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Nach kurzem Schweigen begann der Herrscher aufs neue: »Jedoch stärker noch als durch meine Unbesiegbarkeit hat jenes Schwert sich als echt erprobt – ich sagt' es schon – durch meine Unrührbarkeit. Mein Herz ward Erz, seit ich die Waffe zuerst ergriff, den Bruder damit zu erschlagen. Furcht, Mitleid, ja selbst Zorn rühren nicht mehr an mich.«
»Es ist wahr, tot, wie der Todesgott selbst, wandelst du unter den Menschen. Aber was ist Beherrschung an dir, was Fühllosigkeit? Man sieht dich nie lächeln. Ich glaube, selbst die Weiber nicht, welche du küssest – unablässig. Es scheint, auch die Lust der Liebe, – sie ergreift dich nicht.«
Der Herrscher warf die dicke Unterlippe auf:
»Nein. – Aber doch! – Irgend einen Rausch, so scheint es, muß der Mann haben. Wein zu trinken oder Ael oder Met – alles außer Wasser (»oder etwa,« grinste er, »Blut, damals in Gallien, als die Marne mehr Blut als Wasser wälzte!«) – alles, was berauscht, hab' ich schon als Knabe verschworen, als ich den Bruder einmal im Rausch ausplaudern hörte, was er gern verschwiegen hätte. Sieg, Ruhm, Macht, Gold, sie berauschen mich nicht mehr: ich muß sie freilich haben, wie ich Luft haben muß, um zu leben; aber sie berauschen mich nicht mehr. – Mein Rausch ist: das Weib; die Qual des Weibes in diesen Armen.« – »Und doch auch des Weibes Schönheit, will es scheinen. Denn die allerschönsten nur suchst du dir aus! Und seit Jahren – seit Jahrzehnten! – beinahe stets Germaninnen. Weshalb?« »Das will ich dir sagen, Chelchal,« sprach der Herrscher und blinzelte mit den häßlichen Augen wie ein sehr böses Tier. »Es ist nicht bloß Lust: auch anderer Völker Weiber sind oft schön: es ist,« – er lächelte grimmig – »es ist auch Staatsweisheit dabei oder Arglist, was dasselbe. – Denn die Germanen . . .« – Er stockte; dann fuhr er fort: »Trotz der Tröstung des Kriegsgottes, – viele Sorge machten sie und machen sie mir doch! Ja, meine einzige! Hei, dort in Gallien, zerstampft hatte ich auf jenen catalaunischen Feldern des klugen Aëtius Schlachtenlenkerschaft in seinem klugen Gehirn unter den vielen hunderttausend Hufen meiner Rosse, hätten diese verhaßten Goten neben ihm nicht gekämpft wie . . .« »Nicht wie Menschen,« sprach Chelchal, leise bebend, »wie ihre eignen Götter von Asgardh!« – »Und gleichwohl! Die Männer der Germanen fürcht' ich kaum. Puru sprach wahr: sie lernen nie gehorchen, sie lernen nie zusammenstehen: der Suff und der Wahn der Ehre bringt sie um. Und gar nichts halte ich auf die einfältige Tugend, die diese sechs Fuß hochaufgeschossenen Recken, diese Knaben mit den Riesenleibern, Heldenschaft nennen. Eine Dummheit ist sie, diese blinde, ja jauchzende Lust, sich in die Speere zu werfen und in den Tod.
