Felix Dahn
Stilicho
Felix Dahn

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XIV.

Ein wie großer, den ganzen Feldzug entscheidender, – das sollte Besiegten und Siegern in seiner ganzen Bedeutung erst der folgende Tag zeigen. Noch am Abend des Sonntags umschloß der Feldherr die kleine, nicht sturmfrei befestigte Stadt von allen Seiten: am nächsten Morgen sollten die niedrigen Mauern, die morschen Tore fallen: und dann war das ganze Wandervolk, waren auch die stark gelichteten Tausendschaften der Krieger Gefangene, das heißt Sklaven in der Römer Hand. Stilicho überlegte nur noch, ob es nicht klüger – und menschlicher? – sei, die Eingeschlossenen in wenigen Tagen zur Ergebung zu zwingen durch den Hunger.

Das Landstädtlein mit seinen nicht zehntausend Einwohnern hatte nicht Lebensmittel genug, auch nur ganz kurze Zeit die plötzlich darin eingepferchten Massen zu ernähren, die fast sämtlich auf den Straßen lagerten: die Häuser boten – neben den Einwohnern – kaum den Verwundeten ausreichend Unterkunft: die reichen Vorräte, die der König, überallher zusammengerafft, mitgeführt hatte, waren mit den beiden Lagern in die Hände der Sieger gefallen.

Während Stilicho die für den nächsten Tag zu treffenden Maßregeln überlegte, traf in dem Zelt des nördlichen Goten-Lagers, darin er die Nacht verbringen wollte, ein Bote des Königs ein, der für diesen und Ataulf freies Geleit erbat behufs einer Unterredung – »wohl die letzte im Leben,« sollte der Herold melden. Sofort ward sie gewährt und alsbald erschienen die beiden – in arg zerhämmerten Helmen und Brünnen – vor Stilicho, der seinen Sohn und den Markomannen herbeibeschieden hatte.

Er schritt den tiefernst und tieftraurig, aber nicht zornig darein Blickenden entgegen: »Es war nicht meine Tat, geschah gegen meinen Willen.« – »Ich weiß,« erwiderte der König, die hingereichte Hand ergreifend, »sonst stünd' ich nicht vor dir.« – »Nicht einen Augenblick hab' ich's geglaubt,« schloß Ataulf. – Erfreut sprach Stilicho: »Dank! – Du kommst nun, abermals zu verhandeln?« – Der König nickte: »Und weitres Blut zu sparen.« Nachdenklich erwiderte der Feldherr: »Es ist billig, – ich seh' es ein! – daß euch Genugtuung wird für den treuebrecherischen Verrat, für den Riß durch das Recht aller Völker. Ich schulde euch das. Zwar, hättet ihr den Kampf abgebrochen, als mein Sohn mahnte – . . .« – Beide Goten fuhren auf: »Und die Verräter, die Mordbuben ungestraft entkommen lassen?« rief Ataulf. – »Das kannst du selbst nicht ernsthaft meinen,« schloß der König. »Du hättest uns helfen sollen gegen sie.« – Der Feldherr zuckte die Achseln: »und zusehn, wie ihr des Imperators ganze Reiterei schlachtet, noch dazu helfen? Nein! Sie wären ihrer Strafe nicht entgangen. Jedoch: ich wiederhole: Genugtuung gebührt euch: ich bin in eurer Schuld: was verlangst du zur Sühne, König?« »Nichts für mich: tot liegen die Neidinge: das genügt mir. Aber mein Volk! Stets vergissest du, daß ich nur lebe für mein Volk. Thiudans, Volkskönig, heiß ich. Was kannst du als Sühne bieten den Kindern für die gemordeten Eltern, was den Eltern für ihre Kinder, den Witwen für die Gatten? – Gewiß zwar wirst du den Besiegten, Eingeschlossenen nicht gewähren, was du den Unbesiegten vor dieser Mordschlacht abgeschlagen hast: freien Durchzug nach Afrika. Nicht das darf ich verlangen. Allein du selbst sprachst zuerst das Wort: Genugtuung. Sühne, Volkssühne will ich's nennen: du schuldest sie dem grausam getäuschten Gotenvolk, das Stilichos Treue vertraute und maßlos dafür litt.« Der Feldherr senkte die hohe Stirn und sah erschüttert vor sich hin. Er schwieg. Eucherius trat an ihn heran und legte leise die Hand auf seine Schulter.

