Felix Dahn
Stilicho
Felix Dahn

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X.

Aber schon am Morgen, der diesem Abend folgte, war es verschwunden, das Gotenlager an der Adda. Wohl hatte der Balte – in Erwartung der Rückkehr Stilichos – auf allen Straßen, die von Osten und von Norden her auf die Addabrücke führten, – dem einzigen Übergang über den durch die Schneeschmelze und den Frühlingsregen hochgeschwellten Fluß – stundenweit in seinem Rücken berittene Wachen ausgestellt, die sofort jede Annäherung des Entsatzheeres in das Brückenlager melden sollten, jede Überraschung zu verhüten. Wohl hatte er die wichtige Brücke selbst an ihrer Ostmündung, also im Rücken des Lagers, so stark befestigt, als damals gotische und auch römische Kriegskunst verstand: denn auch Gefangene, – Legionäre wie Handwerker – waren hierzu verwendet worden, so daß die aus Felsblöcken und Balken errichtete Schutzwehr nur gar schmalen Durchgang für je einen Reiter gewährte und jedes Eindringen auf die Brücke von Osten her sehr leicht auch von geringer Besatzung abgewehrt werden konnte. Allein alles kam ganz anders als die Goten erwartet hatten. Und dadurch sollte sich jene Sperre des feindlichen Angriffs zu verderblichster Hemmung des eigenen Rückzugs gestalten. –

Alarich und Ataulf verbrachten wie gewöhnlich die Nacht nicht in dem großen Volkslager bei der Brücke, bei den Wehrunfähigen, den Herden und Vorräten, sondern in dem kleinen Zeltlager auf dem Westufer des hier von Nord nach Süd ziehenden Flusses, ganz nahe der Stadt und der Vorhut des Heeres, zumal der Reiterei, bei der langen Reihe der fertig gestellten Belagerungswerkzeuge, hart vor der Porta Cremonensis oder orientalis der vordersten Mauer.

Dem Drängen Ataulfs nachgebend hatte der König – noch an jenem Abend – darauf verzichtet, die Zahl der gewaltigen Maschinen noch zu mehren und beschlossen, am folgenden Tag mit allen verfügbaren Tausendschaften den Gewaltangriff auf den Ostwall zu unternehmen: deshalb waren bei Einbruch der Dunkelheit die Geschütze und die Sturmdächer schon so nah an die Mauer geschoben, als die Vorsicht irgend verstattete. Mitten unter diesen seinen mühsam hergestellten, riesigen Holzbauten hatte der König für diese Nacht sein Lederzelt aufschlagen lassen. Früh in der Nacht hatte er befohlen, die Feuer zu löschen, den Schlaf zu suchen, die Kräfte für den kommenden Tag zu stärken. So war es nun still geworden in dem Lager: nur das Wiehern eines Rosses, das Klirren einer Waffe, das Anschlagen eines wachsamen Hundes unterbrach zuweilen das tiefe Schweigen der dunkeln, mond- und sternenlosen Nacht, deren Gewölk heftiger Westwind immer wieder zusammenballte.

Plötzlich aber – Mitternacht war vorüber – bellten alle Lagerhunde grimmig: nicht gegen die Stadtmauer zu – rückwärts, gegen den Fluß: aber nicht in der Richtung der Brücke, viel weiter südlich, flußabwärts. Die Wachen eilten darauf zu: aber sie kamen nicht weit: kaum hatten sie die südöstlichsten Zelte erreicht, als sie überritten zu Boden lagen: und brausend ergoß sich eine Flut von Reitern in das völlig überraschte Lager. Der Schreck, das Entsetzen, die Verwirrung vermehrte noch das Grauenvolle, daß der Überfall in fast völliger Dunkelheit geschehen war: erst innerhalb des Lagers tauchten jetzt einige Reiter mit Pechfackeln statt mit Speeren in den Händen auf.

