Felix Dahn
Stilicho
Felix Dahn

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XV.

Und an dem Tage, der die unvermeidliche Vernichtung des Gotenvolkes hätte schauen müssen, setzte sich der lange Zug aus den Toren von Pollentia gen Ostnordost in Bewegung. Eucherius, Adalger, Claudian und zahlreiche andere Heerführer und Vertraute Stilichos geleiteten die Abziehenden, Gewalttaten der Goten gegen die Bevölkerung, wie Angriffe römischer Scharen auf jene zu verhüten. Alle Fragen, die bei dem Abzug aus der Halbinsel, dem Einrücken in Illyricum, der Ansiedelung daselbst, der Einfügung in das Westreich auftauchen konnten, wurden in dem von Stilicho entworfenen, von Alarich mit wenigen Änderungen angenommenen Föderat-, d. h. Bündnis-Vertrag genau geregelt und im voraus entschieden: einen Bündnisvertrag mit dem Reiche zu schließen sträubte sich der Stolz des Balten nicht: seit Menschenaltern waren alle gotischen Völker hieran gewöhnt und nicht der Kaiser, ihr König sollte ja an der Spitze des Gotenstaates in Illyricum stehen; der Zorn der beiden Imperatoren kümmerte den Balten wenig.

Ortskundige Wegweiser – Eingeborne – geleiteten die Abziehenden. Bald hinter Pollentia überschritten sie ein unbedeutend Wässerlein, schmal und seicht, nur die Wagen etwa mußten sich einer Furt bedienen. Alarich ritt ohne Schwierigkeit durch das Flüßchen: »Wie heißt es?« fragte er den Kolonen, der das Roß am Zügel führte. – »Roma.« – »Was? Wie?« – »Roma, Herr!« – »Also dies die Erfüllung der Weissagung! Trügerisches Volk der Seher, der Wahrsager! Un-Wahr-Sager sind sie!«

»Was schiltst du?« fragte Eucherius, der neben ihm ritt. – »Ei, vor dem Aufbruch nach Italien befragte ich eine ›Pythonissa‹ – so nannte sie sich – zu Larissa, ob ich auf diesem Zuge Rom – Roma! – erreichen werde. Die alte Vettel blickte lang in ihren schwarzen Zaubersud: dann sprach sie zuversichtlich: ›Ja, Herr, du wirst auf diesem Zuge Rom erreichen.‹ Bah, dies Rinnlein hat sie gemeint. Ataulf! Man muß es ihm sagen. Auch er hat fest daran geglaubt. Ihm hat sie verheißen, er werde die Kaisertochter erreichen. Wo ist Ataulf?«

Aber Ataulf war weit voraus. Dringend, so gut es vor den andern in dem Zelt geschehen mochte, hatte er von der Geliebten eine Unterredung noch vor Nacht erbeten: den Finger auf den Mund legend, hatte sie leise das Haupt geschüttelt. Am andern Morgen hatte der Glühende vor dem Aufbruch sie im Lager Stilichos in dem ihr eingeräumten Zelt gesucht: er hatte es leer gefunden: sie war nirgends zu erkunden. In bittrem Weh war er dann aufgebrochen. Gestern noch hatte er die Herrliche nah, so nah gesehn: heute mußte er ihr den Rücken wenden – auf unbestimmte Zeit – vielleicht für immerdar! In wahrem Grimm des Schmerzes hatte er die Führung der Vorhut – seiner wackern Reiter – übernommen, aber auch das vorderste Geschwader weit hinter sich gelassen, in den lachenden Frühlingsmorgen hineinsprengend, als gelte es vor sich das Glück zu erjagen, das er doch – wohl für immer – hinter sich gelassen. So war er, den Seinen weit voran, ganz allein in ein wenig dichtes Pinien-Wäldchen gelangt, in dem die breite Heerstraße nach Osten mehrfach durch schmale Seitenpfade gekreuzt ward.

An der Einmündung eines solchen Querweges von rechts, von Süden her, der rascher zu dem Lager Stilichos führte, sah er ein Paar Reiter und eine Sänfte halten, die offenbar auf den Zug der Goten warteten. Sowie er heran war, öffnete sich die Sänfte und heraus trat – Placidia. In heißem, süßem Schrecken sprang er vom Pferd und eilte auf sie zu: da sah er mit Staunen, daß ihre beiden Handknöchel ein goldenes Kettlein umschlossen hielt. »Placidia! Geliebte!« rief er. »Was bedeutet das?« – »Das bedeutet,« lächelte sie, »daß die Schwester des Imperators, mit dem du Krieg führst, kriegsgefangen in deine Hände fiel. Nimm mich, ich bin dein. Ich kann nicht anders. Lange, lange hab' ich mich gewehrt gegen den Apollo der Germanen: aber er ist stärker als mein Stolz. Und glaube nicht, ich komme, weil ich nicht zurück kann: vier Boten und Briefe hat mir mein Bruder nachgesandt schon bis Genua, meine Rückkehr erflehend, mir vollste Herrschaft in Palast und Reich versprechend: ich aber – will zu dir, dir dienen als dein schmiegsam Weib: dich lieben, von dir geliebt werden ist köstlicher als den ganzen Erdkreis beherrschen!«

 


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