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Wenige Wochen darauf finden wir Stilicho und sein Heer sowie den Gotenkönig und dessen Volk in den Engen und Schluchten des Gebirges Pholoë, an den Quellen des Pheneus. Schritt für Schritt hatte der Magister militum die Weichenden vor sich hergedrängt in diese Bergklüfte, aus denen ein Entrinnen nur möglich schien, wenn die Verzweifelten, denen der Weg nach West, Nord und Süd durch undurchgängige Felswände versperrt war, sich Bahn brachen nach Osten, durch das meisterhaft gewählte und meisterhaft befestigte Lager Stilichos: – ein aussichtsloses Unternehmen! Dieser konnte sonder eitle Überhebung die Ergebung des tapferen Balten und seines Volkes – ohne jede Bedingung – in nahen Tagen erwarten. – Verhandlungen hierüber vermutete er als Zweck der Unterredung, zu der Alarich freies Geleit in das kaiserliche Lager und daraus zurück erbat und sofort bewilligt erhielt. Stilicho erschrak, als er des geliebten Feindes Antlitz wieder sah – zum erstenmal seit der Kriegserklärung zu Mailand. Die Wangen waren eingefallen, die hohe Stirn gefurcht, die blauen Augen hatten den heitern, den lachenden Glanz verloren. Bestürzt faßte er des Eintretenden Hände, die dieser ihm willig, aber ohne Gegendruck überließ.
»Du leidest, Freund!« rief Stilicho. – »Ich litt – viele Wochen.« – »Du bist erschöpft – von dem kurzen Ritt!« – »Von der langen Absperrung.« – »Da. Nimm!« Mit eigner Hand füllte er aus hohem Erzkrug zwei der schmalen Goldbecher auf dem Zelttisch und bot dem Gast den einen hin: köstlich duftete der edle, tief dunkelrote Trank. Alarich nahm ihn und während jener trank, schüttete er den Wein bedachtsam zur Erde: »Da sei Gott vor, daß der König Wein trinkt, während sein Volk nach Wasser verschmachtet. Seit ihr uns die Leitung Hadrians vom Pheneus her abgeschnitten habt – der eherne Himmel dieses Glutsommers spendet keinen Tropfen Regen! – schlürfen wir die paar Tautropfen, die zuweilen die Nacht bringt. Zu Hunderten verschmachten sie, die Weiber, die Kinder.« – »So mach' ein Ende.« – »Deshalb bin ich hier. Hei, hätt' ich Krieger allein, wie du! Ganz anders wär's längst gegangen. Aber Hunderttausend mit sich schleppen –, die nicht fechten können, die nur genährt und geschützt werden müssen, die niemand vor Unfreiheit schirmt, sind wir Männer gefallen, ein Troß, der mit seinen Wagen meilenlang die Wege verstopft, stecken bleibt, den Feind anlockt, – wahrlich, auch geringere Feldherrnschaft als Stilichos wäre bei solchem Kampf mir überlegen. Wie oft in diesen Wochen hätt' ich Gelegenheit gehabt, in raschem Durchbruch mein Heer zu retten, aber um den Preis, mein Volk im Stich zu lassen.« – »Nun lernst du, Freund, wie falsch dein stolzes Wort ist: ›das höchste Gut des Mannes ist sein Volk!‹ – Dein höchstes Übel ist in diesem Kampf dein Volk.«
Aufleuchteten da blitzend des Königs Augen. »Und doch lieber, zehnmal lieber für dies mein Volk fallen denn siegen als der Mietling Roms.« – »Alarich! Du vergißt . . .!« – »O nein: ich vergesse nicht: du bist – oder wirst alsbald – mein Besieger. Aber für wen hast du dann gesiegt, für wen bin ich gefallen?« – »Ich könnte sagen: Stilicho siegt für Rom: das heißt für alles Größte, was die Menschheit geschaffen hat in Staat, Recht, Bildung, – kurz, in allem Menschlichen: der tapfre Balte aber fiel . . .!« – »Für ein Barbarenvolk, willst du sagen.