Der wilde Wisent des Urwalds ist danach der größte Held und verdiente, König aller Germanen zu sein: denn furchtloser und stärker ist nichts, was da atmet. Aber ein roter Lappen reizt ihn zu selbstmörderischer Wut, ein kleiner Giftpfeil erlegt ihn aus weiter Ferne, in jede klug gegrabene Grube fällt der hilflose Riese. Das aber ist mein Königtum: rote Lappen, Giftpfeile, schlaue Fallgruben. Manchmal freilich ist es nötig, diesen Buben von vierzig Jahren zu zeigen, daß ich auch in ihrer gepriesenen Tugend der Armmuskeln ihren flachsbärtigen Königen nicht nachstehe. Ganz gern daher erfüllte ich den Wunsch Ezendruls: wie staunten die Gesandten der Gepiden und die andern Germanen, sahst du's wohl? – Also: mit dieser plumpen Tölpelei der Heldenschaft ist noch fertig zu werden. Aber Eines ist auf Erden, – nur Eines! – was ich nicht fürchte zwar, aber scheue. Scheue, wie ein göttergeweihtes, götterumhegtes Geheimnis: das ist das germanische Weib. Da liegt's! Das ist's! Da droht etwas, das nicht meine Staatslist, nicht das Saufen und die eigne wilde Kraft selbstmörderisch zerstört. Schau' sie nur an, diese hochgewachsenen Jungfrauen, diese stolzbusigen Weiber! Wie lichte Göttinnen schreiten sie im Schmuck des leuchtenden Haares über die Erde hin schwebenden Schritts. Und wie blitzt aus ihren graublauen Augen ein keuscher Stolz, der mich schon oft – zurückgehemmt hat; freilich nicht auf lange,« fügte er höhnend bei. »Und wie erziehen sie, Mütter ohnegleichen, ihre Kinder immer wieder zu dem gleichen edeln Trotz! In ihren Weibern muß man sie vernichten, die Germanen. Da sprudeln die tiefsten, die geheimsten, die verjüngenden Quellen ihrer Kraft. Da man sie nun doch nicht alle in die Donau jagen kann – es sind zu viele und« – hier strich er sich über die wulstigen Lippen – »es wäre auch schade um die weißen Leiber – sind neben den Griechinnen die schönsten Frauen der Erde! – muß man, statt sie zu morden, sie zerstören bei lebendigem Leibe. Mischlinge, nicht mehr Germanen sollen sie gebären; ein Mischvolk, hunnische Germanen, soll an Stelle treten der germanischen, der« – lächelte er grimmig – »Asgardh entstammten Germanen. So viele ich auftreiben konnte seit Jahrzehnten ihrer weißbusigen Mädchen, warf ich meinen gelben Hunnen in die Arme: viele, viele Tausende schon. Es kann uns nicht schaden, Alter,« blinzelte er, »wird unser Nachwuchs etwas schöner. Denn – mit ihren Schlitzaugen und spitzen Backenknochen – scheußlich sind sie, meine lieben Hunnen.«
»Flink, fromm, blind folgsam: – das sollte dir genügen, Herr,« grollte Chelchal.
»Es genügt auch – wenigstens zur Bezwingung, wenn nicht zur Verschönung der Welt. – Die Allerschönsten aber, die Allerstolzesten, die Allertrotzigsten dieser blonden Halbgöttinnen zu Hunninnen zu machen, – das behalt' ich diesen Armen vor.« Und er wiegte mit Wohlbehagen, im Vollgefühl strotzender Kraft, die beiden gar kurzen, aber gewaltigen, die Vorderarme aufwärts biegend, die mächtigen Muskeln der Oberarme anspannend. »Die Lust wird mir erhöht durch die Qual der Widerstrebenden, schärfer noch gewürzt durch den geheimen Zweck, durch den Sieg meines Hasses gegen all' Germanentum. Wie viele Hunderte der Allerherrlichsten hab' ich nicht schon zerbrochen für immerdar. Und wenn sie – anfangs – gar zu ungebärdig toben, in Fesseln werden sie doch bald müde! Und haben sie mir erst das erste oder einem meiner Günstlinge das zweite Hunnenkind geboren, dann sind sie zahm. »Freilich,« fuhr er nach einer Weile kopfschüttelnd fort, »nicht immer. Und meine Mischzucht will nicht recht gedeihen. Die Häßlichkeit, so scheint's, vererbt sich leichter als die Schönheit! Schon manche Germanin hat, sah sie nun das Kind, das der Hunne ihr gezeugt, vor sich liegen, gelb, krummbeinig, scheusälig, es nicht an die Brust gelegt, sondern an die Wand geschleudert. Es mischt sich übel! Der Hunnenessig macht die Germanenmilch gerinnen. Auch meine eignen Söhne von Germaninnen, – ich hab' nicht Freude dran.« Er schwieg und sah finster vor sich nieder.
