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»Mir ist es immer noch unbegreiflich,« sprach Maximinus, »daß ich im Land der Hunnen reisen muß. Ich! ein ehrlicher, anständiger, keines Verbrechens schuldiger römischer Bürger!« »Ich aber,« lächelte sein Begleiter, »dürfte wohl noch mehr staunen über meines Vaters Sohn, daß er hier auf diesem windumfegten Hügel halten muß, statt daheim zu Byzanz behaglich im behaglichen Schreibgemach weiterzufeilen an der Darstellung seiner früheren Gesandtschaftsreisen. Statt dessen mache ich – sehr unfreiwillig! – eine neue! Und was für eine! Zu Attila! Mit dessen Namen die römischen Mütter ihre Kinder schweigen vom Tiber bis an den Bosporus! Wer weiß, ob ich von dieser Fahrt jemals zurückkehre zu meinen Zetteln, Rollen und Tagebüchern: so sorgfältig, so säuberlich geordnet liegen sie in den Fächern des Büchersaales! Dieser Hunnenchan hat schon gar manchen Gesandten, der ihm gefiel, bei sich zurückgehalten, solang' er lebte. – Oder gelegentlich auch wohl einen, der ihm nicht gefiel. Und dann lebte der meist nicht mehr gar lang'.« Halb lachend, halb verdrießlich, mit der Laune der Ergebung in das Schlimmste, schloß er, die feinen Lippen zusammendrückend.
»Vergieb mir, Freund Priscus,« erwiderte der Patricius. »Ich weiß wohl, ich bin daran schuld, falls es etwa nicht vollendet werden sollte, das Buch von den Gesandtschaften, das so hoch gewertet wird von allen Gebildeten in Byzanz . . . –« – »So? Dann sind in ganz Byzanz nur siebzehn. Das heißt siebzehn, die so gebildet waren, daß sie das Buch nicht nur lobten, – auch kauften!« – »Sollte aber die zweite Hälfte des Werkes nicht zu Ende geschrieben werden, – sollte der redegewandteste Rhetor von Byzanz nicht mehr dort das sieghafte Wort führen in der Halle der Beredtsamkeit, – ich teile sein Los, lebend oder tot.« – »Wird letzteres Los nicht eben heiterer machen, Senator!« – »Sieh, als mir der Kaiser plötzlich die Gesandtschaftsreise anbefahl, mir – der ich sonst wahrlich nicht in Gnade stehe in dem goldbedachten Palast . . . –« »Wie solltest du, Patricius? Bist ja beleidigend ehrlich! Weder bestechlich noch – was noch mehr begehrt wird! – bestechend. – Übrigens: hältst du diesen Auftrag, diese Sendung in das Lager des Steppenwolfs, etwa für ein Zeichen der Gnade?« – »Ich machte vor allem mein Testament! – Dann aber sagte ich zu mir selbst: »Freund Priscus muß mit.« Sonst sterbe ich vor Langeweile auf der langen Reise – und vor Ekel an der Gesellschaft meines Mitgesandten! Und vor Gefühl allgemeinen Elends, – vor Hilflosigkeit in dem mir völlig unbekannten Wüstenland dieser Barbaren. Priscus aber, sprachenkundig, der gesuchte Begleiter aller Gesandten, kennt alle Länder: er kennt auch Hunnenland. Und Priscus hat ein Herz für seine sprachunkundigen Freunde und . . .« »Dankbarkeit für den Retter seines Lebens, seiner Ehre!« rief der sonst so nüchterne, verstandeskühle Rhetor in warmer Empfindung und faßte des Senators Hand. »Als vor ein paar Jahren der Ausbund aller Nichtswürdigkeit –« – »Also Chrysaphios!« – »Weil er mich nicht bestechen konnte, der Eunuch, dem Kaiser vorzuspiegeln, auf meiner Gesandtschaftsreise zu den Persern hätt' ich mich überzeugt von der Trefflichkeit unseres Statthalters an der Grenze . . .–« – »Des Vetters des Chrysaphios!« – »Ich hatte die Beweise des Gegenteils! – Nun, da klagte er mich an, ich sei von den Persern bestochen, um den ihnen so erfolgreich entgegenwirkenden Rektor der Grenzprovinz zu entfernen. Schon war ich – gleich bei Beginn der Anklage – in den Kerker der Unsterblichen geworfen . . . –« – »Weshalb nennst du dies Staatsgefängnis so?«