« – »Wohl: aber für Barbaren, aus denen andres als Barbarisches werden mochte. Höre mich ruhig zu Ende: es ist der mächtigste Gedanke meines Lebens, es ist der Plan meines ganzen Waltens in diesem Römerreich: längst wollte ich ihn dir vertrauen, dich dafür gewinnen: wärest du heute nicht zu mir, – morgen wäre ich damit zu dir gekommen. Denn mich jammert das Elend deiner Wehrlosen. Allein erst mußtest du« – er lächelte ein wenig und verbarg dies rasch – »nun . . . ein wenig mürbe gehämmert sein durch die Not, bevor du mich nur anhörtest.« – »Nun, des Hämmerns ist genug, mein' ich!« rief der König und warf sich auf einen der Zeltstühle: »Rede! Ich muß wohl hören.«
Auch Stilicho setzte sich und, ihm scharf ins Auge sehend, hob er an: »Du hast wohl mehr als einmal in diesen Wochen bemerkt, gar guter Feldherr, der du bist, wenn du nicht an Weiber, Kinder, Kranke, Herden, Karren und Wagen mehr denken mußt als an die Wegpläne deiner Feinde! – daß ich dich hätte umzingeln und vernichten können und dich doch – mit geringer Schwächung! – entschlüpfen ließ.«
Alarich setzte unwirsch den Adlerhelm auf den Tisch und strich sich quer über die Stirn: »ja, beim Schwerte Gottes! Ich verstand es nicht! An der Landenge bei Korinth! Und in dem Paß an dem Erymanthos! Nicht ein Helm der Feinde wäre mir – an deiner Stelle – dort entgangen. Du aber ließest mir beidemale ein Löchlein offen. Wahrlich, erfährt man's in Byzanz . . .« – »Man hat es erfahren.« – »Kann dir's zum Hochverrat gedeihen.« – »Es wird.« – »Es rührte mich! Daß du die alte Jugendfreundschaft . . .« – »Doch nicht. Du vergissest immer, daß ich ein Römer bin.« – »Das lügst du dir vor!« – »Nun, dann aber recht lange schon. Und mit starkem Erfolg. Und der Römer Stilicho, der Magister militum des Westreiches, würde den Jugendfreund zermalmt haben, mit tiefem Schmerz, aber ohne Schonung, hätte Stilicho dessen Vernichtung heilsam erfunden für das Römerreich.«
»Hm,« lächelte der Balte und strich den breiten Bart, »ich an deiner Stelle hätte dann den Gotenkönig doch vernichtet: es ist immer sicherer: man weiß nicht, was der noch vor hat und – bleibt er leben, – noch vor sich bringt.«
»Was er vor hat, weiß ich nicht: aber was ich mit ihm vor habe, – das weiß ich. Oder Gott oder das Fatum mit ihm vor hat, nenn's, wie du willst. Und nun merk' auf: es ist das Größte, was du in deinem Leben vernommen.« – »Ich höre.«
»Du willst das Römerreich zerstören mit deinem Volk; ich aber sage dir: du sollst es retten und verjüngen mit deinem Volk.« – »Nicht ganz meine Absicht,« meinte der König, grimmig lachend und die blonden Locken schüttelnd. – »Aber deine Bestimmung, – nach meiner, vielleicht auch nach des Himmels Absicht. Höre. Auch ich, so viele Jahre – Jahrzehnte! – lebend mitten im ganzen Leben des Reiches – in Krieg und Frieden – ich hab' es erkannt: – nicht ohne tiefen Schmerz: denn ich bin ein Römer . . .« – »Nicht wahr ist's! Ist der Mann so gescheit und weiß nicht einmal, was er ist!« – »Ich hab' es erkannt: das Römerreich ist durch Römer allein nicht fortzuführen.« – »Drum muß es fallen!« rief Alarich und schlug auf den Tisch. – »Nein. Drum muß ein neues Volk es fortführen.« – »Wir vielleicht?« lachte der Gote. »Wenig Willen und Gabe haben wir dazu.«
