Felix Dahn
Attila
Felix Dahn

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Zwölftes Kapitel.

Er hatte, den Tod Ildichos vor Augen, den verzweifelten Sprung von einem Dach auf das andere gewagt. Der Aufschrei der Menge auf der Gasse, auf dem Platze hatte die unerhörte That begleitet: sie war hoffnungslos, sie war gräßlich gewesen zu schauen: aber sie war – um ein paar Zoll handelte es sich – gelungen: mit den weit vorgestreckten Fingern der Linken – des Stumpfes der zerschmetterten Rechten konnte er sich ja nicht bedienen – hatte er das Gitterwerk der Brüstung erreicht, umkrallt und sich in der Schwebe gehalten, bis er den Unterleib nachziehen und sich, nun auch den Ellbogen des rechten Armes über die Brüstung biegend, hereinschwingen konnte: freilich rollte er dabei auf das flache Dach, aber sofort stand er auf den Füßen und sprang zwischen Dzengisitz und das Mädchen.

»Flieh, Ildicho!« schrie er. »Die Dachleiter hinab. Die Deinen sind nah! Daghar . . .« Allein Dzengisitz schnellte blitzgeschwind rückwärts an die Dachluke, sie völlig mit seinem Leibe verstellend. Er hob drohend den Dolch. »Elender! Verfluchter Gote! Du schützest die Mörderin deines Vaters? So recht! Nun sollt ihr beide . . .« – »Richten soll man sie, nicht morden.« Und er warf sich auf Dzengisitz, fiel ihm in den Arm und suchte ihn von der Dachluke hinweg zu sich heranzuziehen, um diesen Ausgang für Ildicho freizumachen. Und wirklich: mit Anspannung aller Kräfte gelang es ihm, den Rasenden drei Schritte von der Öffnung fortzuzerren. »Flieh, Ildicho!« rief er noch einmal.

Schon war diese behend an den Ringenden vorbei an die Luke gesprungen. Sie strich mit beiden Händen ihr weitfaltiges Gewand zusammen, ließ sich nieder, schob die Füße durch die viereckige Öffnung, ertastete mit ihnen die Leiter, und ließ sich rücklings an derselben hinabgleiten, nicht der einzelnen Sprossen sich bedienend, nur mit beiden Händen an den senkrechten Leiterstangen sich haltend und so hinunterrutschend. Schon stand sie nun aufrecht auf dem Boden des obersten Stockwerks.

Da hörte sie oben auf dem Dach einen schweren, dumpfen Fall. Gleich darauf sauste Dzengisitz, das blutüberströmte Messer in der Faust, die Leiter herab. »Tot liegt der Hund! Du folgst ihm!« schrie er und haschte sie am lang nachflatternden Haar, wie sie soeben die erste Stufe der in das untere Stockwerk führenden breiten Treppe erreicht hatte. Sie schrie laut auf: vor körperlichem Schmerz am Haupt und vor Todesangst: schon glaubte sie das Eisen im Nacken zu spüren: sie schloß die Augen, zum Tode bereit. »Daghar!« rief sie noch.

»Hier bin ich!« scholl es ihr von der Treppe herauf entgegen. Zugleich fühlte sie ihr Haar freigegeben, hörte sie dicht hinter sich einen gräßlichen Schrei: sie schlug die Augen auf: neben ihr stand Daghar: sie blickte um: hinter ihr, auf dem Boden liegend, schlug der Hunne röchelnd mit den Fäusten und mit den Beinen um sich: ein Wurfspeer stak in seiner Brust.

Da schwanden der so arg Gepeinigten die Sinne: ohnmächtig sank sie in die Arme des Geliebten.

 


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