»Oder willst du wirklich,« hob nun Ataulf an – »ich leugne nicht: du kannst es! – morgen in jene Mauern dringen und abermals viele Tausende von Wehrlosen neben uns Kriegern erschlagen oder verknechten? Willst du es denn ganz ausmorden, das Volk der Westgoten?«

Mit raschem Kopfschütteln erwiderte Stilicho: »Nicht, wahrlich nicht, kann ich's vermeiden. Gedenke, mein Alarich, an Pholoë und meine dort enthüllten Pläne. Aber ich bin des Imperators Feldherr. Pflicht und Neigung reißen mich nach rechts und links, sie zerreißen mich noch! Sprich daher, König, welche Sühne verlangst du für dein Volk?«

»Freien Abzug aus Italien.« – »Wohin?« – »Wohin du willst.« – »Hm, das . . . das muß reiflich überlegt sein. Jedenfalls schelten sie mich wieder Verräter, laß ich euch überhaupt entrinnen. Aber das gilt mir gleich: ich bin's gewohnt. – Allein wohin?« fragte er nun sich selbst. – »Etwa nach Ost-Illyricum?« meinte Ataulf und der König nickte, auch Eucherius und Adalger stimmten bei. – »Was fällt euch ein,« zürnte Stilicho. »Ist Ost-Illyricum mein? (will sagen: des Honorius.) Es gehört – so gut wie Afrika – Byzanz. Kann ich Arcadius berauben?« – »Oh, um diesen Wahn der Treuepflicht!« rief Alarich. »Glaubst du, Byzanz, Arcadius würden einen Augenblick zögern, dich zu vernichten, könnten sie's? Ich sagte dir doch: einen Preis auf deinen Kopf . . .« – »Gleichviel! Ich schütze auch des Arcadius Besitz und Grenzen. Ich reiße nichts von seinem Reiche ab und niemals werd' ich . . .«

Da meldete die Zeltwache: »Eine geschlossene Sänfte, Magister militum, trifft ein im Lager, begleitet von einigen Reitern. Ihr Führer nennt sich Claudius Claudianus: er verlangt dringend sofortiges Gehör.« – »Mein Claudian!« rief Eucherius hinauseilend. – »Er kann nur aus Mailand kommen – vom Hof,« sprach Stilicho erstaunt. »Führt ihn herein.« – Schon zog ihn Eucherius an der Hand in das Zelt: jener neigte sich, sein Antlitz zeigte hohe Erregung; er fand nicht gleich Worte.

»Willkommen im Lager, Poet. Wichtiges muß es sein, was dich bewog, den Hof zu verlassen. Ich hatte dir doch befohlen, über Honorius zu wachen, die Ränke meiner Feinde zu vereiteln oder doch mir zu melden, zusammen mit meiner Gönnerin Placidia, die . . .« – »Placidia, Herr, ist nicht mehr am Hof.« – »Wo ist Placidia?« fragten alle fünf Männer zugleich.

»Hier ist Placidia,« antwortete eine wohllautreiche Stimme und lächelnd schwebte die herrliche Gestalt herein. – »Placidia!« rief Ataulf und, alles sonst vergessend, ergriff er mit beiden Händen ihre Rechte: sie ließ sie ihm willig.

