Felix Dahn
Stilicho
Felix Dahn

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Erstes Buch.

I.

In dem Palatium des großen Kaisers Theodosius zu Mailand diente ein umfangreicher, auf allen vier Seiten von Säulengängen umgebener Hof den kriegerischen Spielen der vornehmen Knaben und Jünglinge wie der Römer so der vielen befreundeten oder auch unterworfenen Völker, die als Zöglinge, als »Gäste«, in Wahrheit oft als Geiseln, unter Aufsicht und Gewalt des Imperators in Italien lebten.

In diesem Hofe tummelten sich gegen Ende des vierten Jahrhunderts unter Römern, Griechen, Asiaten auch zahlreiche junge Germanen von mancherlei Stämmen. Der Älteste von diesen, auch seiner Volksgenossen hohe Gestalten um Haupteslänge überragend, aber das blonde Haar nach Römersitte kurz geschnitten und den sprossenden Flaumbart beschoren, in römische Tunika gekleidet, mit römischen Sandalen beschuht, hatte sich aus dem Getümmel der wettspielenden Genossen zurückgezogen und auf eine der hohen Stufen des Säulengangs gesetzt, von wo er sinnend das Auge über die eifrig, ja hitzig mit Ringen, Speerwurf, Pfeilschuß Wettkämpfenden gleiten ließ.

Lange saß er so, ruhig, verhalten, mit ernsterem Ausdruck als seinen Jahren zukam. Da störte ihn aus seinem Nachdenken auf ein etwa fünf Jahre jüngerer Freund, der, ebenfalls unverkennbar ein Germane, nichts Römisches an sich trug, sondern in allen Stücken die Tracht seines Volkes.

»Eh Stilicho, höre!« rief er mit heller, wohllautender Stimme in der Sprache der Westgoten, einen gotischen Wurfspeer schwingend, »hast du gesehen wie ich eben den Schild der römischen Legionäre – aus norischem Erz! – dicht am Stachel mit dem Wurfger durchbohrte? Hei, gotischer Speer bricht römischen Schild! Nicht du könntest stärker werfen!« – »Vielleicht nicht,« lächelte der andre. »Aber schärfer zielen. Hast du vergessen . . .?»« – »Beim Schwerte Gottes, ich vergeß es nicht! Wie du neulich meinen Speer, der den Zielring der Scheibe getroffen, mit deiner Lanze zerspellt!« – »Scharf zielen, mein Alarich, ist noch besser als stark werfen.«

»Wohl, wohl! – – Aber laß doch dies Latein. Sprich dein Vandalisch wie ich mein Gotisch: wir verstehen uns damit prächtig. Sind wir doch alle Goten, deine Vandalen wie wir.« – »Ja, aber ich habe seit des Vaters Tod fast ganz vergessen sie zu sprechen, die Sprache der . . .« – »Barbaren, willst du sagen,« rief Alarich zornig. »Hei, darüber ließe sich viel reden.« – »Gewiß, mein Wildfang! Aber ich fürchte, wir sind – beide! – noch zu jung, was Gescheites darüber zu reden.« – »Magst Recht haben!« rief Alarich, ließ die Lanze fallen und sprang mit einem Satz die mehreren Marmorstufen hinan, sich neben ihm niederlassend und vertraulich an seine Schulter lehnend: »Uf! Macht Speerwerfen heiß in diesem schönen, aber schwülen Land! Oh, Vetter Ataulf, sorg' uns für einen kühlen Trunk!«

»Gern,« antwortete ein ihm ungefähr gleichaltriger, aber ganz hervorragend, ganz auffallend schöner Jüngling in wallendem Goldgelock. »Komm mit, Heraclian, hilf aussuchen: du verstehst dich auf die Falerner des Imperators.« – »Aber nicht für Goten und Vandalen,« erwiderte ein junger Römer mit feindseligem Blick. »Ihr Bären!« – »So spüre denn des Bären Pranken!« rief Ataulf, sprang von vorn auf ihn zu, hob ihn im Ringkampf flugs in die Höhe und hätte ihn auf den Rücken in den hochaufgeschütteten Sand geworfen, wäre nicht ein andrer junger Römer plötzlich hinterrücks herangesprungen und hätte ihn niedergerissen, so daß beide Ringer auf den Boden rollten.

Sofort war Ataulf wieder auf den Füßen und faßte den Überfallenden an der Gurgel: »Carinus! Elender Neiding!« – Aber dieser Römer war stark und zäh: er riß sich los, sprang zurück, raffte eine Lanze aus dem Stand der Speere an der Wand und fällte sie gegen Ataulfs Brust. – Da sauste mit einem Sprung Stilicho herab und warf sich zwischen den Römer und den Goten: »Halt! Haltet an! Wollt ihr des Imperators Haus und Wirtlichkeit mit Blut beflecken?« Er riß Carinus den Speer aus der Hand.

Auch Alarich trat jetzt herzu: »Was hast du, Vetter, mit den beiden Walen?« – »Ah,« meinte der die Faust drohend erhebend, »der eine gönnt uns keinen Tropfen Wein, der andere überhaupt gar nichts.« – »Am liebsten nicht einmal das Leben. Ihr Barbaren seid das Unglück des Römerreichs,« sprach Heraclian, eines Senators Sohn, und schritt hinaus. – »Und Carinus?« fragte Stilicho. Bevor Ataulf antworten konnte, rief jener: »Wenn dieser gelbzottige Skythe noch einmal wagt, der Kaisertochter Placidia auf seiner mißtönigen Harfe vorzuklimpern – so tief sind wir gesunken im Haus des Imperators! – reiß' ich ihm die blauen Glotzaugen aus.« Damit folgte er seinem Freund Heraclian.

»Sind liebe Leute!« lachte Alarich, ihnen nachblickend. – »Bei aller imperatorischen Pracht, – ich find' es unbehaglich in diesem Palatium. Ah, hoffentlich ruft der Vater mich und den Vetter, seinen Mündel, bald ab aus dieser – wie soll ich sagen? – Erziehung oder Vergeiselung? hinaus in die rauhen Wälder und zu den Auerstieren am Danubius! Sind mir lieber als diese giftgeschwollnen Walen. Ungern, Freund Stilicho, laß ich dich hier zurück.«

»Warum? Ich gehöre hierher. Wohin sollte ich gehen?« – »Du kannst fragen? Zu deinem Volk! Dahin gehörst du.« – »Ja,« meinte Ataulf, »zu den tapfern Vandalen in Pannonien. Man sagt ja, du stammest aus ihrem Königsgeschlecht, den Asdingen.« – »Gewiß! Aber der Vater befahl mir sterbend, – für den großen Imperator starb er, nach einem Sieg über die Franken – todwund brachten sie ihn mir über die Alpen hierher – er befahl mir, bei Theodosius und dessen Haus solang ich lebe auszuharren in treuem Waffendienst für Rom. Er stammelte dann noch was von Dankespflicht, von Sühnen einer Schuld, – ich konnt' es nicht mehr verstehn. Aber er ließ mich schwören. Ich schwor: und nun halt ich meinen Eid.«

 


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