»Ellak ist ein edler Geist.«
»Ein Schwärmer ist er,« fuhr der Vater unwillig auf. »Ein Träumer! Ein Weichling! Von seiner Mutter, der Amalungentochter, hat er das thörichte Träumen geerbt, das ziellose Sehnen und Sinnen ins Blaue hinaus. Und das weibische Erbarmen! Möchte alle Feinde durch Edelmut entwaffnen! Edelmut! Gegen Byzanz! Gegen jene elenden Kaiser! Der Gotin Sohn liebt die Goten mehr als die Hunnen! Ich glaube wirklich,« schloß er grimmig, »er haßt mich dafür, daß ich als Hunne mir die Freiheit nahm, sein Vater zu werden! Mit gotischen Heldenliedern sang ihn Amalahild in Schlaf, gotische Heldensagen in gotischer Zunge raunte sie ihm unablässig zu, bis . . . bis mir's einmal zu viel ward und sie plötzlich – starb.« Sein Mund zuckte ein wenig.
»Ich stand dabei,« sprach Chelchal ruhig. »Ich und der Knabe. Du verbotest ihr, ihm weiter vorzusingen auf gotisch. ›Nur noch den Schluß,‹ bat sie, ›von König Ermanrichs, meines Ahnherrn, stolzem Ende. Ehe er sich, mein Sohn, den Hunnen beugte, stieß er sich . . .‹« »Sie konnte nicht vollenden!« schrie Attila. »Denn ich stieß zornig nach ihr mit dem Fuß.« – »Sie war schwanger; sie starb sogleich. Und Ellak stand dabei. Soll er dich lieben?« – »Fürchten soll er mich! Und nicht hoffen, daß er je mein Erbe wird, der Krüppel. Er kann ja nicht einmal mehr fechten.« – »Mit der Rechten. Mit der Linken ficht er vortrefflich, wie du sehr wohl weißt: oft hat er mit der Linken für dich gesiegt, seit er sich – dich zu retten – die Rechte hat zerschmettern lassen. Vor Orléans war's. Er hielt die Rechte zwischen dein Haupt und den gewaltigen Felsblock, den vom Wall herab der römische Katapult geschleudert hatte: er war scharf gezielt.« »Bah, er hätte mich nicht getötet: so wenig wie die Wolken von Pfeilen und Speeren auf dem catalaunischen Feld. Du weißt ja jetzt, – ich habe dir's ja gesagt – wie ich sterben werde. – Aber,« fuhr er mürrisch fort, »auch meiner andern Söhne wimmelnder Troß – einhundertzweiundachtzig sind es gestern gewesen, heute ward die Geburt von zwei weiteren gemeldet, die Töchter zähl' ich längst nicht mehr – es ist nicht viel damit. Auch nicht, zärtlich wie ich ihn liebe, mit Ernak, meinem schönen Knaben.« – »Ernak hast du verderbt durch deine blinde Liebe. Bessere Zucht ward für Ellak des Vaters – Haß. – Und Dzengisitz?« – »Ei freilich, Dzengisitz. Der ist so recht nach deinem Herzen, Alter. Der echte Hunne!« – »Ja! Der beste Reiter unseres ganzen Volkes. Und der beste Pfeilschütz.« – »Nun ja! Er ist nicht übel. Ich mag ihn ganz gut leiden, den frechen Jungen,« sprach Attila wohlgefällig. »Aber seine Mutter – uih, sie war nicht schön.« Und er verzerrte das Gesicht, als habe er in eine bittere Wurzel gebissen. »Sie entstammte,« entgegnete Chelchal, »unserem ältesten Herrschergeschlecht, – älter als das deine.« – »Deshalb befahl Vater Mundzuck mir die Gemahlin. Sie ward dadurch nicht anmutiger. Ein greulich Brautbett! Und unser Sohn, Dzengisitz – nun, er gedieh danach! Er ist noch häßlicher als Vater und Mutter zusammen. Und obwohl er das rechte Gegengift wäre wider Ellaks Weichheit, – zum Herrscher der Welt taugt auch er nicht. Mit Reiten und Schwalbenschießen führt man mein Reich nicht fort. Da lob' ich mir Ernak, den schönen!«
