doch viel mehr gute Menschen als böse,« meinte Hailiko. »Ganz abgewiesen hat uns niemand.« – »Dich abweisen?« lächelte Placidia, über das blonde Köpflein streichend. »Wer könnte das?« – »Im Gegenteil,« fuhr Julianus fort. »Oft wollten sie uns länger, wollten uns auch wohl für immer behalten.« – »Wie Ataulf und Placidia tun werden,« sprach diese. – »Aber wir machten uns immer wieder los,« erzählte Hailiko. »Ich mußte ja doch zum Vater, ach, zu den Meinen.« – »Und ich zu König Alarich. Wo . . . wo ist er? Ich muß . . . der Ahn gebot . . .« – Er sprang auf, Ataulf zog ihn wieder auf die Bank: »Gedulde dich! Bald kommt er, das Nachtmahl mit uns zu teilen.«

»So wanderten wir weiter und weiter gen Aufgang und gen Mittag,« fuhr er fort. »Darüber vergingen Sommer und Schneezeit. Immer fragten wir nach den Goten. Endlich, zur Erntezeit, erfuhren wir, sie seien gar nicht mehr im Lande: sondern in Landen, von denen ich nie gehört: Epirus und Illyricum.« – »Da kamen mir die Tränen,« klagte das Mädchen. »Aber mein Freund trocknete sie mit lieber Hand. Und nun mahnte er mich an den Himmelsherrn und seine Weg-Engel. Denn auf dem langen Wandelgange hatte er beten gelernt.« – »Ja,« sprach der Knabe feierlich. »Und warum? Weil uns jedesmal aus Zweifel, Gefahr und Not war geholfen worden, sah Hailiko so . . . so gen Himmel, wie nur sie schauen kann, und betete dazu.« – »So taten wir auch damals auf dem lärmenden Forum einer volkreichen Stadt, – weiß nicht mehr, wie sie hieß – als wir erfuhren, wir müßten die Goten jenseit eines großen Wassers suchen und wo ich fast verzweifelt wäre. Da knieten wir, wo wir standen, nebeneinander nieder und beteten laut, der Himmelvater solle uns den Weg an das Weltwasser weisen und uns dann hinüberhelfen. Das hörte ein guter Priester, der des Weges kam: den rührte unsre Not . . .« – »Und euer Glaube,« sprach Placidia. – »Und er brachte uns in das Haus seines Bruders . . .« – »Der war ein großer Kaufherr . . .« – »Und fuhr gar oft mit seinem Handelsschiff voll Waren übers Meer. Und auf Bitten des guten Priesters nahm der uns mit nach einer Hafenstadt . . . wie hieß sie doch, Julianus?« – »Brundusium. Und nahm uns mit auf seinem Schiff hinüber nach Dyrrhachium.« – »Und mein Freund wollte durchaus als Ruderer arbeiten, so den Fahrlohn zu verdienen.« – »Aber der freundliche Kaufherr lachte und sprach: Laß gut sein! Ich stelle die da – die Blonde – vorn an den Bugspriet als Schiffbild: wie ein Heiligenbild wehrt sie mir Sturm, Brandung und Klippen ab.« – »Als wir nun aber – nach der Landung – durch dies rauhe Berg- und Wald-Land wandern mußten, da kam erst noch der schlimmste Teil unsres Weges.« – »Bah, war nicht so arg! Wußte ich doch jetzt, – endlich! – wo wir König Alarich mit seinem Vetter sicher zu finden hatten: hier in Aulon, der Hafenstadt. So mußte ich denn nach Aulon, durch alles hindurch, was hemmen wollte.« – »Und manches hemmte uns! Von einem schmalen regennassen Steg glitt ich in einen Wildbach hinab: er sprang nach und holte mich heraus. In einer Nacht verfolgten uns Wölfe – ein ganzes Rudel –: ich konnte nicht mehr laufen: er hob mich auf einen Baum, versprach, nachzuklettern, tat's aber nicht, lehnte sich mit dem Rücken an den Stamm und erstach mit diesem Schwertlein ihrer drei . . .« – »Nur zwei. Die andern heulten und liefen.« – »Und das Ärgste kam am Tage darauf!« Sie zitterte bei dem Gedanken. »Im ödesten Felsgebirge, aus dichtem, dichtem Buschwald brachen aus dem Dickicht zwei Waldriesen – es gibt solche, sagte die Mutter – ganz schwarz.« – »Kohlenbrenner waren's,« lachte der Knabe. – »Und wollten mich greifen. Sie hatten Riesenstangen . . .« – »Nur Schürstangen. Aber übel hatten sie's vor mit ihr, wie sie drohten.« – »Ihn wollten sie laufen lassen. Aber er sprang schützend vor mich. Sie zerschlugen ihm den Arm . . .« – »Nur den linken.« – »Aber er erstach beide.« – »Nur den größeren. Der andre blieb verwundet liegen. Mochte ihn nicht abstechen wie ein Kalb, als er so wehrlos vor mir lag.« – »Da! Trink, Bub!« sprach Ataulf und reichte ihm den Becher. – »Das war der Fährnisse letzte,« schloß das Mädchen. »Bald darauf erreichten wir die Stadt. Herrn Ataulfs Villa kannte jedes Kind. Und so sind wir nun da, dem Himmelsherrn sei Dank.« Und sie faltete die Hände zum Gebet. Placidia aber schloß sie in die Arme: »Ja, jetzt seid ihr bei uns. Und niemals, niemals dürft ihr von uns gehn.«

 


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