»Was ist mit dir geschehen?« forschte Stilicho staunend; er schob ihr einen Zeltstuhl hin. Aber sie blieb stehen: »Danke! Bin genug gesessen und gelegen in der engen Sänfte von Mailand bis hierher. – Was mit mir ist? Verbannt bin ich vom Hof, in Ungnade fortgeschickt.« – »Unmöglich!« rief Eucherius. – »Was ist unmöglich bei Honorius?« erwiderte sie. – »Und warum?« fragte der Feldherr. – »Warum? Weil ich seinen schändlichen Undank gegen dich endlich einmal – es riß mir die Geduld und der Zorn verbrannte die Klugheit! – beim rechten Namen nannte, weil ich die Ränke, die er mit Byzanz gegen dich spinnt, aufdeckte, und dich zu warnen drohte. Und noch aus einem Grunde, der« – sie errötete – »euch Männer nichts angeht.« – »Was für Ränke mit Byzanz?« forschte Stilicho. – »Der Protonotar Archelaos, der Führer der letzten Gesandtschaft des Arcadius, – sie kamen und gingen jetzt unaufhörlich! – verlor bei seiner Verabschiedung von mir eine Papyrus-Rolle: ich las sie auf: sie enthielt den zwischen den beiden Höfen abgeschlossenen Vertrag: hier ist er: lies! Er geht dich nahe an.«

Er begann zu lesen: da entfärbte sich sein Antlitz: es zuckte ihm wie Wetterleuchten über die Stirn: »Wie? Was ist das? Erstens: West-Illyricum wird vom Westreich abgerissen und Byzanz abgetreten: aber nicht für Byzanz: vielmehr hat es Arcadius bereits abgetreten den Jazygen, . . . .« – »Den wilden räuberischen Sarmaten!« rief Eucherius, »deren er sich nicht mehr erwehren kann.« – »Ein Erzraubgesindel,« warf Adalger dazwischen. – »Nächste Vettern der Hunnen!« lachte der König.

Aber Stilicho fuhr fort: »Schon sind diese greulichen Unholde unterwegs dahin. Dafür zahlt Arcadius an Honorius dreitausend Centenare Silbers – Stilicho, sagt der Vertrag, wird sich dem widersetzen« – ›wahrscheinlich‹ unterbrach er selbst sein Lesen. »Alsdann wird er seiner Ämter entsetzt . . .« – »Weiter nichts?« lachte Adalger, den Schwertgriff drückend. – »Doch Freund! Noch mehr, ›Die Ehe mit Thermantia wird gelöst – ah niederträchtig, mein armes weißes Lamm! Welche Schmach! – Und das ganze Geschlecht wird für immer nach Sardinien verbannt‹ Nein, Honorius, das ist zu viel!« stöhnte der Gequälte in bitterstem Weh. – »Das fand ich auch,« sprach Placidia, »und sagte ihm das recht deutlich. Ich verriet aber nicht die Quelle meiner Kenntnis. Hier, Claudian, der treue Poet, verwahrte mir die Rolle, und als der erboste Bruder mich nach Rom verwies, begleitete mich der Wackere, ja, er folgte mir in das gefährliche Wagnis, in Genua den begleitenden Prätorianern mit meinen Sklavinnen zu entschlüpfen, zu Schiff nach Albigaunum zu entfliehen und, als wir die Nähe deines Lagers erkundet hatten, zu dir zu eilen.«

»Herrlich!« rief Ataulf. »Und kamst du gestern in dies Zelt, so trafst du darin – mich und warst meine Gefangene.« – »Welch Unglück dann!« seufzte sie schalkhaft lächelnd. Dies Lächeln entzückte den Goten. – »Aber,« mahnte Claudian, »Eile tut not, Magister militum: was immer du beschließen magst: – eile! Schon traben die Rößlein der Jazygen gen Illyricum.«

Stilicho hatte mit raschen Schritten schweigend das Zelt durchmessen: jetzt blieb er plötzlich stehen: »Sie sollen's nicht haben, die Scheusale! Nichts vom Westreich wird losgerissen, ich hab's gelobt, ich halt' es. Auf, Gotenkönig, rasch: nun ist dir geholfen. Führe dein Volk nach West-Illyricum, als mein Vertreter, mein Feldherr und des Honorius Statthalter. Er wird nicht wollen, meint ihr? Ah, ich sage euch« – er stampfte heftig mit dem Fuß – »er wird wollen müssen! Geht, ihr Goten, schützt mir im Dienste Roms römisch Land gegen Barbaren! Siehst du, Freund Alarich: nun erfüllen sie sich doch, meine Pläne von Pholoë! Goten als Helfer Roms kämpfen gegen wüste Barbaren. Schützt eure neue Heimat.«

 


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