Felix Dahn
Attila
Felix Dahn

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Sechstes Kapitel.

Zornmütig, hitzig hatte der junge Königssohn erwidern wollen. Aber das Wort ward ihm überdröhnt von lautem Lärm, der hart vor der Eingangsthüre sich erhob: verworrene, scheltende, zankende Stimmen. Attila beugte nur ein klein wenig das Haupt vor und hob den Knaben von seinem Knie: – der Geschmeidige kauerte nun zu seinen Füßen und wußte unbemerkt, sowie der Vater anderswohin schaute, von den neben ihm stehenden niedrigen Kredenztischen einen Becher Weines nach dem andern zu erhaschen und leer zu trinken, so daß er allmählich anfing, hin und her zu schwanken mit schwerem, rotglühendem Kopfe.

Schon waren die Thorwächter hinausgeeilt, die Lärmenden zu schweigen und zu strafen: aber unsanft wurden sie auf der Schwelle zur Seite gestoßen von einem ungestüm Hereindringenden. Dzengisitz war es, grimmig, grell lachend vor Wut. Hinter ihm schritt Ellak; noch bleicher als sonst war sein trauriges, edles Gesicht.

Dzengisitz, ein paar Jahre jünger als dieser, trug einen kostbaren, mit seltenstem Rauchwerk bunt besetzten und verbrämten hellroten Seidenmantel, der nicht bis an die Kniee reichte, darunter ein Wams ebenfalls von reich mit Gold besticktem edelm Pelz, die Haare auf der linken Seite des Leibes nach innen, auf der rechten nach außen gekehrt, so daß er halb schmutzig gelbweiß, halb tief dunkelbraun aussah. Auf dem Rücken hing ihm oberhalb des Mantels an breitem dunkelrotem Purpurband ein mit Perlen und Edelsteinen dicht besetzter Köcher, am untern Ende gekrümmt und vollgepfropft mit kleinen spitzigen Bolzen von Rohr; in der Rechten schüttelte er ungebärdig die entzweigebrochenen Hälften eines langen hunnischen Hornbogens. Seine Züge waren denen Attilas sehr ähnlich und zeigten alle Kennmale echtester hunnischer Eigenart: nur fehlte ihm alle Größe und jene majestätische Ruhe, die für den Vater auch dem Widerstrebenden zuweilen Bewunderung abzwang. Unstet fuhren die häßlich vorstehenden Augen hin und her, unaufhörlich zuckten in wilder Leidenschaft die wulstigen Lippen.

»Pfoten weg, du Hund!« schrie er den letzten Thorwächter an und hieb ihm mit den spitzen Bogensplittern über die Hand, daß das Blut heraussprang, »Wer hemmt des Herren Sohn auf seinem Wege zum Vater, den Kläger – oder« – lachte er grimmig – »vollends den Angeklagten! – auf dem Wege zu seinem Richter?« Schon stand er – mit einem Satz hatte er die Stufen übersprungen – dicht vor Attila. »Ja, Väterchen, da der Halbgote klatschen will, ist es schlauer, ich sage dir alles selbst und statt mich anschwärzen zu lassen, verklage ich ihn!«

»Streit unter meinen Söhnen? Im Unrecht beide!« sprach der Vater; aber sein strafender Blick traf nur Ellak allein, der nun langsam, gemessenen Schrittes, die Stufen heraufstieg.

»Es ist gar der Rede, nicht eines Wortes ist es wert,« begann Dzengisitz wieder. »Auf der staubigen Straße reiten wir hinter den Geiseln. Es ist sehr langweilig, sehr öde. Ich wette – aus eitel Langweile! – mit meinem Bogenträger: ich treffe jedesmal zwischen dem aufgespreizten dritten und vierten Finger eines Menschen. ›Du hast leicht wetten, Herr,‹ lächelte der ungläubig. ›Du findest keinen, der dir still hält zu der Probe.‹ ›Doch!‹ rief ich und befahl dem nächsten der Vergeiselten, der vor meinem Gaule dahinkeuchte in der heißen Sonne, – es war ein zwölfjähriger Junge, der Sohn des besiegten Sarmatenfürsten – die linke Hand aufgespreizt an den nächsten Baum zu legen und nicht umzuschauen. Der gehorchte. Ich nahm meinem Knecht den Bogen ab, spannte, legte den Bolzen auf und zielte. Da dreht der unfolgsame Knirps den Kopf um. Er merkt, was ich vorhabe! Der Feigling schreit auf vor Entsetzen, dreht sich ganz um und, statt an den Baum, drückt er die beiden aufgespreizten Hände in Todesangst vor das Gesicht. Ich ziele sehr scharf und – wie ich gewettet! – zwischen dem dritten und dem vierten schmalen Finger des Knäbleins schoß ich mitten durch.«

»In sein linkes Auge!« schloß Ellak, bebend vor Entrüstung. »Und da der aufschrie und ihm fluchte, drohte dein Sohn Dzengisitz, falls er nicht schweige, ihm auch das andere Auge auszuschießen. Er spannte schon wieder. Da sprang ich zu, entriß ihm den Bogen . . .« »Und zerbrach ihn mir am Knie!« schrie Dzengisitz wütend. »Da! Da liegen – zum Beweise – die Trümmer!« Er warf beide Stücke Attila zu Füßen. »Meinen besten Bogen! Wegen eines Kindes! Eines Vergeiselten! Strafe den Sohn der Gotin, Vater, oder bei der Rossegöttin: – bevor ihr Fest beginnt – blutig straf' ich ihn selbst.«

Unbewegter Miene sprach Attila: »Wo ist der Knabe?« »Er blieb am Wege liegen,« antwortete Dzengisitz kurz, achselzuckend. »Tot ist er,« rief Ellak. »Er starb in meinen Armen.« »Hört meinen Spruch, ihr ungeratenen Söhne,« sprach Attila. »Du, Dzengisitz, wiegst dem Vater den Toten dessen Gewicht in Gold auf – aus deinem Schatzhaus, nicht aus dem meinen. Du, Ellak, aber thatst schwer Unrecht, deines Bruders Bogen zu zerbrechen. Seines Bruders Waffe soll niemand brechen: – er bricht sie sich selbst. Sechs ebensogute leistest du ihm, das ist deine leichte Strafe. Deine schwere aber – meine Unzufriedenheit. Aus meinen Augen! Fort aus der Halle! Hinaus! – Du, Dzengisitz, setzest dich da unten neben den Königssohn der Skiren zu seiner Rechten – links sitzt Fürst Czendrul – der soll nur bleiben! – Und sorge, mein lieber Junge, daß dem jungen Helden alles richtig werde, was ihm gebührt.«

Ellak warf einen Blick auf seinen Vater: vergeblich suchte er nach dessen Auge. Dann beugte er tief das Haupt und schritt feierlich die Stufen hinab. Sein Weg führte an Ildicho vorbei: er verlangsamte seinen Schritt, aber er wollte nicht stehen bleiben: da stand die Jungfrau auf von ihrem Sitz und reichte ihm vor allem Volk mit einer schwungvollen Bewegung die schöne Hand: er ergriff sie, neigte sich schweigend und schritt rasch aus der Halle. Attila hatte den Vorgang genau beachtet: leicht nickte er dazu mit dem mächtigen Stierhaupte nach vorwärts und blinzelte wieder sehr böse.

 


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