»Weil keiner als Sterblicher wieder herauszukommen pflegt. – Da hast du, dem allmächtigen Eunuchen trotzend, mit deinem ganzen Vermögen für mich Bürgschaft geleistet und so meine Freilassung durchgesetzt, auf daß ich, unter deinem Beistand, meine Unschuld beweisen konnte. Nie vergeß' ich dir's! Und hätte Attila wirklich den Wolfsrachen, von dem die Ammen zu Byzanz erzählen – für dich, o Maximinus, lege ich meinen Kopf zwischen seine Zähne. – Aber weshalb sie dich – gerade dich! – zu dieser Gesandtschaft ausgesucht haben, – das müssen wir noch aufspüren. Wie kam es doch?« – »Seltsam genug. – Ein paar Stunden nach Mitternacht war's. Da ward ich geweckt von den Sklaven: Vigilius wolle mich sofort sprechen. Ich fragte, ob sie oder er oder ich seien irrsinnig geworden? Denn ich verachte diesen Elenden wie keinen andern Menschen . . . –« »Immer ausgenommen – Chrysaphios,« erinnerte der Rhetor. »Befehl des Kaisers,« antworteten sie, und alsbald stand der Verhaßte vor meinem Lager, hielt mir bei dem Schein der Ampel einen von des Eunuchen Hand geschriebenen, vom Kaiser unterzeichneten Brief vor, der uns gebot, am folgenden Tage – also heute schon! – aufzubrechen nach Pannonien, in das Hunnenreich, mit Vigilius und mit dem Gesandten Attilas als Überbringer der kaiserlichen Antwort.« »Diese ist schwer tragen: – viele Centner Schmach!« grollte der Rhetor. – »Die kaiserliche Purpurtinte des offen überbrachten Briefes war noch feucht. Nach Mitternacht, soeben erst, hatten sie also miteinander verhandelt: der Kaiser, Chrysaphios, Vigilius und befremdendermaßen! – noch einer.« »Nun?« forschte Priscus erstaunt. – »Ediko.« – »Der Gesandte Attilas! Woher weißt du . . .?« – »Von Vigilius! Wenn ich nur wüßte, wodurch dieser Mensch – ohne jedes Verdienst – beim Kaiser, ja bei dem Eunuchen selbst, so hoch gestiegen?« – »Außer durch seine Verdienstlosigkeit durch Steigerung seiner einzigen Fertigkeit.« – »Was meinst du?« – »Er ward Dolmetsch, da er außer latein und griechisch gotisch und hunnisch verstand: er hat Begabung für Sprachen: doppelzüngig von Geburt hat er noch mehrere andere Zungen sich angeeignet, so daß er jetzt in etwa sechs Sprachen gleich schnell und ohne Anstoß lügen kann, aus eignem Antrieb oder auf Eingebung des unheiligen Geistes Chrysaphios.« – »Also Vigilius verriet – halb wider Willen – Edikos Eingreifen. Als ich mich sträubte, als ich ihn zornig fragte, wie er es wagen könne, mich zu zwingen, ihn zu begleiten, da er doch meine Meinung von ihm kenne, da rief er achselzuckend: ›Meinst du, ich habe dich mir ausgesucht? Zu meinem Vergnügen? Ediko bestand darauf.‹ ›Er kennt mich gar nicht,‹ erwiderte ich. ›Wohl! Aber er verlangte, der ehrenwerteste aller Senatoren von Byzanz –‹ (»oder doch,« fügte der Greis bescheiden bei, »der dafür gilt!« –) ›müsse ihm folgen an seines Herrn Hoflager. Er habe sich erkundigt und übereinstimmend . . .‹« »Nannten ihm alle,« fuhr Priscus fort, »als den ehrenwertesten: Maximinus.« – »›Sonst könne er‹ – und nun merk' auf, Freund! – ›die Gefahr, die Verantwortung nicht tragen.‹ – Verstehst du das?« Der Rhetor schüttelte nachdenklich den klugen Kopf. »Es wird eben gelogen sein von Vigilius,« meinte er dann. »So dachte natürlich auch ich und sagte das dem Gesandten, sobald ich ihn allein sprechen konnte: – er ist nicht Hunne, Germane ist er, und kein gewöhnlicher Mann! –« Priscus nickte beipflichtend: »aber undurchdringbar!« –
»›Vigilius hat – merkwürdigerweise! – diesmal nicht gelogen,‹ gab er mir zur Antwort. ›Attila verlangt einen Gesandten senatorischen Ranges‹ – Aber weshalb wähltest du gerade mich, der ich allerdings für wahrhaftig gelte? ›Das wirst du erfahren – zu rechter Zeit‹ erwiderte der Germane.« »Jawohl: zu rechter Zeit!« wiederholte hinter den beiden Freunden eine tiefe Stimme. Überrascht wandten sich beide: Ediko stand hinter ihnen. »Bald werdet ihr es erfahren. Und dann auch den Grund begreifen. Bis dahin – seid vorsichtiger,« warnte er, »wenn ihr unbelauscht zu sprechen wünscht. Nicht mich fürchtet, aber . . . andere.« Und schon schritt er den Hügelhang wieder, den Wagen entgegen, hinab: unten stand sein Roß und harrte des Herrn. Bald ritt er langsam an jener halboffenen Sänfte vorüber. »Ediko, Ediko!« rief es wieder im Flüsterton heraus. »Verwünschter Hüftenschmerz, der mich vom Sattel fern hält, in diesen Kasten zwingt. Ich muß doch mit dir besprechen – nur so viel – nur ein Wort.« »Schweig, Unbedachter,« antwortete der, ohne zu verweilen. »Die beiden sind ohnehin schon voll Argwohns. Willst du uns verderben? Und noch dazu – vor der That?«