»Stilicho!« rief der König bei dem ersten Schrei, der ihn weckte. »Das ist Stilicho.« Er faßte das Schwert, ließ alle Schußwaffen liegen und stürmte vor das Zelt. Hier traf er auf Ataulf, der, schon im Sattel, des Königs Pferd heranführte: »Ja, Stilicho! Ist er auf Flügeln über den Fluß gekommen? Denn die Brücke kann er nicht genommen haben: Dort, im Norden, ist alles ruhig.«

Aber Alarich war schon hinweg: wo die meisten Fackeln leuchteten, da suchte er Stilicho. Er fand ihn nicht, hatte auch nicht Zeit, in dieser Richtung – gen Süden hin – weiter zu suchen. Denn urplötzlich rief ihn gen Westen, gegen die Stadt hin eine andere Gefahr: ein ganzer Strom von Licht und Feuer. Aufgetan hatte sich das Osttor, sobald die ersten Fackeln von Süden her im Lager aufgetaucht waren und ein grimmer Ausfall der barbarischen Söldner traf die westlichsten Zeltreihen der Belagerer – und die Holzbauten der Maschinen. »Rettet die Türme, die Katapulte,« schrie Alarich und riß den Rappen rechts herum. Aber es war zu spät.

Adalger hatte von Anbeginn sich auf jene geworfen, den Kampf Eucherius überlassend, der sich durch die Masse der Fliehenden den blutigen Weg zu dem Vater im Süden bahnte. Der Markomanne hatte mit eigner Hand den ersten Brand auf ein Schutzdach von Stroh und Tannenlatten geworfen: lichterloh war es aufgeflammt: schon züngelte, schon hüpfte die Flamme, von dem starken Westwind entfacht und nach Osten in das Lager vertragen, auf den Nachbarbau: zwei Katapulte: da fingen die Seile Feuer, welche diese und die Fallbrücken der Türme daneben spannten: wie feurige Schlangen flackerten sie auf, verbrannten und ließen die schweren Brückenbohlen krachend zur Erde stürzen: schon waren vier zerstört: zum Schutz des letzten Turmes sprengte Alarich herbei: »Hilf, Hailswinth,« schrie er einem stattlichen älteren Krieger zu, »hilf mir den Turm da retten.« Der Getreue spornte ein Pferd heran, geriet aber dabei in einen Schwarm hunnischer Reiter und in arge Bedrängnis. Zugleich stürzte die Fallbrücke auch dieses Turmes, begrub das Pferd des Königs unter sich und betäubte den Reiter, der darunter lag. Mit harter Mühe zogen ihn die Gefolgen hervor und schützten ihn vor der Gefangennehmung durch Adalger, der jetzt gewaltig nachdrängte. Bald bildeten die dicht nebeneinander aufgereihten Holzbauten ein einzig Flammenmeer.

Einstweilen hatte Eucherius den Vater erreicht, der die Scharen Ataulfs aus den brennenden Zelten – in diese hatten die Entsatztruppen ihre Fackeln geschleudert – vor sich her gegen die Brücke, gen Nordosten, zu trieb. »Willkommen, lieber Vater, in Italien!« – »Willkommen, lieber Sohn, im Siege! Also hat der treue kluge Falke den Zettel, der Nacht und Stunde angab, glücklich durch die Lüfte über die Feinde hinweg zu dir getragen?« – »Vor zwei Tagen kam er an. Seither haben wir alles für diese Stunde bereitet.« – »Gut bereitet! – Jetzt nach! Wo sind Saul und Goar mit ihren Alanen?« – »Aus dem Nordtor brachen sie, wie du befahlst, gleichzeitig mit uns gegen die Brücke. Hörst du das Geschrei von dorther?« – »Nach! Auf die Brücke! 's ist der einzige Rückweg, wollen sie nicht schwimmen, wie ich und meine Reiter taten, dort im Süden bei der Furt.« – »Ein schmaler Rückweg! Haben sie doch, sich gegen dich zu schützen, das Ostende der Brücke fest verrammelt . . .« – »Sie wähnten, ich müsse gerade dort den Übergang suchen und mir an ihren Schanzen den Kopf einrennen!« – »Und haben sich so den Ausweg selbst versperrt!« – Und also war's.

