Felix Dahn
Stilicho
Felix Dahn

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VI.

Schweigen, ahnungsschweres Schweigen füllte das Zelt. Betroffen, leis erschauernd sah Stilicho ihnen nach. Auch der König schwieg, langsam das Haupt schüttelnd: endlich setzte er den Helm auf und bot dem Freunde die Hand: »Leb' wohl denn, Stilicho! Ich lasse dich allein – mit – mit dem Fluch deines Volkes! Wahrlich, verzweifelt wie ich daran bin, – ich tausche jetzt nicht mit dir! In wenigen Stunden lieg' ich auf meinem Schild, ein stiller Mann: aber an der Spitze meines Heerkeils, gefallen mit meinem Volk, für mein Volk: ich tausche nicht mit dir.«

»Halt, Alarich, halt noch einen Augenblick. Laß uns einen Ausweg suchen, der . . .« – »Es gibt keinen! Denn lieber sterb' ich, stirbt mein ganzes Volk, als daß wir Goten die Hälblinge deines Planes werden.« Und er wandte sich dem Ausgang zu. Hier trat ihm die Wache entgegen und meldete: »Mein Feldherr, eine große Gesandtschaft des Imperators aus Byzanz. In seinem Namen fordern sie sofortiges Gehör, bei – zürne nicht! – bei seiner Ungnade,« – »Der Drohung bedurfte es nicht,« erwiderte Stilicho ruhig. »Ich kenne meine Pflicht, Führ' sie herein.« Sogleich trat eine Anzahl reich gekleideter Byzantiner ein: Krieger, hohe Beamte, Höflinge, auch zwei Bischöfe: an ihren unfreundlichen Mienen, an dem Ausbleiben der sonst so schmeichlerischen Begrüßung erkannte der Feldherr sofort den feindseligen Zweck ihrer Botschaft.

Der König wollte sich entfernen: aber einer der Heerführer, der Archistrategos Antiochos, erkannte ihn und rief: »Alarich, der Gotenkönig! Hier! Im Zelt des Magister militum! Allein mit ihm! Das bestätigt den . . .« – »Hochverrat!« schloß einer der Höflinge, in dessen gelbem, gedunsenem Gesicht die kleinen blitzenden Augen schwer zu finden waren. »Aber für uns trifft sich's bequem: bleib, bitten wir, tapfrer Held! Wir haben auch an dich eine Botschaft.«

Stilicho, der bis dahin von den Gesandten ganz unbeachtet geblieben war, trat nun vor und fragte den häßlichen Sprecher im goldgestickten Gewand: »wer bist du?«

»Olympios, der Geheimschreiber und Protonotar des heiligen Gemaches der Basilissa, die Gott segne. Von der hab' ich dir noch ganz Besonderes auszurichten, Vandale. – Vorher aber vernimm den Befehl des Imperators Arcadios, deines Herrn. Seit der Rückkunft der Imperatrix (die sich so weit herabgelassen hatte, den Barbaren in seinem Lager aufzusuchen!) hat sich in dem vom Himmel erleuchteten Haupt des Imperators – gerade noch zu rechter Zeit! – wieder einmal ein heilsamer Umschlag der Gedanken vollzogen. Nachrichten aus dem Heer über wiederholtes Entrinnenlassen der schon umstellten Goten – Berichte aus Mailand, nur wenigen zu Byzanz bekannt geworden, – trafen zusammen mit den Warnungen dieser heiligen Bischöfe vor deines Sohnes Hinneigung zum Götzendienst, vor deiner eignen Feindseligkeit gegen die Kirche, deiner Begünstigung der germanischen Arianer und Heiden in deinem Heer . . ., kurz, der Imperator Arcadios hat dich des Befehls über seine Truppen in deinem Lager enthoben. Hier, Antiochos, der Magister militum des Orients, übernimmt ihn in diesem Augenblick: ergreife, Freund, den Feldherrnstab! – auf jenem Schrein seh' ich ihn liegen. – Dir aber gebeut der Imperator, sofort, in dieser Stunde noch, dein Lager hier abzubrechen, deine Schanzen zu räumen . . .«

»Und die Goten?« unterbrach Stilicho.