»Herr,« rief Chelchal, »soll der Knabe von fünfzehn Jahren, der maßlos verhätschelte, die Welt beherrschen?« Aber der zärtliche Vater hatte gar nicht auf die Frage geachtet. Mit sich selber raunend fuhr er fort: »Seine Mutter! Sie war doch mein süßestes Abenteuer. Sonst graut den Weibern stark vor mir, und ohne Gewalt haben mich nur Hunninnen umarmt. Aber sie! Aber Libussa!« Und nun sprach er, nicht für den Hörer, nur zu sich selber, in Erinnerung versunken, leise weiter: »Wird da auf einmal im Lager als Gast die Tochter eines Sklabenenfürsten gemeldet. Sie verlangt, mich in meinem Zelt – allein – zu sprechen. Ich bin auf einen Dolchstoß vorbereitet: sie aber wirft sich mir zu Füßen. Wie war sie schön! Blauschwarz die dicken Zöpfe, kirschrot die üppigen Lippen, Pfirsichflaum auf den Wangen! Und sie flüstert zärtlich zu mir auf: ›Bis zu meinem Volk im fernsten Ostland drang der Ruhm deines Namens, wie du der Gewaltigste seiest aller Männer und keiner deinesgleichen lebe auf Erden. Da entbrannte heiß für dich mein Blut und ich sprach zu mir auf schlummerlosem Pfühl: von dem gewaltigsten Mann auf Erden will ich einen Sohn empfangen. Oder sterben. So brach ich auf und reiste zu dir, Tag und Nacht – mondenlang! Nun schau' ich dich. Schön bist du nicht, aber sehr gewaltig. Nun küsse mich! Oder töte mich!‹ – Ob ich sie küßte! Dies Weib allein hat mich geliebt. Libussa, du starbst, sowie du mir ihn geboren, den Knaben, den schönen . . .« – »Herr, du wirst nicht diesem Kinde . . .« »Nein,« – er fuhr nun auf aus seinem erinnernden Brüten. »Denn es ist mir geweissagt, Ernak lebt nur einen Tag länger als ich.« »Wie, o Herr?« rief Chelchal erschrocken. »Sei getrost. Diese Weissagung zwar ist hart, sehr hart. Aber auch ein anderes, ein Höheres ist mir verkündet. Horch auf!« – »Ich höre.«
»Der thessalische Zauberer –« – »Der dir den Tod in Frauenarmen geweissagt?« – »Derselbe. Ich traue ihm ganz. Denn er durchschaute meine eigenen geheimsten Gedanken. Ich fragte ihn: ›was hab' ich schlaflos diese Nacht durchdacht?‹ ›Die Wahl deines Erben,‹ sprach er sofort. ›Mühe ist nicht damit, großer König. Dein Erbe ist gewählt.‹ Ich staunte. Er aber fuhr fort: ›es lebt eine blondgezopfte Jungfrau. Deren Anblick wird dich entzünden wie niemals Weibes Reiz zuvor. Erzucken wirst du bis ins Mark, erschaust du sie. Die allein kann dir den Sohn gebären, der deine ganze Größe erben wird. Er wird sich unterwerfen alle Völker des Erdballs.‹ – Seither wart' ich gierig dieser Jungfrau.« – »Und du glaubst dem schmeichelnden Zauberer?« – »Ich glaubte ihm aufs Wort.« – »Du glaubst ihm nicht mehr?« – »Man glaubt nur Lebenden.« – »So ist er gestorben?«
»Nachdem er geweissagt, ließ ich ihn töten.« – »Warum? Du glaubtest, er betrog?« – »O nein! Du weißt: nach unserer Hunnenpriester uralter, stets bestätigter Erfahrung spricht nur derjenige Seher wahr . . .« – »Auf dessen Leber ein kleiner Stern von weißen Streifen ruht. Deshalb wird, sobald ein Weissager gestorben, ihm die Leber ausgeschnitten und daraufhin beschaut.« – »Es eilte mir aber damit, dieser Weissagung Wahrhaftigkeit zu prüfen. Ich ließ ihn schlachten. Man fand den weißen Stern. Jeder Zweifel ist ausgeschlossen. – Nun, Alter, geh' ich. Es ward spät. Ich will schlafen. Und träumen. Der Traum soll mir die Jungfrau zeigen, die mir den Herrn der Welt gebären wird.«