»Nicht ihr! Ein neues Volk, sagte ich, ein Volk, hervorgegangen aus römischer Bildung und aus germanischer Kraft: jene zu morsch, diese zu unreif, für sich allein das zu leisten. Ihr Goten, dann andre Germanen an Rhein und Donau, ihr sollt aus den Bekämpfern die Stützen des Reiches werden.« – »Das sind wir seit Jahrhunderten! Gegen Land, Getreide, Geld haben wir eure Kriege geführt seit Geschlechtern!« – »Als Söldner. Aber, – das ist mein Neues – nicht mehr als Söldner: – der fällt ab, ist seine Soldzeit um –« – »Oder wird der Sold – wie gewöhnlich – nicht bezahlt!« – »Als Glieder des Reiches sollt ihr fortab, als Halbrömer . . .« – »Halbrömer?« stutzte der Germane. »Wie das?« – »Nach meinem Vorschlag. Ich entlasse dich und dein Volk aus eurer Lage: sie ist ziemlich . . .« – »Gleich dem Mauseloch, vor dem ein sehr kluger Kater sitzt.« – »Ihr siedelt euch an –« – »Wo?« fragte der König rasch. – »Nicht in meinem Italien.«
»So?« meinte Alarich enttäuscht. »Ah, hörtest du, was unablässig in meiner Brust eine drängende Stimme ruft!« – »Aber irgendwo an der Grenze des West- und Ost-Reichs, um beiden rasch helfen zu können gegen andere . . .« – »Barbaren, willst du sagen,« nickte der Gote. – »Es wird euch Ehegenossenschaft mit den Römern eingeräumt: – das ist ein Großes.« – »Sehr gnädig,« lächelte Alarich bitter. »Aber wir haben das schon selbst ausgeführt: wenigstens mit schönen Römerinnen. Und auch – ohne Priester!« – »Es wird darauf hingestrebt, – planmäßig: bei Mischehen werden beide ausgestattet – daß diese Vermischung ein neues Volk: – eben ein Mischvolk! – erzeuge mit allen Tugenden beider . . .« – »Oder doch jedenfalls mit beider Fehlern! Und das Haupt dieses Mischvolks ist . . .« – »Der Imperator, wie sich versteht. Einen Gotenkönig gibt es sowenig mehr . . .« – »Wie ein Gotenvolk!« brach Alarich los. »Unsere Eigenart, unser Recht, unsere Freiheit, ja am Ende gar unsere Sprache, – alles dahin: um jenes Mischbreis willen?« – »Nun, der ist ja noch nicht! Nein: um der Germanen selbst wie um der Römer willen: so, verschmolzen, können beide fortleben: in ihrem Kampfe gehen beide unter.« – »Untergehn? So sei's,« rief der Gote aufspringend. »Glückauf zu solchem Untergang, bevor wir, mit Beschluß und Vorbedacht, unser eigen Volk auslöschen. Nein, Stilicho, dieser Gedanke . . .« – »Ist der Gedanke meines ganzen bisherigen Handelns und die ganze Hoffnung meiner Zukunft,« sprach Stilicho, sich erhebend. – »Ein Wahn ist's, an dem du untergehst – du sicher. Vielleicht auch wir. Aber lieber untergehn als verrömert werden.« – »Ich habe dich und dein Volk geschont, – mehr als einmal. Ich durfte es ohne Verrat an Rom, denn ich tat's nicht um des Freundes willen: ich tat's für Rom – in jener Hoffnung. Zerstörst du mir diese Hoffnung durch dein töricht trotzig Nein . . .« – »Ein Wahn ist sie, sag' ich, diese deine Hoffnung für dich, und für uns Schmach und Selbstmord.« – »Dein letztes Wort?« – »Mein letztes!«
»Dann,« sprach Stilicho mit drohendem Ernst, »kann ich euch nicht mehr retten: nun wär' es Verrat. So bleibt denn in euren Felsklüften, bis euch der Hunger verzehrt.«
»Nicht der langsame Hunger,« rief Alarich »das rasche Schwert! Mach' dich gefaßt, Freund! Sobald ich zurück bin, führ' ich die Meinen zum letzten Kampf heraus: dann wirst du erleben, was vierzigtausend Verzweifelte vermögen.«
»Nichts, als vor meinen Felsschanzen zu fallen. – Noch einmal, Freund . . .«
Da ward der Vorhang des Zeltes aufgehoben und die davor aufgestellte Wache meldete: »Fremde Gesandte, Magister militum. Sie verlangen Gehör.« Stilicho nickte Gewährung und hielt den König, der scheiden wollte, auf: »Bleib', mein armer Alarich,« sprach er finster, »du wirst sehr bald keine Geheimnisse mehr ausplaudern können.«