»Ah, Ah! Der Imperator spricht aus meinem Mund: wer wagt, ihm ins Wort zu fallen? – Er befiehlt, die Goten frei abziehen zu lassen, wohin Arcadios gebeut.«

»Abzieh'n schon!« rief Alarich leuchtenden Auges, »aber wohin wir wollen!«

»Gern wirst du dahin wollen, Held Alarich, wohin Arcadios dich einlädt. – Du aber, Vandale, eilst mit den Truppen des Honorios – nie hätte er sie dir anvertrauen sollen! – sofort zu deiner Flotte nach Kyllene und schiffst dich und die Deinen ein nach Italien. Wirst du nach sieben Tagen noch auf dem Boden des Ostreichs betroffen, giltst du als Feind und dein Haupt ist verfallen.«

Da wich Stilicho einen Schritt zurück: er war sehr bleich geworden. Olympios holte unter seinem Mantel eine lange vergoldete Pergamentkapsel hervor und warf sie auf den Tisch: »Da! lies den Wortlaut selbst! Sieh hier, das heilige Siegel.« – – Nun wandte er sich zu Alarich: »Dir aber, Gotenkönig, dankt der Imperator, daß du nicht, wie du wohl vermocht hättest – trotz der kampfscheuen Feldherrnkunst des Vandalen! – die Not der Belagerung verhängt hast über die geheiligten Mauern von Byzanz . . .« – »Nun,« lachte Alarich gerad hinaus, »am Willen hat es weder mir gefehlt noch Vetter Ataulf.« – »Der Imperator schließt Frieden mit dir.« – »Dazu gehören aber zwei.« – »Du wirst schon einwilligen, hörst du seine Vorschläge. Außer dem freien Abzug für dich und dein Heer . . .« – »Und mein Volk!« – »Und dein Volk! Bezahlung der seit lange geschuldeten Jahrgelder . . .« – »Wo sind sie?« fragte der Gote, höchst mißtrauisch. – »Draußen vor deinem Zelt, liegen sie in zwölf Truhen: zwölf tausend Pfund für die letzten Jahre und zweitausend im Voraus für die nächsten zwei Jahre.«

Aber der König schüttelte das Haupt: »Von hartem Gold können unsere Weiber und Kinder nicht zehren. Sie hungern. Und hier ist kein Markt.« – »Wir bringen an Getreide dreißigtausend Modii.« – »Gut! Das langt – einstweilen! Allein wohin weist uns der Kaiser?« – »Er läßt dir die Wahl zwischen drei der fruchtbarsten Provinzen seines Reiches: Makedonien, Dardanien und Epirus.« – »Eia, Epirus. Und unsere Gegenleistung?« – »Nur Verteidigung der gewählten Landschaft gegen alle Feinde: aber – hörst du? – gegen alle.« – »Epirus wird gut verteidigt werden. Gilt es doch dem eignen Herd.« – »Und im Notfall« – hier trat er dicht an ihn heran und flüsterte in sein Ohr – »führst du als Magister militum des Orients unsern Angriff auf – Rom.« – Alarich machte große Augen: das Blut schoß ihm in die bleichen Wangen: dann nickte er tief atmend, und flüsterte leise vor sich hin: »nach Rom! die innere Stimme! Nach Rom!«

»Es ist so,« sprach da dumpfen Tones Stilicho, der die Lesung der Rolle beendet hatte. »Der Kaiser befiehlt: – ich gehorche.« – »Wie? Wa . . . Was?« brachte Alarich kaum hörbar hervor. – »Du tust wohl daran,« lachte Olympios, die kleinen Augen zusammenkneifend. »Andernfalls hätte ich mit unsern Byzantinern diesen Haftbefehl« – er holte ein Wachstäfelein aus der Gewandfalte auf der Brust – »vollstreckt und dein Haupt . . .« – »Genug. Ich gehorche.« – »So kommt, Genossen! Komm auch du, König! Unheilsam ist die Luft in der Nähe dessen, der in des Herrschers Ungnade gefallen. – Nur noch ein Wort:« er trat dicht an ihn heran und raunte ihm zu: »all' das schickt dir die Kaiserin, läßt sie dir sagen.« Die Gesandten entfernten sich nun. »Ich folge gleich!« rief ihnen Alarich nach.

Nun glitt Stilicho auf den Zeltstuhl und legte das Haupt an die Lehne zurück, lautlos: aber das Antlitz bedeckte er mit den Händen. Rasch schritt der König auf ihn zu, legte die Rechte auf seine Schulter und rüttelte ihn: »Mann, Mann, das tust du? du fügst dich? Held Stilicho, wo ist dein Heldentum? Diesem niederträchtigen Undank – echtem Kaiserdank! – unterwirfst du dich? Auf, Freund! Ich werfe denen ihr Geld und ihren Frieden ins Gesicht. Auf! Mein Volksheer – führe du es: du führst es besser als ich. Und viele Tausende, wenn nicht alle deine Krieger aus dem Westreich – doch gewiß alle Germanen in deinem Lager! – werden den geliebten Feldherrn schützen. Du und dein Heer, ich und das Meine, wir fegen vereint die schwachen Byzantiner in die See: der Weg nach Byzanz, Byzanz selbst liegt unbeschützt vor uns und wir fragen den Buben auf seinem geleimten Thron, ob er . . .« – Aber Stilicho sprang auf: »Nichts! Schweige! Ich muß gehorchen. Ich gab mein Wort.«

 


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