Und auf der schmalen Brücke hob alsbald ein Ringen an, ein Kämpfen unter den Flüchtlingen selbst: sie stießen sich, drängten sich an die Holzgeländer auf beiden Seiten, bis diese barsten und nun Mann und Roß nach links und nach rechts in die hier stark reißende wirbelnde Flut stürzten: mehr Leute, viel mehr fanden so hier in den dunkeln Wellen den Tod als durch das Schwert der Sieger. Die Wehrunfähigen in dem Ost-Lager, der starke Troß, die Wagen und Karren und Herden erschwerten auch den glücklich auf das linke Ufer Gelangten, sowie den hier Gelagerten, die Flucht. So war die Zahl der Gefangenen groß: aber Alarich und Ataulf waren nicht darunter: eifrig musterte der Feldherr bei Tagesanbruch diese Haufen: traurig sprach er: »Sie werden doch nicht gefallen sein?«

Hoch auf horchte da Carinus, der neben ihm ritt: »Dies Wort merke dir,« flüsterte er Heraclianus zu, »du wirst es einst bezeugen müssen.«

»Ei,« lachte Saul, »die sind doch besser tot als lebendig, alle beide.« – »Nichts riecht so gut,« grinste Goar, »wie ein erschlagener Feind.« – »Sie sind gar gefährlich gewesen,« grollte jener. – »Als Feinde!« schloß Stilicho. »Ich gebe die Hoffnung nicht auf, sie noch zu Freunden zu gewinnen.«

Bedeutungsvoll nickten sich die beiden Römer zu.

»Jetzt aber, Magister militum . . .« mahnte Claudian. – »Ei sieh,« rief jener, sich zu ihm vom Pferde herab neigend, »unser Poeta blutet.« – »Jawohl, mir beispringend ward er getroffen,« sprach Eucherius, – »'s ist nur der linke Arm und seine Hand: die Rechte kann heute schon das Plektrum führen, und deinen Sieg auf der Lyra feiern. Jetzt aber komm zu dem befreiten Imperator, dir deinen Dank zu holen.« – »Ich erwarte keinen,« erwiderte Stilicho, das Roß gegen die Stadt zu wendend.

»Das ist weise getan,« flüsterte Heraclian höhnisch dem Genossen zu.

»Hei,« lachte Sarus, der Gote, »dieser Imperator des Römischen Reiches hat sich nicht einmal zu dem Zweck auf den Wall begeben, seine Befreiung mit anzusehen.« – »Ja,« meinte Adalger, »da könnten am Ende Pfeile herauffliegen wie herunter.« – »Da lob' ich mir seine Schwester,« sprach Eucherius ernst. – »Jawohl,« fuhr Claudianus fort, »sobald sie von dem geplanten nächtlichen Ausfall erfuhr, erschien sie – allein – auf der Wallkrone des Osttors und spähte eifrig auf die Kämpfenden herab.« – »Und sieh,« rief Carinus grimmig: »da, das ist ihre Sänfte. Sie läßt sich wahrhaftig aus dem Tor auf das blutige Schlachtfeld tragen – wem, wem entgegen? Wen sucht sie? Da, sie steigt aus, sie naht.«

Schon stand sie, in einen dunkeln Überwurf gehüllt, vor Stilicho, der, wie sein Roß, mit Ruß, mit Aschenstaub, mit Blut bedeckt war.

Sie sah sehr bleich im roten Schein der Fackeln, den allmählich das Dämmern des Märzmorgens überleuchtete. Sie reichte ihm die Hand, die zitterte. »Ich mußte die erste sein, dir zu danken.« – »Du scheinst aber gar nicht sehr erfreut über deine Befreiung,« lächelte er. – Heiß schoß ihr da das Blut in die Wangen: »Dein Sieg ist groß, aber wohl sehr, sehr blutig? Sprich, was ward aus den gotischen Führern? Dem König? Und . . .?«

Da drängte Carinus dicht an sie heran und flüsterte ihr ins Ohr: »Und er? Leider weder gefangen noch gefallen! Ich suchte scharf! Entflohen! Aber ich hol' ihn ein, ob auch erst in der Hölle!«

 


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